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◆ ZWEI LEBENSFOR MEN
ОглавлениеEin Vergleich der im platonischen Theaitetos (172c–177c) dargestellten Lebensformen lässt deutliche Unterschiede zwischen einem Normalbürger und einem Philosophen erkennen: Normalbürger halten sich in der Öffentlichkeit auf, leben eigentlich wie Sklaven, sind immer in Eile und haben keine Zeit, sind fremdbestimmt, verstehen es, stets das Passende zu sagen, können ihren Herren schmeicheln und mit ihren Taten dienen, sind kleinlich und unaufrichtig in ihren Seelen, leben von Jugend an in Knechtschaft, weil sie unfähig sind, zu wachsen und einen geraden und freien Geist zu entwickeln. Sie sind gezwungen, krumme Dinge zu tun, geben sich der Lüge und dem Unrecht hin, verbiegen sich und lassen sich zerbrechen. Ihr Denken ist krank, und sie bilden sich ein, alles zu können und zu wissen usw. Philosophen dagegen gehen als freie Menschen in den Wissenschaften auf, haben ihre Ruhe und ihren Frieden, handeln in eigener Verantwortung, leben selbstbestimmt, reden frei und ungebunden, reden niemandem nach dem Mund, sondern wählen ihre Worte ohne äußere Beeinflussung, kennen aber nicht den Weg zum Markt, sehen und hören weder Gesetze noch Volksbeschlüsse, wissen nicht einmal, dass sie nicht wissen, woran die Masse ihr Vergnügen hat. Nur ihr Körper wohnt im Staat, nicht ihre Seele, die sich dafür mit Mathematik und Astronomie beschäftigt und das Wesen des Seienden erforscht. ◆
Cicero berichtet in seinen Tuskulanischen Gesprächen (5, 9–10), dass Pythagoras die Begriffe Theorie und Philosophie erfunden habe. Der Neuplatoniker Iamblichos (um 300 n. Chr.) fügt in seiner Lebensbeschreibung des Pythagoras hinzu, dieser habe sich nicht nur als Erster Philosoph genannt, sondern auch verschiedene Typen von Menschen nach ihren Lebenszielen unterschieden: Die einen strebten nach Einkommen und Lebensgenuss, die anderen nach Macht und Ruhm, und die Dritten hielten das Anschauen (die Theorie) der schönsten Dinge für erstrebenswert.
Pythagoras war anscheinend auch an der Lösung mathematischer Probleme beteiligt; er leistete Beiträge zur Theorie der Proportionalität und zur Theorie der geraden und ungeraden Zahlen.
Pythagoras opferte eine Hekatombe, nachdem er herausgefunden hatte, dass in einem rechtwinkligen Dreieck der Flächeninhalt des Quadrats über der Hypotenuse gleich der Summe der Quadrate über den beiden Katheten ist (D. L. 8, 12). Manche Pythagoras-Legenden überliefern, dass die Pythagoreer an den besonderen Wert der Musik für die Förderung der Gesundheit glaubten:
Sie nahmen an, dass die Musik auch für die Gesundheit eine sehr große Bedeutung habe, wenn man sie nur in der richtigen Weise anwende (Iamblich, De vita Pythagorica 183).
Zur Zeit des Pythagoras stellte man sich vor, die Welt bestehe aus Urgegensätzen. So überliefert Aristoteles (Metaphysik A 986a22) für die Pythagoreer zehn prinzipielle Gegensätze: Grenze-Unbegrenztes, ungerade-gerade, Einzahl-Mehrzahl, rechts-links, männlichweiblich, ruhend-bewegt, gerade-krumm, Licht-Dunkel, gut-schlecht, Quadrat-Rechteck.
Diese Gegensätze sind aber nicht in dem Sinne aufeinander bezogen, dass sie sich gegenseitig ausschließen. Es handelt sich vielmehr um Denkfiguren, die nach Heraklit eine Palíntonos Harmonía, ein ausgewogenes Spannungsverhältnis, eine Einheit durch und im Gegensatz, bilden. Denn nur in ihrer Spannung sind die Elemente eines Gegensatzpaares denkbar. Parmenides (B 9) bezieht sich ebenfalls auf das durch paarweise Anordnung figurierte Denken, indem er dem Urgegensatz Licht und Nacht alle anderen Paare zuordnet und diese aus dem Urgegensatz herleitet. Auch für Aristoteles gehört später das Feststellen und Erläutern von Gegensatzpaaren zu den Grundfiguren des Denkens. Dabei ist zu fragen, in welchem Verhältnis die Gegensätze zueinander stehen: Handelt es sich um ein kontradiktorisches (kalt-nicht kalt), konträres (kalt-heiß), polares (Mann-Frau), relatives (Vater-Sohn) oder privatives (sehend-blind) Verhältnis?