Читать книгу Perry Rhodan Neo 218: Abstieg in die Zeit - Rainer Schorm - Страница 5

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1.

In aeternam ...

Ich sitze am Rand des Zeitbrunnens und fühle, wie der Kosmos in mir pulsiert.

Ringsum herrscht die Finsternis einer scheinbar ewig währenden Nacht. Diese Welt ist kaum zu erkennen, nur ein dunkles Negativ. Der Wald ist nicht mehr als ein tiefschwarzer Schatten. Ich komme gern hierher, wenn alles in tiefem Dunkel liegt.

Ich lasse die Beine über die Einfriedung des Brunnens baumeln. Sollte mich jemand beobachten, sieht es aus, als sei alles friedlich und ich selbst entspannt.

Das ist nicht so.

Die Zeitlosigkeit umspült Teile meines Ichs, die Nacht tut das mit dem Rest. Auf bizarre Weise fühle ich mich geborgen ... und unruhig zugleich. Hier ist das Universum älter als es selbst. Häufig habe ich mich gefragt, woher diese Relikte kommen. Inzwischen weiß ich, dass sie überdauert haben von dem, was davor war.

Manche Dinge kann man nur in Paradoxien beschreiben.

Ich spüre die Härte der Einfriedung, die den Brunnen umgibt. Ihre Substanz sieht beinahe aus wie Basalt, fühlt sich aber organisch an, wie Haut. Gleichzeitig haben die Quader eine eigenartig metallische Konsistenz.

Als wir sie setzten, machten wir ein Phänomen aus der Zeit davor nutzbar. Vor dem Beginn, der keiner war.

Das gehört zu den Dingen, die ich nicht begreife, nicht einmal nach all den Jahren. Eine Vermutung hat sich in meinem Kopf festgesetzt: Nichts beginnt, nichts endet wirklich.

Wo wären wir, wenn wir niemals hier gewesen wären?

Es ist nur ein alter Sinnspruch aus der Zeit, als es uns noch gab. Andere, außer mir. Damals kam mir der Satz wirr vor; das hat sich geändert. Manche Dinge lassen sich nur in Paradoxien beschreiben ...

Dieser Ort ist weit von aller Zeit entfernt. Man könnte es so formulieren: Er ist zu klein, um Zeit zuzulassen. Das Nichts zwischen zwei Sekunden.

Das absolute Fehlen macht mir meine Vollständigkeit bewusst. Mit der Zeit habe ich alle Bruchstücke meines Selbst wieder eingesammelt. Nun ja, diejenigen, die übrig waren, die die Fährnisse des Universums überstanden haben.

Ich spüre, wie ein Lächeln über mein Gesicht huscht. Wird man älter, fühlt man solche Dinge besser und genauer. Jede Falte, die die Jahre, Jahrzehnte, Jahrhunderte und Jahrtausende hineingegraben haben, hilft. Gerade so, wie Tasthaare einem Tier Hinweise auf die Umwelt geben.

Ich verfolge durch die Finsternis Monde, Planeten, Sonnen ... ja sogar Galaxien. Sie tanzen einen Reigen, dessen Regeln ich sogar nach so langer Zeit nicht begreife. Eine Ahnung, ja. Aber nicht mehr.

Wieder ein Lächeln.

Ich recke mich ein wenig, aber die Tage, da man die Zeichen des Alters durch Bewegung verscheuchen konnte, sind lange vorbei. Es sitzt in den Knochen, in den Muskeln, in jedem verdammten Gelenk. Nichts davon hätte man sich in jüngeren Jahren vorstellen können, als Energie und Kraft im Überfluss vorhanden waren – aber diese Tage liegen in meinem Fall weit, weit zurück.

Ich bin älter als das meiste, was mich umgibt. Nicht dass das eine besondere Qualifikation wäre. Alter mag ein Synonym für Erfahrung sein, aber nicht automatisch für Erkenntnis oder gar Verstehen.

Ich war einmal jung. Daran erinnere ich mich nicht, aber ich habe eine unüberschaubar große Zahl von Lebewesen kennengelernt. Sie alle sind jung, zu Beginn. Sie alle werden ins Leben geworfen ohne das geringste Verständnis. Diejenigen, die ein Bewusstsein ausbilden, leben lange Jahre ihrer Existenz aus Idealvorstellungen. Idole, Ideen, die sie aus ihrer Kultur heraus nutzen, bis das Leben und die Zeit die Ideale durch Erfahrung ersetzt. Das ist in allen Fällen ein schmerzhafter Prozess. Energieüberschuss zu Beginn weicht Einschränkungen, Behinderungen. Zurück bleiben Trauer und Bitterkeit, wenn die Welt nicht das hält, was man sich von ihr versprach. Das Einzige, was davor schützt, ist Dummheit.

Das ist keine meiner Qualitäten, ganz gewiss nicht. Aber mein Leben ist sehr viel länger als das der meisten.

Rings um mich werfen Sonnen und Sterneninseln ihre Schatten. Ich kenne viele davon, und ihre Bilder stehen mir lebhaft vor Augen. In ihren glühenden Herzen entsteht der Stoff, aus dem wir alle geworden sind.

Ich bin ein bisschen neidisch. Der Prozess dauert an. Natürlich tut er das. Immer mehr Neues entsteht, Dinge, die ich nie gesehen habe, weil sie zuvor nicht vorhanden waren.

Der Neid weicht der Trauer. Nicht alles, was entsteht, ist schön oder angenehm. Aus dem Dunkel der Zeit erhebt sich seit Kurzem etwas, das es nicht geben sollte. Es ist eine Unsäglichkeit. Aus dem gewaltigen Schlund der Finsternis reckt etwas sein hässliches Haupt, das nicht hierhergehört.

War es zunächst nur ein Unfall, scheint es sich nun zu entwickeln. Obwohl ich das für unmöglich hielt, geschieht genau das. Es wird.

Wir waren die Ersten. Wir haben es geahnt, wenn auch viel zu spät. Nun stellt sich die Frage, ob die, die nach uns kamen, dem gewachsen sind.

Ein ungutes Gefühl breitet sich in mir aus. Alles muss weichen, früher oder später. Aber nicht zu wissen, ob diese Katastrophe aufgehalten werden kann, macht es mir schwer. Ich will wissen, wie es endet. Obwohl selbstverständlich nichts wirklich zu Ende geht. Der Prozess ist ewig, aber geplant ist er keineswegs. Darauf haben wir nie Hinweise gefunden.

Die Finsternis könnte also weiterwachsen. Es ist nicht gut, wenn die Angst am Ende alles ist, was bleibt. Es liegt mir auf der Seele, aber lange Zeit haben wir den falschen Feind bekämpft, wie es scheint. Das Ringen war eine Farce. Dass ausgerechnet ich das zu spät erkannt habe, ist bedrückend, denn ich hätte es besser wissen können. Besser wissen müssen!

Das ist eine der bittersten Erkenntnisse überhaupt: Am Ende steht das Scheitern. Es ist so unausweichlich wie der Tod. Der große Prozess ist Veränderung, Entwicklung. Statische Zustände sind darin unmöglich, egal ob negativ oder positiv.

Man kann nichts »zu Ende bringen«.

Auch ich konnte das nicht. Ohnehin war ich nur ein kleiner Spieler. Mit der Zeit verliert man nicht nur Kraft, auch die Hybris schwindet. Was mir bleibt, ist, zu warten. Auf jemanden. Das tue ich seit geraumer Zeit, obwohl ich weiß, dass es schwierig werden wird. Denn der Weg ist versperrt. Genau diesen Weg wird er aber nehmen müssen. Der Widerspruch ist nicht auflösbar. Eine neue Paradoxie. Vielleicht warte ich umsonst.

Es wäre nicht das erste Mal.

Perry Rhodan Neo 218: Abstieg in die Zeit

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