Читать книгу Das Organkartell - Rainer Rau - Страница 6

4. Das Loch in der Wand

Оглавление

Auf dem Freigelände wuchs überall Unkraut.

Blindschleichen und Salamander gab es zu Hunderten. Im Haus waren jede Menge Spinnweben zu sehen. Staub lag millimeterdick auf den Möbeln und Türen waren aus den Scharnieren gerissen. Fensterscheiben waren eingeschlagen.

Frank Matiss schaute in jedes Zimmer, so auch in die ehemaligen Gefängniszellen im Erdgeschoss, die umgebaut, den Jugendlichen Urlaubern als Einzelzimmer gedient hatten.

Im letzten Zimmer, das er in Augenschein nahm, fiel ihm auf, das die Wand zur Bergseite nach außen gewölbt war. Risse in der Wand zogen sich quer über die gesamte Breite.

Matiss rief nach seiner Schwester.

»Vanessa! Komm her. Hier stimmt was nicht.«

»Was soll denn nicht stimmen?«

»Na, die Wand ist doch verbogen. Siehst du das nicht?«

Vanessa war nicht sonderlich interessiert an der Entdeckung.

»Ja. Schon. Wand ist schief. Aber warum? Was bedeutet das?Und was bitteschön ist daran so wichtig?«

»Warum? Warum? Weiß ich auch nicht. Wahrscheinlich haben die Typen dagegen getreten oder mit dem Ball dagegen geworfen.«

Matiss klopfte mit der Hand gegen die Wand. Es hörte sich hohl an.

»Das ist jedenfalls sehr seltsam. Da ist was dahinter.«

Vanessa sah sich das Ganze nun doch genauer an.

»Hier hat sich der Boden nach hinten abgesenkt.«

»So’n Mist. Ist das auch noch baufällig!«

»Nee. Ist nur die eine Wand. Komisch.«

Sie klopfte ebenfalls dagegen. Es hörte sich wirklich hohl an.

Dann schauten sich beide fragend an.

»Da ist ein Hohlraum dahinter. Das haben wir früher nie bemerkt. Warum nicht?«

»Da war die Wand noch gerade und uns ist nichts aufgefallen. Wir waren in dieser Zelle auch nie.«

Matiss stellte sich vor die Wand und trat mit aller Kraft dagegen. Sie wackelte. Er trat noch mal zu. Ein Teil der Wand stürzte ein. Ein modriger Geruch stieg ihnen in die Nase. Ein leichter Luftzug streifte an ihnen vorbei. Es war dunkel hinter dem Loch in der Wand.

»Hol mal eine Taschenlampe aus dem Auto. Schnell!« Vanessa lief zum Wagen und holte aus dem

Handschuhfach eine kleine LED-Taschenlampe.

Im hellen Schein der Lampe stiegen sie über die niedrigen Mauerreste.

Der Raum dahinter ragte tief in den Berg hinein. Sie gingen den langen Gang, der vor ihnen lag, entlang und Matiss leuchtete nach rechts und links.

Es gab auf beiden Seiten kleine Zellen mit Türen aus dicken Eichenbohlen, die noch relativ gut erhalten waren.

»Was ist das hier? Das habe ich noch nie gesehen.«

»Kannst du ja auch nicht. Die Wand ist ja eben erst eingestürzt.«

»Das sieht ja wie Gefängniszellen aus.«

»Waren es ja wohl auch. Hier wurden wohl von unseren Vorfahren Leute gefangen gehalten.«

»Warum?«

»Wahrscheinlich waren das Verbrecher. Und die wurden

zur Zwangsarbeit hier gehalten. Damals, im Krieg oder schon vorher.«

Die letzte Zelle auf der rechten Seite war verriegelt.

»Schau hier! Die Zelle ist verschlossen. Alle anderen sind offen. Da steckt was dahinter.«

Matiss suchte ein Eisen um die Tür aufzubrechen.

Seine Schwester, die sonst ohne Angst und Skrupel war, riet zur Vorsicht.

»Pass bloß auf!«

Matiss schüttelte den Kopf.

»Meinst du, da drinnen lebt noch einer?«

Matiss schlug mit dem langen, verrosteten Eisenrohr gegen das Türschloss. Nach einpaar heftigen Schlägen brach der Riegel entzwei.

Als die Tür offen stand, bemerkten sie, dass der Raum luftdicht gegen Feuchtigkeit abgedichtet gewesen war. Sie leuchteten mit der Taschenlampe in den Raum hinein. Hier gab es keine Spinnweben.

Sie konnten kaum fassen, was sie dort vorfanden. Es standen auf Holzbalken unzählige Gemälde namhafter Maler, deren Wert Vanessa als Kunststudentin sofort erkannte, nachdem sie die, mit Ölpapier geschützten Objekte freigelegt hatte.

»Hier stehen Millionen!

»Meinst du wirklich, die alten Schinken sind so viel wert?«

»Darauf kannst du dich verlassen. Das Problem sind allerdings die Besitzverhältnisse.«

»Wie? Können wir die nicht einfach so verkaufen?«

»Einfach so bestimmt nicht. Das sind alles berühmte

Maler! Aber es gibt Möglichkeiten. Über Agenturen in den Staaten wird immer wieder mal ein Van Gogh oder Monet, ein Paul Gaugin oder ein Kandinski versteigert oder unter der Hand an Saureiche, denen es egal ist, woher die Bilder kommen, verkauft.«

»Woher kommen die Bilder eigentlich?«

»Das ist sicherlich beschlagnahmte Nazibeute. Die Besitzer sind wohl mittlerweile verstorben oder damals umgebracht worden. Und hier hat man die Sachen untergebracht. Versteckt. Die gelten als verschollen! Verstehst du? So wie das Bernsteinzimmer.«

»Und unsere Vorfahren haben da mitgemischt?«

»Sieht so aus. Aber genaugenommen stammen wir beide ja gar nicht aus dieser Familie. Wir haben Zirkusblut in unseren Adern.«

»Was machen wir mit dem Schatz?«

»Die, die das Zeug hier versteckt haben, sind sehr wahrscheinlich nicht mehr am leben. Aber bei solchen Kostbarkeiten gibt es ein öffentliches Interesse an der Sache.«

Während Matiss seinen Blick nachdenklich über die vielen Bilder wandern ließ, sah seine Schwester sich mit wachsender Begeisterung die Gemälde, Drucke, Radierungen und Stiche genauer an.

»Schau hier! Ein Henri Matisse! Hier ein Picasso! Hier ein Chagall, dort ein Emil Nolde, ein Franz Marc. Schau nur, ein Max Liebermann. Es ist ein Wahnsinn! Das sind Millionen!«

»Wenn wir sie verkaufen könnten! Du sagtest aber eben, das es nicht so einfach geht!«

»Es gäbe noch eine Möglichkeit, das alles zu Geld zu machen. Ich habe da einen Vorschlag. Du wolltest doch sowieso eine Tierpraxis eröffnen. Du richtest dich hier häuslich ein. Und das sofort. Du sicherst die Bilder und verschließt den Raum wieder. Ich kümmere mich um deren Verkauf. Nach und nach werden wir dann ein Bild, eins nach dem anderen, zu Geld machen. Aber nicht hier in Deutschland. Das geht nur von Übersee aus. Ich reise nach Amerika und bereite dort die Wege. Ich kenne Leute, die uns verkaufen helfen. Einverstanden?«

»Woher kennst du solche Leute?«

Vanessa hatte ein mitleidiges Lächeln auf den Lippen.

»Ach Frank. Du glaubst gar nicht, was die Männer im Bett so alles erzählen. Das musst du dir nur gut merken.«

Frank Matiss war mit dem Vorschlag seiner Schwester einverstanden und Vanessa traf schon wenige Wochen darauf in New York ein.

Als das erste Bild verkauft war, konnte er mit dem Geld schon das Gebäude ausbauen lassen. Als Nächstes, nach dem Verkauf von zwei weiteren Bildern, richtete er seine Praxis mit allen notwendigen Gerätschaften ein. Er legte jedoch kaum Wert auf Kunden, also Patienten, deren Herrchen und Frauchen seine Dienste hätten bezahlen können.

Sein Konto wurde jeweils nach jedem Verkauf eines Bildes aufgefüllt. Diese traten, als ganz gewöhnliches Frachtgut, gut verpackt die Reise nach Amerika an. Sie waren als Kunstgemäldeleihgaben eines Museums deklariert und umgingen somit in Deutschland Zoll und Steuerabgaben.

Vanessa Matiss mietete sich in ein Penthouse in New York ein und zog von dort aus die Fäden. Über eine große Agentur ließ sie die Bilder versteigern und erhielt nach Abzug der Provision und den zu entrichtenden Steuern, einen jeweils hohen Betrag. Die Gemälde gingen meist an private Bieter, gelegentlich bekam auch ein Museum den Zuschlag. Ab und zu wurde auch ein Bild an einen Unbekannten verkauft, der ohne Quittung in bar bezahlte. Dabei interessierte es keinen, woher die Gemälde stammten und wer sie anbot. Man war hier in den Vereinigten Staaten, im Land der unbegrenzten Möglichkeiten.

Der Versteigerungserlös reichte Vanessa aus, um ihr ein Leben in Wohlstand zu gewährleisten. Sie hatte alles im Griff, bis zu einem Zeitpunkt, wo sie Kontakt zu Kreisen suchte, die sie lieber nicht gesucht hätte.

Im Grunde hatte sie diese Kontakte nicht von sich aus gesucht, sondern man wurde auf sie aufmerksam und hatte sie auserkoren. Es hatte sich in gewissen Kreisen herumgesprochen, dass sie im Besitz wertvoller Gemälde sei. Dass man auf sie aufmerksam wurde, hatte Vanessa jedoch nicht bemerkt und so geriet sie in den Bann gewissenloser Verbrecher.

Angefangen hatte es auf Partys, wo sie zur leichten Beute wurde. Beute, die man manipulieren und gefügig machen konnte. Begonnen hatte es ganz harmlos mit leichten Glücklichmachern wie Pillen und Kokain. Das alles wurde auf Partys großzügigerweise spendiert und so zog sie sich den weißen Schnee kiloweise durch die Nase. Sie zahlte dafür nichts. Die Partys wurden immer mehr zu Sexorgien. Bald spürte sie jedoch keinen Kick mehr und so stieg sie in Verbindung mit Alkohol auf harte Drogen um. Man überredete sie. Man machte ihr klar, dass es noch etwas Schöneres auf Erden gab. Heroin. Sie wurde abhängig. Nun benutzte man sie, um an die verbliebenen Bilder heranzukommen.

Frank Matiss erfuhr von alledem nichts. Er hatte das Haus im Steinbruch ausbauen lassen und den verborgenen Gang tief in dem Stollen zu einem ausbruchsicheren Gehege mit sechzehn Einzelzellen herrichten lassen.

Matiss hatte sich an die schöne Zeit, als der Zirkus hier verweilte, erinnert und wollte sich nun Tiger zulegen. Gleich mehrere, da es ihm finanziell gut ging und er mit seinem Schwarzgeld sowieso nicht viel anfangen konnte. Er liebte Tiger, seit er als Kind täglich mit einem gespielt hatte.

Als er die Kontaktadressen einiger Tigerhalter, in einem kleinen Koffer unter den alten Unterlagen aus der Erbmasse seiner Mutter fand, suchte er die Personen auf.

Von acht Adressen in Deutschland, Holland, Belgien und der Schweiz, existierten nur noch vier. Eine in der Schweiz, eine in Belgien und zwei in Deutschland.

Die beiden Adressen in Deutschland erwiesen sich als zuverlässige Partner für ein illegales, tierisches Geschäft.

So kaufte er nach einigen Wochen, zwei junge weibliche und zwei männliche Sumatratiger, alle im paarungsfähigen Alter.

Als er bei seinem letzten Besuch bei einem der Tierhalter einen Streit zwischen einem Pfleger und einem weiteren Angestellten mitbekam, wurde er auf die Situation aufmerksam.

»Was ist da los? Warum streiten die?«

»Ach dieser Bergmann! Er ist zwar ein sehr guter

Tigerspezialist, seine Hormone kann er aber nicht bändigen. Hat sich wohl wiedermal an der kleinen Helferin vergangen.«

»Und der Andere?«

»Sie ist seine Freundin.«

Der Streit wurde nun heftiger und der Freund der Helferin ging mit einer Mistgabel auf Bergmann zu.

Nun schaltete sich der Chef der Truppe ein.

»Aufhören! Sofort!«

Keiner hörte ihn. Keiner hörte auf ihn.

Bergmann wurde mit einem Zacken der Gabel in die Brust getroffen. Das hinderte ihn aber nicht daran, auf seinen Gegner einzuschlagen.

Dieser ließ die Gabel fallen und schlug zurück.

Josef Bergmann umfasste, aus lauter Wut, seinen Hals und drückte zu.

Der Chef hob eine Latte auf und versetzte Bergmann einen Schlag auf den Kopf, worauf er zu Boden sank. Sein Gegner holte tief Luft und trat auf den, am Boden Liegenden ein.

Er konnte nur mit Mühe zurückgehalten werden.

»Ich schwöre dir, du landest bei den Tigern, wenn keiner da ist, der dir hilft!«

Der Chef hatte das Problem schon lange kommen sehen. Nun musste er handeln.

»Josef, pack deine Sachen. Du verlässt sofort das Grundstück. Ich habe dich gewarnt. Jetzt ist das Maß voll. Raus hier!«

Bergmann, der keinen allzuhohen IQ hatte, wurde nun ganz still und stand fassungslos, fast weinerlich da. Wo sollte er hin? Er hatte niemanden, bei dem er unterkommen konnte.

Matiss überlegte. Er konnte einen Tierexperten, der keine Fragen stellte und für die Arbeit im Verborgenen infrage kam, gut gebrauchen. Er machte dem Chef das Angebot, sich um Bergmann zu kümmern.

»Du kennst den Mann nicht. Der ist unberechenbar. Ein guter Arbeiter, und er kennt sich wie kein Zweiter mit den Tigern aus, aber er ist gewalttätig und kann die Finger nicht von den Weibern lassen. Bergmann ist schon zweimal wegen Vergewaltigung angeklagt worden. Warum willst du ihm helfen?«

»Nun, ich kann einen Mann wie ihn gut gebrauchen. Ich habe Platz und will Tiger züchten. Da fällt allerhand Arbeit an. Und bei mir kann er keinen Schaden anrichten.«

»Der kann überall Schaden anrichten. Aber, es soll so sein. Nimm ihn gleich mit.«

Somit hatte Matiss einen Arbeiter, der ihm in Zukunft bedenkenlos zu Diensten war.

Schon als die Tiger im Steinbruch nacheinander eintrafen, immer zwei in einem Tiertransporter, machte sich Bergmann nützlich. Er hatte ein neues Zuhause gefunden. Dies dankte er seinem Herrn ab sofort bedingungslos.

Zu dieser Zeit kam die Nachricht von Vanessa an, Matiss solle die noch verbliebenen Bilder mit einer Spedition in einem Container, alle auf einmal auf die Reise schicken. Ein Käufer hätte sich bereit erklärt, eine irre hohe Summe für alles zusammen zu bezahlen. Es würde sich um einen dreistelligen Millionenbetrag handeln.

Matiss kam das zunächst nicht weiter spanisch vor. Er hatte allerdings auch keine Ahnung, dass sich seine Schwester mit Heroin so vollpumpte, dass sie keinen eigenen Willen hatte und von Leuten gelenkt wurde, die keine Skrupel besaßen.

Matiss war froh, dass er die restlichen Bilder auf einen Schlag los wurde. Er würde ja dann genügend Geld besitzen, sagte er sich. Seine Barmittel waren gerade aufgebraucht. Er konnte nicht wissen, dass er sich gewaltig irrte. In freudiger Erwartung eines baldigen Reichtums verpackte er die Bilder in wasserdichten Sperrholzkisten, immer fünf Stück gleicher Größe zusammen und stapelte sie senkrecht in einem Überseecontainer, den er vom Zoll versiegeln lies.

Wertvolle Gemälde! Leihgabe zur Ausstellung im Museum bestimmt! Eine Spedition schickte den Container auf die Reise nach Amerika, wo die Bilder zwar ankamen, dann aber auf Nimmerwiedersehen verschwanden.

Auf seinem Konto ging allerdings keine Zahlung ein.

Nach fünf Wochen wurde Matiss langsam nervös. Sein Konto ging schneller gegen Null, als er erwartet hatte.

Da er nach weiteren vier Wochen immer noch nichts von seiner Schwester gehört hatte und sie auch nicht ans Telefon ging, nahm er Kontakt mit einer Detektei in New York auf.

Diese fand nach relativ kurzer Zeit heraus, dass eine Vanessa Matiss zwar in New York gemeldet, jedoch nicht mehr in ihrer Wohnung anzutreffen war. Sie sei einfach spurlos verschwunden. Dies wurde ihm von dem Büro der Detective-Cooperation Smith & Wagner mitgeteilt.

Wollte ihn seine Schwester etwa hintergehen? Matiss biss sich vor Wut auf die Zunge. Er wäre wohl nicht weniger wütend gewesen, wenn er gewusst hätte, dass seine Schwester nicht, wie er annahm, untergetaucht sei, sondern dass sie als namenlose Herointote, die sich eine Überdosis gespritzt hatte, in den Akten der Polizei von New York geführt wurde. Da sie nicht mit dem Gesetz in Berührung gekommen war, waren auch keine Fingerabdrücke und keine DNA von ihr gespeichert und somit war ihre Identität nicht bekannt. Es lag bei den Behörden in New York City keine Vermisstenanzeige vor. So wurde sie auf Kosten der Stadt nach relativ kurzer Zeit in einem anonymen Urnengrab auf einem der zahlreichen Friedhofsanlagen beigesetzt.

Matiss’ Geldquelle war versiegt. Seine Reserven waren nun gänzlich aufgebraucht.

Er hatte eine abseits gelegene Tierpraxis, die er kaum als solche nutzte. Er hatte mittlerweile einen Tigerbestand von vier alten und sechs jungen Tieren. Somit hatte er Kosten für Futter in nicht unerheblicher Höhe.

Eine Zeit lang konnte Josef Bergmann, der seinem Herrn treu ergeben war, das Futterproblem lösen. Als dann aber immer wieder im Umkreis Schafe und auch schon mal ab und zu ein Rind von der Weide verschwanden, trafen die Halter Vorsorge und hielten Nachtwache auf den Koppeln. Die Fleischquelle in der näheren Umgebung war versiegt.

Da bekam Matiss eines Abends einen Anruf.

»Hallo, Herr Matiss. Wir haben gehört, dass Ihre Praxis nicht ausgelastet ist. Wir würden Sie und Ihre Dienste gerne ab und zu in Anspruch nehmen. Können wir in einem persönlichen Gespräch das mal bereden?«

Matiss wollte schon absagen, witterte aber ein Geschäft und ließ sich auf ein Gespräch ein.

Frank Matiss war bis zu diesem Zeitpunkt kein ab-grundtief böswilliger Mensch. Er hatte zwar schon immer eine Neigung zu sadistischer Handlungsweise, diese jedoch nur selten und nur an Tieren ausgeführt. Das sollte sich nun ändern. Bei dem Anruf handelte es sich um eine große Sache, dass spürte er.

Im Verlauf dieses Gesprächs, wurden ihm dann auch tatsächlich Möglichkeiten offenbart, die er vorher nie in Erwägung gezogen hatte und die er tun konnte. Die er tun wollte! Ja, die man ihn bat, zu tun!

Zunächst aber waren die beiden Besucher, die Matiss eine Woche nach dem Telefongespräch empfing, reserviert und unterhielten sich über das Wetter. Als Matiss darauf drängte, zum Wesentlichen zu kommen Wussten sie nicht, dass er kein Chirurg war?

»Ich bin kein Chirurg. Ich kann nicht transplantieren.«

»Das ist uns bekannt. Sie sollen auch lediglich Organe entnehmen.«

Matiss musste sich setzen. Nun und insbesondere die Frage beantwortet haben wollte, wie man auf ihn gekommen sei, kam man zum Punkt.

»Sehen Sie, Herr Matiss, wir sind zufällig auf Ihre finanzielle Situation aufmerksam geworden und können uns vorstellen, dass Sie eine Finanzspritze gut gebrauchen

können.«

Matiss wusste, dass man nicht zufällig auf ihn aufmerksam geworden war. Er konnte sich das nur so erklären, dass es irgendwie mit den Gemälden zusammenhing.

»Was verlangen Sie von mir als Gegenleistung?«

»Wir benötigen hin und wieder Ihre Fähigkeiten als Arzt.«

»Langsam, ich bin Veterinär. Kein praktizierender Allgemeinmediziner.«

»Das ist uns bekannt. Doch für die Leistung, die Sie erbringen würden, reichen Ihre medizinischen Kenntnisse und Fähigkeiten sicher aus.«

»Was wäre das im Einzelnen?«

»Es handelt sich um Organtransplantationen.«

Matiss war erstaunt. Hatten sie ihn nicht verstanden? war er bleich im Gesicht. Das Auftreten der Männer und die Bestimmtheit, mit der sie ihr Anliegen vortrugen, bereitete ihm eine Gänsehaut.

»Auch das kann ich nicht. Ich habe nicht mal einen richtigen Operationssaal. Ich habe auch noch nie an Menschen operiert, geschweige denn tiefer gehende Eingriffe vorgenommen.«

»Das alles ist uns bekannt. Trotzdem glauben wir, dass Sie unsere Erwartungen erfüllen werden. Es bedarf keines topausgestatteten OP’s. Entnahmen von Organen können Sie auf den Tischen, auf denen Sie Ihre Tiere behandeln, vornehmen.«

»Das ist doch alles nicht so steril wie in einem OP.

Die Patienten wären extrem gefährdet.«

»Das sind unsere Patienten, die wir Ihnen schicken werden, sowieso.«

»Was ist, wenn einer stirbt, nach der Entnahme einer Niere?«

»Es wird meistens mehr als nur eine Niere entfernen. Also kann der Patient gar nicht weiter leben. Kein Patient lebt weiter.«

Nun war es gesprochen, was Matiss schon die ganze Zeit wusste und nur verdrängen wollte.

Er sollte Menschen töten und ausweiden. Er stützte seinen Kopf in die Hände. Aber seltsamerweise schockierte ihn das Ganze nicht so sehr, wie er vorgab. Im Gegenteil, es regte seine Phantasie an. Vielleicht hatte er nun die Aufgabe gefunden, die er immer gesucht hatte.

Schon als Kind hatte er Tiere getötet und ausgenommen. Es hatte ihm eine innere Ruhe und eine gewisse Lust bereitet. Bis heute hatte er keine Freundin gehabt und auch noch nie mit einer Frau geschlafen. Danach hatte er kein Verlangen. Matiss hatte jedoch auch keine homosexuellen Neigungen. Sein Sexualleben lebte er im Grunde überhaupt nicht aus. Wenn er einen Körper aufschneiden konnte, hatte er so etwas wie eine sexuelle Befriedigung, auch wenn sich diese nur in einem innerlichen Höhepunkt als Glücksgefühl auswirkte.

Er war der Sache gegenüber nicht abgeneigt, sagte aber nicht sofort zu.

»Da gäbe es noch viele Dinge, die dagegen sprechen.«

»Nur zu. Sagen Sie, was Sie meinen.«

»Wer sind die Personen und wie kommen sie hierher?«

»Es sind alles Menschen, vorwiegend junge Menschen, die keiner vermisst. Einige aus dem Osten Europas. Andere kommen direkt aus Deutschland. Sie werden Ihnen angeliefert. Es kann jedoch vorkommen, dass Sie hier eine Weile, sagen wir, gelagert werden müssen. Das würden wir Ihnen selbstverständlich zusätzlich bezahlen. Wichtig ist, dass sie während ihres Aufenthaltes hier nicht erkranken. Unterbringmöglichkeiten haben Sie ja genug. Die Zellen im Stollen sind ja nicht alle von den Tigern belegt.«

»Woher wissen Sie davon? Das weiß niemand!«

»Wir sind im Besitz von Informationen, von denen Sie nicht die geringste Ahnung haben, dass es sie überhaupt gibt.«

Wieder war Matiss erstaunt. Er gab sich zweifelnd. Aber er wusste schon jetzt, dass er mitmachen wollte.

»Ich weiß nicht. Das ist alles …«

Der zweite Mann, der bis jetzt nicht viel gesagt hatte, fiel ihm ins Wort.

»Sie werden gut bezahlt. Zwischen vierzig- und fünfzigtausend pro Fall. Für die Unterbringung noch mal fünf- bis zehntausend. Überlegen Sie nicht lange. Sagen Sie ja.«

»Wenn ich Nein sage?«

»Machen Sie nicht. Sie leben dafür zu gerne.«

Dieser Drohung hätte es nicht bedurft, aber sie half Matiss über die letzte moralische Schranke, tief in seinem Kopf, hinüber.

Er sagte ja.

So traf zehn Tage später die erste Warenlieferung am Steinbruch ein.

Eine junge Frau aus einem kleinem Kaff bei Stachanow, einer 75.000-Einwohner-Stadt im Osten der Ukraine. Sie sah erbärmlich aus. Sie konnte kein Wort deutsch und jammerte nur vor sich hin. Matiss versuchte, sie zu beruhigen, aber alle Versuche schlugen fehl. Die Frau wurde noch hysterischer, als Bergmann sie später in ihrer Zelle vergewaltigte. Matiss bekam Angst, sie würde sich umbringen. Somit wären seine fünfzigtausend Euro flöten gewesen.

Die junge Frau wusste nicht, warum sie entführt wurde, warum sie gefangen gehalten wurde. Sie wehrte sich verzweifelt und griff Bergmann an, sobald er die Zellentür öffnete und ihr etwas zu essen bringen wollte. Dann saß sie stundenlang apathisch auf dem Rand des Bettes und schaukelte mit dem Oberkörper hin und her.

Der Zustand endete schlagartig, als einer der Tiger mit in die Zelle der jungen Frau kam. Von da ab machte sie alles, was man ihr mit Händen und Füßen versuchte zu erklären. Sie hatte sich mit allem abgefunden. Gefressen werden von einer Raubkatze, wollte sie auf gar keinen Fall.

Matiss’ Geduld wurde auf eine harte Probe gestellt. Er hatte eine Telefonnummer bekommen, unter der eine verantwortliche Person zu erreichen war. Dort rief er mehrere Male an, aber immer wurde ihm mitgeteilt, dass der Empfänger der Organe noch nicht bereit sei. Er solle sich noch gedulden.

Nach vier Wochen kam endlich der ersehnte Anruf. Noch in dieser Nacht würden Leber und beide Nieren abgeholt werden.

Matiss machte sich am Abend an die Arbeit.

Die junge Frau ahnte, was auf sie zukam, als Matiss ihre Zelle aufschloss. Da der Tiger auf dem Gang auf und ab schlich, ging sie willenlos hinter Matiss her.

Sie schaute zu Boden und murmelte immer und immer wieder in ihrer ukrainischen Muttersprache vor sich hin: »Bitte nicht weh tun. Bitte nicht weh tun.«

Matiss verstand sie nicht und nickte nur. Aber sie wusste, dass er sie nicht verstand.

Da sie das Abführmittel nicht trinken wollte, da sie annahm, es sei Gift, riss Bergmann ihren Kopf an den Haaren zurück und drückte ihren Unterkiefer brutal nach unten. Er hielt ihr die Nase zu und der Inhalt des Glases fand seinen Weg in den Magen des Mädchens. Bergmann riss ihr das Kleid und den Slip herunter und zog sie zur Toilette. Das Abführmittel wirkte schnell und sie entleerte ihren Darm.

Bergmann hatte auf dem Flur gewartet und rief ihr zu, sie solle sich gefälligst beeilen.

Sie verstand zwar außer »Dawai, dawai« kein Wort, konnte am Tonfall aber erkennen, um was es ging und hatte Angst, geschlagen zu werden. So beeilte sie sich und kam nackt aus dem kleinen Toilettenraum heraus.

Bergmann zog sie am Handgelenk eine Tür weiter, stieß sie unter die Dusche und stellte das Wasser an.

»Los, waschen. Mit Seife!«

Als sie der Aufforderung nicht gleich nachkam, legte er selber Hand an und verrieb Duschgel auf ihrer Haut, wobei seine Hände an Brust und Hintern des Mädchens besonders gründlich wuschen. Bergmann war erregt und seine Hose wölbte sich nach vorne. Gerade wollte er sie fallen lassen, als die Stimme seines Herrn erschall.

»Josef! Wo bleibt ihr denn?«

»Scheiße«, dachte Josef, »jetzt wäre ich fast gekommen. Ja, Doc. Wir kommen!«

Er drehte das Wasser ab und warf dem Mädchen ein Handtuch zu.

Sie trocknete sich ab, ließ das Handtuch fallen und schaute sich ängstlich nach dem Tiger im Flur um, der ihnen nachschlich.

Matiss deutete ihr mit ausgestrecktem Arm an, sie solle sich auf den Tisch legen.

Als sie nackt auf dem kalten Edelstahltisch lag, hörte ihr Herz vor Angst auf zu schlagen. Sie brauchte keine Anästhesie. Sie war tot. Sie starb vor Angst.

Matiss öffnete ihren Brustkorb. Es war seine erste Organentnahme.

Man war mit ihm zufrieden und sein Konto kam langsam aus den roten Zahlen.

Das Organkartell

Подняться наверх