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Vorbereitung auf die Aufgabe

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Eine große Unruhe hat mich des Tags überfallen, dass sogar mein Sohn Helmrad mich besorgt fragte, was mit mir sei. Allein ich kann es mir selbst nicht erklären.

Alles bedrückt mich. Sogar der gewohnte Raum in der Familienhöhle in der Steinenaue lastet schwer auf mir. Ich muss heraus aus dem Berg, hinaus an die Sonne, in den Wald, an den See, den Bach, irgendwo hin.

Nirgends ist mir ein Bleiben. Ruhelos streife ich durch die Gegend, diesseits und jenseits der Chynz. Was ist mit mir? Mehr als sonst spür ich den Schlag meines Herzens. Es pocht bis zum Hals, auch wenn nichts mir eine Anstrengung bereitet. Die Unruhe treibt mich hinauf auf das Dach unsres Berges.

Es dämmert, als ich die kleine Lichtung oben erreiche. Weit reicht mein Blick in das Umland, über die Bäume hinweg bis zu den entfernteren Hängen, hinter denen gerade die Sonne versinkt. Tief atme ich durch und die Last der Nervosität fällt von mir. Endlich geht es mir gut und ich wende mich, wieder hinab zu steigen. Doch augenblicklich ist der Druck wieder in mir. Ich kann nicht gehen, so muss ich bleiben.

Erneut schau ich in die Ferne. Das bringt mir wieder Ruhe zurück. Ich lasse mich auf einem Felsen nieder und lausche dem Gesang der Vögel. Eine frühe Fledermaus flattert an mir vorbei, ihren Hunger zu stillen. Ein leichter Wind rauscht in meinen Ohren. Ich werde müde und falle in Schlaf und ein Traum nimmt mich gefangen.

Ich öffne die Augen und stehe irgendwo. Dichter Nebel umwabert mich. So dicht, dass ich nicht einmal meine Füße sehen kann. Ich spüre keinen rechten Grund unter mir. Mir ist, als schwebe ich. Ich bin unfähig, mich zu bewegen. Nur den Kopf kann ich drehen.

„Waltruda!“, höre ich rufen. Die Nebelschwaden bilden einen Tunnel, in dem langsam ein Zwerg auf mich zu kommt. Ich erkenne ihn, auch wenn ich ihn noch nie persönlich kennen lernen durfte. Es ist Gilbret Steinschleifer, der Seher, der im Krieg gegen die Alben gestorben ist. Hat Gabbro mich im Schlafe zu sich gerufen? Wird der Zwerg mich in die heiligen ewigen Hallen führen?

Gilbret kommt näher und lächelt mich an. Er wirkt wie ein munterer Endvierziger, obwohl er bei seinem Tode schon nahe der 68 war. Er trägt ein weites schmuckloses ungefärbtes Gewand, das nur mit einer Schnur um die Hüfte leicht gebunden ist. Haupt- und Barthaar ist, wie auf dem Relief in unseren Hallen, streng geflochten und endet vorn wie hinten etwa zwei Handbreit unter den Schultern. Seinem Gesicht ist das Leid des Kriegs nicht anzusehen.

„Schön, dass du endlich meinem Ruf gefolgt bist, Waltruda. Ich warte schon lange auf dich.“

„Verzeiht, werter Gilbret, ich hörte keinen Ruf. Ich kam, weil ein innerer Zwang mich dazu drängte.“

„Gilbret ist sichtlich erstaunt. „Man versprach mir, dich für mich zu rufen. Ich hoffe, der Zwang war nicht zu arg und hat deinen Geist nicht allzu sehr verschreckt.“

„Man? Wer ist noch hier? Niemand ist zu sehen und sagt mir bitte: Wo bin ich hier?“

„Du bist noch nicht tot, Waltruda, wenn du das glaubst. Darum kannst du nicht sehen, was dich umgibt. Doch sei beruhigt, nichts wird dir hier geschehen. Ewiger Friede ist hier zu Hause. Und wenn du auch alsbald etwas sehen magst, das dich ängstigt, so wisse, dies ist immer nur ein Bild. Das Böse ist gebannt und kann dir hier nichts tun. Mehr dazu ein ander Mal.

Nun hör und merk dir wohl, was ich dir zu sagen habe. Es ist sehr wichtig für das Zwergenvolk und keinen Fehler darfst du machen. Gott Gabbro selbst hat dich erwählt, das Geschehene zu berichten, ohn jeglich eignen Kommentar. So waren seine Worte.“

Das merkwürdige Gerede des verstorbenen Sehers ist für mich völlig unverständlich und sicher hat man mir dies auch angesehen, denn Gilbret fährt fort: „Nun will ich das mal so ausdrücken, dass auch du das verstehen kannst, Waltruda.

Es sind nun schon viele Jahre vergangen, seit tausende und abertausende unseres Volkes im schlimmen Krieg gegen die Alben verstarben und Utz von Alda mit Zank und Streit uns errettete, nach dem Willen von Gabbro. Eure Gebete jammerten unseren Gott und er beschloss, seinem Volk zu zeigen, wie alles kam und auch warum.

Götter sind mächtige Wesen, doch sind sie noch lange nicht die höchste Stufe aller Lebensformen und selbst gemeinsam können sie nicht alle Geschicke ohne Schwierigkeiten beherrschen. Auch sie sind strengen Regeln unterworfen und können erst unter bestimmten Bedingungen in die Geschehnisse dieser Welt eingreifen. Deswegen musste Gabbro zunächst zusehen, wie sich die Alben entwickelten, ohne das Kommende verhindern zu können. Erst kurz vor unserem Niedergang konnte und durfte er eingreifen.

Selbst wir, die wir hier in seinem Schutz leben, können dies noch nicht begreifen. Auch wir müssen noch lernen, die höheren Regeln zu verstehen. Nach Gabbros Willen sollst nun auch du, werte Waltruda, diesen Weg beschreiten können und mit wachem Verstand Einblick bekommen, was damals wahrlich geschah.

In vielen Nächten wirst du nun Wesen kennen lernen, die dir fremd sind und auch bleiben werden. Viele werden sich dir zeigen, manch einer aber auch nicht. Ein jeder wird dir seine Geschichte bis hin zum Ende dieses Kriegs erzählen, einer mehr, ein anderer weniger. Mancher erscheint nur einmal, mancher auch öfters.

Nach jedem Traum sollst du getreu aufschreiben, was du gesehen und gehört und gespürt hast. Nichts darfst du vergessen und nichts hinzufügen. Mit keinem darfst du darüber reden und keinem zeigen, was du schreibst. Ist das Werk fehlerhaft oder unvollständig, wird es unweigerlich zu Irrungen und Wirrungen im Leben des Zwergenvolkes und letztlich zu seinem Niedergang führen. Fürchte dich nicht, Waltruda, vor dieser hehren Aufgabe. Ich bin bei dir und werde deine Hand führen und dich leiten.

Nun geh und erwache. Besorge alles, was du zum Schreiben brauchst. Lass dir einen großen Kasten machen und ihn mit starken Schlössern versehen. Dort hinein gibst du das Geschriebene und hüte es vor jedem. Ordne die Schriften nach seiner Reihe und dies hier muss die Erste sein. Nur hier und im letzten Gesicht darfst du ergänzen, was dir beliebt. Es ist kein Teil der Schrift an sich. Bist du bereit, so finde dich wieder am Felsen ein, an dem du erwachen wirst Ich werde dich erwarten und holen zum nächsten Gesicht.“

Der Nebel wird sehr schnell wieder dicht und Gilbret ist nicht mehr zu sehen.

Als ich erwache liege ich im Moos neben dem Felsen, auf dem ich mich niedergelassen hatte. Es ist Nacht. Der Mond ist verdeckt und ich weiß nicht, wie lange ich hier gelegen habe. Mir ist kühl und darum eile ich, in den Berg zu kommen. Gleich morgen werde ich mich rüsten das aufzuschreiben, das man mir berichten wird. Ich weiß nicht, was mich erwartet.

Damit ich nicht Gefahr laufe, mit irgendwem über das Werk zu sprechen, werde ich mich zurück ziehen und meinen lieben Sohn in die Obhut seines Onkels geben. Ich weiß nur noch nicht, was ich ihm deswegen sagen soll. Möge Gabbro mir die rechten Worte in den Mund legen, sonst wird keiner mein Handeln verstehen. Vielleicht ist es gut zu sagen, die Trauer um meinen geliebten Mann, den ich kürzlich erst verlor, treibe mich allein zu sein.

* * * * *

Mein Sohn ist ein guter und folgsamer Zwerg, der auf das Wort seiner Mutter hört. Mein Bruder hat nicht einmal gefragt, warum er Helmrad aufnehmen soll. „Du brauchst jetzt sicher viel Zeit für dich. Sei getrost, ich kümmere mich.“

Herzlich hat Helmrad mich gedrückt, doch kein Wort kam über seine kleinen Lippen. Wie weh ist mir ums Herz. Doch sogleich fühle ich einen tröstend warmen Geist mich umhüllen.

Wohlan Gilbret, ich bin bereit. Ich gehe zum Felsen auf des Berges Dach.

Utz wider die Alben

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