Читать книгу Kalle und die Nachtjäger der Eifel - Rainer Nahrendorf - Страница 5
Der Fledermausretter
ОглавлениеJeden Morgen, wenn Kalle zur Schule radelt, sieht er, wie ein Fuchs die Windräder auf den Habscheider Höhen abläuft. Dort stehen die Windräder dicht an dicht. Die morgendliche Fuchspatrouille hat ihn neugierig gemacht. Heute, gleich nach der Schule, will er der Sache auf den Grund gehen. Kalle schwingt sich auf sein Mountainbike und fährt die Windräder ab. Er findet wieder tote Fledermäuse. Schon in der letzten Juli-Woche lagen einige auf der Weide. Nun, Anfang August, sind es noch mehr. Er fährt nach Hause zurück und sucht in seinen Fledermausbüchern nach einer Erklärung für den Fledermaustod an den Windrädern. Bei einem Professor aus Greifswald, Dr. Gerald Kerth, wird er fündig. Kehrt hat in seinem Buch über die faszinierende Welt der Fledermäuse den Fledermaustod so erklärt, dass es auch Kinder verstehen. Ein Teil der Fledermäuse wird von den Rotorblättern erschlagen. Hochfliegende Fledermäuse wie der Große Abendsegler sind besonders gefährdet, obwohl sie mit ihren schmalen langen Flügeln und einer Spannweite von 40 cm 50 Stundenkilometer schnell fliegen. Kein Nachtjäger bei uns ist noch schneller.
Windräder stehen manchmal in den unbekannten Zugrouten, die die Fledermäuse auf ihren Wanderungen zwischen Winter- und Sommerquartieren nutzen. Das erhöht die Kollisionsgefahr für die in Baumhöhe oder noch darüber fliegenden Abendsegler. Besonders, wenn sie auf ihrer Jagd nach Nachtfaltern den Windrädern zu nahe kommen. Dann versagt ihre weit nach vorn gerichtete Ultraschallortung und es kann sie ein hinter ihnen herabsausendes Rotorblatt treffen.
Dabei ist die Gefahr am größten, wenn der Wind in der ersten Nachthälfte nur schwach weht. Dann herrscht am Fledermaushimmel Hochbetrieb. Fast alle Fledermäuse jagen zu dieser Zeit. Frischt in einer Flaute der Wind aber plötzlich auf, wird es brandgefährlich für die Fledermäuse. Einige können den Rädern, die sich dann mit Höchstgeschwindigkeit drehen, nicht mehr ausweichen. Es gibt auch Hinweise darauf, dass neu gebaute Anlagen Fledermäuse angelockt haben. Einige verwechseln sie mit den Baumkronen, andere wollen die Insekten erbeuten, die sich um die nachts teilweise beleuchteten Rotorkapseln sammeln.
Eigentlich sollten Windräder nicht zu dicht an Waldrändern und schon gar nicht inmitten der Wälder stehen. Sie sollten sich nach Einbruch der Dämmerung, wenn die Fledermäuse am häufigsten fliegen, automatisch abschalten. Aber nur wenige, insbesondere ältere Anlagen, haben diese Abschaltautomatik für die Fledermaus-Stoßzeit.
Vor allem junge Zwergfledermäuse, die noch keine Erfahrung haben, kollidieren sehr häufig mit den Windrädern oder kommen durch ein Barotrauma um.
Barotrauma ? Kalle versteht Bahnhof. Aber auch dafür findet er eine Erklärung. Durch das schnelle Drehen der Rotoren entstehen Turbulenzen mit kleinräumigen Luftdruckunterschieden an den Rotorspitzen. In den verwirbelten Luftströmen und durch den Druckabfall kommen die Fledermäuse um. Die Tiere sehen zwar unverletzt aus, aber ihre Lungen und inneren Organe sind verletzt und sie verbluten innerlich Viele dieser Fledermäuse werden nicht in unmittelbarer Nähe gefunden, sondern stürzen erst ab, wenn sie bereits viele Meter geflogen sind. Dass Fledermäuse am Barotrauma sterben, hat man herausgefunden, als man tote Fledermäuse sezierte, die eigentlich unverletzt aussahen. Kalle liest von Hochrechnungen und Schätzungen, nach denen jährlich in Deutschland bis zu 200 000 Fledermäuse an Windenergieanlagen verunglücken.
Zwergfledermaus
Als er zu den Rädern zurückfährt, sieht er, dass zwei der am Boden liegenden Fledermäuse noch leben. Er hofft, dass sie später nicht am Barotrauma sterben. Erst einmal muss er sie vor den Greifvögeln retten. Die Bussarde haben gelernt, dass ihnen die Windräder selbst gefährlich werden können. Deshalb meiden sie größere Windparks. Sie wagen unter den Rädern nur Tiefflüge, spähen von Weidepfählen auf leichte Beute - so wie sie es an den Autobahnen tun, wo sie auf überfahrene Tiere lauern. Die Aas fressenden Milane sind auch nicht weit. Sie werden selbst häufig Opfer von Windenergienanlagen. Höchste Gefahr droht von den streunenden Katzen und nachts von den Mardern.
Kalle nimmt die bissfesten Lederhandschuhe aus seinem Fledermausnotfallkoffer und den alten Wollschal. Die Handschuhe zieht er an, um die aufgeregten Tiere nicht zu verletzen und um selbst nicht verletzte zu werden. Die Fledermäuse wissen ja nicht, dass Kalle sie retten will. Sie fühlen sich von ihrem Retter bedroht und beißen dann schnell. So ein Fledermausbiss kann ganz schön weh tun. Das könnt ihr euch sicherlich denken, wenn ihr das Gebiss der Fledermäuse anschaut. Fledermäuse knacken in einer Nacht bei ihrer Jagd nach Insekten viele hundert Mal den Chitinpanzer ihrer Beutetiere, von Mücken, Schnaken, Fliegen, Faltern, Spinnen und Käfern. Ohne scharfe Zähne ginge das nicht.
Fledermäuse sind Wildtiere. Sie können in sehr seltenen Fällen Tollwut übertragen. Angst hat Kalle nicht. Aber Vorsicht ist nun einmal die Mutter der Porzellankiste. Also „Handschuhe an!“ Er packt die Fledermäuse vorsichtig in seinen Wollschal, nimmt die Abkürzung und ist in zehn Minuten zu Hause. Dort nimmt er die Pipette aus dem Notfallkoffer, taucht sie in Wasser und hält sie an die Maulspalte. Die Fledermäuse trinken einige Wassertropfen aus dem kleinen Saugrohr. Das beruhigt sie. Aber Appetit haben sie nicht. Dazu stehen sie noch zu sehr unter Schock. Falls sie doch etwas fressen möchten, Kalle hat tote Falter und einige Mehlwürmer im Angebot.
Nun holt er den Schuhkarton mit den Luftlöchern aus dem Schrank, polstert ihn mit Papierküchentüchern aus, verschließt ihn fest und ruft die bundesweite NABU-Hotline-Telefonnummer 030284 9845000 an. Die Mitarbeiter der Hotline leiten die Meldung an die regionalen Fledermausschützer weiter. Im Kreis Bitburg-Prüm ist dies Markus Thies, ein erfahrener Schützer. Durch seinen Fledermausvortrag und seine eindrucksvollen Fotos ist Kalle Fledermaus-Fan geworden. Die Kreisbetreuer vom Fledermausschutz kommen in aller Regel, holen verletzte Fledermäuse ab und versuchen, sie wieder gesund zu pflegen. Doch Markus Thies ist still geworden, als Kalle ihm erzählt, wo er Zwergfledermäuse gefunden hat. Er hat keine gute Nachricht für Kalle. Das Barotrauma kann man nicht erkennen. Die Fledermäuse bewegen sich, erscheinen unverletzt. Aber sie sterben nach zwei Tagen an ihren inneren Verletzungen. Markus Thies hat nie gehört, dass Fledermäuse ein Barotrauma überlebt haben. Wenn Katzen Fledermäuse gefangen und mit ihnen gespielt haben, sind die Überlebenschancen dann gut, wenn ein erfahrener Tierarzt ein Antibiotikum gibt und die Verletzungen lediglich oberflächlich sind.
Kalle hat zwar schon junge Fledermäuse gerettet, die er in der Scheune neben ihrem Wohnhaus gefunden hat, doch diesmal ist sein Rettungseinsatz vergeblich. Er kann seine Enttäuschung und Trauer nicht verbergen. Er hat gelesen, dass man die Fledermäuse, die unter einer Windkraftanlage gefunden wurden, dem Institut für Zoo- und Wildtierforschung in Berlin schicken soll. Es erforscht die Gefährdung von den einzelnen Fledermausarten durch bestimmte Windräder. Aber das ist für Kalle doch zu mühsam und zu kostspielig. Die toten Fledermäuse sollen ein ehrenvolles Begräbnis erhalten. Er fragt seine Mutter, ob er in einer Ecke des Fledermaus-Gartens mit den nachts leuchtend gelb blühenden Nachtviolen einen Fledermausfriedhof einrichten darf. Sie nickt. Dort finden in den nächsten Wochen viele Fledermäuse ihre letzte Ruhestätte.