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Teil I: Rätsel

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1.

Nirgendwo: Aus der Tiefe ans Licht

Abrupt erlosch die Realität. So fühlte es sich an, als Ronald Tekener in den Zeitbrunnen eintauchte. Die Finsternis schlug über ihm zusammen wie eine Brandungswelle.

Dabei sieht das verdammte Ding aus wie ein schwarzer Spiegel, durch den man ins Nichts blickt, dachte er.

Die Welt ging in diesem Augenblick unter, aber weit, weit hinter ihm. Archetz, die Zentralwelt der Mehandor im Zentrum von M 13, war dem Untergang geweiht.

Tekeners Gedanken tauchten auf und verschwanden wieder wie in einem lichtlosen Labyrinth. Die Zeitbrunnen hatte er nie begriffen, nicht mal im Ansatz. Er glaubte, dass Leute wie Perry Rhodan oder Atlan mehr darüber wussten ... oder besser: ahnten.

Was ist das, worin ich mich bewege?, rätselte er. Angst machte sich in ihm breit. Bewege ich mich? Ist das Luft, die ich atme? ... Atme ich?

Das Gefühl, zu ersticken, kam, kaum dass der Gedanke vollendet war.

Bleib ruhig!, mahnte er sich. Obwohl er geglaubt hatte, laut zu sprechen, hörte er nichts.

Er tastete nach seinem Körper. Zu fühlen war kaum etwas. Da war nur eine vage Erinnerung an Fleisch, an Knochen, an Blut. Der Versuch, die kleine Notlampe zu finden, scheiterte. Zwar spürte er einen leichten Widerstand, wo Kleidung und Ausrüstung sein sollten, aber mehr nicht.

Was ist mit all den anderen?, dachte er panisch. Haben Perry Rhodan und Thora überlebt? Wer könnte das, wenn eine Welt untergeht? Bin ich der Einzige, der es geschafft hat? Habe ich es überhaupt geschafft?

Jessicas Bild drängte in den Vordergrund, verschwand gleich darauf wieder in der Finsternis und hinterließ Schmerz. Ein anderer, früherer Gedanke kehrte aus dem Dunkel des Labyrinths zurück.

Bewege ich mich? Worin? Und wohin ... oder ist die eigentliche Frage: nach wann?

In seinem geahnten Körper kribbelte es unangenehm. An diese Wahrnehmung erinnerte er sich sehr gut. Sie lag weit zurück.

So fühlte sich die Dunkelleben-Infektion an – ganz zu Beginn.

Lashat war wieder da, wie ein Albtraum, der nicht verschwinden wollte. Er glaubte, das körperliche Unbehagen wieder spüren zu können, obwohl er seinen Körper selbst kaum wahrnahm. Es verstörte ihn auf beängstigende Weise. Warum nur war ausgerechnet diese Erinnerung so frisch, so präsent?

Es ist ein Zeitbrunnen, überlegte er düster. Die Dinger heißen nicht von ungefähr so. Vielleicht nähere ich mich der Vergangenheit ja tatsächlich! Vielleicht wiederhole ich das, was damals mit mir geschah. Ist so etwas möglich? Oder ist der Grund ein völlig anderer?

Eine Ahnung beunruhigte ihn. Sie tauchte immer wieder mal auf, seit er auf Lashat am dortigen Zeitbrunnen gestanden hatte. Bevor Rhodan darin verschwand, um geheilt zurückzukommen. Es war das Gefühl, dass das eine mit dem anderen in irgendeinem Zusammenhang stand: die Zeitbrunnen und das Dunkelleben.

Auf Lashat hatte ihn das eigenartige, schwarze Rund beinahe magisch angezogen, und er war sich sicher, dass für Froser Metscho, der hineingetaumelt war, bevor er starb, dasselbe gegolten hatte. Rhodan hatte Ähnliches angedeutet. Tekener und der Protektor hatten das Gleiche gespürt: einen Sog, einen Strudel, schwarz wie das Universum, bevor das erste Licht freigesetzt wurde.

Und nun war er mittendrin – worin auch immer dieses beängstigende Ding bestehen mochte.

Bestand es aus Zeit? Oder aus Nicht-Zeit?

Ronald Tekener war kein akademischer Theoretiker, er war fest im Hier und Jetzt verwurzelt. Pragmatismus hielt ihn am Leben und bei Verstand. An eins aber erinnerte er sich sehr genau, vielleicht weil ihn diese Aussagen erschreckt hatten.

Er war kürzlich Zeuge einer Diskussion zwischen Sianuk und Bumipol na Ayutthaya gewesen. Die brillanten Physiker waren die wahrscheinlich hellsten Köpfe der Menschheit seit den Tagen von Eric Leyden. Sie hatten Tekener ignoriert. Dass er den beiden intellektuell nicht gewachsen war, wusste er ohnehin, und es störte ihn nicht. Aber eine Gesprächssequenz hatte ihn beunruhigt. Bumipol hatte eher nebenher erwähnt, dass man aus den Gleichungen, welche die Quantenebene beschrieben, die Zeit herauskürzen könne. Tekeners Erinnerungen an seine Schulzeit waren nicht sehr präsent, aber er wusste, dass das nur eins heißen konnte: Zeit existierte nicht wirklich, sondern war nur ein Konstrukt menschlicher Wahrnehmung und Denkvorgänge.

Zeit gibt es also nicht, ging es ihm durch den Kopf. Sie ist eine Illusion. Aber worin befinde ich mich dann ... genau jetzt?

Ebenso glaubte er sich zu erinnern, dass die Passage durch einen Zeitbrunnen angeblich zeitlos ablief, das Ein- und Auftauchen sollten direkt aufeinanderfolgen. Dafür dauerte all dies nun aber zu lange, viel zu lange.

Bedeutet das, dass sich Zeitlosigkeit so anfühlt ... so ewig?, dachte er. Die Vorstellung war beängstigend. Am Ende dieses Wegs lauerte wahrscheinlich der Wahnsinn.

Er wusste, dass hinter ihm eine Katastrophe ungeheuren Ausmaßes den Planeten Archetz zerstörte – wo und wann auch immer dieses »hinter ihm« sein mochte. Ein Experiment der Posbis, die auf der Mehandorwelt Transformkanonen produziert hatten, war infolge von höherdimensionalen Wechselwirkungen furchtbar schiefgegangen. Tekener hatte nur einen vagen Begriff von den dabei entfesselten Gewalten, aber ihm war klar, das Ergebnis würde mörderisch sein. Er hatte Archetz verlassen – und gleichgültig, wo er sich momentan befand, dort tobte die Hölle.

Jessica!

Seine Schwester war direkt hinter ihm gewesen. Sie musste den Zeitbrunnen Sekundenbruchteile nach ihm erreicht haben und in ihn eingetaucht sein. Umgeben von tiefster Dunkelheit, würde er ihre Gegenwart nicht mal dann wahrnehmen, wenn sie nur Millimeter von ihm entfernt war.

Die Schwärze wurde bei diesem Gedanken zu etwas anderem, zu einem Widersacher. Er hätte alles dafür gegeben, seine Schwester berühren zu können, sie zu hören oder nur zu riechen. Sie war immer ein Anker für ihn gewesen, sogar in Zeiten, wenn er das nicht hatte zugeben wollen.

Aber diesmal war da nichts. Im wahrsten Sinne des Wortes: nichts!

Die Angst in ihm nahm Gestalt an. Das Negativ seiner Schwester, ihr Nicht-Dasein.

Gleichzeitig spürte er etwas anderes.

Es war eine Präsenz, wie er sie nie zuvor empfunden hatte. Er war schon an vielen unschönen, gefährlichen und sogar entsetzlichen Orten gewesen. Auf Lashat hatte man ihn zu einem Versuchskaninchen degradiert, er hatte sich zeitweise nicht mehr als Mensch gefühlt. All das jedoch war nichts gegen die Gegenwart dessen, was sich ihm nun näherte.

Es war ein Lauern, vielleicht vergleichbar mit einem nachtaktiven Raubtier, das endlich seine Beute aufgestöbert hat und sich mit tödlicher Geduld heranpirscht.

Da waren Gier und Verlangen, aber auch eine unterschwellige Boshaftigkeit.

Alles in Tekener wollte fliehen. Jede Zelle seines Körpers wollte diesem Reflex nachgeben.

Die Spannung zerriss ihn förmlich.

Das Etwas tastete nach ihm, wie mit langen, nadelspitzen Fingern.

Das ist schlimmer, als Hondro im Kopf zu haben, dachte er panisch. Die Erinnerung daran, nur die Marionette eines fremden Willens zu sein, war wieder da, als sei sie niemals weg gewesen. Das Gefühl, versklavt zu werden, kannte er nur zu gut. Zuletzt hatte er sich auf Lashat daran erinnert, aber das war dieser Heimsuchung nicht vergleichbar.

Was auch immer da nach ihm tastete und gierte, es war anders. Es war größer, es war neugierig auf ihn, es wollte ihn haben; verschlingen, ganz und gar.

So muss sich ein Schwimmer fühlen, wenn er im Maul eines großen Weißen Hais steckt, wenn er die Zähne fühlt, den furchtbaren Druck. Wenn er genau weiß, dass er in einigen Sekunden zerrissen sein wird.

Etwas anderes gefiel ihm genauso wenig. Er empfand etwas wie ... Vertrautheit.

Neugier, ja, aber das Fremde schien zu wissen, wen es vor sich hatte. Ronald Tekener fühlte sich erkannt.

... und da war so etwas wie Sympathie! Etwas freute sich, ihn wahrzunehmen und zu spüren. Er wollte es nicht. Die Aufmerksamkeit klebte an ihm wie Magensäure, die ihn zerfressen würde, wenn er sie nicht loswurde. Es war kaum zu ertragen.

Tekener schrie stumm in die Stille hinein.

Er schrie.

Schrie.

Und schrie.

Und tauchte aus der Schwärze empor ins Licht.

Es blendete ihn. Zumindest für seine Wahrnehmung war die Schwärze des Transfers Realität gewesen. Stöhnend kniff er die Augen zusammen. Durch die Lider sickerte Rot.

Ich sehe mein eigenes Blut, dachte er müde.

Er hörte Wind. Es war ein stetig an- und abschwellendes Pfeifen. Er bekam den Eindruck einer weiten, flachen Ebene.

Er lag auf dem Rücken. Wie er sich aus dem Brunnen geschleppt hatte, konnte er nicht sagen. Alles in seinem Kopf drehte sich, als sei er schwer betrunken.

Ist das bei Aktivatorträgern genauso?, fragte er sich. Ich dürfte eigentlich nicht mehr am Leben sein, wenn ich richtig verstanden habe, was ein Zeitbrunnen tut. Warum also lebe ich?

Ein Antwort blieb aus; wer hätte sie ihm auch geben können?

»Ist da jemand?«, krächzte er mühsam. Mund und Hals brannten, und Magensäure stieg die Speiseröhre hinauf.

Dann endlich öffnete er die Augen. Über ihm glutete ein greller Fleck, eingebettet in feuriges Rot. Es war ein brennender Himmel, im wahrsten Sinne des Wortes.

Was für eine Sonne!, dachte er.

Anschließend wurde Ronald Tekener schwarz vor Augen.

Perry Rhodan Neo 223: Die Planetenmaschine

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