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ОглавлениеAreopag Der Areopag war der alte Adelsrat Athens auf dem Areshügel. Seit Solon versammelten sich hier die ehemaligen Beamten.
Veränderung der außen- und innenpolitischen Rahmenbedingungen
Spätestens seit der Mitte der 460er Jahre begannen sich jedoch die Rahmenbedingungen der kimonischen Außenpolitik zu ändern. Die persische Gefahr schien nach dem Sieg am Eurymedon gebannt und die von Kimon propagierte Partnerschaft mit Sparta hatte erste Risse erhalten, als das Hilfsangebot für Thasos bekannt wurde. Selbst die Theten, die unter Kimon das Meer erobert hatten, zweifelten an der Richtigkeit der Politik ihres Feldherrn, schienen die Spartaner sie doch um die Früchte ihrer Mühen zu |14|bringen. Sie sahen so auch nicht mehr ein, weshalb die hohen Herren allein die Außenpolitik bestimmen sollten.
Wie in Sparta so opponierte auch in Athen eine junge Politikergeneration gegen die Alten und nahm die Kritik auf: Sie war zu keinerlei Konzessionen mehr gegenüber Sparta bereit und versuchte gleichzeitig die „Interessenkumpanei von Areopag und Strategen“ (M. Stahl) aufzuheben. Ihre Wortführer waren ein Mann namens Ephialtes und der 25-jährige Perikles, ein Großneffe des Kleisthenes, der mütterlicherseits aus der hochadligen Familie der Alkmeoniden stammte. Beide befürworteten zwar wie Kimon eine Ausweitung des Seebundes, aber – wenn nötig – auch gegen den Willen und auf Kosten Spartas.
Erdbeben und Helotenaufstand in Sparta
Lange Zeit konnte Kimon das Heft in der Hand behalten und aufkommende Kritik unterdrücken. Die Wende brachte ein unvorhersehbares Ereignis: Im Jahre 464 hatte ein Erdbeben schwere Verwüstungen in Sparta angerichtet und die messenischen Heloten zu einem Aufstand veranlasst, der fälschlich als 3. Messenischer Krieg bezeichnet wird. Die Heloten hatten sich auf dem Berg Ithome verschanzt. Die Spartaner riefen daraufhin die Mitglieder des alten Hellenenbundes zur Hilfe, unter ihnen auch die Athener, die gegen rebellierende Bündner Erfahrung in der Eroberung befestigter Orte gesammelt hatten. Kimon konnte zwei Jahre später (462) die Entsendung von 4000 Hopliten nach Lakonien durchsetzen. Dort angekommen leisteten sich die Spartaner einen schweren diplomatischen Fauxpas (Thukydides 1,102): Aus der Sorge, die Athener könnten sich den Aufständischen anschließen und die Not Spartas nutzen – die Spartaner hatten das Gleiche gegenüber Athen im Falle von Thasos erwogen! –, schickten sie Kimon und seine Hopliten wieder nach Hause mit der Begründung, sie nicht länger zu benötigen.
Sturz Kimons
Die öffentliche Meinung in Athen reagierte mit Empörung auf diese Brüskierung und erblickte in Kimon den Schuldigen. Für Ephialtes bot sich nun die Chance, die spartafreundliche Politik des Strategen und deren Basis im Areopag zu schwächen. Schon während der Abwesenheit Kimons und seiner Hopliten hatte er verschiedene Anträge vor die Volksversammlung gebracht, die sich gegen den Areopag richteten. Kimon versuchte nach seiner Rückkehr alles, um diese Anträge zu verhindern. Ein Scherbengericht führte jedoch zu seinem Sturz und schickte den Sieger vom Eurymedon in die Verbannung; Ephialtes wurde wenige Tage später Opfer eines Anschlags.
Machtverlust des Areopag?
Seine Reformen waren zu diesem Zeitpunkt längst Gesetz: Zwar ist sich die Forschung über deren genauen Inhalt und Ziele nicht einig; dass jedoch der Areopag wichtige Kontroll- und Aufsichtsrechte über die Exekutive an die Volksversammlung und die neu eingerichteten Gerichtshöfe (Dikasterien) abgeben musste, scheint nach wie vor wahrscheinlich: Fortan übernahmen der Rat der 500, die Volksversammlung und die Volksgerichte die Überprüfung der Qualifikation (Dokimasie) und Amtsführung der Beamten sowie etwaige Anklagen. In den Gerichten fungierten per Los bestimmte Laien als Richter. Sie erhielten kurz nach 462 einen Sold, sodass nun auch die ärmsten Bürger über die Beamten zu Gericht saßen.
Die Frage, ob man dies alles als einen regelrechten „Sturz“ oder eine „Entmachtung des Areopag“ bezeichnen kann und die Maßnahmen des Ephialtes als einen entscheidenden Durchbruch zur „vollendeten“ oder |15|„radikalen Demokratie“ zu interpretieren hat, wird von den Forschern unterschiedlich beantwortet, je nachdem, welches Gewicht man den Hauptquellen des 4. Jahrhunderts (Aristoteles) zumisst und eine den Reformen vorausgehende (außen-)politische Führungsrolle des aristokratisch geprägten Areopag nach den Perserkriegen als historisch realistisch erachtet. Tatsächlich will eine solche Dominanz einerseits nicht so recht in die seit Kleisthenes angebahnte Tendenz der Athener Innen- und Verfassungspolitik passen. Auf der anderen Seite wäre es falsch, ex eventu eine allzu gradlinige Entwicklung vorauszusetzen, die keinerlei Umwege oder reale Alternativen zugelassen hätte. In jedem Falle erscheint es aber wenig angemessen, die Entwicklungen in der Mitte des 6. Jahrhunderts allzu stark auf die Initiative einzelner Personen zurückzuführen. Man wird deshalb die mit Ephialtes und Kimon verbundenen Ereignisse wohl eher als Schlaglichter eines längeren Prozesses sehen, von dem wir letztlich wenig wissen, der aber – und dies scheint ein recht untrügliches Strukturmerkmal zu sein – immer wieder durch besondere außenpolitische Ereignisse neue Impulse erhielt.
Schwierig zu beurteilen ist ferner, welche Bedeutung die Athener selbst den Reformen zumaßen. Vieles hängt von der Deutung der zeitgenössischen Tragödien ab (s.S. 54ff.). Ein Jahr vor den Reformen des Ephialtes hatte Aischylos in den Hiketiden geschildert, wie der König von Argos das Aufnahmegesuch ägyptischer Frauen vor der heimischen Volksversammlung vertreten musste und diese in betont isonomer Manier den endgültigen Beschluss fasste. Eine in Vers 604 benutzte Wortkombination setzt vermutlich den Begriff demokratia voraus. Aus all dem ist zu schließen, dass in Athen eine Stimmung herrschte, die zumindest erwog, dem Volk noch größere innenpolitische Macht zu verleihen und es so zum Herrn des politischen Entscheidungsprozesses zu machen. Dies bedeutete eine konsequente Weiterführung der kleisthenischen Isonomie. Seit Kleisthenes und Themistokles hatte man außenpolitisch-militärische Herausforderungen mit einer stärkeren Beteiligung breiter Volksschichten zu begegnen versucht, der Ausbau der Flotte, die Organisation des Seebundes und die Weiterführung des Seekrieges stellten Anforderungen wie selten zuvor. Doch Kimon und seine Freunde wichen von dieser Linie ab, konzentrierten den Entscheidungsprozess im Areopag und schotteten ihn vom Einfluss des Demos ab. Ephialtes korrigierte diese Entwicklung und führte sie auf eine neue Stufe. Seine Ermordung deutet jedoch darauf hin, dass die Übertragung der Exekutive vom Adel auf das Volk größere Gegensätze und Konflikte heraufbeschwor als früher. Vermutlich hat Aischylos auch diese Spannungen abzubauen versucht, indem er in den Eumeniden von 458 Athena die „alten“ Erinyen mit dem neu eingesetzten Areopag versöhnen lässt und damit einen aktuellen Ausgleich zwischen „neuem“ demokratischen und „altem“ aristokratischen Prinzip propagiert.
Veränderung des außenpolitischen Entscheidungsprozesses
Tatsächlich hat sich in der Folgezeit die Kooperation zwischen Adel und Demos erstaunlich reibungslos eingespielt, und dies, obwohl Ephialtes die Bedingungen des außenpolitischen Entscheidungsprozesses fundamental änderte: War die Außenpolitik unter Kimon in den Kreisen der aristokratischen Familien formuliert worden, so verlagerte sie sich nun in die Volksversammlung und hing weitaus stärker von den Interessen der in der Ekklesie dominierenden Schichten ab. Die Strategen mussten nun bei der Planung |16|und Durchsetzung ihrer Kriegspolitik Rücksicht nehmen auf die Stimmung des Volkes, weil sie sich nicht mehr nur vor ihresgleichen, sondern vor dem gesamten Demos und deren Gerichten zu verantworten hatten.
Eine einflussreiche Gruppe des Demos bildeten die Theten, die ärmeren Bürger aus der untersten Steuerklasse. Ihr Selbstbewusstsein war (s.S. 33) im Kampf gegen die Perser stetig gewachsen. Sie befürworteten eine aggressive maritime Politik, um ihren Anspruch auf politische Gleichberechtigung weiter manifestieren zu können, doch verlor sie ihre einseitige, gegen Persien gerichtete Tendenz. Die seit der Thasosaffäre schwelende Sorge vor spartanischen Angriffen sowie das brüskierende Verhalten Spartas während des Helotenaufstandes waren Grund genug, den gesamten maritimen Raum der Ägäis und die westlichen Gewässer um die Peloponnes ins Visier zu nehmen. Ein besonderes Interesse richtete sich auf das wirtschaftliche Kraftzentrum am Saronischen und Korinthischen Golf. Um sich die Vorherrschaft in diesem Raum zu sichern, galt es, maritime Konkurrenten auszuschalten oder in den Seebund zu integrieren. Es kam so in den nächsten Jahren zu militärischen Konflikten, die als 1. Peloponnesischer Krieg bezeichnet werden.