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So ist der Mensch

Äsop

Name: Aisopos

Lebensdaten: 6. Jh. v. Chr.

Literarische Gattung: Fabel

Werke: Überwiegend Tierfabeln in Prosa

Wer war das?

Äsop ist als individuelle Person kaum fassbar. Sagenhaftes und Anekdotisches ist in den sogenannten Äsop-Roman, eine fiktive Äsop-Biographie, eingeflossen, die vielleicht schon im 6. Jh. v. Chr. entstanden ist, aber erst in der römischen Kaiserzeit aufgezeichnet wurde. Der Geschichtsschreiber → Herodot kennt den „Roman“. Er erzählt von einer Pyramide des ägyptischen Königs Mykerinos:

Manche Griechen behaupten, diese Pyramide gehöre der Hetäre Rhodopis. Sie wissen offenbar nicht, wer Rhodopis war; sonst würden sie nicht behaupten, man habe ihr eine solche Pyramide gebaut. Rhodopis stammte aus Thrakien und war Sklavin des Iadmon von Samos. Sie war eine Mitsklavin des Fabeldichters Aisopos. Auch er gehörte Iadmon, wie man am deutlichsten daraus ersieht: Als man in Delphi auf göttlichen Befehl wiederholt ausrufen ließ, wer die Genugtuung für das Leben des Aisopos in Empfang nehmen wolle, da erschien nur ein Enkel des Iadmon, ein zweiter Iadmon, der die Buße annahm. Also gehörte auch Aisopos dem Iadmon.

(Herodot 2, 134)

Herodots Hinweis setzt voraus, dass Äsop in Delphi ermordet oder zu Unrecht getötet wurde. Auch → Aristophanes (Wespen 1446 ff.) weiß von der Geschichte seiner Tötung zu Delphi wegen vermeintlichen Tempeldiebstahls. Nach → Aristoteles (fr. 573 Rose) war Äsop Thraker und kam als Sklave nach Samos.

Die frühe Äsop-Legende – so scheint es – verhinderte die Rekonstruktion einer zuverlässigen Biographie. Das legendäre Erzählgut deckte die historisch-biographischen Tatsachen zu.

Was schrieb er?

Im Äsop-Roman heißt es, Äsop habe die Fabeln, die unter seinem Namen liefen, aufgeschrieben und in der Bibliothek des Königs Kroisos hinterlegt. Seine Fabeln sind unterhaltsame Texte, die sich Menschen aufgrund ihrer natürlichen Freude am Erzählen und Zuhören zu allen Zeiten und in allen Kulturen erzählten und gern erzählen ließen. Das Vergnügen an diesen kurzen, pointierten und witzigen Geschichten wird nicht geschmälert, wenn praktische Lebensweisheit und Moral hinzukommen. Der wichtigste Effekt bleibt aber die überraschende Pointe, mit der jede gute Fabel den Hörer „belohnt“. Allerdings besitzen nicht alle Fabeln eine „Moral“ im landläufigen Sinne, und das empfohlene Verhalten ist keineswegs immer moralisch akzeptabel. Sehr oft „lehrt“ die Fabel, Vorteile rücksichtslos wahrzunehmen, günstige Gelegenheiten zu nutzen oder sich an Feinden zu rächen. Sie nährt die Schadenfreude und erzeugt in der Regel kein Schuldbewusstsein oder schlechtes Gewissen – ganz im Gegenteil. Wahrscheinlich diente sie nicht dem Zweck, Menschen zu bessern oder auf den richtigen Weg bringen – sie spiegelt eigentlich nur menschliche Grundbedürfnisse und -befindlichkeiten. Die Fabel nimmt den Menschen eben, wie er eben ist.

Wie wurden seine Werke überliefert?

Der Redner und Philosoph Demetrios von Phaleron erstellte um 300 v. Chr. eine Sammlung „äsopischer Geschichten“, doch die uns zugänglichen Sammlungen sind wesentlich später entstanden. Die älteste ist wohl die Collectio Augustana, die nach einem ehemals in Augsburg und jetzt in München befindlichen Codex (gr. 564) benannt ist und auf eine Sammlung zurückgeht, die erst zwischen dem 2. und 5. Jh. n. Chr. entstand.

Wie lebten die Werke fort?

Phaedrus, der römische Autor, der sich (wie er selbst im Prolog zum ersten Buch seiner lateinischen Fabelsammlung erklärt) in die Tradition der äsopischen Fabeldichtung stellte und den Erzählstoff des Äsop in Jamben setzte, definiert eine zweifache Wirkung seines Buches: Es „bringt zum Lachen“ und „vermittelt Lebensklugheit“. Sollte aber jemand – so Phaedrus – daran Kritik üben wollen, weil hier Bäume oder Tiere redeten, soll er bedenken, dass „wir nur mittels erfundener Geschichten scherzen“. Im Prolog zum zweiten Buch bezieht sich Phaedrus erneut auf die äsopische Fabel. Äsop erscheint hier schon als Synonym für eine literarische Gattung, der der lateinische Dichter den Zweck zuspricht, die „Fehleinschätzungen menschlicher Möglichkeiten“ zu korrigieren und die „Fähigkeit zur Selbstbeobachtung“ zu stärken. In diesem Sinne will auch Phaedrus mit seinen Fabeln niemanden treffen oder gar einzelne Personen bloßstellen, sondern „das Leben als solches und die Verhaltensweisen der Menschen darstellen“ (Prolog zum 3. Buch, 50). Es geht ihm um „das, was allen Menschen gemeinsam ist“ (46), womit er sich wiederum der Tradition der äsopischen Gattung anschließt. Ausdrücklich sagt er dies noch einmal im Prolog zum vierten Buch (10 f.): Er nenne seine Fabeln „äsopische Fabeln“ (fabulae Aesopiae), nicht etwa „Fabeln des Äsop“ (fabulae Aesopi).

Dass schon Sokrates um das Jahr 400 v. Chr. eine Sammlung äsopischer Geschichten vorlag, ist nicht unwahrscheinlich. Immerhin berichtet → Platon im Phaidon, Sokrates habe im Gefängnis erzählt, er sei im Traum wiederholt dazu aufgefordert worden, „Musenkunst“ zu betreiben. Zuerst habe er darunter die Philosophie verstanden, dann aber doch angefangen zu dichten, aber nur mit den Möglichkeiten eines nachschaffenden Poeten, indem er u. a. Fabeln des Äsop in Verse gesetzt habe (60c–61b). In demselben Zusammenhang denkt Sokrates über die Unvereinbarkeit von Lust und Schmerz nach und meint, dass Äsop aus diesem Problem, wenn es ihm bewusst gewesen wäre, eine Fabel gemacht hätte:

Äsop und die attischen Redner

Der Redner Demades sprach einmal in Athen vor dem Volk. Die Leute hörten ihm aber nicht richtig zu. Da bat er sie darum, ihm zu erlauben, eine „äsopische Geschichte“ zu erzählen. Sie waren damit einverstanden, und er fing an zu erzählen:

„Demeter, eine Schwalbe und ein Aal hatten denselben Weg. Als sie an einen Fluss kamen, flog die Schwalbe hoch, der Aal tauchte ins Wasser.“

Dann sprach Demades nicht weiter.

Die Leute fragten ihn: „Was ist denn mit Demeter passiert?“

Er antwortete: „Sie ärgert sich über euch, weil ihr euch für die wichtigen Angelegenheiten der Stadt nicht interessiert, es aber gern zulasst, dass man euch äsopische Geschichten erzählt.“

Auch der Redner Demosthenes soll einmal, als er von den Athenern niedergeschrien wurde, für wenige Worte um Ruhe gebeten haben. Daraufhin erzählte er die äsopische Geschichte vom Schatten des Esels, den ein junger Mann gemietet hatte. Als die Sonne heftig brannte habe ihm der Vermieter des Esels dessen Schatten streitig gemacht, indem er behauptete, er habe zwar den Esel, nicht aber dessen Schatten als Schutz gegen die sengende Sonne vermietet. Als Demosthenes die Geschichte bis hierhin erzählt hatte, wollte er fortgehen, aber die Athener hielten ihn auf und wollten das Ende hören. Demosthenes reagierte darauf mit folgenden Worten: „Ihr wollt also etwas über den Schatten eines Esels hören; wenn ich aber über bedeutende Angelegenheiten des Staates spreche, wollt ihr mir nicht zuhören“ (Hausrath Nr. 63 und Halm Nr. 339).

Wie seltsam ist es doch um das bestellt, ihr Männer, was die Menschen das Lustvolle nennen, wie wunderlich verhält es sich zu seinem Gegenteil, dem Schmerzhaften: beide wollen nicht gleichzeitig im Menschen entstehen; wenn aber jemand eines von beiden verfolgt und ergreift, dann ist er fast immer gezwungen, auch das andere mitzunehmen, als ob beide an einem Ende miteinander verknüpft wären. Und mir scheint, wenn Äsop daran gedacht hätte, dann hätte er die folgende „Geschichte“ daraus gemacht: „Der Gott wollte die widerstreitenden Empfindungen miteinander versöhnen; als er es aber nicht schaffte, verknüpfte er ihre Enden miteinander. Und aus diesem Grunde ist es so: bei wem das Eine entsteht, den überkommt anschließend auch das Andere.“

So geht es offensichtlich auch mir. Weil ich durch die Fesselung Schmerzen im Bein bekam, stellt sich jetzt anscheinend die Lust ein.

(Platon, Phaidon 60b)

Was bleibt?

Die in den Fabeln dargestellten Schwächen wie etwa Neid, Habsucht, Geiz, Eitelkeit, Hochmut sind durchweg Ursachen für eine geradezu grandiose Fehleinschätzung, denen die handelnden Personen unterliegen. Das menschliche Leben ist demnach eine unendliche Kette von Fehleinschätzungen und falschen Entscheidungen.

Griechische Schriftsteller

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