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5. Versicherungen wollen sparen .
ОглавлениеIm obersten Stock des ovalen Glaspalastes des World Trade Centers in Rotterdam hat man einen Blick über die ganze Stadt. Doch die Aussicht war schon zur Gewohnheit der 35-jährigen Versicherungsagentin geworden und so blickte sie nur ab und zu aus dem Fenster.
Lindsay Wagner war nun schon seit über einem Jahr von der Hauptstelle der New Yorker Versicherungsagentur nach Rotterdam berufen. Von hier aus verfolgte sie im Auftrag der Firma gleich mehrere ungelöste Schiffsunglücke auf den Weltmeeren. Immer dann, wenn ein Containerschiff als vermisst oder gesunken gemeldet wurde, dass bei Intercontinental Suprise mit einer Millionensumme versichert war, wurde man in der Chefetage äußerst misstrauisch und beauftragte einen der internen Ermittler mit dem jeweiligen Fall.
Wagner war zwar amerikanische Staatsbürgerin, ihre Wurzeln jedoch reichten ins ‚good old Germany’ zurück. Ihre Oma mütterlicherseits war Deutsche und so verbrachte Lindsay Wagner viele Jahre in Deutschland und sprach perfekt Deutsch, neben Spanisch und Französisch. Da sie sich in der Firma als sehr ehrgeizig zeigte, vertraute man ihr im Laufe der Zeit immer größere Aufgaben an und überließ ihr schließlich ein eigenes Resort.
So kam sie nach Rotterdam, um von hier aus auf kurzem Wege schnelleren Zugriff auf Schifffahrtsunterlagen zu bekommen, auf die man in New York sonst monatelang warten musste. Dabei half ihr zum einen ihr gesunder Menschenverstand und zum anderen waren es gelegentliche kleine Geschenke an die Informanten in den Behörden.
Die Versicherungsfälle von sechs großen Containerschiffen, die bei Interconti versichert und in den letzten fünf Jahren gesunken waren, galt es vorrangig zu bearbeiten. Wagner konnte nach umfangreichen Ermittlungen zwei Fälle als Betrugsfälle aufklären. In einem Fall gab es gar keinen Verlust eines Frachters, der 1800 Container geladen haben sollte. Das Schiff existierte nur auf dem Papier. Wagner konnte dies nachweisen. Der als Reeder eingetragene Millionär aus Costa Rica ging trotz Aufklärung des Falles straffrei aus. Man konnte ihn nicht auffinden. Die Höhe der Versicherungssumme lag weit unter dem Durchschnitt der allgemein üblichen Versicherungsabschlüsse, was eine Folge von Unterversicherung darstellte. Es ließ sich nicht ermitteln, ob dies bewusst so sein sollte, damit keine Nachfragen seitens der Gesellschaft erfolgte oder ob es einfach ein Rechenfehler des angeblichen Eigentümers war. Eine Versicherungssumme in Höhe von 348 Millionen Dollar wurde nicht gezahlt.
Ein anderes Schiff war als Containerfrachter unter portugiesischer Flagge gemeldet, zeigte aber, als Wagner die Schiffspläne einsah, Unregelmäßigkeiten mit der Größe und den Angaben für Bruttoregistertonnen auf. Wagner fand heraus, dass es nicht so viele Container geladen haben konnte, wie man angegeben hatte. Auch diese Summe wurde eingefroren. Die Versicherungsgesellschaft setzte in diesem Fall auf eine jahrzehntelange Verhandlungstaktik. Das wurde von den meisten Versicherungsgesellschaften so gehandhabt. Oft gaben die Versicherten auf oder ließen sich auf einen Kompromiss ein, der ihnen nur einen Teil der geforderten Versicherungssumme einbrachte.
Von vier weiteren vermissten Schiffen wurde Daten gesammelt, Pläne verglichen und Angehörige der ertrunkenen Seeleute befragt.
„Ok. Von der „Spirit of sea 2“ existiert nicht ein einziger Brief der 46-Mann starken Besatzung. Nicht eine einzige Mail an die Frau, Freundin oder Mutter. Nicht ein einziges Telefonat über Satellit. Und die waren wochenlang im Indischen Ozean unterwegs. Das ist doch oberfaul!“
Wagner kaute auf ihrem Kugelschreiber herum. Einer der Mitarbeiter pflichtete ihr bei.
„Ja. Das ist oberfaul. Es ist, als wenn sie nicht existiert hätten.“
„Haben wir Angehörige ausfindig gemacht?“
„Bisher nicht. Die Seeleute sind laut Soldbuch ausnahmelos alle Chinesen, Thai oder andere Asiaten. Einen Teil der Adressen haben wir verfolgt. Alle enden in einer Sackgasse. Entweder gibt es den Ort nicht mehr, oder es hat ihn nie gegeben oder die Namen stimmen nicht überein. Es ist auch genauso unüblich, dass es nur Asiaten auf einem südamerikanischen Schiff gibt. Sogar der Kapitän soll ein Chinese gewesen sein.“
„Das riecht nach fingierten Adressen. Hier haben wir es mit ziemlicher Sicherheit mal wieder mit einem Versicherungsbetrug zu tun.“
„Ja. Sehr wahrscheinlich. Nur wie beweisen wir das?“
Die Unterhaltung zwischen Lindsay Wagner und einem ihrer Mitarbeiter im Büro in Rotterdam wurde durch das Klingeln des Telefons unterbrochen.
Wagner hob den Hörer ab.
„Wagner.“
„Hallo Lindsay. Wie geht’s so im Käseland? Was machen die versunkenen Container?“
Der Anrufer stellte sich nicht vor. Brauchte er auch nicht, Wagner erkannte die Stimme ihres Chefs sofort.
„Hallo Donald. Was für eine Ehre! Was ist der Grund für deinen Anruf? Wie es mir geht, willst du sicher nicht wissen!“
„Sei nicht immer so bissig! Sicher interessiert es mich, wie es meiner besten Ermittlerin geht. Aber du hast Recht. Ich habe etwas auf dem Herzen.“
Donald Mc Guirre konnte seinen irischen Akzent auch nach zwanzig Jahren in New York nicht ganz verleugnen. Und er kam wie immer gleich auf den Punkt.
„Kannst du deine Arbeit mit den Schiffen mal unterbrechen und etwas anderes recherchieren?“
„Ungern. Bin gerade einem Betrug auf der Spur.“
„Ach komm! Das können auch deine Mitarbeiter erledigen. Instruiere sie genügend. Wenn du meinen Shop haben willst, solltest du langsam lernen, Arbeit zu verteilen.“
„Du sagst mir so offen, dass du nichts arbeitest!?“
„He, werd nicht frech, sonst überleg ich mir das nochmal mit meinem Shop .“
Wagner hatte keine Lust auf weitere Spielchen und beendete den lustigen Dialog.
„Was ist los? Warum soll ich meine Arbeit hier unterbrechen?“
„Ich habe da einen Golfpartner, der mich um einen Gefallen gebeten hat. Den kann ich ihm nicht abschlagen, sonst lässt er mich nicht mehr gewinnen.“
Sein Lachen drang laut durchs Telefon.
„Das darf nicht sein. Wenn du kein Golfturnier gewinnst, bist du unausstehlich. Also, um was handelt es sich?“
„Es geht um eine Sterbegeldversicherung.“
„Donald! Das sind doch Kikifaxbeträge! Gib das jemand anderem.“
Dieses Mal wurde Donald sehr ernst.
„Nein. Ich möchte, dass du dich der Sache annimmst!“
„Um welche Höhe geht es hier? Ist das wirklich wichtiger als …“
Mc Guirre unterbrach sie.
„Es geht nur um eine Summe von sechs Millionen Euro. Aber mein Golfpartner vermutet eine Erbschleicherei dahinter. Die Summe ist auch schon ausgezahlt worden, da wir den Adoptivsohn der Verstorbenen, der das Geld geerbt hat, nicht verdächtigt haben. Wir hatten keinen Grund, die Sache anzuzweifeln.“
„Ach, und jetzt zweifelt dein Golfpartner? Was hat der eigentlich für ein Interesse an der Sache?“
„Nun, es ist ein Großneffe der Verstorbenen.“
„Aha. Nun ist sein Erbe futsch. Aua.“
„Das Erbe von sechs Millionen ist ihm ziemlich egal. Das verdient er im Monat. Sein Ego ist angekratzt. Und er kann es nicht akzeptieren, dass seine Großtante plötzlich noch einen anderen Verwandten, von dem er noch nicht einmal etwas wusste, gehabt haben soll. Also kläre die Sache. Es ist mir wichtig. Im Übrigen ist das Ganze in Frankfurt am Main geschehen. Das dürfte dir die Entscheidung doch etwas leichter machen. Die Verstorbene hat die letzten Jahre in einer Nervenheilanstalt verbracht und ist dort gestorben. Ich maile dir die Unterlagen rüber. Viel Glück.“
Damit hängte er ein.
Wagner war nun nicht mehr abgeneigt, einen solch kleinen Fall, den sie unter ihrer Würde empfand, anzunehmen. Sie freute sich auf Deutschland, obwohl sie keinerlei Verwandte hier hatte, seit ihre Großmutter vor fast zehn Jahren verstarb.
„Nervenheilanstalt! Donald, Donald, woher hast du nur diesen Begriff? Das sagte man noch kurz nach dem Krieg. Heute ist es wohl eher ein psychiatrisches Krankenhaus. Na gut! Mache ich eben in Deutschland ein wenig Urlaub.“
Wagner hatte, ohne es zu bemerken, leise vor sich hin gesprochen. Zwei ihrer Mitarbeiter schauten sie verwundert an. Sie musste sich erklären.
„Jungs, der Boss hat mir einen ungemein wichtigen Fall in Deutschland übertragen. Es geht dabei um eine wahnsinnige Summe. Ihr müsst also für eine Weile ohne mich hier auskommen.“
Sie sah in fragende Gesichter und ein Kollege hakte nach.
„Sagtest du nicht etwas von Urlaub machen?“
„Mal sehen. Es könnte ja so weit kommen.“
Doch da irrte sich Lindsay Wagner. Es sollte nicht so weit kommen.