Читать книгу Utz wider die Alben - Rainer Seuring - Страница 7

Arme Nordlinger

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„Heute muss ich selbst erzählen, was weiter geschah, liebe Waltruda.

Es verging eine so lange Zeit, dass es auf Erden noch keinen Namen dafür gibt. Die Alben lebten in ihrer Verbannung tagein tagaus und es veränderte sich nichts.

Natürlich legten Sie alles daran, ihrer im Krater versenkten Macht wieder in irgendeiner Form habhaft zu werden. Doch sie konnten sich nur bis auf Sichtweite dem Vulkan nähern. Die gebündelte Kraft aller Alben war derart mächtig, dass es sie ein Leben kostete näher heran zu treten.

Danach versuchten sie herauszufinden, wie weit sie sich von der Insel entfernen könnten. An manchen Stellen erreichten sie aber nicht einmal die Küste ihres Gefängnisses. Fast augenblicklich spürten sie, wie sie von allen körperlichen Kräften verlassen wurden, machten sie nur wenige Schritte über diese unsichtbare Grenze hinaus. Selbst wenn also das Meer gänzlich zufrieren würde, wären sie an die Vulkaninsel gebunden. Entkommen absolut unmöglich.

Erst viel später kamen andere böse Wesen, vornehmlich Menschen, die für eine gewisse Zeit das Los der Alben teilen mussten, weil sie gegen die göttlichen Gesetze unverzeihlich verstoßen hatten. Für Alamon und sein Gefolge waren diese Bestraften nichtswürdige Genossen, die eher zu ihrer Kurzweil dienten. Sie misshandelten sie und vergnügten sich an ihrem Leid. Sie mussten den Alben dienen und für sie sorgen. Diesen, von den Göttern zur Sühne, Verbannten war es zwar möglich, an allen Stellen die Küste zu erreichen, denn nur das Meer hielt sie auf, doch auch sie konnten sich dem Krater nur unwesentlich mehr nähern. Anscheinend war kein Lebewesen befähigt, auf den Berg zu steigen.

Und die Erde versuchte ständig weiter, sich der bösen Macht der Alben zu entledigen. Immer wieder kam es zu gar fürchterlichen Explosionen, die heiße Lava ausspie und grässlichen dreckigen Staub bis weit über die Wolken hinaus schleuderte.

Dann geriet das Bündnis der Götter aus den Fugen. Ihre Schöpfung entwickelte sich derart, dass es ihnen nicht gefiel und sie keinen Spaß mehr an ihren Kreaturen hatten. Sie vernachlässigten zum Teil ihr Werk und erhörten das Flehen ihrer Wesen nicht mehr.

Da erhob sich einer über die Götter, der mächtiger war, als sie alle zusammen. Er sah auf das Werk und war sehr unzufrieden. Dieser mächtige Eine schimpfte die Götter, deren Werk mangelhaft war und jagte sie fort. Daraufhin waren einige der Gerügten so erzürnt, dass sie einen großen Brocken aus dem Firmament rissen und diesen auf die Erde schleuderten, ihr Werk gänzlich zu vernichten, bevor sie flüchteten. Aber die Erde hatte sich schon so sehr verändert, dass das Vorhaben misslang. Der Fels zersplitterte hoch über dem Kontinent und viele Stücke verbrannten bevor sie Schaden anrichten konnten oder fielen in das große Meer. Nur das größte Stück schlug den Boden hart und grub ein tiefes Loch. Der Aufschlag war so heftig das sich die Erdmassen in Bewegung setzten und so entkamen viele Geschöpfe. Trotzdem ward fast alles Leben auf der Erde vernichtet.

Der mächtige Eine sah, wie sich langsam die böse Macht von ihrer Insel über die Erde verteilte. Er sah aber auch, dass die Alben selbst dies noch nicht bemerkt hatten. Und er erkannte, was in Zukunft geschehen werde. Also schickte er sich an, die Menschen neu nach seiner Vorstellung zu erschaffen und er gab ihnen von Anfang an das Wissen um Gut und Böse mit. Und er gab ihnen Gesetze, wie sie sich verhalten sollten. Dann ließ er sie Erfahrungen des Lebens sammeln und regelte nur ab und an. Er baute auf das größere Verständnis der neuen Menschen und hoffte auf den Reifeprozess, der sich nach seinem Willen einstellen sollte.

Natürlich trafen sich alte und neue Menschen und tauschten sich aus, was sie gelernt hatten. Auf diese Weise blieb auch das Wissen um die alten Götter erhalten, die es seit langem bis auf wenige Ausnahmen nicht mehr gab.

Die Götter, deren Werk gut geheißen wurde und die mit Liebe ihre Geschöpfe versorgten und behüteten, hieß der mächtige Eine, mit ihrer Arbeit fortzufahren. Sie mussten sich aber getreu an die vereinbarten Gesetze der Götter halten, die den Bestand der Welt garantierten. Ihre Änderung hätte unweigerlich das Ende der Erde bedeutet. Zu diesen Göttern gehört bis auf den heutigen Tag auch Gabbro, unser Zwergengott.

Auch das Urteil über die Alben behielt Bestand. Der mächtige Eine nutzte dies dazu, die Geister seiner neuen Menschen zu formen. Jeder, der im Leben fehlte, wurde mehr oder weniger lang zur Buße zu den Alben verdammt. Und so geschieht dies bis auf den heutigen Tag.

Den Elben gab der Eine eine Heimat in den Bergen von Schambala, wo sie in Frieden leben und nur noch in seinem Auftrag in die Welt ziehen, um regulierend in das Geschehen einzugreifen. In ihrer Abgeschiedenheit hoffen sie bis heute, ihre Zahl wieder herstellen zu können. Es will ihnen aber nicht gelingen, wie es scheint.“

„Das ist aber sehr schade.“, finde ich, die ich sehr aufmerksam gelauscht und mir alles gemerkt habe. „Sicher wäre das Leben vor dem Fall der Alben dem heutigen vorzuziehen.“

„Das wissen nur die Götter. Brauchst du nun Zeit, meinen Bericht aufzuschreiben oder fühlst du dich bereit, noch mehr zu erfahren?“

„Ich bin bereit für mehr, werter Gilbret.“

„So höre und sehe und merke wohl.“

* * * * *

„Nun wirst du in eine ganz andere Welt eintauchen, Waltruda. Dies hier ist ein Nordlinger, der vor sehr vielen Jahrhunderten lebte. Zu einer Zeit, da die Alben noch auf ihrer Insel gefangen saßen, aber doch schon andere böse Seelen bei ihnen waren.“

Neben Gilbret Steinschleifer erscheint ein Mann, der gut zwei Köpfe größer ist als der Zwerg, trotz einer leicht gebeugten Haltung. Er ist breitschultrig, hat eine wetterbraune Haut und starke Arme und Beine. Kaum dass ich ihn erblicke, zeigt sich mir auch schon ein Bild, das mir der Mann erklärt.

„Das bin ich, als ich im zweiundzwanzigsten Winter lebte.“

Ich sehe eine große Zahl von Menschen und wie um mir die Person zu verdeutlichen, ist kurz ein helles Licht auf sie gefallen und ich erkenne meinen Erzähler. Die pechschwarzen Haare, die zu einem lockeren Zopf gefasst sind, sind stammesüblich. Im Grunde ist er ein Mann, der in der Menge nicht sonderlich auffällt.

„Mein Name ist für deine Zunge fast unaussprechlich. Er bedeutet: Der den Lachs mit der Hand fängt. Wir erhalten unsere Namen immer erst, wenn wir etwas Besonderes getan haben und der Rat der Alten uns für reif hält, in den Kreis der Erwachsenen aufgenommen zu werden. Dies habe ich getan und so wurde ich seit dem genannt. Ich bin erst vor kurzer Zeit dazu berufen worden. Um es dir einfacher zu machen, nenne mich Lachsfänger.“

„So werde ich gerne tun, Lachsfänger.“

„In diesem Moment sind wir gerade am Ende unserer Flucht vor dem Feuer.

Einst hatten wir unser Lager an einem breiten Fluss, der voll von leckeren Fischen war. Viele hundert Köpfe zählte damals unser Stamm. Wir waren ein stolzes Volk und folgten den Zeichen, die uns unser Gott Wakan-Tanga sendete. Unser Medewiwin war sehr gut darin, diese Hinweise zu lesen. Allerdings benötigte er die Hilfe seiner Tochter Morgentau, uns diese mitzuteilen. Er verlor vor Jahren durch einen Sturz in den Bergen seine Sprache. Darum wurde sein Name geändert in Stummer Fisch.“

Begleitend zu Lachsfängers Erzählung sehe ich die dazu gehörenden unbewegten Bilder.

Auf einer großen Lichtung liegt die Siedlung dieser Menschen nahe an einem sehr breiten, langsam fließenden Gewässer. Sie leben in merkwürdigen Hütten. Eine Anzahl von langen Stangen sind in einem Kreis aufgestellt und oben, wo alle Hölzer zusammen kommen, miteinander verbunden. Darüber sind große Lederplanen geworfen, die vor Wind und Regen schützen. Oben ist eine Klappe gebildet, die bei manchen Behausungen offen ist, um den Rauch des Feuers heraus zu lassen.

Zwischen diesen Hütten, die sie Wi-Kiwa nennen, wie ich ohne weitere Erklärung plötzlich weiß, herrscht reges Treiben. Kinder laufen spielen herum, Frauen gehen ihren Arbeiten nach und alte Männer sitzen Pfeife rauchend um ein Lagerfeuer. Gerade kommt eine Gruppe von Männern zurück. Sie tragen ein großes Tier, das einem heutigen Pferd nicht unähnlich ist, als Jagdtrophäe an Stangen gebunden, zwischen sich ins Lager. Ihre Waffen sind lanzenähnlich und einige haben Pfeil und Bogen über der Schulter hängen.

Bekleidet sind diese Menschen mit Hemden und Hosen und Röcken aus Leder, die mit Röhrenknochen oder Lederfransen verziert sind. An den Füßen sehe ich leichte Schuhe aus weichem Leder, die mit dünnen Bändern oder Schnüren gebunden sind.

Die Haare tragen sie offen oder leicht gebündelt, aber nicht geflochten. In diese Bündel haben sich manche Federn als Schmuck gesteckt.

Nicht unweit des Lagers sehe ich Felder, auf denen sie Getreide anbauen. Das Dorf muss schon sehr lange hier bestehen.

„Doch zurück zu unserer Flucht.“, fährt Lachsfänger fort. „Wir lebten also im Lager am Fluss. Unsere Wachen entdeckten auf der anderen Seite im Wald Rauch, der sich langsam näherte. Wir wussten also, dass sich dort ein Feuer vorwärts fraß. Dies war normaler Weise nichts Besonderes. Das kam immer wieder einmal vor, wenn der Sommer besonders heiß und trocken war. Trotzdem hieß unser Häuptling die Wachen, weiter die Rauchsäule nicht aus den Augen zu lassen.

Des Nachts wurde der Brand so groß, dass nun auch ein Feuerschein den Himmel über dem Wald erhellte. Häuptling Adlerblick besah es sich, nachdem ihn die Wachen geweckt hatten, hielt es aber noch nicht für gefährlich. Leider ein gewaltiger Irrtum. In der zweiten Nachthälfte kam ein Wind auf, der die Flammen weiter anfachte und als wir des Morgens durch die Wächter mit einem Alarmruf geweckt wurden, konnte man schon das Prasseln des brennenden Waldes hören. Unzählige Tiere brachen zwischen den Bäumen hervor und suchten ihr Heil in der Flucht durch den Fluss. Viele schwache und kleine Tiere ertranken und wurden von den Fluten fort gerissen. Andere waren derart von der Situation verwirrt, dass sie zurück in die Flammen eilten.

Kaum, dass wir unser Hab und Gut zusammen gerafft hatten stand das gegenüber liegende Ufer in hellen Flammen und der immer noch starke Wind trug den Funkenflug trotz der gewaltigen Breite des Stromes bis auf unsere Seite herüber. Es wurde augenblicklich sehr heiß. So schnell unsere Beine es erlaubten, flüchteten wir vor dem Feuer. Die Alten und Kranken und kleinen Kinder wurden gestützt oder getragen. So mancher alter Krieger ergab sich seinem Schicksal und schickte uns fort. Sie wollten uns nicht behindern und opferten ihr Leben. Möge Wakan-Tanga sie in den ewigen Jagdgründen verwöhnen.

Tagelang flohen wir, stets das unbändige Flammenmeer auf den Fersen. Tag und Nacht waren wir auf den Beinen. An Ruhe war nicht zu denken. Immer schwächer wurde unser Volk und nicht wenige brachen zusammen, unfähig, die Flucht fortzusetzen. Keiner mehr war stark genug, ihnen beizustehen oder gar zu helfen. Erst als der Wind drehte und das Feuer auf die verbrannte Erde zurück trieb, wo es nichts mehr zu verbrennen gab, konnten wir es wagen, Halt zu machen. Vor uns lag eine scheinbar grenzenlose fast öde Graslandschaft. Hinter uns flackerten immer noch ein paar Glutnester über der schwarzen Erde. Wenige ausgebrannte Bäume hielten sich noch aufrecht. Es schien, als wollten sie uns warnen, ja nicht zurückzukehren.

Völlig erschöpft lagerten wir uns einfach dort, wo wir standen.“

Lachsfänger macht hier eine Pause in seinem Bericht und ich bin völlig gebannt und damit beschäftigt, die dazu gesehenen Bilder zu verarbeiten.

Als das Feuer über den Fluss sprang, packten die Frauen ihre Sachen in große Ledertragen, einem offenen Sack gleich, die sie sich auf die Schulter warfen und mit einem Band über die Stirn nur mit der Kraft des Nackens trugen. Die Männer hatten die Stangen ihrer Behausungen zu Tragen mit Lederplanen dazwischen zusammen gebunden und darauf die Felle, Nahrungsmittel und sonstige Habe gebündelt abgelegt, die sie hinter sich herzogen. Mit dem breiten Band um die Stirn oder der Brust und zwei der Stangen in den Händen zerrten Sie ihre Last über den holprigen Boden. Die Frauen, die noch Säuglinge hatten, trugen diese, fest gewickelt, auf einem Wiegebrett. Dann musste sie ihre Sachen, wie ein Mann auf Stangen ziehen. Die lauffähigen Kinder mussten sich an den Tragestangen festhalten, um Schritt zu halten oder wurden von größeren Geschwistern an der Hand hinterher gezerrt, dass die kleinen Beinchen kaum folgen konnten. Bei den Männern lag oftmals auch ein alter Mensch zwischen den Stangen, der mit ängstlichem Blick und lautem Gejammer das nahende Feuer verfluchte.

Entsetzlich und herzzerreißend musste ich mit ansehen, wie sich ein alter Mann unter großer Mühe während des Marsches aus seiner Trage stürzte, um es seinem Sohn leichter zu machen. Anfangs noch sahen sich die Kinder um, wurden aber von den Alten fortgeschickt, die Familie zu retten. Fast lautlos starben die Zurückbleibenden. Einen sah ich, der sich noch aufraffte, einen neben ihm liegenden dicken Ast als Stütze nehmend aufstand und wankend, die Arme stolz ausgebreitet, auf das Flammeninferno wartete. Das Feuer war schneller heran, als er stürzen konnte.

Mein Blick verschleiert sich vor all der Tränen, die ich darüber vergieße. Gar fürchterlich ist das Geschehen.

„Ich denke, für diesmal ist es mehr als genug.“, schaltet sich nun Gilbret ein und schickt mich zurück.

* * * * *

Die Niederschrift des Gesehenen nimmt mich erneut heftig mit und immer wieder muss ich unterbrechen, da ich mich der Tränen nicht erwehren kann. Mir wird eine traumlose Nacht der Erholung gewährt. Fast den ganzen folgenden Tag verschlafe ich, derart erschöpft bin ich.

* * * * *

„Willkommen zurück, Waltruda.“, begrüßt mich Lachsfänger. „Dein Mitgefühl für mein Volk ehrt dich sehr. Ich hoffe, dies wird sich nicht ändern, wenn du nun unseren weiteren Leidensweg erfährst, wo doch auch dein Volk unter den Nachfahren meines Stammes zu leiden hatte.“

Jetzt erst wird mir wieder bewusst, dass Gilbret mir den Mann als Nordlinger vorstellte, also einen jener Krieger der Alben, die uns Zwerge später im großen Krieg bekämpften. Sein gänzlich anderes Aussehen hat mich dies völlig vergessen lassen.

Ich habe keine Gelegenheit, darauf etwas zu erwidern, denn schon beginnt Lachsfänger.

„Die Ältesten und viele der kleinen Kinder haben diese Flucht nicht überlebt. An so manchem Kleid oder Hemd haben Flammen genagt. Wenige haben mehr als das eigene Leben retten können.“

Wie ein Geist scheine ich zwischen den Menschen zu stehen.

„Höret meine Worte!“

Häuptling Adlerblick ist aufgestanden und macht auf sich aufmerksam. Er hat seinen rechten Arm erhoben, an dem das Lederhemd nur noch in Fetzen hängt. Ein Tuch wurde um eine Brandwunde gewickelt.

„Ein jeder von uns hat durch das rasende Feuer große Verluste erlitten, sei es Vater oder Mutter oder Mann oder Weib oder Kind. Groß ist die Trauer, die jeden von uns ergriffen hat. Keiner soll diese seine Lieben vergessen, aber bedenkt: Wir leben noch und dafür müssen wir Sorge tragen. Lasst uns zusammentragen, was noch vorhanden ist. Alles, was an Nahrung noch genießbar ist, bringt hier auf diese Seite.“ Dabei zeigt er nach rechts. „Schnatternde Gans und Bärenpranke, ihr ordnet und sichtet, was gebracht wird.“

Wie ich von Lachsfänger gelernt habe, geben die Namen der Menschen ihre Eigenschaften oder Leistungen wider. Darum ist klar, weswegen Schnatternde Gans seinen Namen trägt. Jedem auf seinem Weg zu seinem Platz muss der etwas schmächtige Mann berichten, dass der große Häuptling ihn mit einer Aufgabe betraut hat und welche Ehre dies doch ist.

Bärenpranke hingegen könnte tatsächlich einen kleinen Bären darstellen. Mit leicht tapsenden Schritten geht der breite starke Mann mit den unglaublich großen Händen zum Häuptling vor.

„Alles was ein Wi-Kiwa werden kann, bringt dorthin.“ Dabei zeigt er auf seine linke Seite. „Zwei-Federn Geier und Skunk, seht, was vorhanden ist und sorgt dafür, dass zumindest die Bedürftigen unter kommen.“

Weil sich mir die Namen der beiden Letztgenannten nicht sogleich erschließen, höre ich, wie mir Lachsfänger diese erklärt. „Zwei-Federn-Geier will von jeder Beute das Meiste für sich. Also ist er wie ein Geier und auch beim Haarschmuck ist ihm eine Feder nicht genug.

Skunk hat einmal auf der Jagd ein Stinktier mit einem Dachs verwechselt und dabei die gesamte stinkende Wolke des Tieres abbekommen. Es hat sehr lange gedauert, bis er wieder ins Dorf durfte, weil der Gestank weg war. Den Namen wird er wohl nie wieder los, gleich was er tut.“

Adlerblick spricht weiter: „Heulender Kojote, Adler-Einauge und große Steinaxt, ihr werdet mit den Männern die Umgebung erkunden und auf Jagd gehen. Ich brauch euch bestimmt nicht zu sagen, dass wir hier in unbekanntem fremdem Gebiet sind. Achtet auf alles und lasst euch nicht entdecken. Wir sind noch nicht in der Lage, Krieg mit einem anderen Stamm zu führen.“

Mit einem Wink beendet er seine Ansprache und wendet sich dem neben ihm liegenden alten Medewiwin zu. Ernst und nahezu vorwurfsvoll sieht er ihn an.

„Wie konnte das geschehen, Stummer Fisch? Gab es keine Anzeichen oder Warnungen? Oder bist du nun nicht mehr nur stumm sondern auch blind? Wakan-Tanga, unser Gott, hat uns doch nicht verlassen, oder?“

Ärger, Enttäuschung und viel Hilflosigkeit schwingen in seinen Worten mit. Fast tut ihm der alte Mann leid, der kaum in der Lage scheint, sich jemals wieder zu erheben. Doch offensichtlich kann man sich in diesem Volk sehr täuschen.

Mit Empörung im Blick ist der Alte, mit Hilfe seines dicken Holzstabes, wieder auf den Beinen. Der Stab ist Zeichen seiner Würde. Oben ist eine Steinspitze befestigt, darunter ein Sammelsurium aus kleinen Fellen, Federn und anderen Dingen. Wild gestikuliert Stummer Fisch, wobei er sich vor die Stirn schlägt, die Hand vor die Augen legt, zum Himmel zeigt und so weiter. Es geschieht so schnell, dass ich nicht in der Lage bin zu begreifen, was das nun soll.

Die Erklärung kommt von seiner zarten Tochter Morgentau, die die Flucht vor dem Feuer anscheinend ohne Schwierigkeiten bewältigen konnte. Das Mädchen muss enorme Kraft und Stärke haben.

„Mein Vater sagt, Ihr, Häuptling Adlerblick, seid wohl von Sinnen. Die Flucht muss euch die Sinne vernebelt haben, solche Rede mit mir zu führen. Er sieht noch sehr gut, was Wakan-Tanga ihn sehen lässt. Doch wo kein Feuer ist, ist auch kein Rauch zu sehen. Also waren da auch keine Anzeichen oder Warnungen unseres Gottes. Das alles ist aber noch lange kein Grund, an ihm zu zweifeln. Wenn ein Gott es für angebracht hält, wird er seinem Volk schon Zeichen geben. So lange wird ein erwachsener Krieger sich doch wohl selbst beschützen können. Oder hat unser Häuptling das in den letzten Tagen verlernt? War er nicht der Meinung, das Feuer wäre keine Gefahr für uns? Wer ist denn nun der Blinde von uns beiden?“

Sie spricht geradeso zornig, als habe der Häuptling sie selbst heftig angegriffen. Ihr Blick spuckt Gift und Galle.

In des Häuptlings Augen blitzt es verdächtig, als er zwischen Vater und Tochter hin und her blickt. Seine rechte Faust ballt sich vor Zorn. Die Umstehenden, die die Auseinandersetzung mitbekommen, weichen unwillkürlich einige Schritte zurück. Sie spüren die Spannung, die sich zwischen den Kontrahenten aufbaut. Beide sind gleichrangig im Stamm und damit ist der Medewiwin der Einzige, der überhaupt ein Widerwort gegenüber dem Häuptling erheben darf. Das schmeckt Adlerblick überhaupt nicht, doch er muss den Vorwurf des alten schlucken, denn leider hat er recht und das zu verleugnen, würde sein Ansehen schädigen. Nichts ist diesem Volk so wichtig, wie die Wahrhaftigkeit.

Er schluckt tatsächlich und seine Faust öffnet sich wieder. Gequält ruhig spricht er:

„Wenn also dein Blick ungetrübt ist für die Zeichen unseres Gottes, so sage mir, was er uns mitzuteilen hat.“

Erneutes wildes Gestikulieren ist die Antwort und schon bevor Morgentau zu antworten beginnt, dreht er sich um und verlässt die lagernden Menschen.

„Ich werde sehen, was mich Wakan-Tanga sehen lässt. Kümmere dich um den Stamm, ich kümmere mich um Gott.“, übersetzt sie schnell und eilt ihrem Vater hinterher.

„Es wird Zeit, dass der Alte sein Wissen an einen Jüngeren weiter gibt und dieses böse junge Weib endlich wieder sein Maul halten muss.“ brummelt der Häuptling und wendet sich den Sammlungen zu. Er kann die junge Frau nicht leiden, wohl auch, weil sie durch ihren Vater ein großes Ansehen im Stamm geniest.

Stummer Fisch hat sich einen Platz erwählt, auf dem er mit Steinen einen Kreis auslegt und in dessen Mitte er aus ausgesuchten umliegenden Hölzern einen Haufen errichtet.

Morgentau hat schon die Feuersteine geholt und einige kleine Lederbeutel, von denen der Medewiwin sich einen erwählt. Dann entzündet er das Feuer, setzt sich mit verschränkten Beinen an den Rand des Steinkreises und wirft ab und zu eine Prise des Pulvers in die Flammen. Dabei achtet er darauf, den Rauch inhalieren zu können. Er beginnt leise eine merkwürdige Melodie zu singen, die mich fast an ein Jammern erinnert.

* * * * *

Ich löse mich aus dem Geschehen und kehre wieder zurück zu Lachsfänger.

„So wird er nun einige Tage sitzen. Wenn das Singen verstummt und er kein weiteres Pulver ins Feuer einstreut, spricht er mit unserem Gott. Es ist dann, als würde er schlafen, doch er fällt dabei nicht um.“, erklärt er mir.

„Und Trinken? Und Essen?“, frage ich entgeistert.

„Nichts. Jegliche Regung stört ihn jetzt nur. Seine Tochter wird sich ihm nicht nähern und auch niemand anderes aus dem Stamm. Es muss schwer sein, mit Gott zu reden. Ich mein so richtig reden, dass man auch eine Antwort erhält, wenn du verstehst.“

Oh ja, ich verstehe ihn. Wie oft habe ich schon zu Gott Gabbro gebetet und keine Antwort erhalten.

„Er wird Tage so sitzen, sagt ihr. Das ist aber doch gefährlich, nicht wahr?“, will ich wissen.

„Natürlich, doch so ist seine Aufgabe. Er wurde von seinem Lehrer und Vorgänger dazu erwählt, nachdem er gewisse Geschicklichkeiten bewiesen hatte. Unser alter Medewiwin ist bei solch einer Unterhaltung mit Gott gestorben. Er ist einfach nicht umgefallen. Stummer Fisch wollte nach ihm sehen, weil es denn doch schon sehr lange dauerte. Er fand ihn auf seinem Gebetshügel, da kamen schon Maden aus seiner Haut.“

Mich schaudert. Ein merkwürdiges Volk.

„Die nächsten Tage kann ich abkürzen. Der Stamm wartet auf die Anweisungen Wakan-Tangas. Derweil haben die Jäger nicht nur reiche Beute gebracht, sie haben auch heraus gefunden, dass wir weit und breit die Einzigen sind, die hier wohnen. Völlig ungefährdet erholen sich alle wieder. Und auch wenn die Trauer über die Verstorbenen immer noch groß ist, so geht doch das Leben wieder seinen gewohnten Gang. Häuptling Adlerblick hat zunächst keine Veranlassung, das Lager abbrechen zu lassen.

Es kommt der Tag, da Stummer Fisch sich wieder bewegt.“

Augenblicklich bin ich wieder zwischen den Menschen und höre gerade ein sonderbares Gurgeln. Es kommt aus der Richtung, in der der Medewiwin sitzt. Sofort ist Morgentau neben ihm und reicht ihm zu trinken. Mit großen Schlucken leert er die Schale. Dann erhebt er sich ohne jegliche Hilfe und Stütze, als habe er nicht tagelang in dieser seltsamen Haltung gekauert, und schreitet auf den Stamm zu. Eiligst haben sich alle neugierig vor ihm eingefunden. Adlerblick muss sich erst einmal einen Weg nach vorne bahnen.

Erhaben wartet der Alte, die Aufmerksamkeit genießend. Dann beginnt er in seiner Zeichensprache und seine Tochter erklärt mit lauter Stimme:

„Nach dem Willen unseres Gottes sollen wir hier lagern bis der Winter anbricht. Wir sollen so viel Jagen und Vorräte anlegen, wie wir nur können und später zu tragen vermögen. Sammelt Holz und Früchte in großer Menge. Es wird sehr kalt werden. Fertigt dichte warme Kleidung. Wenn der erste Schnee fällt, brecht nach Norden auf. Die Wi-Kiwa lasst zurück. Die Felle darum nehmt zum Schutz vor Kälte mit. Ihr werdet sehr lange und nur mit wenig Sonne wandern. Grüne Lichter werden euch den Weg weisen. Wandert, denn ihr werdet erwartet.“

An manchen Stellen stockt die Tochter mit ihrer Übersetzung und erhält jedes Mal einen auffordernden Rempler von ihrem Vater.

Nachdem alles gesagt ist, wendet sich Stummer Fisch um und lässt sich zum Wi-Kiwa führen, das schon lange fertig ist. Sonderbare Abbildungen sind darauf zu sehen. Wo andere mit Jagd- und Kampfesbildern, vermutlich die ruhmreichen Taten ihrer Bewohner, verziert sind, sehe ich dort nur unklare Symbole. Lediglich Sonne und Mond kann ich erkennen.

* * * * *

Lachsfänger hat mich wieder zu sich geholt und erzählt.

„Zwei Tage lang hat man den Medewiwin anschließend nicht mehr gesehen. Erst danach war er soweit bei Kräften, dass er wieder, auf seinen Stab gestützt, gehen konnte.“

Das Lager mit seinen Menschen um mich herum ist verschwunden.

„Das waren aber deutliche Worte. Spricht euer Gott immer so, wie soll ich sagen, ausführlich und klar mit euch?“

„Nein, Waltruda. Auch für uns war das neu. Aber gegen die Anweisungen Wakan-Tangas gibt es keine Wiederworte. Denen muss sich auch ein Häuptling unterwerfen.

Sogleich begannen wir, uns mit allem zu versorgen, was benötigt werden würde. Wild gejagt, gehäutet und zu Kleidung verarbeitet, Fleisch und Fisch getrocknet und alles sonst noch so. Schon fürchteten wir, des Guten zu viel getan zu haben und das Fleisch würde uns verderben, da begann es zu schneien. Das Lager wurde abgebrochen und alles so zusammen gepackt, dass es getragen werden konnte.

Wohl geordnet machten wir uns auf den Weg. Tagelang wanderten wir gegen den Wind und den Schnee. Dick in Kleidung und Decken gehüllt, mit dicht geflochtenen Schneeschuhen an den Füßen, stapften wir, jedem Wetter zum Trotz, gen Norden. Wir hatten uns die Augen verbunden und nur noch kleine Schlitze zum Sehen gelassen. Der Wind biss in die Haut, die Flocken machten uns weinen. Und wehte es einmal nicht, dann war das gleisende grelle Weiß des Schnees so blendend, dass man nichts mehr sehen konnte.

Keine Klage kam über unsere Lippen. Selbst die wenigen Kinder, die wir noch hatten, kämpften sich verbissen neben ihren Eltern voran. Manch einer war froh, die Alten auf der Flucht vor dem Feuer verloren zu haben. Nicht, weil sie eine Last gewesen wären, sondern weil die Anstrengung sie völlig überfordert hätte.

Die Gegend war trist und langweilig. Kein Hügel sorgte für Abwechslung, kein Baum, kein Wasser. Nichts. Nur Eis und Schnee.

Wäre Stummer Fisch nicht stumm gewesen, hätte man sagen können, er würde schweigsam. Immer weniger gab er seiner Tochter ein Zeichen. Immer gebeugter ging er, völlig in sich gekehrt. Auf Fragen des Häuptlings schüttelte er nur unwirsch den Kopf. Dann drängte sich Morgentau zwischen die beiden Männer und schirmte ihren Vater ab.

Eines Nachts, ich nehme an, es war gerade Nacht, denn es war schon lange nicht mehr so recht hell geworden, sahen wir zum ersten Mal die grünen Lichter am Himmel. Wunderschön anzusehen. Doch als habe Stummer Fisch Schreckliches erblickt, beginnt er aus Leibeskräften zu schreien. Wakan-Tanga hatte ihm die Stimme zurück gegeben.

Lüge, Betrug, Verrat. Bösartige Täuschung. Hütet euch vor dem schwarzen … , schrie er. Es waren seine letzten Worte. Dann brach er auf der Stelle tot zusammen. Was er mit seinen Worten gemeint hat, sollten wir erst viel später erfahren.“

„Ich fürchte, ich ahne schon, was er meinte.“, entfährt es mir.

„Das glaube ich wohl, Waltruda. Nur was sollten wir Unwissenden auch tun? Wir waren in großer Not. Unser Medewiwin, das Sprachrohr zu Wakan-Tanga, war nicht mehr. Ein Nachfolger war nicht bestimmt und angelernt worden. Seine Tochter darf diese Aufgabe nicht übernehmen, auch wenn sie es wohl kann. Es muss ein Mann sein. Sie darf von nun an ihre Stimme nicht mehr im Rat erheben.

Unsere Vorräte sind schon fast aufgebraucht, ein Zurück gibt es darum nicht für uns. Häuptling Adlerblick versammelt die Ältesten zum Rat um sich. Wir anderen stehen im Kreis drum herum.“

Ich stehe mit im Kreis und sehe und höre, als sei ich eine von ihnen.

„Hört mich an, ihr Männer des Rates.“, spricht Adlerblick vernehmlich. „Wir sind in einer sehr schlechten Lage. Unser Medewiwin ist in die ewigen Jagdgründe gerufen worden. Es ist zwingend notwendig, alsbald einen Nachfolger für ihn zu bestimmen. Leider hat er sich bis jetzt keinem Manne anvertraut und ihn in die Geheimnisse seines Tuns eingeweiht. Seine Tochter Morgentau ist mit Abstand diejenige, die in allem unterwiesen ist. Ihr aber sind jegliche Handlungen untersagt. Wenn ich mich in eurem Kreise umsehe kommt nur einer in Frage, den Platz von Stummer Fisch einzunehmen.“

Langsam blickt er suchend in die Runde, bis sein Blick auf einem hängen bleibt. „Lachsfänger!“, ruft er vernehmlich. „Du hast als kleiner Knabe schon in seinem Wi-Kiwa gesessen und ihm bei vielerlei Verrichtungen geholfen. Du sollst unser neuer Medewiwin sein.“

Ich höre die Gedanken meines Erzählers in meinem Kopf.

„Mir ist, als habe mich der Schlag gerührt. Stocksteif stehe ich und kann mich vor Schreck nicht rühren. Dies wird wohl allseits als Einverständnis gewertet. Zustimmendes Gemurmel wird laut. Ich versuche, etwas zu sagen, doch unser Häuptling spricht schon weiter.“

„Ich höre keinen Widerspruch aus dem Rund des Rates. So soll es also sein. Morgentau, bringe dem neuen Medewiwin die Zeichen seines Amtes.“

Die Frau schickt sich an, dem Befehl Folge zu leisten und geht zu dem Leichnam ihres Vaters, seinen Stab und den Büffelschädel, den er stets trug, zu holen.

„Wir alle wissen, dass du, Lachsfänger, erst noch Zeit brauchst, dich in dein Amt einzufinden, darum sage ich: Nimm Morgentau zu deinem zweiten Weib. Sie soll dir helfen, alles zu lernen.“

Nun ist es an ihr, vor Schreck und Überraschung zu erstarren. Auf der Stelle dreht sie sich um und schaut voll Empörung Adlerblick an.

„Es ist richtig, dass Morgentau nun einem Mann übergeben werden muss.“, erklären mir Lachsfängers Gedanken. „Es gibt auch genügend Krieger, die ihr Weib während der Flucht verloren haben. Aus diesem Grund darf eigentlich kein anderer Mann eine Zweitfrau haben. Ich erkenne die List, der sich unser Häuptling bedient. Als zweite Frau eines Kriegers hat sie weniger Rechte als die Erste. So hat ihr Adlerblick im Grunde ihren Status genommen, den sie zu Lebzeiten ihres Vaters hatte. Ich sehe in die Augen von Morgentau und erkenne darin Tränen der Wut und Ohnmacht. Lieblicher Sonnenstrahl, mein Weib, schaut im Moment auch nicht mehr sonnig und lieblich. Zu engen Schlitzen haben sich ihre Augen zusammen gezogen. Es drängt sie sicherlich, sich gegen die Entscheidung zu wehren. Allein, sie darf es nicht. Würde sie jetzt Klage erheben, müsste ich sie dafür vor allen hart bestrafen. So schweigt sie, doch ich weiß, es wird lange dauern, bis sie sich wieder beruhigt hat.“

Aus den Reihen der alleinstehenden Männer erklingt Murren, was Adlerblick zu weiteren Erklärungen zwingt.

„Natürlich ist diese Entscheidung nicht ganz unseren Gesetzen entsprechend. Ein jeder von euch, die ihr ohne Weib seid, hätte ein Recht auf sie gehabt. Doch wer von euch will das Amt des Medewiwin übernehmen?“

Sofort verstimmt jeglicher Protest.

„Morgentau, was zögerst du?“, verlangt Häuptling Adlerblick zu wissen. Die angesprochene eilt, die Zeichen der Amtswürde zu bringen und Lachsfänger verhalten darzureichen. Immer noch kullern Tränen ihre Wangen hinab.

Lachsfänger als der neue Medewiwin nimmt den Schädel und setzt ihn sich auf den Kopf. Er wackelt ein wenig und er muss sich an das alte Ding erst einmal gewöhnen. Den Stab nimmt er in die Rechte und reckt ihn zum Zeichen seiner Amtsübernahme in die Höhe. Nur verhaltener Jubel erschallt. Der Häuptling hat seine Entscheidung verständlich begründet, doch nicht alle sind von der Richtigkeit überzeugt.

Auffordern sieht Adlerblick den jungen Mann an. Er soll etwas sagen.

„Lasst uns eine kurze Zeit rasten und Stummer Fisch die Ehre erweisen, die er verdient hat. Danach werden wir weiter ziehen, so, wie er es vorgegeben hat. Die grünen Lichte werden uns den Weg weisen.“, ruft er laut.

Dann höre ich wieder seine Gedanken.

„Mit Blicken fordere ich meine beiden Frauen auf, mir zu folgen und gehe zum Toten. Bekümmert stehe ich neben ihm. Morgentau dreht ihn auf den Rücken und legt ihm seine Hände auf die Brust. Dann kniet sie sich neben ihn. Ich erwarte, dass der Medewiwin nun ein Klagelied anstimmt, bis mir siedend heiß einfällt, dass dies ja nun meine Aufgabe ist. Krampfhaft versuche ich mich daran zu erinnern, wie dies Stummer Fisch tat, als er noch sprechen konnte. Mir wird trotz der Eiseskälte so heiß, dass mir Schweißperlen unter dem Schädel hervortreten. Ich schließe die Augen und sehe in Gedanken, wie es damals war. Langsam wiege ich mich im Rhythmus und beginne zu singen und um die Leiche zu tanzen. Möge Wakan-Tanga ihm großes Glück in den ewigen Jagdgründen schenken.“

Die Gestalten um mich herum verblassen, bis ich wieder mit Lachsfänger alleine bin.

„Ich habe heute eine völlig fremde Welt kennen gelernt. Das hat mich verwirrt und erschöpft. Solche Regeln gibt es bei uns Zwergen nicht. Wir Frauen sind nicht der Besitz unserer Männer. Auch haben wir die gleichen Rechte unsere Stimme zu erheben. Können wir später fortfahren?“, bitte ich und erwache.

* * * * *

Wie jeden Abend steige ich auf das Dach unseres Berges und kaum dass ich oben angelangt bin, stehe ich im Hand umdrehen in der Geisterwelt, wo ich bereits erwartet werde. Dieses Mal sind Gilbret Steinschleifer und Lachsfänger gemeinsam da.

„Hättest du nicht darum gebeten, Waltruda, hätte Lachsfänger selbst dir vorgeschlagen, zu unterbrechen. Heute wird es besonders schwer für dich werden. Wie du gestern schon erahntest, handelt es sich bei dem >schwarzen<, vor dem Stummer Fisch warnte, um einen Alben. Der Stamm von Häuptling Adlerblick wurde in die Irre geleitet und ist auf kurzem Wege auf der Insel angekommen. Es war eine so kalte Zeit damals, dass sogar enge Meeresstellen zu froren und niemand bemerkte, dass man auf dickem Eis über das Wasser wanderte. Während Lachsfänger weiterhin seine Geschichte erzählt, werde ich den ergänzenden Teil der Alben übernehmen. Es soll dir erspart bleiben, in ihren Kreis einzutauchen und ihre abscheulichen Gespräche zu hören. Derlei Unterhaltungen mit allen Streitereien, Beschimpfungen und Beleidigungen lenken dich nur allzu sehr von der eigentlichen Geschichte ab.“, eröffnet mit Gilbret. „Damit ist es also an mir, dir zu berichten, was in der Zeit vor dem Eintreffen auf der Insel geschah.“

Nach einer Wiedergeburt ist Alamon auf die Insel zurückgekehrt und hat die Ankunft der Menschen angekündigt. Mit glühenden Worten hat er seine Heldentat, den Medewiwin Stummer Fisch auf den Weg geschickt zu haben, zum Besten gegeben. Selbstverständlich gab es nicht den frenetischen Jubel, den er, wider besseres Wissen, erwartet hatte. Getrieben von Missgunst und Neid wird niemals ein Alb zugeben, ein anderer habe etwas besser gemacht. Es ist schon als Fortschritt zu werten, dass Alamon inzwischen unbestritten als Anführer geachtet wurde. Die früher notwendigen schlagkräftigen Argumente unterblieben nun.

Man akzeptierte und wusste also, dass alsbald leibhaftige Menschen auf der Insel eintreffen würden. Alamon beauftragte Lunarus, er sollte den Neuankömmlingen entgegen gehen und sie erwarten. Seine schwächliche Gestalt würde an wenigsten erschreckend wirken. Mit gehässiger Absicht schickte er ihn Tage früher hinaus. Gemächlich machte sich der wohl Unscheinbarste der Alben in die ihm gewiesene Richtung auf den Weg. Mit dem unvergleichlich leichten, fast schwebenden Gang hinterließ er keine Spuren im Schnee.

Bald schon hatte er die ihnen allen bekannte Grenze erreicht und lies sich nieder. Mit seinen Sinnen lauschte er im weiten Rund umher, doch fand sich noch kein Lebewesen spürbar. Er wartete geduldig, auch wenn im klar war, dass er geärgert werden sollte. Eine Auseinandersetzung mit Alamon war nicht nach seinem Geschmack. Mochte sich ein anderer mit dem streiten. Er bevorzugte die Stille. Doch darf niemand glauben, Lunarus sei deswegen harmlos. Es gibt keinen harmlosen Alben. Seine Gefährlichkeit liegt in eben dieser Stille und Unergründlichkeit.

Aus purer Langeweile beschloss der Wartende, doch mal wieder die Grenze auszutesten. Es war ein sonderbares Gefühl, wenn langsam die Lebenskraft aus dem Körper wich. Er machte einen Schritt vor und lauschte in sich hinein. Nichts zu spüren.

Er ging weiter. Nichts.

Und weiter. Und als noch nichts.

Mit Bedacht setzte er einen Fuß vor den anderen, ohne dass er irgendetwas spürte. Er hob seinen Arm und ließ weiter voraus mit seiner Macht den Schnee aufwirbeln. Alles so wie immer. Mutig geworden ging Lunarus immer weiter und vollführte ein wahres Schneegestöber. Er war nach wie vor im Besitz seiner Kräfte. Grade so, als sei er genau neben dem Vulkan. Grübelnd drehte er sich um. Kaum noch konnte er den Berg erkennen, was nicht an seinen Schneewirbeln lag. Trüb hing eine Staubwolke darüber, die sich bis zu ihm hinzog und noch viel weiter. Da erkannte er den Zusammenhang.

Mit jedem Ausbruch lösten sich offensichtlich kleinste Teile der Albenmacht und wurden mit dem Gestein und Staub und Asche weit hoch in die Luft geschleudert. Dort konnte der Wind sein Werk vollbringen und alles weit in die Welt hinaustragen. So ging das schon seit Urzeiten. Der Verlust in der Masse war so gering, dass er auf der Insel nicht auffiel. Ganz offensichtlich war es aber schon mehr als genug in der Luft, dass die ehemalige Grenze nun ganz unbehelligt überschritten werden konnte.

Sehr zufrieden mit sich ging Lunarus wieder auf seinen Platz zurück und erwartete die Menschen, die da irgendwann kommen sollten. In der Zwischenzeit malte er sich aus, welche Überraschung das neue Wissen bei den anderen Alben hervorrufen würde. Es erfüllte ihn mit großer Genugtuung nun auch einmal etwas als Erster entdeckt zu haben. Das konnte ihm auch kein Alamon mehr nehmen.“

Damit beendet Gilbret zunächst seine Erzählung. Schaudern durchfährt mich bei der Vorstellung, dass die Alben nun frei waren. Wie dumm. Natürlich weiß ich, dass die Alben frei sind, waren sie doch bis vor unsere Festungen gekommen. Doch die anfänglichen Erzählungen hatten dieses Wissen förmlich in meinem Kopf gelöscht.

Ich sehe wieder Bilder, als Lachsfänger fort fährt: „Nachdem die grünen Lichter verloschen waren, lagerten wir uns. Es war zu dunkel um weiter zu gehen. Als es wieder heller wurde, schlugen die Wachen Alarm. Weit vorne stand eine schwarze Gestalt und winkte uns. Ich war mir sicher, am Vorabend war da niemand.

>Hütet euch vor der schwarzen< hörte ich noch die letzten Worte von Stummer Fisch. Meinte er schwarze Gestalt? Meinte er jenes Wesen, das uns winkte? Adlerblick sah mich an. Er musste doch die Zweifel in meinem Gesicht sehen, oder nicht?

Auf mit euch. Wir werden erwartet. Es ist, wie unser alter Medewiwin vorausgesagt hat, rief er und übersah mein Kopfschütteln. Mir war absolut nicht wohl in meiner Haut, aber noch war ich nicht so mächtig und anerkannt wie mein Vorgänger. Noch durfte ich keinen Widerspruch wagen. Was hätte ich auch sagen sollen. Die Götter hätten mir eine Warnung zukommen lassen? Das wäre eine Lüge. Was hätte Stummer Fisch getan? Hätte er gelogen? Meine Überlegungen sind zwecklos. Sicherlich war unser Schicksal besiegelt.

Jeder nahm sein Bündel auf und stapfte hin zu diesem schwarzen Mann. Er kam uns wohl entgegen, denn der Abstand zwischen uns wurde schnell kleiner. Als wir in Rufweite waren hörten wir: Willkommen, ihr müden Wanderer.

Schließlich standen wir uns gegenüber.

Ein ganz herzliches Willkommen auf der Insel der gottgleichen Alben, begrüßt uns der Fremde. Der große Alamon freut sich, euch kennen zu lernen.

Das Wesen ist sichtbar auf uns zu gekommen, doch sehe ich dahinter keinerlei Spuren. Eine Gestalt, die in dieser Kälte nur einen leichten schwarzen Umhang trägt, ohne Spuren über Schnee wandeln kann und sich gottgleich nennt, muss ein Abgesandter Wakan-Tangas sein. Das sagt mir mein Gefühl und ich werfe mich ehrfürchtig in den Schnee. Auch die anderen meines Stammes tun es mir nach.

Erhebt euch, meine lieben Freunde, schmeichelt uns der Mann.

Vertrauen und Wärme breitet sich in meinem Körper aus. Mit strahlendem Gesicht blicke ich den Gesandten an. Allen anderen ergeht es ebenso.

Sicher seid ihr erschöpft und müde von der langen weiten Reise. Lasst mich euch Kraft geben, eure Last leichter zu tragen.

Kaum, dass er das gesagt hat meine ich, die größten Bäume ausreißen zu können, wären welche in der Nähe.

Folgt mir. Es ist noch ein gutes Stück Weg bis in unser Dorf.

Er dreht um und geht uns voraus. Tatsächlich: Keine Spur eines Fußes. Mit neuer Kraft fällt es uns nicht schwer, ihm zu folgen. Er hält genau auf einen großen Berg zu, über dem eine dicke Wolke hängt. Vorbei an seltsamen rundlichen Häusern aus Eis, die sich in großer Zahl um den Fuß des Berges finden, geht es immer näher an den Berg heran.

Ich sehe eine Gruppe von weiteren schwarz gewandeten Wesen, vor denen unser Führer schließlich halt macht. Die größte Gestalt tritt hervor und sagt:

Ich grüße euch, Fremde, und heiße euch auf unserer Insel willkommen. Ich bin Alamon, der Große.

Unverständliches Murren der anderen schwarz gekleideten. War das Zustimmung oder Widerspruch? Ich habe nichts verstanden. Natürlich, wie soll ich auch die Sprache von Göttlichen verstehen können. Es ist für mich schon ein Wunder, dass diese Wesen ganz offensichtlich unsere Sprache sehr gut beherrschen. So mancher Stamm in unserer alten Heimat war dazu nicht in der Lage.

Ein kurzer Wink nach hinten und das Murren verstummt.

Uns ist schon seit langem bekannt, dass ihr hier her kommen würdet, darum haben wir das große Meer für euch frieren lassen und euch den Weg bereitet. Seht wir haben auch Hütten errichtet, wie sie bei uns üblich sind. Darin könnt ihr euch ausruhen und neue Kraft sammeln, denn wir benötigen Hilfe von euch. Nur einen kleinen Dienst. Doch dazu später mehr. Nun suche sich ein jeder für sich und seine Familie ein Haus. Alsbald werden wir euch essen bringen lassen. Dass es euch an nichts fehlt, dafür werden unsere Helfer sorgen.

Alamon winkt und urplötzlich kriechen aus den Rundhütten unsäglich viele Wesen, die nicht alles Menschen sein können. Auch sie tragen schwarze Umhänge, aber im Gegensatz zu den gottgleichen Alben ist ihr Kopf sichtbar und unverhüllt.

Ja, dafür sorgen wir, grölen viele Mäuler und es klingt irgendwie hässlich.

Mit einem unsichtbaren aber spürbaren Lächeln neigt sich der große Alamon und gibt den Weg zu den zugewiesenen Hütten frei.

Im Augenblick kann ich nicht denken. Gleich einer Herde Vieh trotten wir los und verteilen uns.

Zuerst schaue ich, ob nicht jemand in dieser seltsamen Herberge auf uns wartet. Nein, sie ist völlig leer. Nacheinander kommen Morgentau und lieblicher Sonnenstrahl mit unserer Habe hinein. Während meine Zweitfrau unsere Sachen verteilt und Decken zum Sitzen auslegt, blickt mich meine Sonne fragend stumm an.

Du erwartest doch wohl jetzt nicht von mir eine Erklärung, oder? Ich habe nicht gesehen, was Stummer Fisch gesehen hat. Ich weiß nicht, ob das hier gut oder schlecht ist. Ich hab noch nicht mit Wakan-Tanga gesprochen.

Das wirst du auch nicht, mischt sich Morgentau ein. Du bist kein Medewiwin. Mein Vater war einer und was er sah war wahr. Du bist nur eine Puppe und ein Handlanger für Adlerblick, unseren Häuptling.

Dann sage mir doch, will ich wissen, was wir davon zu halten haben. War es das, was dein Vater gesehen hat? Was sollen wir hier in dieser unwirtlichen Welt?

Die einschmeichelnde besänftigende Wirkung der Worte des Alben ist verschwunden. Ich fühle mich äußerst unbehaglich und in Gefahr.

Niedergeschlagen muss Morgentau zugeben, dass sie darauf keine Antwort hat. Sie hat nur übersetzt, was ihr der Vater mit Zeichen gezeigt hat.

Hier, meine süßen Häppchen, leckeren Fisch für euch. Lasst es euch schmecken, plärrt eine hässliche Stimme von draußen und ein Bündel getrockneter Fisch fliegen herein. Er durftet recht gut und wir essen, trotz aller Ängste und Sorgen, gierig.

Diese Nacht machte ich kein Auge zu.“

„Für den Empfang hatten die Alben dafür gesorgt, dass die Verbannten sich in ihren Eishütten verstecken sollten und erst auf Geheiß Alamons hervor kommen sollten.“, reißt mich Gilbret aus den Bildern. Nun sollten die Schergen dafür Sorge tragen, dass keiner das Dorf verlassen könne. Aber es war ihnen verboten, den Menschen etwas anzutun. Noch war das böse Spiel für sie nicht eröffnet. Mit hässlichen und giftigen Bemerkungen durch die offenen Eingänge schüchterten sie die Neuankömmlinge ein. Sie johlen und lärmen zwischen den kalten Hütten, als gäbe es eine große Feier. Es wurde für alle eine unruhige und beängstigende Nacht.“

„In dieser Nacht nun“, fährt Gilbret fort, „berichtet Lunarus von seiner Entdeckung. Höchst erstaunt nimmt Alamon diese Nachricht zur Kenntnis und verfällt in tiefes Grübeln.

Das ändert an meinem Plan für morgen nichts, meint er dann. Ich muss wissen, ob unsere Macht im Krater irgendwie erreichbar ist. Für die weitere Verwendung der Menschen aber ergeben sich ganz neue Möglichkeiten. Ich habe da schon so meine Vorstellungen. Das wird die Verbannten überhaupt nicht erfreuen. Ihr vermeintliches Spielzeug wird am Ende mit ihnen spielen; sehr grausame Spiele.“

„Es kommt ein neuer Morgen.“, erzählt nun wieder Lachsfänger.

„Alles aus den Hütten, ruft Lunarus, der mit der weiteren Betreuung der Menschen bedacht wurde. Und wie wir betreut wurden. Nicht eine Minute wurden wir aus den Augen gelassen. Die Meute umlagerte uns wie eine Beute.“

Lachsfänger zeigt mir wieder packende Bilder. Mit langen Stangen schlagen die Verbannten auf die Dächer der Eishütten, um die Menschen heraus zu treiben.

„Furchtsam, wie gejagtes Wild, drängen wir uns zu einem wahllosen Haufen zusammen. Unseren Häuptling hat man irgendwo in der Mitte zu finden. Irgendwie ist es passiert, dass ich ganz vorne zu stehen komme.

Macht euch bereit, den großen Alamon mit freudigen Hochrufen zu begrüßen, verlangt Lunarus. Die Worte sind zwingend und keinem gelingt es, bei des Alben Anblick zu schweigen. Wir alle schreien unser Hoch aus vollem Halse. Sind wir noch einer eigenmächtigen Regung fähig? Ich glaube nicht. Zumindest nicht, solange wir uns einem schwarz Vermummten gegenüber sehen.

Alamon spricht zu uns: Sicherlich würden unsere Diener es freudig begrüßen, würden wir euch nun allesamt auf den Berg jagen, uns etwas von der Kraft, die in diesem Vulkan schlummert, zu holen. Es gäbe herrliche Kämpfe, denn jeder wöllte der Erste sein. Aber wir haben größeres mit euch vor. Ihr sollt unser Volk werden, das wir mehren wollen und mit dem wir gegen die Götter Krieg führen wollen. Daher begnügen wir uns damit, einen Einzigen zu beauftragen. Nun, wen nehmen wir denn?

Mit diesen Worten ist der Albenfürst einfach so in unseren Haufen hinein gegangen. Wären wir frei in unserem Willen, er käme nicht mehr lebendig aus unserer Mitte heraus. So aber hat er Macht über uns und kann sicher sein, dass ihm kein Leid geschieht. Jeder weicht vor ihm zur Seite und ein breiter Weg entsteht. Vor Hauptling Adlerblick bleibt er stehen.

Natürlich, sagt er. Wer ist besser für solch eine gefährliche Arbeit geeignet, als der Oberste dieses Stammes.

Er legt ihm seinen Arm auf die Schulter, vielleicht aber auch nur die Hand. Sie steckt tief im Ärmel und ist nicht zu sehen.

Nun lieber Adlerblick, dir gebührt die Ehre auf den Berg und in den Krater hinab zu steigen. Dort sollte dir auffallen, was uns von Wert ist. Finde es und bring es mir. Beeile dich.

Unser Häuptling hat gänzlich die Gesichtsfarbe verloren. So blass habe ich noch keinen unseres Volkes gesehen. Er wendet sich wortlos um und läuft eiligst los. Der Berg war damals noch nicht so hoch wie heute. Noch wurde nicht allzu viel Lava aufgeschüttet.

Wir sehen zu, bis er oben am Rand angekommen ist. Dann steigt er hinein. Die Alben und ihre Schergen lassen uns allein. Wortlos warten wir. Nicht im Geringsten kommt ein Wille zum Widerstand auf. Wir haben uns nichts zu sagen.

Am Erschrecken einiger unserer Gruppe erkenne ich, dass erneut ein Alb erscheint. Ich spüre es förmlich. Wen werden sie nun erwählen? Mit Bangen erwarte ich, meinen Namen zu hören. Sie kennen uns. Vielleicht können sie unsere Gedanken lesen.

Warum denn eigentlich nicht. Du bist ein schlauer Kerl, höre ich Alamon in meinem Rücken. Dreh dich nur um zu mir. Du weißt, dass ich mit dir rede, Lachsfänger.

Ob ich will oder nicht, ich muss ihn ansehen.

Der Auftrag ist der Gleiche. Doch gib acht, dass du nicht auch abstürzt, Sonst schick ich dir deine beiden Weiber hinterher, droht er.

Willenlos gleich einer Puppe mach ich mich auf den Weg. Je höher ich komme, desto freier fühle ich mich wieder. Der Bann Alamons lässt nach. Ich kann frei denken. Offensichtlich können die Alben und ihre fürchterlichen Diener nicht hierher. Vermutlich haben sie hier keine Macht. Ich müsste unseren Stamm hierher bringen. Irgendwie würde sich dann vielleicht ein Weg finden, den Alben zu entkommen.

Ich hab ja schon gesagt, dass du ein schlauer Kerl bist, drängt sich Alamons Stimme in meine Gedanken. Der Ton passt überhaupt nicht zu der Abneigung, die ich gegenüber dem Alben empfinde. Er wirkt offen und ehrlich. Was bedeutet das?

Vergiss alle Fluchtpläne, vernehme ich weiter seine Gedanken.. Wer den Krater verlässt, wird sofort wieder von uns bemerkt. Ihr würdet elendig verhungern. Oder ihr wartet auf den nächsten Ausbruch. Dann können wir in weitem Umkreis eure gebratenen Gebeine aufsammeln und unseren Dienern schenken. Vielleicht schmeckt ihnen in Vulkanfeuer gebratenes Menschenfleisch.

Auch wenn diese Unterhaltung tonlos war, empfinde ich doch die Häme, die darin steckt. Ich drehe mich um. Meine Leute sind ein Haufen kleiner Wesen. Irgendwo weit abseits sehe ich den schwarzen Fleck im weißen Schnee, der wahrscheinlich Alamon heißt.

Ich zucke mit den Schultern und erkenne unsere Ohnmacht. Unser Schicksal ist besiegelt.

Der Abstieg ist zunächst leichter als erwartet. Hier kann man eigentlich nicht abstürzen. Sagt, Alamon, was ist mit Adlerblick geschehen, will ich wissen. Und dabei will ich auch erkennen, ob irgendwann seine Gedanken mich nicht mehr erreichen.

Du hast recht, er ist nicht abgestürzt. Er hat sich das Leben genommen, der Spaßverderber, bekomme ich zur Antwort.

Warum?

Das wirst du noch früh genug selbst erkennen. Klettere weiter.

Allmählich wird der Abstieg schwieriger, denn ich finde immer weniger Möglichkeiten, mich festzuhalten. Kräftemäßig aber wird es immer leichter, so als würden meine Muskeln erstarken, obwohl mein Körper mehr und mehr schmerzt. Schon vor geraumer Zeit habe ich meine Fäustlinge ausgezogen, um besser greifen zu können. Der Fels wird wärmer. Je tiefer ich komme, desto größer sind die Schmerzen in jeder Faser meines Körpers. Beim nächsten Griff bemerke ich, dass meine Haut dunkler wird und ich sehe meine Hand, die Finger, alles wird breiter, muskulöser, stärker. Zudem sprießen Haare, wo früher glatte Haut war. Die Nägel werden krallenartig lang und hart, behindern aber nicht das Greifen, sodass ich weiter, nein, sogar leichter mich am Fels halten kann.

Was ist das? Was passiert mit mir, Alamon?

Du wirst respektlos, Lachsfänger. Wo bleibt der mir gebührende Titel? Wie wär es mit Albenfürst? Du wirst es noch lernen.

Um deine Frage zu beantworten: Du badest soeben in unser aller Macht.

Eure Macht? Erzählt mir mehr, Fürst der Alben, frage ich nach.

Na also, geht doch.

Alamon scheint amüsiert zu sein.

Dir alles zu erzählen dauert zu lange. Es soll dir genügen zu wissen, dass wir Alben an diesen Berg gefesselt sind, denn unsere Lebenskraft und die Kraft unserer Magie, alles das wurde im Boden tief versenkt. Daraufhin hat sich der Vulkan gebildet, weil die Erde sich gegen diesen Eingriff wehrt. Mit jedem Ausbruch werden kleine Teilchen davon heraus geschleudert. Ich will wissen, ob es jetzt einen Zugang in den Fels gibt. Ob sich irgendeine Höhle oder dergleichen finden lässt.

Ich spüre, dass du schon sehr bald außerhalb meines Bereiches bist, in dem ich dich erreichen kann. Sieh dich gründlich um, ob du etwas Besonderes entdeckst, gleich, wie es aussieht. Versuch dein Glück. Es soll dein Schaden nicht sein. Ich warte auf dich und wenn du Erfolg hast, mache ich einen ganz Großen aus dir.

Ich fühle den Druck in meinem Kopf schwinden. Darf ich deswegen nun glauben, ich sei für mich allein? So ganz allein? Zunächst kümmere ich mich erst einmal um meinen Abstieg auf den Grund des Vulkans. Inwendig geht es deutlich tiefer hinab, als von außen hinauf.

Als ich unten angekommen bin, sehe ich, dass sich mein ganzer Körper verändert hat. Es erschreckt mich zu tiefst. Soweit unbedeckt sehe ich auf der Haut fellähnliche Behaarung. Nicht sehr lang, aber dicht und wärmend. Die Hände erinnern mich entfernt an tierische Krallen an dicken Pranken. Doch die Finger sind weiterhin ausgebildet und ich spüre eine enorme Kraft, als ich einen Stein neben mir aufhebe. In geringer Entfernung sehe ich in der beginnenden Dämmerung ein dunkles Bündel liegen. Es ist nicht mehr hell genug, als ich es erreiche und ich muss die Untersuchung auf morgen verschieben.

Ich kauere mich auf den Boden wie ein kleines Kind und schlafe traumlos.

* * * * *

Beim ersten Morgenlicht erwache ich. Was ich für ein Bündel hielt, ist tatsächlich ein menschliches Wesen, das an einem dicken Felsbrocken liegt, als habe es sich darum gekauert und wolle es nicht mehr loslassen. Ich löse die Umklammerung und drehe es auf den Rücken. Voll Entsetzen stelle ich fest, dass das Bündel Häuptling Adlerblick ist. Oder sollte ich sagen, er war es? Ich erkenne ihn nur an den Gewandfetzen, die noch an ihm hängen. Er hat sich sehr verändert, um es gelinde auszudrücken.

Haare an jeglicher Körperstelle. Das Haupthaar schwarz und zottelig. Muskulös, Krallenpranken statt Händen. Widerwillig muss ich Übereinstimmungen mit meinen Händen und Armen zugeben.

So also sehe wohl auch ich aus. Die Ohren sind klein und erinnern an einen Kojoten. Die Knochen über den Augen haben sich stark nach vorn geschoben und überschatten nun enorm die Augen. Das Nasenbein wirkt dadurch als läge es tiefer. Es mündet in einer Nase, der man anscheinend die Spitze abgeschnitten hat. Weit offen liegen die Nasenlöcher. Die Augen hat er im Tod weit aufgerissen und ich blicke in starre schwarze Augen. So schwarz, dass man nicht einmal einen Unterschied zur Pupille feststellen kann. Die Lippen liegen wulstig über den nach vorne erweiterten Kiefern. Adlerblicks Kiefer ist mehrfach gebrochen und geben den Blick auf mehr als die üblichen Zähne frei. Es wirkt wie ein Raubtiergebiss und hat tatsächlich stark ausgebildete Reißzähne. In seinem Körper gibt es wohl kaum noch einen heilen Knochen. Arme und Beine liegen völlig verdreht neben dem geschundenen Leib. Insgesamt ist der Tote gegenüber seinen Lebzeiten einiges kleiner, dafür aber deutlich breiter geworden. Ein Wunder, dass der Schädel bei seinem Sturz nicht völlig zu Matsch wurde. Das Blut seiner offenen Wunden ist rot und getrocknet. Wenigstens die Farbe des Lebenssaftes ist noch geblieben. Sonst hat dieses tote Wesen vor mir kaum noch etwas mit dem alten Häuptling gemein.

Ich sehe auf meine Hände und Tränen schießen mir in die Augen. Verfluchte Alben! Welch unglückliches Schicksal hat uns in eure Hände gegeben? Was kann ich tun, um mein Volk zu retten? Vielleicht sehen wir in naher oder ferner Zukunft alle so aus, wenn wir fortwährend dieser Macht ausgesetzt sind; so nah am Berg.

Zunächst will ich mich umsehen, wie mir Alamon aufgetragen hat. Es könnte ja sein, dass mir dabei etwas einfällt. Doch, wohin ich auch blicke, nur Geröll des letzten Ausbruchs in verschiedenster Größe. Gigantische Brocken bis zum kleinsten zerriebenen Sandbröckchen. Da ist nichts Besonderes, nichts Auffälliges lässt sich entdecken. Bis auf …

In der gegenüber liegenden Seite erkenne ich durch den momentanen Lichteinfall eine Spalte im Fels. Jetzt, wo ich die eine Öffnung entdeckt habe, sehe ich immer mehr dieser Risse. Eine liegt nicht besonders hoch und ich erklimme recht leicht die Wand. Neugierig stecke ich meinen Kopf in das Loch und augenblicklich nimmt ein durchdringender Gestank mir den Atem. So etwas habe ich noch nie gerochen. Am nächsten kommt der Vergleich mit etwas fauligem. Nur mit einer Hand haltend baumele ich im Fels und ringe nach Atem. Widerwillig blicke ich zum Loch, hole tief Luft und sehe erneut hinein. Ein vergebliches Unterfangen, denn in dieser schwarzen Bodenlosigkeit ist überhaupt nichts auszumachen. Die anderen naheliegenden Spalten lasse ich aus. Ich erwarte dort kein anderes Ergebnis. Von einer entfernteren größeren Öffnung im Fels verspreche ich mir mehr. Die Öffnung ist so breit, wie ich groß bin und liegt nur ein bisschen höher in der Kraterwand. Dadurch fällt ein wenig mehr Licht hinein, doch auch hier ist nur der faulige Geruch und gähnende Schwärze zu finden.

Ich gebe auf. Nichts außer Steinen ist hier zu finden und die erscheinen mir wenig interessant. Ich kehre zu Adlerblick zurück, um ihm die letzte Ehre zu erweisen. Er hat nicht verdient, derart offen liegen zu bleiben. Auch wenn in diesen Krater kein anderes Lebewesen kommt gehört es sich, ihn zu bestatten. Ich lege seinen Leichnam leidlich gerade und bedecke ihn mit den Steinen, die um ihn herum liegen. Einen besonders großen will ich als Abschluss oben auflegen. Er ist sehr schwer und Wakan-Tanga will es, dass er mir aus den Händen gleitet und heftig auf dem Boden aufschlägt. Er zerbricht und legt ein, in vielen Farben schillerndes, glänzendes Inneres frei.

Das muss es wohl sein, wonach ich für Alamon suchen soll. Ja, ich bin mir sicher. So schön wie dieser Brocken ist, kann es nur so sein. Eigentlich habe ich als Zierde für den Grabhügel ein Stück von Adlerblicks Hemd zurück behalten. Dies nutze ich nun, um den Stein einzuwickeln und mir um den Leib zu binden. Jetzt schnell hier heraus. Vielleicht zeigt sich Alamon gnädig und lässt uns ziehen, wenn wir viele der glänzenden Steine besorgen. Ein Blick gen Himmel aber sagt mir, dass es für einen Aufbruch nun zu spät ist und so verbringe ich eine weitere Nacht am Boden des Kraters.

Ich habe keine Ahnung, wie lange ich geschlafen habe. Es ist hier alles sehr merkwürdig. Sonst bin ich mit dem ersten Licht schon wach. Ich habe auch weder Hunger noch Durst. Ob ich vielleicht doch mein Volk hier hinein führen sollte? Wir sähen dann zwar fürchterlich aus, wären aber vor den Alben in Sicherheit. Lebenslang hier unten zu vegetieren erscheint mir aber auch nicht sehr erstrebenswert. Erneut binde ich mir den Stein um und beginne dann mit dem Aufstieg. Fast wie erwartet, verändern sich Haut und Nägel wieder zurück. Wahrscheinlich sieht auch der Rest von mir nun wieder aus wie Lachsfänger auszusehen hat. Durch diese Rückbildung werde ich schlanker und fast wäre mir der Gesteinsbrocken in den Krater zurück gefallen. Fast im letzten Moment erst bemerke ich es. Ausgerechnet hier, wo ich kaum einen Stand habe und selbst dicht an die Wand geschmiegt hinten über kippe, wenn ich nicht mindestens eine Hand zum Halten nutze. Ich kann nur das umgebundene Tuch hoch ziehen und mit einer Hand versuchen, den Knoten fester nachzuziehen. Ungeheuer schwer wird so mein Weg nach oben. Quälend langsam erscheint mir mein Vorwärtskommen.

Endlich habe ich eine Stelle erreicht, an der ich sicher stehen kann und beide Hände frei habe. Schnell ist der bunte Stein dicht an meinem Körper gesichert. So fällt mir auch das Klettern wieder leichter und schon bald verspüre ich die neugierig tastenden Gedanken Alamons. Schnell ist er über die Geschehnisse, der letzten Tage informiert. Es ist erstaunlich, wie einfach man auf diese Weise Nachrichten austauschen kann. Doch es ist auch so ungemein deprimierend, nicht einen einzigen eigenen Gedanken haben zu können. Man fühlt sich geistig nackt und bloß.

Ein bekannter Geruch verlangt nach meiner Aufmerksamkeit. Faul! Ich sehe nach unten und erkenne, dass aus einigen der Öffnungen feiner Rauch aufsteigt, der so stinkt. Der wird doch nicht gerade jetzt ausbrechen wollen, schießt es mir mit Entsetzen durch den Kopf.

Dann solltest du dich beeilen, wenn du mir deinen Stein schenken willst, höre ich Alamons Gedanken.

So schnell als nur möglich erklimme ich den Kraterrand. Der Rauch hat nicht weiter zugenommen. Glück gehabt.

Mit zügigen Schritten eile ich den Vulkan hinab. Mein Volk ist auf mich aufmerksam gemacht worden und schleunigst eilen alle vor die Eishütten. Kein Ton kommt über ihre Lippen. Mit unbewegten Minen schauen sie mir nahezu unbeteiligt hinterher, als ich durch ihre Mitte gehe. Beängstigend. Sehen so lebende Tote aus?

Die Verbannten bilden einen großen Kreis um uns.

Dann komme ich vor dem Albenfürsten zu stehen. Selbstverständlich in dem gebührenden Abstand. Warum stehen Lieblicher Sonnenstrahl und Morgentau neben ihm? Ich sehe die Angst in ihren Augen. Furchtsam klammern sie sich aneinander. So stolze und starke Frauen waren sie einst; ein kümmerliches Bild sind sie nun. Was ist in diesen zwei Tagen hier geschehen? Leicht schüttelt Lieblicher Sonnenstrahl den Kopf, als wolle sie mir etwas sagen, aber ich verstehe es nicht.

Umständlich nestle ich bei diesen Gedanken den Stein aus dem Tuch und zeige ihn Alamon mit weit vorgestreckten Armen.

Dies ist, was ich am Kraterboden fand, Alamon, sage ich.

Ein Wunder, Lachsfänger. Wirklich, ein großes Wunder. Du findest im Vulkan einen Stein. Und so außergewöhnlich einfach und grau. Dafür brauchtest du zwei Tage? Du enttäuschst mich. Ich glaube, dafür muss ich nun eine deiner beiden Frauen bestrafen. Du darfst wählen, welche für deine Unfähigkeit leiden muss, sagt Alamon höhnisch.

Voll Entsetzen schaue ich zwischen dem Alben und meinen Frauen hin und her. Dann besehe ich mir den Stein. Tatsächlich, er hat jegliche Farbe verloren. Intuitiv und voller Wut schleudere ich den Stein in Richtung des Albenfürsten. Der hat aber wohl schon diesen Angriff erwartet und hält, augenscheinlich ohne große Anstrengung, die Zwei als Schutzschild vor sich. Dabei schweben sie leicht über dem Boden. Lieblicher Sonnenstrahl wird direkt zwischen den Augen getroffen. Der Schlag ist so heftig, dass sofort ihr Blut spritzt.

Alamon schleudert die zwei Frauen von sich und während Morgentau den Sturz abfängt und wieder auf die Beine kommt, bleibt Lieblicher Sonnenstahl verkrümmt und leblos mir zu Füßen liegen. Ihre gebrochenen Augen starren mich an. Ich bin wie gelähmt.

Von meinem Volk ist kein Ton zu hören. Keiner erhebt sich gegen Alamon. Bin ich allein fähig, sich zu bewegen? Was ist mit euch?

Ergreift ihn, ruft Alamon laut und aus den Reihen der Verbannten eilen zwei Mann heraus und packen mich fest an den Armen. Ich versuche, mich gegen ihren Griff zu wehren, doch es gelingt mir nicht.

Hört mich an, erhebt Alamon erneut seine Stimme. Von nun an werdet ihr unser Volk sein. Ihr werdet uns bedingungslos dienen, für uns kämpfen und für uns sterben. Und eines Tages wird euch durch uns die Erde gehören.

Leiser und zu mir gewandt sagt der Alb: Du wirst verstehen, Lachsfänger, dass ich ein Volk mit einem Anführer nicht gebrauchen kann. Auch wenn du nicht den Stein geworfen hättest, würdest du sterben. Ich brauche keinen Grund zu töten. Mit dem heutigen Tag beginnen wir, unser Volk zu erziehen und du wirst die erste Lektion sein, die sie lernen sollen. Wir bestimmen über Leben und Tod.

Alamon macht eine weitläufige Armbewegung und augenblicklich kommt Leben in die Menschen meines Volkes. Der Alb hat sie aus seinem Bann entlassen. Eng drängen sie sich Schutz suchend aneinander.

Zu den Verbannten ruft der Albenfürst: Wählt viermal zehn Männer. Bindet Lachsfänger an Armen und Beinen und an jedem Seilende sollen zehn Mann ziehen und ihn in die Höhe heben.

Wie aufgescheuchtes Federvieh strebt mein Volk auseinander, versucht den Zugriffen der Verbannten zu entkommen. Doch es nutzt nichts. Am Ende liege ich auf dem Boden, die Arme und Beine weit von mir gestreckt und an jedem Seilende stehen zehn starke Männer.

Zieht an, schreit Alamon. Um seinen Worten Nachdruck zu verleihen, schlagen Verbannte mit Riemen auf die Männer ein. Mit einem Ruck werde ich in die Höhe gerissen und bleibe schwingend über dem Boden schweben.

Fester! Noch fester. Zieht, denn es geht um euer Leben. Wer nicht aus Leibeskräften zieht, wird erschlagen, brüllt der Alb und die Verbannten schlagen wie wahnsinnig auf die Männer ein.

Mit vernehmlichem Krachen verlassen meine Knochen die Gelenke. Auch wenn ich es nicht will, der unsägliche Schmerz lässt mich mein Leid in die Welt schreien. Mir schwinden die Sinne, irgendwann zerreißt es mich gänzlich und mein Geist verlässt meinen geschundenen Leib.“

* * * * *

Abrupt finde ich mich auf dem Berg unserer Festung wieder. Über mir ein wolkenloser sternenklarer Nachthimmel. Die Erinnerung an das Erlebte ist so frisch in mir, dass sich in meinem Körper unendliche Erschöpfung breit macht. Mit letzter Kraft schleppe ich mich nach unten, um zu ruhen und das Gesehene nieder zu schreiben.

Auf meinem Weg in meine Kammer, vorbei an den täuschend lebensechten Abbildungen unserer Helden, treffe ich keinen anderen Zwerg. Stille herrscht um mich herum. Nichts stört meine Gedanken. Eigentlich können einem die Nordlinger leidtun. Ursprünglich harmlose Menschen fielen sie in die Fänge der Alben und wurden erst zu dem gemacht, das sehr lange Zeit später vor unseren Festungen auftauchte: Wilde, gefährliche, fast tierische Kämpfer des Bösen, die keinerlei Rücksicht auf das eigene Leben kannten.

Utz wider die Alben

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