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PROVOKATION DURCH VERZICHT: DIE KYNIKER

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(7) H.: Soll ich den verwahrlosten Kerl da vom Schwarzen Meer vorführen lassen?
Z.: Ja, nur zu!
H.: Du da, ja – du mit dem Ranzen auf dem Buckel, du erbärmlicher Kerl, komm her und beweg dich ein bisschen im Kreis auf dem Platz! Ich biete hier einen männlichen, einen ausgesprochen tüchtigen, einen edlen, einen freien Philosophen an! Wer will ihn haben?
K.: Ausrufer, was meinst du damit? Du verkaufst einen freien Menschen?
H.: So ist es.
K.: Hast du keine Angst, dass er dich auf Menschenraub verklagt oder sogar vor das höchste Gericht zerrt?
H.: Ihm ist der Verkauf völlig egal. Denn er glaubt, er sei überall und in jeder Situation ein freier Mensch.
K.: Wozu kann man ihn denn gebrauchen, so verdreckt und heruntergekommen er ist? Es sei denn – man setzt ihn als Erdarbeiter oder Wasserträger ein.
H.: Nicht nur das, sondern auch als Türsteher, und du wirst sehen, er wird zuverlässiger sein als deine Hunde. Er hört übrigens auch auf den Namen Hund .
K.: Wo kommt er denn her und was hat er gelernt?
H.: Frag ihn doch selbst. Es ist nämlich besser, so vorzugehen.
K.: Ich habe Angst vor seinen finsteren, angriffslustigen Blicken. Dass er mich nur nicht anbellt, wenn ich ihm zu nahe komme, oder – um Gottes willen – sogar beißt! Siehst du nicht, wie er den Knüppel in seiner Hand wiegt, seine finsteren Brauen zusammenzieht und wie er drohend und wütend um sich schaut?
H.: Fürchte dich nicht! Denn eigentlich ist er ganz zahm.
(8) K.: Zunächst einmal – woher kommst du eigentlich, mein Bester?
Diogenes: Von überall her.
K.: Wie meinst du das?
Dio.: Du hast einen Weltbürger vor Augen.
K.: Wer ist dein Vorbild?
Dio.: Herakles.
K.: Warum trägst du dann kein Löwenfell um die Schultern? Was den Knüppel angeht, gleichst du jedenfalls Herakles.
Dio.: Mein Mäntelchen hier, das ist mein Löwenfell. Ich kämpfe wie Herakles gegen die Lüste, aber nicht im Auftrag eines Herrn, sondern aus freien Stücken, weil ich das Leben von seinem Schmutz befreien will.
K.: Ein wirklich guter Vorsatz! Doch was kannst du am besten? Oder welche Kunst beherrschst du?
Dio.: Ich bin der Befreier der Menschheit und erlöse sie von ihren Leiden. Und überhaupt: Ich bekenne mich dazu, ein Prophet der Wahrheit und der freien Rede zu sein.
(9) K.: Sehr gut, lieber Prophet. Aber wenn ich dich kaufe, wie wirst du mich dann auf den richtigen Weg bringen?
Dio.: Zuerst musst du dich ändern und dich von deinem Luxus trennen. Wenn du dich mit Mangel und Armseligkeit abgefunden hast, werde ich dir das Mäntelchen umhängen. Danach werde ich dich dazu zwingen, Mühsal und Erschöpfung auf dich zu nehmen, auf dem nackten Boden zu schlafen, nur Wasser zu trinken und zu essen, was du gerade findest. Falls du noch Geld hast, musst du auf mich hören und es ins Meer werfen. An Ehe, Kinder und Heimat brauchst du gar nicht mehr zu denken. Das alles wird dir wertlos vorkommen müssen. Verlass dein Vaterhaus und such dir eine Unterkunft in einer Grabstätte, einem verlassenen Turm oder einem Fass. Dein Ranzen wird gefüllt sein mit Lupinenkernen und beidseitig beschriebenen Papyrusrollen. Wenn du so lebst, wirst du sagen, du bist glücklicher als der persische Großkönig. Wenn dich aber jemand schlägt oder quält, wirst du merken, dass das nichts Schlimmes ist.
K.: Wie kannst du denn sagen, dass es nicht wehtut, wenn man verprügelt wird? Ich stecke doch nicht in einem Schildkrötenpanzer oder einer Langustenschale.
Dio.: Du wirst jenen Satz des Euripides (Hippolytos 612) befolgen – allerdings mit einer kleinen Änderung.
K.: Welchen Satz?
Dio.: Dein Herz wird leiden, doch deine Zunge schweigen.
(10) Aber was du dir vor allem angewöhnen musst, ist Folgendes: Du musst schamlos und frech sein, alles und jeden beschimpfen, Könige und einfache Leute gleichermaßen. Denn so werden sie zu dir aufschauen und dich für tapfer halten. Deine Sprache muss barbarisch klingen, deine Stimme misstönend sein und sich natürlich wie Hundegebell anhören. Dein Gesicht muss verkrampft sein, deine Bewegungen müssen dazu passen, und überhaupt muss das Ganze tierisch und wild aussehen. Schamgefühl, Zurückhaltung und Maß sind fehl am Platz. Du darfst kein bisschen rot werden. Such aber die Plätze auf, wo besonders viele Leute sind, und dort sollst du allein und für dich sein wollen, ohne einen Freund oder einen Fremden zu grüßen. Denn so etwas würde den Verlust deiner Herrschaft über dich selbst bedeuten. In aller Öffentlichkeit musst du tatkräftig alles tun, was man gewöhnlich nicht einmal für sich allein tun würde. Entscheide dich für die lächerlichste Form der Befriedigung deiner Lust. Und wenn du am Ende, falls du Appetit darauf hast, rohen Teufelsfisch oder Tintenfisch gegessen hast, stirb daran! Dieses Glück vermitteln wir dir.
(11) K.: Fort mit dir! Denn das Leben, das du beschreibst, ist scheußlich und unmenschlich.
Dio.: Aber es ist sehr leicht, Mensch, und ohne Schwierigkeiten zu verwirklichen. Denn du wirst keine Bildung, keine Wissenschaft und kein leeres Geschwätz nötig haben, sondern der Weg zum Ruhm wird dir leichtfallen. Auch wenn du ein ungebildeter Kerl bist, ein Gerber, Fischhändler, Tischler oder Geldwechsler, wird dich nichts daran hindern, bewundert zu werden, wenn du nur schamlos und frech genug bist und tüchtig zu schimpfen verstehst.
K.: Dazu brauche ich dich nicht. Aber vielleicht könntest du dich bei Gelegenheit als Matrose oder als Gärtner bewähren, allerdings geht das nur, wenn dich dieser Mann hier für höchstens zwei Pfennige verkauft.
H.: Er gehört dir! Nimm ihn bloß mit! Wir sind doch froh, wenn wir ihn endlich loswerden. Denn er ist uns lästig, schreit herum, beleidigt alle ohne Ausnahme und pöbelt jeden an.

Offensichtlich findet Diogenes einen risikobereiten Käufer, der dies nicht zu bereuen braucht. Dass der provozierende Auftritt auf dem Markt viele gute Eigenschaften dieses seltsamen Mannes verdeckt, wird der Käufer recht bald merken.

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