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3. Andrea, die Gnadenlose .

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„Was ist mit ihren Haaren los?“

„Muss sie sich wohl selber abgeschnitten haben.“

„Wer hat sie eingeliefert?“

„Der Hausarzt. Auf Anraten des Ehemannes. War wohl nicht mehr zu ertragen, zu Hause.“

Der Chefarzt im PKH machte sich ein Bild über den „Neuzugang“ von gestern Nacht.

Er schaute in das Aufnahmeprotokoll und las ihren Namen.

„Steffanie Kortmann“.

„45 Jahre alt. Verheiratet.“

„Was ist genau geschehen?“

Die leicht korpulente Krankenpflegerin gab dem Chef Antwort.

„Sie hat wohl mit allen möglichen Dingen um sich geworfen. Dabei hat sie ihren Mann mit einer Vase am Kopf verletzt. Dann ist sie mit einer Schere auf ihn losgegangen. Er sagt, er hätte sich gerade noch ins Bad retten können. Als es wieder ruhiger wurde, hat er sich herausgetraut und sie im Wohnzimmer auf dem Boden, an der Wand angelehnt sitzend, gefunden. Sie hat sich dort mit einer Schere die Haare abgeschnitten und die Pulsadern aufgetrennt. Das muss wohl äußerst schmerzhaft gewesen sein. Sie hat aber keinen Laut von sich gegeben. Der Hausarzt wohnt genau gegenüber und war schnell zur Stelle. Er hat sie verbunden und unseren Fahrdienst gerufen.“

„Was haben Sie ihr gegeben?“

„Fentanyl. 15mg.“

„Das ist zu viel! Sie wiegt höchstens 62 bis 65 Kilo! Sie hätten mich sofort rufen sollen!“

Der Arzt lief im Gesicht rot an und kochte innerlich vor Wut. Die Pflegerin hatte wieder einmal eigenmächtig gehandelt und ein Medikament verabreicht, was nicht in ihren Tätigkeitsbereich fiel und was sie schlichtweg nicht durfte.

Die kräftige Pflegerin sah der Arzt mit trotzigem Blick an. Sagte jedoch nichts dazu und schniefte kräftig durch die Nase. Es entstand eine Pause, in der der Arzt die Patientin, die in einem weißen Anstaltskleid steckte und angeschnallt wie leblos auf dem Bett lag, anschaute.

Nach einer Weile drehte er sich abrupt um.

„Warten wir, bis sie wieder ansprechbar ist. Beobachten Sie sie. Rufen Sie mich dann sofort! Ist das klar?!“

Ärgerlich und ohne eine Antwort abzuwarten, ging er schnellen Schrittes auf den Flur hinaus.

Andrea Schneider, die alle nur „Andri“ nannten, ging der Anschiss des Arztes am Arsch vorbei. Sie wusste, dass er auf ihre Hilfe angewiesen war und ihr keinerlei Schwierigkeiten bereiten würde. Sie wusste auch über Abrechnungen Bescheid, die er machte und die nicht den tatsächlichen Leistungen entsprachen. Sie wusste weiterhin, dass es hier Vorfälle gab, die keiner mitbekommen sollte.

Allerdings wusste auch der Chefarzt einiges über Andrea Schneider. So war ihm bekannt, dass sie oftmals über die Stränge schlug und Patienten nicht so behandelte, wie man es von einer Klinik erwarten würde.

Als Kind war sie selbst von der alkoholabhängigen Mutter misshandelt worden und das gab sie jetzt anderen weiter. Was ihr Stiefvater mit ihr alles angestellt hatte, wenn sie alleine waren oder wenn ihre Mutter ihren Rausch ausschlief, hatte Andrea Schneider verdrängt. Daran wollte und konnte sie sich nicht mehr erinnern. Nur, dass sie leiden musste, war in ihrem Kopf geblieben. Warum sollten sie alle es guthaben, wenn sie es früher auch nicht hatte? Schnell stellte sie fest, dass es sie erregte, wenn sie anderen Schmerzen zufügte.

Ein Psychiater stellte einst eine gespaltene Persönlichkeit bei ihr fest. Ein Teil von ihr war lieb und nett und der andere grausam schlecht. Ein Jugendgericht ordnete nach einem Übergriff auf zwei Schülerinnen, denen sie erhebliche Verletzungen durch Schläge zugefügt hatte, eine psychologische Behandlung an. In langen Sitzungen wurde sie dann nach Jahren als geheilt eingestuft. Das spielte sich alles in ihrer Jugendzeit ab. Jetzt war sie erwachsen und nur sie selbst wusste, was mit ihr los war.

Durch den Kontakt mit der Klinik, in der sie behandelt wurde, fand sie am Beruf einer Krankenpflegerin Spaß und bewarb sich bei mehreren Kliniken im Land. Sie wurde in der Uniklinik herzlich aufgenommen und wechselte zwei Jahre später in das PKH, wo sie heute noch tätig ist .

Hier konnte sie ihre sadistische Ader ausleben und es fielen ihr im Laufe der Jahre immer weiter Grausamkeiten ein, die sie sexuell erregten. Dabei war es ihr gleich, ob ihr Opfer ein Mann oder eine Frau war. Keiner, der von ihr gequälten Personen konnte sich wehren oder sich jemandem anvertrauen.

Andrea Schneider war nicht lesbisch. Das sagte sie sich selbst immer wieder. Es kam trotzdem vor, dass sie sich auszog und zu einer Patientin legte, um an ihr schmerzhafte, sexuelle Tätigkeiten auszuführen und sich zu stimulieren. Eine Beziehung mit einem Mann hätte sie schon gerne angefangen. Alle Kontakte, die sie mit Männern hatte, wurden jedoch von diesen schnell beendet. Spätestens wenn sie eine schmerzhafte Erfahrung mit ihr machten.

Nur zu den Männern, die sie auf dem Bett fixieren konnte, hatte sie eine längere Beziehung, wenn es auch nie zu einer körperlichen Vereinigung kam. Unter den zugefügten Schmerzen fiel es allen Männern sehr schwer, eine gewisse Standhaftigkeit zu erreichen.

Die Übergriffe in der Klinik blieben nicht immer verborgen, aber es wurde nichts dagegen unternommen. Zum einen fielen die meisten Verletzungen an den Patienten nicht auf, da es täglich vorkam, dass sich Patienten selbst verletzten. Zum anderen waren andere Pfleger durch die dominante Art von Andrea Schneider so eingeschüchtert, dass sie schnell alle Missstände aus ihrem Gedächtnis strichen. Schließlich wollte keiner seinen Arbeitsplatz verlieren. Der Chefarzt war in gewisser Weise auf sie angewiesen, sodass auch er alle Augen zudrückte, inklusive der schmerzenden Hühneraugen an den Zehen. Er drückte nicht nur die Augen zu, er hielt auch immer nach Bekanntwerden eines Vorfalles die Luft an. Er ging den Weg des geringsten Widerstandes und sagte nichts dazu.

Andrea Schneider schmiss den Laden, wie sie bei jeder Gelegenheit selbst betonte. So war die Klinik ihr Herrscherreich.

Nur einmal gab es ernsthafte Probleme, als ein Vater an seiner suizidgefährdeten, minderjährigen Tochter Hämatome entdeckte und Aufklärung verlangte. Andrea spritzte ihr so viel Beruhigungsmittel, dass das Mädchen kaum die Augen aufhalten konnte, geschweige denn sich artikulieren konnte. Ein schwaches Lallen war alles, was aus ihr herauskam. Doch der Vater ließ nicht locker und wollte wissen, woher die Verletzungen gekommen seien. Der Chefarzt erklärte, dass es schon mal vorkommen könne, dass sich Patienten selbst verletzen würden. Schließlich könne man sie ja nicht Tag und Nacht anbinden. Eine kostenfreie Behandlung über den kassenärztlichen Satz hinaus beruhigten den Vater dann doch und er beließ es mit der Drohung: „Wenn ich allerdings noch ein einziges Mal solche Blutergüsse bei meiner Tochter feststelle, wird mein Anwalt mit Ihnen reden.“

Andrea wurde daraufhin zum Chef gerufen.

„Machen Sie die Tür zu!“, schnauzte er sie an.

Etwas leiser stellte er ihr Fragen.

„Was war das? Woher sind die Hämatome bei dem Mädchen?“

„Nun, Sie hat sich in die Hose gemacht und ich kann dann die Sauerei wegwischen. Das alles bei der knappen Zeit, die uns zu Verfügung steht. Gewehrt hat sie sich dagegen. Und da musste ich eben etwas fester zupacken.“

„Frau Schneider, das Mädchen hatte Quetschungen der Schamlippen und einen Riss im Anus. Gott sei Dank hat dies der Vater nicht mitbekommen. Der hat nur die Hämatome im oberen Brustbereich und an den Beinen gesehen!“

„Na ja. Es kann schon sein, dass ich etwas zu hart mit der Göre umgesprungen bin. Soll nicht wieder vorkommen, bei ihr.“

„Das sollte überhaupt nicht vorkommen! Nicht bei ihr und nicht bei anderen!“

„Aber Chef, Sie wissen doch selbst, wie es hier zugeht. Da ist nicht alles heile Welt.“

Der Chef rang nach Luft und lief rot im Gesicht an. Es fehlten ihm weitere Worte und so zeigte er lediglich auf die Tür. Andrea grinste und verließ das Büro.

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