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Kapitel Zwei


»Darf ich für die Geschworenen einmal zusammenfassen: Mrs. Hall hat offenbar eine Art Gendefekt, der ihre Haare ungewöhnlich schnell wachsen lässt. Niemand kann sich das erklären. Und sie kann sich schlecht von Verhaltensweisen lossagen, die sie sich angewöhnt hat.«

Barbara runzelte die Stirn. »Das habe ich nicht gesagt …«

Miller unterbrach sie. »Aber insgesamt kann man sagen, dass sie eine typische Einzelgängerin ist.«

»Dass sie alleine war, hatte sicherlich andere Gründe.« Der Blick von Barbara huschte zu Mr. Jones.

»Sie hatte ihre Eigenarten, das können Sie nicht bestreiten, oder?«

»Das schon. Aber wer hat die nicht?«

»Was hatte die Angeklagte für absonderliche Eigenschaften?«, bohrte Miller nach.

Schulterzuckend schnaubte Barbara. »Nichts, was wirklich gestört hätte«, erklärte sie dann. »Sie lüftete auffällig oft ihre Zimmer. Ich weiß nicht, ob es mit der Lage des Flügels zusammenhing, aber es wurde unglaublich schnell warm bei ihr. Selbst im Winter hatte sie teilweise eine ganze Stunde lang ihre Fenster auf Durchzug. Mich fröstelte es öfter, wenn ich in dieser Jahreszeit zu ihr kam. Doch ihr schienen niedrige Temperaturen nichts auszumachen. Ganz im Gegenteil. Selbst dann lief sie in Sommerkleidern herum.«

Miller ging gar nicht auf sie ein. »Sind Sie der Meinung, dass Jane Hall glücklich war?«

Barbara zögerte. Krampfhaft versuchte sie, nicht zu ihrer Chefin zu sehen. »Das kann ich nicht beurteilen«, lenkte sie ein. »So lange kannte ich sie ja noch nicht. Abwechslungsreich war ihr Leben nicht, wenn ich das sagen darf. Sie verließ kaum das Haus, hatte keine sozialen Kontakte …«

»Ja ja, schon gut«, wurde sie erneut von dem Anwalt unterbrochen. »Aber das meine ich nicht. Wenn Sie sagen müssten, was für eine Einstellung die Angeklagte gegenüber ihrem Ehemann hatte, was würden Sie dann antworten?«

Die Zofe sah nachdenklich auf ihre Hände. »Ich hatte nicht den Eindruck, dass die beiden aus Liebe geheiratet haben«, sagte sie schließlich. Dann hob sie den Kopf und sah Miller fest in die Augen. »Alles andere wäre eine Unterstellung.«

Offensichtlich war das nicht die Antwort, die der Staatsanwalt sich erhofft hatte, doch er nickte und trat einen Schritt zurück. Sein Mund glich einer schmalen Linie. »Keine weiteren Fragen mehr, Euer Ehren.«

»In Ordnung«, nickte Richter Nelson. »Mr. Larsson? Ihre Zeugin.«

Janes und Diegos Pflichtverteidiger stand ruckartig auf, sodass sein Stuhl laut über den Boden kratzte. »Danke, Euer Ehren.« Vorne angelangt, stellte er sich freundlich lächelnd vor die Sitze der Geschworenen. »Auch von meiner Seite einen schönen guten Morgen an Sie, geschätzte Damen und Herren.« Er drehte sich zu Barbara, jedoch nicht, ohne sein Lächeln zu verlieren.

»Miss Willow, mein Kollege hat mit Ihnen bereits über die Persönlichkeit meiner Mandantin gesprochen. Was können Sie uns denn zu meinem Mandanten, Mr. Torres sagen?«

Barbara Willow überlegte. »Ich habe nie direkt mit ihm zusammengearbeitet. Zwar war er auch für kleinere Tätigkeiten im Haus zuständig, aber die meiste Zeit verbrachte er im Garten. Trotzdem hat er so gut wie jedes Mal mit uns, also mit seinen Kollegen, zu Mittag gegessen. Er ist sehr aufgeschlossen und hat uns oft zum Lachen gebracht. Seine Art Geschichten zu erzählen ist einzigartig lustig.« In Erinnerungen schwelgend blickte sie ins Leere.

»Was war mit dem vorigen Gärtner passiert?«

»Mr. Hall hat ihn gefeuert. Es war ein älterer Mann, der bereits lange Jahre auf dem Anwesen gearbeitet hatte. Doch der Chef war mit seiner Arbeit nicht mehr zufrieden gewesen. Der Garten sah verwahrlost aus. Fast so, als würde sich niemand mehr darum kümmern.«

»Finden Sie, dass Mr. Torres sein Handwerk versteht?«

Bevor sie antwortete, blies Barbara die Wangen auf und ließ die Luft dann geräuschvoll entweichen. »Tut mir leid, das kann ich nicht beurteilen. Er ist noch sehr jung, aber einer von den Kollegen hatte mal angedeutet, dass er bereits viel Erfahrung hat. Wenn ich es mir recht überlege, hat man nach ein paar Wochen sogar eine deutliche Besserung bezüglich der Pflanzen im Garten sehen können.«


»Und dies hier ist der Schuppen mit den Geräten für den Garten. Erde und Dünger sind dort neben dem Regal. Die Schubkarre steht unter dem Vordach hinter der Garage.«

Die Haushälterin der Halls, Annette Philipps, wies mit präsentierender Geste in den Holzverschlag und beobachtete Diegos Reaktion. Sie wirkte streng mit ihrem akkuraten Aussehen. Ihre dunkelbraunen Haare hatte sie am Hinterkopf zu einem Knoten gebunden und trug eine makellos weiße Schürze über ihrem marineblauen Kleid.

Diego nickte zufrieden und ließ den Blick schweifen. Alles sah gepflegt aus, die elektronischen Geräte wie der Rasenmäher und der Häcksler schienen so gut wie neu zu sein.

»Gefällt mir. Fast zu schön, um wahr zu sein, bei dem Gehalt. Wo ist der Haken?«, fragte er und lachte kurz auf. Lächelnd sah er die Angestellte an, die ihm das Grundstück sowie das Haus zeigen sollte, wo er in Zukunft möglicherweise seiner Tätigkeit als Gärtner nachkommen würde. Die Frau versuchte sich ebenfalls an einem Lächeln, doch es scheiterte kläglich.

»Es gibt keinen Haken«, antwortete sie und knetete ihre Hände. Sie mied Diegos Blick. »Abgesehen davon, dass der Garten eine wirkliche Herausforderung ist. Mr. Hall war sehr unzufrieden mit dem letzten Gärtner, den er angestellt hatte. Er hat den Garten mehr und mehr verkommen lassen. Doch wenn alles gut läuft und Sie die Probezeit überstehen, wird er Ihnen sicherlich einen festen Arbeitsvertrag vorlegen.«

»Was meinen Sie mit Herausforderung?«, wollte Diego wissen. Er hatte zwar die Hofauffahrt gesehen, aber außer einer Menge Unkraut war ihm nicht viel Negatives aufgefallen. Er musste zugegeben, dass der Rosengarten von weitem ziemlich ausgedörrt aussah. Doch er wusste aus eigener Erfahrung, dass das schnell passierte, wenn man sich bei der Hitze nicht ausreichend um die Pflanzen kümmerte.

Anstatt zu antworten winkte ihn Mrs. Philipps mit sich. Gemeinsam gingen sie auf das Haupthaus zu. Vor der Fassade waren vereinzelt Blumen gepflanzt, außerdem Efeu, der sich einen Weg das Haus empor bahnte. Auch hier sahen die Blätter gelblich und trocken aus. Einige hatten sogar schwarze Flecken. Fast so, als wären sie mit einem Feuerzeug angesengt worden.

»Ach übrigens«, begann Annette Philipps. »Die optionalen Hausmeister-Aufgaben, die in der Stellenausschreibung erwähnt wurden – wäre das für Sie in Ordnung, die ebenfalls zu übernehmen?«

»Stimmt, da stand etwas zu Reparatur- und Ausbesserungsaufgaben. Also, wenn es sich im Rahmen hält, ist das für mich kein Problem.«

»Auf jeden Fall«, nickte Mrs. Philipps. »Es sind nur kleine Aufgaben, wie Leuchtmittel austauschen, Flüssigkeiten bei der Heizung prüfen. Solche Sachen eben. Und auch nicht im ganzen Haus. Der Westflügel zum Beispiel wird von dem normalen Personal nie betreten.«

»Tatsächlich?« Diego warf einen Blick auf die Seite des Hauses, auf das die Haushälterin deutete. Es sah nicht anders aus, als der Rest des Gebäudes.

Mrs. Philipps nickte. »Ja. Der Chef hat es vor Jahren angeordnet, und dabei ist es geblieben.«

Auf der Rückseite des Hauses angekommen blieb Diego stehen, schockiert von dem Anblick.

Vor den beiden erstreckte sich eine riesige Gartenanlage. Große Felder für Gemüsepflanzen, einige Obstbäume und ein großzügiger Kräutergarten. Allerdings wirkte alles komplett vertrocknet, vollkommen verbrannt. Noch nie hatte Diego gesehen, dass die Sonne so etwas mit Pflanzen machen konnte.

»Himmel«, entfuhr es ihm. »Wird hier denn nicht regelmäßig gegossen?«

»Doch doch«, versicherte Mrs. Philipps. »Der Garten sah nicht immer so aus. Es fing erst vor ein paar Monaten an. Der Zustand wurde zunehmend schlechter. Unser langjähriger Gärtner war zwar etwas schrullig und in die Jahre gekommen, doch er war noch immer ein Meister seines Fachs. Trotzdem bekam selbst er die Pflanzen nicht mehr in den Griff. Das ist mit ein Grund, warum Mr. Hall die Stelle ausgeschrieben hat.«

Diego nickte. Dieser Garten würde ihn definitiv an seine Grenzen bringen. Doch er war sich sicher, dass er der Aufgabe gewachsen war.

Mrs. Philipps wandte sich in Richtung Herrenhaus. »Und jetzt stelle ich Ihnen Mr. Hall vor. Er will mit allen neuen Angestellten reden, bevor er den Arbeitsvertrag bespricht. Ich frage bei ihm nach, ob es ihm gerade passt, dann könnten Sie direkt ab Montag beginnen.«

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