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Kapitel 2

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Neugierig öffnete ich die Tür. Ein helles, großes Zimmer hieß mich willkommen, in das ich all mein Gepäck hineinschob und achtlos Handtasche und Mantel auf das Bett warf. Es roch nach Desinfektionsmittel. Ich blickte mich um und entdeckte einen kleinen Balkon. Als ich die Tür öffnete, um frische Luft hereinzulassen, konnte ich es nicht fassen. In Schätzungsweise fünfhundert Meter Luftlinie lag der Pazifische Ozean vor mir, es roch salzig. Über den Strand flogen Möwen, die ich trotz der Entfernung schemenhaft wahrnahm. Der Himmel war wolkenlos und die Sonne strahlte mit mir um die Wette. Ich vollführte einen Freudentanz auf dem kleinen Balkon, den ein blauer Bistrotisch und zwei gelbe Klappstühle zum Verweilen einluden. Blumenkästen mit undefinierbaren Grünpflanzen hingen am Geländer zur Innenseite.

Plötzlich war meine Müdigkeit verflogen. So schnell wie möglich packte ich meinen Koffer und Rucksack aus, bezog das Bett mit Bettzeug aus dem Schrank. Ich war nicht zu bremsen, riss mir die Klamotten vom Leib, zog meinen Bikini an, darüber unifarbene Shorts und ein T-Shirt mit Blumenmuster, griff nach dem Handtuch und einer kleinen Tasche für Geldbeutel und Handy. Den Rest der Wohnung konnte ich auch später noch inspizieren. Der Anblick des türkisfarbenen Wassers hatte mich in Hochstimmung versetzt. So schnell wie möglich wollte ich ans Meer. Auf dem Weg dahin würde ich Ausschau nach einem Geschäft halten, um ein paar Lebensmittel einzukaufen.

»Mr. Lyman, können Sie mir bitte sagen, wie ich auf direktem Weg zum Strand komme und wo ich einen Supermarkt finden kann?«

Überrascht schaute er mich an, lachte dann jedoch, als er meine Ungeduld bemerkte.

»Sobald Sie aus der Tür kommen, gehen Sie nach rechts. Dort stoßen Sie auf einen schmalen Weg, der direkt zum Meer führt. Ungefähr eine viertel Stunde zu Fuß, vielleicht auch weniger. Unterwegs sehen Sie nach der Klinik auf der linken Seite einen kleineren Lebensmittelladen, weit größere erreichen Sie nur mit dem Bus oder Auto.«

»Dankeschön.« Wie ein kleines Kind an Weihnachten oder Geburtstag stürzte ich nach draußen. Pfeifend bog ich in die kleine Gasse ein. Je näher ich der Küste kam, desto intensiver hörte ich das Geräusch der Wellen, sanft spürte ich die Brise auf meinem Gesicht und der Wind zerzauste mein Haar. Die warme Sonne kitzelte meine Haut. Blumen in bunten schillernden Farben säumten den Weg, und in den sehr gepflegten Vorgärten der Häuser wuchsen Palmen und exotisch aussehende Bäume. Die Klinik und unser Wohnheim lagen anscheinend am Rand eines Wohnviertels. Was dahinter lag, darüber konnte ich nur spekulieren, aber es schien mir im Moment unwichtig.

Als ich dann endlich die Küste mit dem Sandstrand und dem türkisfarbenen Wasser erreichte und die unendliche Weite erblickte, stockte mir der Atem. Der Anblick war wunderschön und ich konnte es nicht mehr erwarten, meine Füße in das Wasser zu strecken. Ich zog meine Espadrilles aus. Seit Jahren spürte ich wieder das erste Mal den knirschenden Sand zwischen meinen Zehen. Mit meinen Eltern bin ich in den Sommerferien immer in die Berge gefahren. Nach dem schrecklichen Erlebnis auf Mallorca vor sieben Jahren, mieden wir das Meer. Ich schob die traurigen, immer noch schmerzenden Erinnerungen schnell beiseite und rannte lächelnd zum Wasser. Achtlos legte ich meine Sachen ab. Erste Wellen, die sanft am Ufer ausliefen, umspülten meine Füße. Ich hätte die Welt umarmen können und breitete symbolisch die Arme aus.

Gemütlich setzte ich mich auf mein Handtuch, zog das T-Shirt aus und holte mein Handy aus der Tasche. Ich machte ein Foto und sendete es meiner besten Freundin Beate in Deutschland. Ich spürte den warmen Sand durch das Laken: Herrlich! Ich war so glücklich und blickte entspannt über das fast stille Meer. Weiße Schaumkrönchen zierten die sanft auslaufenden Wellen.

All die letzten Jahre musste ich auf Urlaube und vieles andere verzichten, denn ich wurde während meines Studiums nur begrenzt von zuhause unterstützt. Neben dem Studium arbeitete ich in einem kleinen Bistro, so oft es meine freie Zeit erlaubte. Das Büffeln und der Stress der letzten Monate fielen nun von mir ab. In diesem Augenblick blendete ich alles hinter mir aus und fühlte mich so frei und unbeschwert wie schon lange nicht mehr. Genau in diesem Moment vibrierte mein Handy und ich bekam eine SMS.

Ich las Michaels Namen und öffnete die Nachricht.

>Hoffe du hast mehr Glück mit deiner Wohnung als mit deinem Koffer? ;-) <

Mein Herz setzte kurz aus und mein Puls beschleunigte sich. Als mein Atem endlich wieder ruhiger floss, schrieb ich zurück.

>Sitze gerade am Meer und bin überglücklich. Meine Wohnung war nicht frei, aber wurde durch einen unglaublichen Ausblick entschädigt. ;-)<

Glückselig steckte ich mein Handy in die Tasche, nahm das Handtuch, zog mein T-Shirt wieder an und ging zum Supermarkt, denn mein leerer Magen meldete sich allmählich, außerdem hatte ich Durst. Schnell waren ein paar Lebensmittel für den Abend und das Frühstück eingekauft. Von Milch, Haferflocken und Obst ernährte ich mich auch zuhause. Sie waren billige Nahrungsmittel und schmälerten nicht allzu sehr mein geringes Budget. Dann beeilte ich mich, um in die Wohnung zurückzugelangen. Den Rückweg an den wunderschönen Gärten vorbei, kannte ich nun schon und beachtete sie nicht weiter.



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Bereits beim Aufschließen bemerkte ich, dass meine Nachbarin wohl nun zuhause war, denn die Küchentür stand offen. Ein himmlischer Duft nach mediterranem Essen empfing mich. Schon blickte eine junge Frau um die Ecke.

»Hey, ich bin Susan Smith.« Freundlich strahlend streckte sie mir ihre Hand zur Begrüßung entgegen.

»Hallo, und ich bin Emma Ritter.«

»Warst du gerade am Strand?«

»Ja, ich konnte es einfach nicht abwarten und kaufte bereits ein paar Sachen ein. Ich habe einen Bärenhunger.«

»Bist du nicht erst heute aus Europa angereist?« Sie machte große Augen und sah mich erstaunt an.

»Vor vier Stunden bin ich gelandet. Ich komme aus Deutschland. Ich koche mir noch schnell eine Kleinigkeit und dann lege ich mich schlafen.«

»Mein Essen ist schon fertig. Du bist herzlich eingeladen. Es gibt Pasta mit Tomatensoße und dazu einen Salat. Es ist genug für Zwei da. Sollen wir zusammen auf dem Balkon essen?« Sie wartete meine Antwort nicht ab und ging in die Küche zurück. Dort hantierte Susan am Herd. Die Küche war mit weißen und roten Möbel ausgestattet. Alles wirkte sauber und neu. Meine Nachbarin reckte sich, um an die tiefen Teller im Oberschrank zu kommen. Sie war etwas kleiner als ich, hatte eine samtige dunkle Haut und wunderschöne lange schwarz gelockte Haare. Ihre zierliche schlanke Figur steckte in weißen Jeans und blauem Polo-Shirt, auf dem das Abzeichen der Klinik aufgedruckt war.

»Da sage ich nicht nein und steuere als Dessert Blaubeermuffins bei. Morgen koche ich dann.«


Keine zehn Minuten später saßen wir gemütlich auf dem kleinen Balkon, aßen Spaghetti und lernten uns etwas kennen.

»Ich komme aus Louisiana und bin im letzten Jahr meiner Ausbildung zur OP-Schwester. Meine Grundausbildung absolvierte ich auch hier am Memorial Hospital.«

»Dann kennst du dich ja bestens mit dem Arbeitsablauf in der Klinik aus. Ich bin sehr gespannt, was mich erwartet. Hast du noch Geschwister, Susan?« Meine Mitbewohnerin war mir auf Anhieb sympathisch. Sie klang unbeschwert und sie war auf eine unauffällige und schon fast strahlende Art attraktiv.

»Ja. Wir sind fünf Kinder zuhause, und nur meine beiden älteren Brüder können studieren. Meine Eltern besitzen eine Schneiderei mit angrenzendem kleinen Laden, da müssen wir Mädchen einen praktischen Beruf erlernen. Schade, ich hätte auch gerne Medizin studiert. Aber ich bin zufrieden, und mit dem Abschluss meiner OP-Fachrichtung habe ich viel bessere Chancen als Krankenschwester. Meine Eltern möchten gerne, dass ich wieder nach New Orleans zurückkomme.«

Traurig schaute Susan Richtung Meer. Man spürte, der Wunsch ihrer Eltern lastete schwer auf ihr.

Ich berichtete ihr von meinem Studium in Marburg. Auch dass ich für meinen Lebensunterhalt regelmäßig kellnern musste. Anschließend erzählte ich Susan ein bisschen von mir und meinem Zuhause.

»Meine Mutter eröffnete vor zwei Jahren ein Atelier und ist mittlerweile mehr dort, als zuhause. Sie fördert einen bekannten Maler, der auf der ganzen Welt Ausstellungen gibt. Mein Vater, der eine kleine Schreinerei hat, ist sehr unglücklich darüber. Ich bin echt froh, nicht mehr daheim zu wohnen - diese stillen Anfeindungen sind schlimmer als handfeste verbale Auseinandersetzungen. Seit mein Bruder nicht mehr lebt, fühle ich mich oft sehr einsam.«

Tränen traten mir in die Augen und ich schluckte den imaginären großen Kloß im Hals herunter. Bloß nicht weinen. Schnell erhob ich mich und räumte das Geschirr in die Küche. Susan folgte mir mit den restlichen Sachen.

»Das tut mir sehr leid für dich, Ems. Darf ich dich so nennen?«

Sie lachte mich mit einer Herzlichkeit an, die mir in diesem Moment besonders gut tat. »Na klar.«, schmunzelte ich.

Wir räumten die Spülmaschine ein und die übrigen Sachen in den Kühlschrank. Susan putzte noch den Herd.

»Ich gehe jetzt ins Bad und dann ins Bett. Ich bin hundemüde. Es war ein verdammt langer Tag.«

»Schlaf gut. Bis morgen.« Damit verschwand Susan in ihr Zimmer.


Im Meer des Glücks

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