Читать книгу Homo sapiens movere ~ geliebt - R. R. Alval - Страница 6

3

Оглавление

Oh man, was für eine super riesen Kacke.

Ich war eine Schlampe, oder? Ich hatte mit dem – ehemals oder noch immer – besten Freund meines Ex-Freundes geschlafen. Und das nicht nur einmal.

Ich lauschte in mein Innerstes, aber da regte sich nichts. Kein Bedauern, kein schlechtes Gewissen. Ich war niemandem Rechenschaft schuldig. Das oder… ich bin eine Schlampe. Seufzend fuhr ich mir durch die Haare. Wenn man die Ironie der ganzen Sache betrachtete, fühlte ich mich dennoch erstaunlich gut. Schließlich war es Roman zu verdanken, dass Alan sich von mir getrennt hatte.

Tja.

Roman hatte mich vor zwei Stunden heim gebracht, mir einen erstaunlich sanften Kuss gegeben, seinen Kopf leicht zum Abschied verneigt und war wieder verschwunden.

Eine einmalige Angelegenheit – von einer Nacht – die mir nicht halb so sehr zusetzte, wie befürchtet. Ach was, ich hatte gar nichts befürchtet. Würde es einmalig bleiben? Ich sollte nicht darüber nachdenken. Es einfach auf mich zukommen lassen.

Jetzt jedoch hatte ich einiges zu erledigen.

Zuerst warf ich meine alten Klamotten in den Wäschekorb, als zweites stieg ich unter die Dusche und als drittes warf ich auch die Sachen, die Roman mir gesponsert hatte, zu meinen. Wir waren erst spät aufgestanden. Hatten demzufolge spät zu Mittag gegessen. Noch immer fühlte ich mich satt. Und noch immer zitterten meine Beine ein wenig, wenn ich an die letzte Nacht dachte. Ich verspürte sogar einen leichten Muskelkater. Ich! War denn das zu fassen?

Nach der Dusche fühlte ich mich sonderbar. Romans Duft fehlte. Dabei hatte ich geglaubt, der wäre mir unter die Haut gegangen. Jetzt roch ich fruchtig.

Es gab Schlimmeres. Ich könnte zum Beispiel glitzern oder sowas.

Ich schwebte in meine Küche. Zumindest fühlte ich mich ganz leicht. Hatte ich mich in Roman verliebt? Hm. Eine gute Frage. Ich empfand definitiv etwas für ihn. Aber Liebe? So eine wie für Alan?

Früher, verdammt. Früher!

Dass ich diesen Deppen einfach nicht vergessen konnte, ärgerte mich. In Gedanken zerpflückte ich die Emotionen, die Roman in mir auslöste. Sie brachten mir keine klare Erkenntnis. Außer, dass ich ihn nicht missen mochte. Und – dass ich den besten Sex meines Lebens gehabt hatte. Roman war tatsächlich kein zärtlicher Liebhaber. Er wusste, was er wollte und forderte es geschickt ein. Dabei könnte ich schwören, dass er sich sehr, sehr zurückgehalten hatte.

Gee-nau! Darum habe ich jetzt auch Muskelkater.

Haha.

Gegen eine Wiederholung hätte ich nichts einzuwenden. Aber gäbe es eine?

Grinsend flatterte ich durch meine Küche. Obwohl es in der gar nichts zu tun gab. Sowie ich das erkannte, glitt ich in die Wohnstube.

Oh du meine Güte!

Schweben. Gleiten. Flattern.

Ich musste echt einen an der Klatsche haben. Ich benahm mich wie ein Teenager, der seinen ersten großen Schwarm ins Bett bekommen hatte. Zugegeben: Nach meiner langen Enthaltsamkeit fühlte es sich ein wenig so an. Zufällig fiel mein Blick auf den Kalender. Der 21. Hm, ich sollte Trudi anrufen. Bestimmt wollte sie wissen, wo ich so lange steckte. Das Blinken des Anrufbeantworters bestätigte meine Vermutung. Naja, eigentlich erst das Abhören desselben. Ich rief sie an. Lud sie kurz entschlossen ein. Ein gemütlicher Mädelsnachmittag – oder Abend. Während ich auf ihr Eintreffen wartete, überlegte ich, wieviel ich Trudi erzählen konnte. Theoretisch alles. Fast alles. Mein Blick wanderte zurück zum Kalender.

Sofort zuckte ich zusammen. Der 21… Sommersonnenwende. Vor anderthalb Jahren hatte ich den Unfall gehabt; seitdem noch nicht wieder auf meinem Motorrad gesessen. Mir fiel ein, dass ich den Auftrag für meine Lady zwar erteilt, aber diese noch nicht aus der Werkstatt abgeholt hatte. Ich erinnerte mich an einen Anruf der Werkstatt. Meine Lady war fertig. Daraufhin hatte ich den guten Mann jedoch vertröstet und gesagt, dass ich – sobald es mir die Zeit erlaubte – vorbei käme.

Morgen oder übermorgen.

Nächste Woche.

Ich wusste nicht, warum ich es aufschob. Angst? Blödsinn! Wovor sollte ich Angst haben…

Trudi traf nur eine halbe Stunde später bei mir ein. In der Hand eine Flasche Wein. Sogar recht teuren Wein, wenn ich dem Etikett glauben konnte. Verdiente sie so gut? Ich wusste, was die Flasche kostete. Holte mir selbst hin und wieder ein paar davon. Hoffentlich versuchte sie nicht, mich damit zu beeindrucken. Sie hielt die Flasche hoch. „Die und noch ein paar andere hab ich von meinem Mann stibitzt. Ex. Er hat es nie bemerkt. Ich dachte, ich hebe ihn für einen besonderen Anlass auf. Und ein Abend unter Freunden ist dafür gut geeignet, oder?“ Verblüfft sah ich sie an. „Du warst verheiratet?“

„Wir sind über die Verlobungsphase nie drüber hinausgekommen. Zwei Jahre lang. Gott sei Dank. Eine Scheidung wäre teuer gewesen.“, sie zuckte mit den Schultern, „Ich habe trotzdem immer ‚mein Mann‘ gesagt. Macht der Gewohnheit.“ Puh! Ich dachte schon, ich hätte was verpasst.

Oder vergessen.

Konnte Trudi eigentlich Gedanken lesen? Stirnrunzelnd sah ich sie an. „Nein, kann ich nicht. Aber dein Gesichtsausdruck spricht Bände.“ Sie kicherte. „Für einen Moment hast du mich wirklich erschreckt.“ Das meinte ich ernst. Trotzdem fiel ich in ihr Lachen ein. „Los, komm. Wir köpfen die Flasche.“ Ich ließ meine Augenbrauen hüpfen und wies Trudi ins Wohnzimmer. Sie folgte mir jedoch in die Küche. Pfiff anerkennend. „Ist die neu oder habe ich beim letzten Mal nicht richtig geguckt?“ Sie war neu. Sagte ich ihr auch. Nur den Grund verschwieg ich. Vorerst. „Hübsch. Wirklich hübsch. Da könnte ich glatt neidisch werden. Meine ist… uralt.“ Und meine schon die zweite neue Küche innerhalb von nicht mal drei Jahren. Das machte mir ein schlechtes Gewissen. „Wir können ja mal einkaufen gehen.“, zwinkerte ich ihr zu. „Na klar. Aber sonst geht’s dir gut, oder? Du kannst mir doch keine neue Küche kaufen!“

„Warum denn nicht? Für mich sind das Peanuts. Aber wenn du nicht willst, kann ich das verstehen. Dann bekommst du die, sobald ich umgezogen bin.“ Trudis Mund klappte auf. Welcher Teil meiner Aussage dafür verantwortlich war, blieb mir verborgen. Vermutlich alle. „Du… echt? Du ziehst um? Wann denn? Wohin? Warum? Die Wohnung ist doch schön.“ Klar, war sie. „Ich brauche etwas Eigenes. Ein kleines Haus. Mit Garten. Wo ich Veränderungen machen kann, ohne vorher jemanden um Erlaubnis zu bitten.“ Trudi nickte zweifelnd. „Also… ist es für dich kein Problem, mal eben ein neues Haus zu kaufen?“ Ihre Stimme schnippte mehrere Oktaven höher. „Du bist reich?“ War ich. Mein Job hatte auch seine guten Seiten. Zusätzlich brauchte ich den Nervenkitzel. Die Herausforderung. „Stört dich das?“ Abrupt schüttelte sie den Kopf. Trudi war tatsächlich etwas blass geworden. „Hat… hat Alan was damit zu tun? Eine Abfindung oder so?“ Na da wurde doch der Storch auf der Wiese verrückt. „Nein. Das Geld hatte ich schon vorher. Ich arbeite. Zwar eher unkonventionell, aber ich arbeite. Nehme Aufträge an, führe sie aus, werde dafür bezahlt. Meine Fähigkeiten als movere sind dafür entscheidend. Es ist immer ein Risiko dabei. Sonst wäre der Job sicher nur halb so gewinnträchtig. Und Alan… nun, der hat anfangs überhaupt nicht geglaubt, dass ich eigenes Geld besäße. Oder einen Job. Oder ein Haus. Mein altes Haus. Kannst du dir das vorstellen?“ Ihr Kopfschütteln war vorhersehbar. Sie mochte von Alan zur Einsicht gebracht worden sein – was eine Beziehung betraf. Sein gottähnlicher Status hatte dadurch jedoch nicht gelitten. „Bist du sowas wie ein Agent?“ Ein Agent?

Ich?

Äh… Eigentlich nicht. „So ähnlich. Ich beschaffe Dinge, die anderen abhandengekommen sind oder die jemand unbedingt haben will.“ Eine nette Umschreibung für einen Dieb.

Ich war froh, dass Trudi dies ohne weitere Fragen hinnahm.

Wortlos reichte ich ihr zwei Weingläser, holte eine Tüte Chips aus dem Schrank und lief Trudi hinterher in die Wohnstube.

Seufzend plumpste sie auf meine Couch, stellte Gläser und Flasche ab und schlug ihre Beine übereinander. Gleich darauf ließ sie zwei Bomben platzen. In einem Satz. „Überrascht mich ein wenig, aber damit kann ich leben. Wenn deine Moral noch genauso hoch ist wie früher, nimmst du nur von denen, die es entbehren können. Ich wette, du spendest sogar große Summen.“, sagte sie und öffnete dabei die Weinflasche. „Meine Sam ist eine Diebin und meine Claudia lässt sich scheiden. Also wenn das kein guter Grund für den Wein ist, weiß ich auch nicht.“ Verdattert starrte ich sie an. Meine Kinnlade hing auf Teppichhöhe. „Mach den Mund zu, Sam. Hast du vergessen, dass ich die mit dem hohen IQ bin? Ich kann eins und eins zusammenzählen. Auch wenn du es noch so schön formulierst. Setz dich. Ich werde keinem ein Sterbenswörtchen sagen. Versprochen.“ Sie goss in aller Seelenruhe den Wein ein. Reichte mir ein Glas. „Prost. Auf uns. Und deinen neuen Lover.“ Meinen…

Woher wusste sie das denn?

„Du brauchst gar nichts abstreiten. Na gut, vielleicht kein Lover. Aber zumindest Sex, hm? Du hast da einen Knutschfleck am Hals.“ Sie tippte auf die rechte Seite ihres Halses. Ich griff an meine linke. Trudi grinste spitzbübisch. Sehr schön.

Ich fühlte mich kein bisschen überrollt.

Eher so, als wäre ich frontal gegen eine Planierraupe gelaufen. Zweimal.

Fassungslos setzte ich mich neben Trudi. „Ok. Mal meine Wenigkeit beiseitelassend… Claudia lässt sich scheiden?“ Vor lauter Ungläubigkeit drohten meine Augen aus dem Kopf zu springen. Mein Haaransatz bekam Besuch von meinen Augenbrauen. „Hat sie mir vor zwei Tagen gesagt. Sie wollte dich auch dabei haben, aber du warst nicht da.“ Ich nickte langsam. „Lange Geschichte. Erzähl ich dir später. Wenn du willst.“ Sie sollte mir lieber sagen, wie es zu Claudias Entschluss kam. „Ihr Mann ist auf Montage. Weißt du ja. Nun, vorige Woche klingelt es nachmittags bei ihr an der Tür. Eine fremde Frau steht davor. Fragt, wer sie ist. Anfangs war Claudia vorsichtig. Man hört ja so einiges. Doch die Frau hatte Fotos. Von einem sich glücklich anstrahlenden Pärchen. Die Frau selbst und Claudias Mann. Sie erklärte Claudia, sie sei schwanger. Jean würde ihr seit Ewigkeiten versichern sie zu heiraten. Tja, dann muss es bei der Tussi wohl klick gemacht haben. Sie ist in Tränen ausgebrochen. Anscheinend war ihr nicht klar gewesen, dass der Gute bereits verheiratet ist. An den Wochenenden fuhr er angeblich zu seiner kranken Mutter. Und – nun ja – Claudias Adresse war wohl die seiner kranken Mutter. Du kannst dir vorstellen, dass beide Frauen vor Wut auf Jean kochen.“ Ich fragte sie – ohne nachzudenken – ob ich ihn für Claudia rösten solle. „Rösten? Da mache ich mit. Fackeln wir sein Auto ab? Während er drin sitzt?“ Vorfreudig rieb sie ihre Hände.

Ich hingegen suchte krampfhaft eine Ausrede. Rösten. War ich noch ganz bei Trost?

Ich konnte ihr doch nicht alles sagen.

Oder?

„Äh… naja… puh, irgendwie ist mir das raus gerutscht.“ Trudi neigte leicht den Kopf. „Verstehe. Etwas, was du eigentlich nicht sagen wolltest. Du hast es so gemeint, aber anders, als ich es auslege. Richtig?“ Trudi war schon immer eine kluge Person gewesen. Die letzten Wochen hatte ich das nur vergessen. Oder verdrängt. Vielleicht, weil wir nie wirklich ernsthaft über mich gesprochen haben.

Ich nickte vorsichtig. Mehr als schreiend zur Tür raus rennen, konnte sie vermutlich nicht. Also Augen zu und durch, hm? Ich sah ihr nämlich deutlich an, dass sie gern eine Erklärung hätte. Sogar, wenn sie darauf warten müsste. „Na gut. Ja. Stimmt. Ich bin mehr als nur eine movere. Ich bin sozusagen getunt. Das Wie ist unwichtig. Oder besser gesagt, ich möchte jetzt nicht darüber sprechen. Tatsache ist jedoch, dass ich mehr kann als nur ein wenig Technik oder Magie manipulieren.“ Trudi wartete immer noch. Als wüsste sie genau, dass es noch mehr gab. Ich seufzte. Erzählte es ihr. Sie tippte sich nachdenklich ans Kinn. „Aha. Du bist also eine Art Batterie?“ Ein guter Vergleich. Wenn auch nicht exakt dasselbe. „Könnte man so sagen.“

„Klingt cool.“

„Ich könnte es dir zeigen.“

„Ne, lass mal lieber.“ Trudi winkte ab. Ich lachte leise. „Du hast nur Angst um deine Frisur.“

„Das würde ich niemals zugeben.“ Grinsend prostete sie mir zu.

Die Flasche Wein war alsbald geleert. Die Chips ebenfalls. Rasch sorgte ich für Nachschub. „Wollen wir dann was essen? Ich könnte was bestellen.“ Zum Kochen hatte ich keine Lust. „Klar.“ Keine fünf Minuten später war die Pizza bestellt. Und nur fünfzig Minuten später restlos vertilgt. Währenddessen und danach quatschten wir. Über vergangene Zeiten. Überlegten uns verschiedene, qualvolle Tode für Jean – nur zu Claudias Bestem natürlich. Alberten dabei herum.

Ehe ich mich versah, war es schon nach neun. „Ich muss kurz den Wein wegschaffen. Bin gleich wieder da.“

„Kannst meinen gleich mitnehmen. Dann brauch nur eine von uns aufs Klo.“ Ich grinste und eilte ins Bad. Den Weg vom Bad zurück, schaffte ich nicht. Ohne Vorwarnung verdunkelte sich mein Gesichtsfeld. Ich spürte kaum, dass ich fiel.

Mein letzter Gedanke galt meinem Genick.

Welches hoffentlich nicht in einem ungünstigen Winkel gegen die Wand krachte.

„Hey, da bist du ja wieder.“ Verdammt! Wieso klang Trudi wie Roman? Und wieder einmal bin ich umgefallen. Langsam ging mir das echt auf die Nerven. „Also vom Wein fällst du nicht um, Sam. Bist du schwanger? Kreislaufprobleme?“

Ok, Trudi war doch noch da.

Jetzt klang sie wieder wie sie selbst.

Vorsichtig öffnete ich ein Auge. Wollte mich aufsetzen. Bemerkte, dass ich schon saß. Halbwegs. Zwischen Romans Beinen; auf dem Boden. Es roch nach Roman, nach Pizza und ein wenig nach Trudis Parfum. Hieß: Diesmal war ich nicht so lange weggetreten. Hoffte ich zumindest. „Vierzig Minuten, Sam.“ Roman hatte wohl auf die Uhr geschaut, hm? „Weder noch.“, beruhigte ich Trudi. Obwohl die ziemlich gelassen schien.

Es dauerte kaum ein paar Atemzüge. Schon fühlte ich mich wieder vollkommen normal. Aufstehen zwecklos. Roman hielt mich fest. „Roman, es geht mir gut.“ Ich spürte seine aufkeimende Wut. Dennoch ließ er mich los. „Dir geht es erst wieder gut, wenn du nicht mehr wegtrittst, Sam.“ Jaja. Was sollte ich tun? Mich in Watte packen? Im Bett liegen bleiben? Ausgeschlossen. „Du fällst also öfter um?“ Nachdenklich legte Trudi einen Ellenbogen in die Hand und rieb sich mit der anderen das Kinn. „Wie oft?“ Ich zuckte mit den Schultern. „Hin und wieder. Hab nicht gezählt.“

„Heute ist der 21. Dein Unfall war auch ein 21. Und wenn ich mich recht entsinne, weißt du nicht genau, wie es passiert ist.“ Roman nickte zustimmend, wobei er mich genau beobachtete. „Bestimmt nur ein Zufall.“, sagte ich. Im Stillen frage ich mich jedoch, ob es wirklich einer war. „Beides sind Sonnenwendfeste. Falls dir diese Worte ein Begriff sind. Findest du das nicht eigenartig?“ Ok.

Langsam kam ich ins Grübeln. Ich wusste von den Bedeutungen dieser Tage durch Alans Rudel.

Aber sie?

Gut. Trudi war ein wandelndes Lexikon. Es gab so gut wie nichts, was sie nicht wusste. Auch wenn sie in ihrer Naivität vieles davon in den Wind schlug. Oder hin und wieder vergaß. „Ich… äh… bin das letzte Mal – vor heute – vor vier Tagen umgekippt. Kein Sonnenwendfest.“ Trudi schniefte hörbar. „Tja, da geht sie dahin meine Theorie. Dabei war sie so schön. Und mysteriös. Und ein bisschen romantisch.“ Romantisch?

Meine Fresse!

Unter Romantik verstand ich was anderes.

Eben wollte ich Trudi genau das an den Kopf werfen, da hielt sie mitten in ihren Bewegungen inne. Ihre Augen glasig. Sie hockte auf ihren Knien, die Arme schlaff an den Seiten, als wartete sie auf einen Befehl. „Wir können das Risiko nicht eingehen, dass jemand deine Schwachstelle kennt, Sam.“ Entrüstung machte sich in mir breit. Ich wollte Trudi verteidigen. Sie würde mich niemals verraten. „Absichtlich nicht, Sam. Das glaube ich dir. Aber sie kann ihre Gedanken nicht verschließen. Du magst momentan bei niemandem auf der Abschussliste stehen, doch das kann sich jederzeit ändern. Dann sind diese Informationen Gold wert; das weißt du.“ Seufzend gab ich ihm Recht. „Ich bringe sie heim. Mit der Erinnerung an einen netten Abend. Dann reden wir.“

War mir nicht recht.

Nicht wirklich.

Roman klang endgültig. Ihm zu widersprechen wäre sinnlos. Er vergewisserte sich, dass ich wohlbehalten auf die Couch kam. Schnappte sich Trudis Schuhe sowie Handtasche und teleportierte meine Freundin nach Hause. Nur wenig später saß er neben mir und beobachtete mich schweigend. „Was?“ Es nervte mich, wenn er nicht sprach. „Sie hat Recht.“

„Womit?“

„Mit den Sonnenwendfesten. Du bist damals auch im Krankenhaus zusammengebrochen. Kurz bevor du entlassen werden solltest. Erinnerst du dich? War im Dezember.“ Und woher wusste das Roman? „Hab eben meinen Vater gefragt.“ Steward. Natürlich. „Das erklärt zwar nicht die anderen Tage, Sam, doch es lässt darauf schließen, dass es tatsächlich etwas mit Alan zu tun hat.“ Ich erinnerte mich, dass Roman dies bereits einmal in Erwähnung gezogen hatte. „Glaubst du, dass er davon weiß?“ Roman schwieg. Entweder wusste er es nicht oder wollte es mir nicht sagen. „Na gut. Angenommen, er hat wirklich etwas damit zu tun – und es sind keine Zufälle – was bringt ihm das?“ Roman knurrte. Fast wie Alan.

Hatte ich noch nie bei ihm gehört.

„Er verunsichert dich. Setzt dich einer Gefahr aus. Reicht das nicht?“ Bloße Vermutungen. Könnten wir es Alan nachweisen? Und falls ja, was unternahm ich dagegen? Roman schüttelte kaum merklich den Kopf. „Ich bin mir sicher, es hat etwas mit Alan zu tun. Aber entweder geschieht es unbewusst oder es läuft über eine dritte Partei.“ Aha. Und was hieß das im Klartext? „Willst du das wirklich wissen?“ Nein! Ich fragte aus lauter Langeweile. „Natürlich. Du liest doch sowieso meine Gedanken. Also weißt du auch, dass ich es wissen will. Das ist übrigens verwirrend. Trudis Erinnerungen löschst du. Dabei bin ich doch selbst ein Risiko.“

„Bist du nicht. Ich kann deine Gedanken lesen, weil wir eine Bindung haben. Stépan – nun, das spricht für sich selbst. Jeder andere Pir und Vampir bräuchte dein Einverständnis. Und selbst dann gelänge ihm das nur, wenn du dich sehr, sehr beharrlich auf ihn konzentrierst.“ Ah. Verstanden.

Die Vampirin bei den Elfen hatte sowas erwähnt. Bevor ich mein ganzes Denken mit intensiver Hartnäckigkeit auf sie gelenkt hatte. Meiner Sprache beraubt, war mir keine andere Möglichkeit geblieben, um mich zu verständigen.

Es war mir damals überhaupt nicht bewusst gewesen, dass ich allein durch die Bindung an Roman bereits eine gewisse Mauer in meinem Kopf besaß. „Ich dachte, ich muss selbst daran arbeiten.“ Was diese Mauer betraf. „Nur gegen mich und Stépan. Bei allen anderen dürfte sich das erledigt haben. Du ziehst diese Mauer ganz unbewusst. Jetzt, nachdem du weißt, wie es geht.“ Na das war doch mal etwas, was ich gern hörte.

Beruhigend.

„Zurück zu Alan. Wie hast du das gemeint?“ Roman holte tief Luft. Presste die Lippen zusammen. Das wirkte sehr menschlich. „Wenn du diese Ausfälle hast, höre ich Stimmen. Ich kann sie nicht richtig verstehen. Es könnten Gesänge sein. Oder Beschwörungen. Als ob dich jemand verhext. Keine Ahnung. Aber – und das ist das wichtige – wären es Rudeldinge, in die du bewusst integriert wirst, gäbe es diese Stimmen für mich nicht. Du erinnerst dich an das, was Stépan wegen unserer Bindung erklärt hat?“ Dunkel. „Dass ihr euch nicht einmischen könnt, wenn es um Rudelangelegenheiten geht. Weil ich nach wie vor Alans Gefährtin bin, obwohl ich nicht mehr zum Rudel gehöre.“

„Richtig. Wie kann ich es dir erklären, dass du es verstehst? Ich…“ Roman dachte angestrengt nach. Ich konnte es an den Runzeln auf seiner Stirn sehen. Etwas, was sonst nie geschah. „Sobald etwas eintritt, was dich und Alan oder dich und das Rudel betrifft, existierst du in dem Moment nicht für uns. Als gäbe es dich nicht. Verstehst du, was ich damit sagen will?“ Äh… nicht wirklich. Meinte er, dass er sich dann nicht an mich erinnerte?

Sein vorsichtiges Nicken entsetzte mich.

„Echt? Warum? Ich meine, du kannst mich doch nicht einfach vergessen? Was, wenn ich in dem Moment direkt neben dir sitze?“ Roman zuckte mit den Achseln. „Es wäre, als ob eine Fremde neben mir sitzt. Obendrein könnte ich nicht eingreifen. Selbst wenn ich wollte. Nur… Vampire helfen keinen Fremden. Ich könnte dich allerdings auch nicht verletzten, wenn du zum Beispiel zu dem Zeitpunkt in meiner Nähe wärst. Wegen der Bindung. Alles unbewusst. Nicht beeinflussbar.“ Ich nickte vorsichtig. Ganz entfaltete sich mir der Sinn nicht. „Was ist mit Zwang? Ist doch auch ein Rudelding. Dennoch funktioniert er bei mir nicht mehr.“

„Ich verstehe es selbst nur ansatzweise und weiß nicht, wie ich es dir begreiflich machen kann.“ Konnte ich nachvollziehen. Ich verstand schon das Erzählte nur ansatzweise. Wohl, weil ich es nicht verstand.

Paradox.

„Damit ich das richtig verstehe: Sollte Alan mich angreifen, könntest du nichts dagegen unternehmen, weil dich irgendeine Art – sagen wir Kodex – mit Augenbinde und Ohrenstöpsel versorgt?“ Roman nickte. Lächelte schwach. „So in etwa. Ja.“ Na das klang doch einfach fantastisch. „Aber du könntest mich rächen. Danach.“

„Das, meine liebe Sam, könnte ich.“ Puh! Immerhin etwas. „Aber ich darf ihn nicht töten. Nicht wegen dir. Nicht einmal dann, wenn er dich ernsthaft verletzt oder gar umbringt.“ Was? Gut, tot wäre ich dann sowieso.

Aber hallo?

„Warum nicht?“ Roman sah mich an. Sehr intensiv. Mit einem Blick, der besagte, dass mir seine Antwort nicht gefallen würde. „Als seine Gefährtin bist du Alans Besitz. Sein Eigentum. Du gehörst ihm.“ Ich schluckte. Hart. Empörung war zu wenig für das, was ich empfand. „Allerdings gilt das Gleiche für Alan. Er ist dein Besitz.“ Na bitte – das klang schon viel besser. Obwohl ich der Ansicht war, dass niemand irgendwem gehören sollte. Andererseits: Hieß das, ich konnte ihm ein Halsband anlegen und ihn Gassi führen?

Würde er sich niemals gefallen lassen.

Zu schade.

Roman lachte leise. „Es geht dir anscheinend gut. Sehr schön.“ Es ging mir nie besser. „Im Moment.“, korrigierte Roman meine Gedanken. Er hatte Recht. Niemand konnte vorhersagen, wann es mir das nächste Mal die Lichter ausknipste. Was, wenn das während eines Jobs passierte? Unverantwortlich!

Ich musste wohl oder übel ein wenig kürzer treten.

Zumindest bis sich diese leidliche Sache aufklärte.

War ich jemandem auf die Füße getreten? Hm… Kein wütender Briam. Keine aufgebrachte Exgeliebte von Alan. Kein Wandler. Die Feen schloss ich von vornherein aus. Vielleicht eine Frau, die Ansprüche auf Roman erhob? Nein. Dazu passte mein Unfall nicht. Zu diesem Zeitpunkt hatte ich mit Roman… ich hatte bereits mit ihm zu tun. Wenn auch in anderer Hinsicht als jetzt.

Kackmistscheißblöder!

Wenn doch alles so einfach wäre wie der Unterschied zwischen schwarz und weiß. Dann könnte ich mit dem Finger auf jemanden zeigen und sagen: Der war’s. Nö – so einfach war das Leben nicht. Besonders meins nicht. Und zwar, seit ich den dämlichen Alan Kotzbrocken Garu persönlich kannte.

Roman legte seinen Arm um mich. Zog mich an sich. „Mach dir nicht so viele Gedanken, Sam. Wir finden die Ursache.“ Ich kuschelte mich an ihn und legte meine Arme um seine Taille. „Das wäre schön.“ Roman legte sein Kinn auf meinen Kopf. „Weißt du, ich habe viele, viele unanständige Dinge mit dir vor. Aber du musst dich schonen.“

Ehe ich widersprechen konnte, trug Roman mich ins Schlafzimmer. Ich zappelte, versuchte ihn auszukitzeln – umsonst. „Keine Widerworte, Sam. Ruh dich aus. Wir sehen uns morgen.“ Er steckte mich ins Bett wie ein minderjähriges, ungehorsames Kind. Noch nicht einmal eine gemeinsame Dusche zog er in Betracht.

„Sam, Sam.“, tadelte er mich, streifte flüchtig meine Lippen und schon schlief ich ein.

Vermutlich hatte er dabei ein wenig nachgeholfen. Ach was… vermutlich?

Mit hundertprozentiger Wahrscheinlichkeit!

Homo sapiens movere ~ geliebt

Подняться наверх