Читать книгу Utz wider die Alben - Rainer Seuring - Страница 6
Böse Hoffnung
Оглавление„Eine sehr schwere Zeit bricht für dich an, arme Waltruda. Dies ist der Tag, an dem du erstmals einer Albin ansichtig wirst. Sie ist eine reuige Albin, die im Krieg gefallen ist und die Götter befanden sie für Wert, in einem normalen Dasein sich zu beweisen. Noch wartet sie auf einen geeigneten Körper, darum ist sie hier und du kannst ihre Geschichte hören. Sei beruhigt, ich stehe dafür, dass dir kein Leid geschieht und bin stets in deiner Nähe, auch wenn du mich nicht zu sehen vermagst. Bedenke, sie hat sich voll Reue erwiesen und wird dir nichts tun. Doch was sie zu erzählen hat, ist gar fürchterlich.
Nun konzentriere dich auf Irandina und ihre Geschichte, das wird dich von deinen Ängsten ablenken.“
Gilbret hat sich in den Nebel zurück gezogen und ich warte. Schließlich höre ich: „Darf ich an dich heran treten, Waltruda?“
Irandina hat eine zarte und leise Stimme. Ich muss genau aufpassen, was sie sagt und vergesse zunächst tatsächlich meine Angst vor ihr.
„Ja, du darfst.“
„Sei bedankt und gegrüßt im Namen der Götter.“
Ich erblicke eine gewöhnliche Frauengestalt, ohne Hinweis darauf, dass sie einst eine Albin und zuvor sogar eine Elbin war.
„Lass dich nicht von meinem Bild täuschen, Waltruda. Mein früheres Aussehen habe ich verloren und ein anderes muss ich erst noch erhalten. Beschreibe mich so, wie ich damals aussah. Oder besser nein, keine Beschreibung. Außer uns können nur die Elben und Götter unsere wahre Gestalt sehen.“
Augenblicklich erhalte ich Einblick auf das damalige Geschehen. Irandina erklärt: „Dies ist der Zeitpunkt, an dem uns Loki verlassen und unsere Macht sich in den Inselgrund gebohrt hat. Am Ufer steht Alamon. In meinen Augen damals ein schöner Alb, mit stolzer Haltung und enormer Ausstrahlung. Trotzdem hasste ich ihn. Eigentlich hassten wir uns alle gegenseitig. Keinerlei Vertrauen untereinander und keiner gönnte dem anderen etwas. Es war gerade so, wie die Götter in ihrem Urteil verkündeten. Du wirst es erleben, Waltruda. Ab jetzt bist du nicht mehr Beobachterin, du bist mein Ich von damals.“
Ich spüre, wie ich in das Bild, das ich eben noch sah, hinein gezogen werde, bis ich aus Irandinas Augen blicke. Und ich spüre, was sie spürte; ich höre, was sie hörte, und ich denke. …
Ich bin Irandina.
Saukalt ist es hier. Der schwarze Umhang spendet kaum Wärme. Ich blicke nach oben. Ist das jetzt Schnee oder Schmutz aus dem Vulkan, den unsere Macht geschlagen hat? Egal, es ist auf jeden Fall unangenehm und eklig. So einen Blödsinn können sich nur die Götter einfallen lassen.
Aha, das grüne Leuchten ist verschwunden. Also hat die Natur ihr Werk beendet. Ich bin eine Frau. Wie ich die einfachen Geschöpfe beneide. Sie haben alles vergessen, was vorher war. Ich weiß und spüre den Unterschied in mir. Ein merkwürdiges unbeschreibliches Gefühl. Gleichzeitig wächst in mir eine bisher unbekannte Begierde; auf einen Mann. Und Schuld an allem hat der Idiot da vor mir. Auch wenn er verdammt gut aussieht. Mit dem könnte man schon mal. Möge er unter der Veränderung zum Manne leiden ohne Ende. Wie das wohl die anderen empfinden? Ich drehe mich zu ihnen, um zu sehen, wie es ihnen geht.
Da sitzt Grima auf einem Felsen am Ufer. Sie hält sich den Bauch, also wird es ihr wohl auch gerade so merkwürdig sein. Hinter ihr steht Dschinngo, fast am Rande zum beginnenden, schier unübersehbaren Eisfeld, das nur durch hohe Felsformationen unterbrochen wird. Er blickt mehr als nur gierig auf sie und seine Hände sind nicht so ruhig wie sonst. Will er sie jetzt meucheln oder begatten? Verständlich wäre letzteres. Sie sieht fast so gut aus, wie ich. Ein bisschen weniger Busen, aber einen tollen Hintern hat sie. Pass nur auf, dass dir der Arsch nicht auf dem Felsen anfriert. Da gäb es wenigstens was zu lachen hier.
Rechts weiter nach hinten steht Lunarus und blickt gespannt an sich herab. Wartet der auf etwas? Was soll bei einem Kerl von solch schwächlicher Gestalt schon werden? Das denkt Ka-Ra anscheinend nicht. Mädchen, vergiss es. Du bist viel zu viel Frau und viel zu groß. Den Kleinen machst du platt, wenn du ihn nur ansiehst. Außerdem kommt der Knirps bei dir hinten doch gar nicht hoch. Der fällt doch runter wie ein Zwerghahn von der großen Henne. Merkwürdig, woher ich den Vergleich nehme. Ich hasse die Natur.
Elrone und Guggeri scheinen sich schon einig zu sein. Bestimmt verschwinden die bald in der nächsten Eisspalte. Friert euch nur nichts ab, Kinder. Ihr solltet warten, bis wir eine wärmende Bleibe haben und dann komm ich erst einmal dran.
Freddori zeigt keinerlei Regung. Was hat der denn für Gelüste? Pech gehabt, Mann, wenn du nicht magst, könnt ich vielleicht mit Morlogane Spaß haben. Das ist alles ungemein aufregend.
Was will Zwilter? Bleib mir ja vom Leib. Wer wann dran kommt, bestimme ich und nicht du. Du bist garantiert nicht der Erste. Du nicht. Das hier wird meine Insel und ihr werdet schön nach meinem Willen tanzen. Das kriegt Alamon jetzt auch gleich mal klar gemacht.
„Und jetzt, großer Seelenbefreier, wie geht es weiter? Mit sowas hast du natürlich nicht gerechnet. Und wir sitzen wegen dir in der Scheiße. Sollen wir dich zum Lohn auch ein wenig >befreien< ?“
Das ist doch eine Unverschämtheit, wie quälend langsam der sich zu mir umdreht.
„Was willst von mir, Weib. Willst du vielleicht sagen, ich sei schuld an allem? Willst du lieber wieder zurück zu den blinden Elben? Bei den Göttern lieb Kind spielen und um Gnade winseln? Wie viele Seelen hast du aus den Körpern gequetscht oder geprügelt? >Alamon, ich hab mich noch nie so glücklich und zufrieden gefühlt<, hast du gequiekt, wie ein Schweinchen. Verschwende deine Gedanken lieber wie die anderen darauf, wie du deine ersten Gelüste befriedigst. Oder bildest du dir vielleicht ein, sagen zu können, was hier und jetzt zu tun ist? Lass das mal meine Sache sein. Ich hab immer noch den meisten Verstand in diesem Haufen.“ Seine Stimme ist voll ohnmächtiger Wut. Sein Tonfall ist giftiger als die gefährlichste Schlange.
Diese Rede wird von protestierendem Gejohle der anderen und Zwischenrufen wie „Wer´s glaubt!“, „Großmaul!“ und ähnlichem quittiert. Ich verschränke die Arme vor der Brust. Sieht gut aus und keiner merkt, dass ich mich damit des merkwürdigen Ziehens darin erwehren will. Scheiß Veränderung.
„Ach, du weißt natürlich schon alles. Bist du ein Gott oder ein Großmaul?“ rufe ich ihm entgegen. Ich bin mindestens genauso gereizt wie er.
„Lass es mich so sagen, Irandina: Ich bin klüger als ihr alle zusammen. Selbst wenn man den Kleinen zehnmal zählen würde.“
Lunarus ist zwar nicht so stark, wie Alamon, doch wesentlich schneller in seinen Bewegungen. Es ist kaum zu glauben, wie schnell er sich bückt und voll Wut einen harten Eisbrocken auf seinen Beleidiger schleudert.
Volltreffer, dachte ich. So schnell kann ich kaum schauen und nur aus dem Augenwinkel heraus erkenne ich, dass sich Alamon, wie erwartet, nicht bewegt. Trotzdem fliegen mir kurz darauf kleine Eisbrocken um die Ohren. Leider auch einer ins linke Auge, das sich durch den natürlichen Reflex zu spät und nur leicht schließt. Es schmerzt.
„Seid ihr verrückt? Was soll das?“
Für Alamon denke ich zu langsam, denn er lacht mich aus. „Hast du mal wieder alles verschlafen, kleine Irandina? Nichts von meiner Abwehr mitbekommen, außer dem kleinen Eisbröckchen?“
Ich drücke auf mein schmerzendes Auge und blicke ihn wütend mit dem unversehrten Rechten an.
„Während ihr euch um Kinderkram kümmert, habe ich sehr viel weiter gedacht. Ich glaube kaum, dass einer von euch meine Gedanken wird teilen können, doch ich werde sie euch gerne auch drei oder viermal erklären.“
Dieser Mistkerl ist uns doch schon wieder um Längen voraus. Was hat der ausgebrütet?
„Hört mir zu. Falls ihr es vergessen habt, besitzen wir hier immer noch unsere Macht. Und wie ihr wisst, können wir diese nicht gegeneinander einsetzen. Wir werden uns also von Hand umbringen müssen.
Wie wohl nicht alle gesehen haben“, dabei blickt er zu mir, „oder nicht konnten, können wir aber unsere Macht zur Abwehr einsetzen. Es war ein Leichtes, den Eisklumpen abzuwehren. Dazu muss man nur ein klein wenig Denken. Wenn ihr brav seid, werde ich es euch eines Tages beibringen.“
Für sein dreckiges Grinsen würde ich ihm gerne eine rein schlagen. Wahrscheinlich aber kommt meine Faust gar nicht nah genug heran.
„Also aufgepasst. Zunächst müssen wir uns um unser eigenes Wohl kümmern. Ich gedenke nicht länger, hier in dieser Saukälte zu stehen und auf das Meer zu starren. Ein Blauwal namens Loki wird sich hier nicht mehr blicken lassen.“
Bisher hat Alamon vernehmlich laut gesprochen. Ab jetzt könnte man sagen, er brüllt.
„Wir werden uns rächen, an ihm und an allen Göttern, die nicht zugeben wollen, dass wir im Recht sind! Reifeprozess – pah! Ihr Werk missachten – ein Witz. Die werden noch sehen, wie wir ihr Werk achten. Mit Krieg werden wir die Welt überziehen, bis jeder die harmlosen Götterchen verlachen wird.“
„Und wie willst du das machen, du Spinner? Fliegen wir von der Insel? Jeder sein Päckchen Macht auf dem Buckel, damit wir nicht tot ins Meer fallen und auch noch ersaufen?“ Freddori hält deutlich wenig von Alamons Phantasien.
„Mein Junge, denk doch mal nach, falls du das mit deinen Knoten im Gehirn hinkriegst. Nochmal: Wir besitzen noch unsere Macht. Wir haben nur noch nicht gelernt, wie wir sie richtig einsetzen können. Aber das werden wir, Mann, das werden wir. Und eines Tages werden wir auch heraus finden, wie wir diese Insel verlassen können, ohne tot umzufallen.“
Richtig beschwörend ist seine Rede geworden, während er auf Freddori zugeht und ihm auf die Schulter klopft. Der hat voll Misstrauen seinen Kopf zur Seite genommen. Darauf reagiert Alamon aber nicht. Er wendet sich wieder uns allen zu.
„Ein Haus werden sie uns hier bestimmt nicht hingestellt haben. Also suchen wir uns erst einmal eine Höhle. Dort machen wir uns ein Feuerchen zum wärmen und ich werde euch dann weiter erklären, was mein Plan ist. Lasst euch überraschen.“
Ich weiche aus Irandinas Körper und sehe sie wieder neben mir stehen. Ich bin schweißgebadet und mein Körper tut mir weh. Mehr als deutlich habe ich die Veränderung des Leibes gespürt. Gelobt seien die Götter, dass die Erinnerung nicht in unseren Köpfen blieb.
„Brauchst du eine Pause, Waltruda?“, will Irandina wissen.
„Kommt noch viel?“, frage ich dagegen.
„Ich will dich nicht drängen, doch habe ich dir sehr viel zu berichten und ich weiß nicht, wann mich die Götter abberufen, wenn es für mich einen neuen Körper gibt. Andererseits verstehe ich, wenn du eine Ruhepause benötigst, denn es ist sicherlich schwer zu ertragen für dich.“
Ich atme tief durch und wische mir den Schweiß von der Stirn. Wieso kann ich meinen Arm bewegen? Bisher war ich doch zur Bewegungslosigkeit verdammt. Ich schaue zu Irandina und in Alamons Augen. Irgendwer hat mir die Entscheidung abgenommen… Ich sitze neben ihm.
„Na, Kleine, wird dir von meinen Ausführungen warm oder vom Feuer? Oder wird dir gar warm wegen mir?“
Ein gemeines Grinsen begleitet diese Worte. Könnt ich ihm doch die strahlenden Zähne einschlagen. Was bildet der sich ein?
„Hältst du mich für blöd, oder was? Einzig das Feuer bringt mich zum Schwitzen.“
„Also das Feuer in mir.“, grinst er mich weiter an.
Autsch, mein Handgelenk. Sein Griff ist eisern, als er meinen Versuch, ihn zu ohrfeigen, bereits im Keim erstickt. Nur nach seinem Willen kann ich ihm meinen Arm entreißen.
„Bilde dir nur keine Schwachheiten ein, Kindchen. Du wirst mich nie überwinden.“ Das Grinsen ist aus seinem Gesicht gewichen und blanke Wut und Hass starren mich aus seinen Augen an.
„Das werden wir noch sehen, Tyrann.“, gebe ich trotzig zurück.
Seine rechte Hand schnellt vor und packt mich schmerzhaft am Kinn. Er steht auf und dabei drückt er meinen Kopf weiter nach hinten, dass auch noch das Genick lautstark protestiert. „Kümmere dich um deinen Auftrag, statt mir zu drohen.“ Ein weiter verstärkter Druck nach hinten zwingt mich dazu, vom Felsbrocken zu stürzen, auf dem ich Platz genommen habe. Seine Hand lässt mich los.
Ich entscheide mich dafür, mir das schmerzende Genick zu reiben, damit ich trotz weiter spürbarem Druck auf dem Unterkiefer reden kann. „Sehr wohl, Gebieter.“
All meinen Trotz und Wut lege ich in diese drei Worte, doch Gebieter hätte ich ihn nicht nennen sollen. Alamon überhört bewusst meinen Tonfall und freut sich. „Habt ihr gehört? Gebieter hat sie mich genannt. Ein braves Kind. Ich werde mir überlegen, diesen Titel weiter zu führen.“ Deutlich barscher darauf: „Und jetzt macht, was ich gesagt habe.“
Nur wegen seiner Machtdemonstrationen folgen wir widerwillig dieser Aufforderung. Wer weiß, was der inzwischen noch alles in sich entdeckt hat. Am Ende kann er unsere Gedanken lesen. Das könnte tödlich sein.
Lunarus, Freddori und Guggeri sollen den Wohnraum, also die Höhle hier, mit ihren neu erkannten Kräften erweitern. Das würde die Bewegung von Sachen mit Geisteskraft üben. Die Männer schwitzen wahnsinnig vor Anstrengung. Es ist etwas anderes, ein Steinchen mit Willenskraft zu heben, als ganze Brocken aus einem alten Fels zu brechen und nach draußen zu transportieren. Wir anderen sollen versuchen, andere Lebewesen zu erspüren, denn die Natur verlangt ihr Recht und wir haben riesigen Hunger. Verdammte Natur.
Ich schaue, wie sich die anderen verhalten. Anscheinend tun sie tatsächlich, was von ihnen verlangt wurde. Wie vertrauensselig. So geistig versunken sind die doch alle willige Opfer für Alamon. Im Moment merken die doch überhaupt nicht, was um sie herum vor sich geht. Oder täusche ich mich? Lauern die gar genauso misstrauisch und argwöhnisch wie ich? Was mach ich jetzt? Ah, ja.
„Ich geh nach draußen. Hier drin spüre ich nichts. Nicht den Hauch eines Lebewesens. An der Küste krieg ich vielleicht einen Fisch zu packen. Wär doch was, oder?“
Ich warte keine Antwort ab und gehe raus in die Kälte. Der verflixte Vulkan spuckt immer noch. Das Glühen der Lava ist weithin sichtbar. Wo mag das Wasser hinfließen, das bei dieser Hitze aus dem Eis entsteht? Wir müssen unser Eiland noch erkunden, so richtig, nicht nur mit Gedanken.
Der Vulkanstaub hat sich hoch oben zu einer dichten Wolke gesammelt. So kann es wirklich niemals Sommer werden hier. Sogar so ein dämlicher Riese hat mehr Grips, als ich, denke ich. Der wusste, wovon er redet. Ob es dieses Kraut für Riesenwachstum wirklich gibt? Gerade noch kann ich einem der durch die Luft fliegenden Felsbrocken ausweichen, der mit kräftigem Plumps neben mir zu Boden fällt. Greift mich da einer an? Oder nur Schussligkeit?
„Passt auf da drin. Ich habe keine Lust, euch als Mahlzeit zu dienen. Nur weil wir nichts Essbares finden, will ich nicht erschlagen werden.“ Auch so ein Blödsinn der Götter. Wir werden bestraft, weil wir getötet haben und jetzt hat die Natur zugeschlagen und unsere Körper verlangen nicht mehr nur Obst und Getreide und Gemüse. Jetzt soll es auch Fisch und Fleisch sein. Da muss man doch töten. Oder sollen wir das am Ende auch noch verschuldet haben? Die dussligen Elben packen ihren Auftrag nicht mehr, die Erde und die Natur zu befrieden, nur weil ihnen elf abhanden gekommen sind. Ein Witz! Egal, ich hab die Regeln nicht gemacht. Sollen die Götter doch zusehen, wie sie ihren geliebten Spielplatz Erde wieder in Ordnung kriegen. Ist nicht mein Problem. Ich will jetzt Essen, das ist mein Problem. Wie krieg ich etwas? Es dunkelt schon und ich kann nicht mehr sehr weit sehen. Im Wasser brauche ich nicht zu suchen. Um etwas mit meiner Macht fangen und greifen zu können, muss ich es sehen. Ich spüre sogar große Wale in der Nähe, aber ohne Sicht klappt das nicht. Ich werde mal auf die Felsen dort klettern. Vielleicht kann ich von dort oben etwas erblicken.
Beim Klettern merke ich, dass in meinem Körper auch Muskeln arbeiten. Hände und Arme schmerzen, bei der ungewohnten Betätigung.
Mist, glatt. Auf dieser bescheuerten Insel ist alles beschissen. Fast wäre ich abgestürzt. Donnerwetter schon so hoch. Fast hundert Fuß, das hätte sich rentiert.
Geschafft. Oben.
Was ist das denn? Ist das Fleckchen hier das einzige, das nicht weiß ist? Ich hasse dieses Unschuldsweiß. Und verdammt windig ist es hier oben auch noch. Brrr, dabei kann ich mich doch nicht konzentrieren. Vielleicht hilft es, die Augen zu schließen. Die Tränen, die der eisige Wind heraus zwingt, hindern mich sowieso nur.
Mmh, so auf die Schnelle ist jetzt nichts zu entdecken. Außerdem lenkt mich schon wieder dieses neue Gefühl im Bauch ab und die geschlossenen Augen tun ein Übriges, um ganz andere Gedanken zu haben. Ich spüre die Kälte nicht mehr. Dafür Hände, die mich langsam und zärtlich streicheln. Von den Schultern sanft herab, bis auf die Hüften. Nun gleiten sie vor auf den Bauch und während die eine langsam nach oben zu den Brüsten wandert, hat sich die andere zwischen meine Beine verirrt. Ich atme schwer. Mir wird heiß und begierig, mehr zu genießen, lehne ich mich zurück, wo ich männliche Erregung und sicheren Halt spüre.
Halt!?!
Ich reiße die Augen auf. Ich spüre heißen Atem in meinem Nacken und Arme, die mich im Augenblick meines Widerstandes sofort wie Klammern halten. Am Geruch erkenne ich -„Alamon, lass mich los.“
„Das fällt mir doch jetzt grad überhaupt nicht ein. Wo es doch so schön ist und noch schöner werden wird.“
Dieser schmierige Tonfall erregt meinen Ekel. Heftig presst er seine Männlichkeit zwischen meine Pobacken. „Ich will jetzt nicht und mit dir schon gleich gar nicht.“ Augenblicklich packt er mich fester und schleudert mich zu Boden. Im Fallen drehe ich mich, um einen weiteren möglichen Angriff abzuwehren. Ich stolpere rückwärts, schlage mit dem Kopf auf und bin kurzzeitig benommen. Das nutzt er sofort aus. Schnell ist er über mir.
„Das ist schade, dass du nicht willst.“ Dieser aggressiv harte Ton ist wieder der normale Alamon. „Aber ich will jetzt. Genau jetzt!“
Immer noch benommen und wehrlos spüre ich, wie er sich unter meinen Gewändern zu schaffen macht, sofort eindringt und heftigst immer und immer wieder zustößt. Ein wahnsinniger stechender Schmerz rast durch meinen Körper. Ich schreie, versuche, mich zu wehren, doch mit eisernem Griff hält er mich fest und mit seinem Gewicht presst er mich auf den Boden. Da ist es auch schon vorbei.
Schwer atmend kniet er vor mir. Sein Samenspender hängt nass und schlaf herab. Ich komme wieder zu mir.
Rache! Und Gelegenheit!
Beide Beine ziehe ich an und stoße sie, so fest ich kann, in seinen Unterleib. Eine sehr schmerzhafte Erfahrung für Alamon. Diese Stelle ist äußerst empfindlich. Aufschreiend taumelt er einige Schritte rückwärts, krümmt sich und greift sich zwischen die Beine.
Jetzt bin ich im Vorteil, du Dreckskerl. Voller Wucht trete ich ihm unter das Kinn, dass sein Kopf nach hinten geschleudert wird. Er fällt zu Boden. Ich trete immer und immer wieder zu. Kopf, Rücken, Bauch, gleich wie er liegt oder was ich treffe. Die Wut muss raus.
Der glatte Untergrund tut ein Übriges und langsam rutscht und windet sich Alamon näher an den Abgrund. Nur noch einen Dreher mehr und er ist gewesen.
„Töte mich nur, Irandina. Das macht gar nichts. Du wirst es sehen. Mich wirst du nicht los.“
Er ist kaum zu verstehen, so sehr blutet er aus dem Mund, aber sogar jetzt bringt er noch sein zynisches Lächeln zustande. Das reicht! Ein letzter Tritt.
„Bis bald, Irandina!“
Ein vernehmliches Krachen beendet seinen Sturz in die Tiefe. Vor Schmerz die Hände auf den Bauch gepresst, trete ich vorsichtig nach vorn und blicke auf das Ergebnis meiner Raserei hinab. Auf dem abschüssigen und vereisten Hang ist Alamon noch ein gutes Stück weiter gerutscht, eine deutliche Blutspur hinter sich lassend. Bar jeglicher Reinheit schießt Alamons schwarze Seele in den Himmel. Auch in unserer Höhle hat man den Aufprall gehört und schon bald ist die Leiche von den anderen umringt.
Mühsam klettere ich wieder hinunter zu den übrigen Alben. Alle sehen mich an.
„Mag den jemand essen?“
Kopfschütteln erhalte ich als Antwort.
„Der ist bestimmt giftig.“, meint Morlogane. „Ein Wunder, dass er nicht an seinem eigenen Gift verreckt ist.“
Mit einer unterstützenden Armbewegung hebe ich den toten Körper mit meinen Gedanken hoch, lasse ihn durch die Luft fliegen und weit draußen, weil ich ihn nicht mehr sehen kann, stürzt er ins Meer. Ich hätte ihn am liebsten noch weiter weg geschafft.
„Nun, ich denke, ich werde jetzt hier das Kommando übernehmen.“
„Da hast du wohl falsch gedacht, Irandina. Das wird Guggeri machen.“, bekomme ich von Elrone zu hören. Überrascht blicke ich die Beiden an. Wie sie sich an ihn heran drängt. Die sind sich wohl mehr als einig.
„Bilde dir keine Schwachheiten ein. Nur weil du Alamon erledigt hast, bist du nicht automatisch unsere Führerin. Hättest du ihn nicht von den Felsen gestoßen, hätten wir schon für sein Ableben gesorgt. Du hast uns Arbeit abgenommen. Danke dir. Das war´s. Jetzt gehen wir alle erst einmal hinein und beratschlagen uns. Wir sind nicht von Alamons Schlag und bilden uns nicht ein, die Weisheit gepachtet zu haben. Auch wenn wir uns alle so ungeheuer mögen, müssen wir gemeinsam überleben. Das sollte Grund genug sein, unsere Abneigung gegen einander zu überwinden.“
Das war Guggeris Antrittsrede auf die keinerlei Widerspruch folgt. Warum auch. Irgendwo haben sie leider Recht und außerdem: Sie sind zu Zweit.
Ich taumele und erkenne neben mir wieder Irandina. Tief, sehr tief atme ich durch. Ich bin so erschöpft, dass ich mich nieder knien muss. Ich spüre Trost auf mich wirken. Gilbret ist tatsächlich unsichtbar bei mir. Danke.
„Das war der erste Teil meiner Geschichte. Du darfst nun aufwachen, doch schon morgen werden wir uns wieder sehen.“
* * * * *
„Muss es denn so schnell weiter gehen, Irandina? Ich bin noch völlig erschöpft und die Niederschrift hat mich zusätzlich noch angegriffen. Deine Geschichte ist fürchterlich.“
„Es tut mir wirklich aufrichtig leid, dass ich dich so quälen muss, doch ich tue es nicht aus eigenem Willen. Ich wurde dazu bestimmt, dir von damals zu erzählen. Ich kann nichts dafür, außer dass ich Albin wurde. Wenn ich nun fortfahren darf?“
„So sei es!“, seufze ich ergeben und erwarte wieder den Wechseln in Irandinas damaligen Körper. Doch dem ist nicht so.
Sie berichtet:
„Selbst als Albin musste ich zugeben, dass es unter der Führung von Guggeri und Elrone durchaus angenehmer war, soweit man überhaupt von angenehmem Leben auf dieser Eisinsel reden kann. Wir konnten miteinander auskommen, was bei Alben außergewöhnlich ist.
Wir begannen, die Insel zu erforschen. Nicht nur geistig. Wir wanderten überall hin. Wir lernten, unsere Augen derart abzudunkeln, dass wir schadlos so lange es uns beliebte auf die weiße Fläche schauen konnten, ohne zu erblinden. Wir lernten, unsere Körper mit unserer Macht vor jeglichen Witterungseinflüssen zu schützen. Wir fanden tatsächlich Tiere, die auf der Insel lebten und konnten uns von ihnen und Kräutern und kümmerlichen kleinen Beeren leidlich ernähren. Hinzu kam der eine oder andere Weißbärenschinken, wenn tatsächlich mal einer zu uns geschwommen kam. Und natürlich sehr viel Fisch. Jedes Mal, wenn ein Wal oder ein Fisch sich an der Oberfläche zeigte, konnten wir ihn gemeinsam packen und an Land schaffen. Hauptsache, wir konnten ihn sehen, denn daran ließ sich nichts ändern. Sichtkontakt gehörte unabdingbar zum Einsatz unserer Macht. Ein kleiner Wal brachte natürlich das Meiste ein. Mir fiel es besonders schwer, mit den kurzen Tagen und den verdammt langen Nächten zurecht zu kommen.
Zu meinem größten Bedauern hatte Alamons Überfall eine zunehmend unübersehbare Spur hinterlassen. Ich trug ein Kind im Bauch und Ka-Ra auch. Keine Ahnung, wer wann mit ihr zusammen war. Es ging völlig unauffällig von Statten. Sie war es sichtlich zufrieden und strahlte, bis sie die Leibesfrucht verlor. Das machte sie gefährlich für unsere Zwangsgemeinschaft. Ich weiß bis heute nicht, was schlimmer in ihr tobte. War es besonders schlechte Laune oder unglaubliche sexuelle Gier. Keiner der Männer war vor ihr sicher. Jeder musste herhalten, damit sie vielleicht nochmal ein Kind im Bauch haben könnte. Oftmals ging das nicht ohne Schlägerei ab. Mit ihrer kräftigen Statur konnte sie einem Mann sehr wohl größere Schwierigkeiten bereiten. Der schwächliche Lunarus war immer wieder ein willkommenes Opfer für sie.
Ich hätte ihr gerne meine Last abgegeben, hätte ich gekonnt. Mir war der dicke Bauch und alles was dazu gehört zuwider. Übelkeit, Unwohlsein, Schmerzen überall und vor allem die körperliche Unförmigkeit hasste ich. Sehr oft stritt Ka-Ra mit mir, weil sie mir das Kind missgönnte. Schlägereien gab es häufig zwischen uns. Ein Wunder, dass nicht auch ich das Kind verlor.
Es ist nicht mehr lange hin bis zur Niederkunft und ich marschiere mit Ka-Ra über ein Schneefeld. Wir waren auf der Jagd und ich hatte eines dieser Geweih tragenden großen Tiere erlegt. Ka-Ra hatte kein Glück gehabt und ließ mich aus Wut dann auch die Beute allein transportieren. Natürlich war ich deswegen auch deutlich langsamer als sie.“
Unvermittelt befinde ich mich wieder im Körper von Irandina und gehe Ka-Ra hinterher, die heftigst auf mich einredet. „Jetzt beweg dich ein bisschen schneller, mit deinem dicken Bauch. An dem kleinen Tierchen kann es ja nicht liegen. Du trägst es ja nicht auf deinen Schultern. Oder glaubst du, du bekämest eine Sonderbehandlung, weil du die Erste bist, die ein Kind bekommen wird?“
„Lass mich doch in Ruhe. Ich hab mich nicht darum gerissen. Ich kann nichts dafür, dass du, warum auch immer, dein Kind verloren hast.“ Ich bin bestimmt genau so übellaunig wie Ka-Ra, nur aus anderen Gründen. Ich fühle mich miserabel. Alles ist mir zu viel.
„Willst du damit sagen, ich sei etwa selbst schuld, dass mein Kind abgegangen ist? Hältst du mich für krank, für unfähig, Kinder zu bekommen? Willst du das damit sagen?“
Abrupt ist Ka-Ra stehen geblieben und dreht sich zu mir um. Jetzt geht das wieder los. Den Ärger brauch ich genauso wenig, wie das Kind im Bauch.
„Ich will gar nichts damit sagen. Ich wollte nicht die Erste sein. Ich wollte nicht mal ein Kind austragen müssen. Jetzt ist es halt einmal so. Was kann ich tun?“, brumme ich mürrisch und bekomme sofort zu spüren, dass ich mal wieder das Falsche gesagt habe. Eigentlich sagt man bei Ka-Ra immer das Falsche.
„Dem kann sicher Abhilfe geschaffen werden, verfluchtes Zierpüppchen.“, keift sie los.
Hat sie eben noch mit auf die Hüften gestützten Händen drohend vor mir gestanden, gehen jetzt etwa 170 Pfund Weib auf mich los. Ihre Masse und ihre Größe von fast sechs Fuß geben ihr jede Menge körperlicher Vorteile. Zudem nimmt mir mein dicker Bauch auch meine Wendigkeit. Also werde ich zunächst erst einmal einfach von ihr umgerannt und ich stürze rücklings in den Schnee. Sie ist sofort über mir und drückt mir ihre voluminösen Brüste unter dem Umhang voll auf das Gesicht. Ich bekomme keine Luft und reiße sie an den langen Haaren, die ich zu packen bekomme. Mit ganzem Körper und vollem Gewicht presst sie mich in den Schnee. Leider ist sie an Kopf und Haar derart schmerzunempfindlich, dass mein Reißen keinerlei Wirkung zeigt. Sie bekommt meine Arme gepackt und drückt sie auf den Boden. Sie stemmt sich darauf hoch und hebt den Kopf ganz weit nach hinten. Ihren Kopfstoß sehe ich schon kommen. Ich reiße mein linkes Bein hoch und treffe sie heftigst zwischen ihren Beinen. Mit einem schmerzhaften Aufschrei fällt sie von mir herab.
Tränen stehen in ihren Augen, als sie sich aufrappelt, um wieder auf mich los zu gehen. Mit einem Sprung will sie sich erneut auf mich werfen, um mir Luft und Kind aus dem Leib zu pressen. Überrascht müssen wir beide erkennen, dass sie in geringem Abstand über mir zur Seite geschleudert wird. Schneller als man diesem massigen Weib zugetraut hätte ist sie wieder auf den Beinen, um mir einen heftigen Tritt zu versetzen. Eine unsichtbare Wand behütet mich, Ka-Ra stolpert und stürzt wieder in den Schnee.
„Ach, hat dir der alte Alamon den Trick verraten oder hast du es selbst heraus gefunden? Die Dame kann sich jetzt auch abschirmen.“, schnaubt sie um Luft ringend.
„Denk doch, was du willst und lass mich in Ruhe.“
Ich setze mich auf und lasse sie nicht erkennen, dass ich selbst überrascht bin. Nur langsam füllen sich meine Lungen wieder mit frischer Luft. Ich fühle mich, als hätte mich ein göttlicher Hammer getroffen. Alamon hatte keine Gelegenheit, mir irgendetwas zu verraten. Der hätte doch niemals einem von uns etwas über seine Fähigkeiten preis gegeben. Und bis zu diesem Moment kannte ich diese Fähigkeit selbst an mir noch nicht. Ich kann es mir auch zu diesem Zeitpunkt nicht erklären. Vielleicht eine instinktive Geistesreaktion, schließlich war ich noch recht benommen. Ich stehe auf, hebe den Geweihträger wieder hoch und setze meinen Marsch schweigend fort, als sei nichts geschehen. Ka-Ra stapft hinter mir her, ohne mich erneut anzugreifen.
In der Höhle angekommen sind inzwischen wohl bekannte Geräusche zu vernehmen. Guggeri und Elrone treiben es häufig, manchmal auch mehrmals täglich miteinander. Entweder haben die dabei so viel Spaß oder Elrone will unbedingt auch ein Kind. Ihr Stöhnen versetzt Ka-Ra auch wieder in Stimmung. Lunarus wird kurzerhand gepackt und nach draußen geschleppt. Erstaunlicher Weise kommt nach geraumer Zeit nicht Ka-Ra zuerst wieder in die Höhle. Von dem spitzen Stein, den Lunarus uns zeigt, tropft Blut und er spricht: „Ab jetzt nur noch, wenn ich es will.“ Dabei atmet er schwer.
Neugierig gehe ich hinaus und finde Ka-Ra mit eingeschlagenem Schädel und heftig blutendem Unterleib. Unser kleiner Schwächling hat sich offensichtlich mächtig ausgetobt. Die Tote folgt Alamon in die eisige See und ich verlasse Irandinas Körper.
Ich bin so erschöpft, als hätte ich soeben selbst mit dem starken Weib gekämpft. Ich bin eine Zwergin und verfüge über weitaus mehr Körperkraft als Irandina, doch bis zu diesem Augenblick war ich die Albin und hatte nicht meine eigene persönliche Stärke. Ich fühle mich, als hätte ich einen ganzen Tag mit einer sehr schweren großen Axt geübt. Mitfühlend blickt mich die ehemalige Albin an.
„Kann ich fortfahren, Waltruda?“
„Ja, es muss gehen.“
Und so berichtet sie weiter: „Es kam der Tag, an dem sich das Kind seinen Weg bahnte. Das tat verdammt weh und ich schrie, als würde ich gefoltert. Erst als das Kind draußen war, fühlte ich mich wieder zufrieden mit mir. Schon beim ersten Anblick des Knaben kam mir der Gedanke, dieses Wesen bereits zu kennen. Und ich war nicht die Einzige mit diesem Eindruck.
Grima machte die dumme Bemerkung: „Dem armen Kind hat sein Vater aber mächtig einen Stempel aufgedrückt. Man kann es nicht vergleichen, denn die Götter erschufen uns in erwachsener Gestalt, doch so müsste ein kleiner Alamon wohl aussehen.“
Ich hatte gute Lust, ihr an die Gurgel zu gehen, aber unsere beiden Führer stellten sich schnell dazwischen. Im Moment waren die beiden sehr darum bemüht, dass es keine weiteren Auseinandersetzungen gab. Wir halten es nicht für gut, wenn wir uns gegenseitig umbringen, meinten sie, ohne es aber in irgendeiner Weise begründen zu können. Ich fluchte zu den Göttern, welch übles Spiel sie nun mit mir treiben würden. Ein innerer Zwang brachte mich dazu, das Kind, trotz meiner Abneigung, zu säugen und groß zu ziehen. Ich packte es in schwarze Tücher, denn sein Körper war gleich den unseren und verlangte, nicht nur wegen der Kälte, bedeckt zu werden. Es schlief viel, doch wenn es die Augen offen hatte verstärkte sich die Erinnerung an Alamon deutlich. Mit der Zeit kam dann noch dieses unverschämt zynische Grinsen hinzu. Vor allem dann, wenn ich es trug und nährte.
Die Zeit ging dahin und ich ertrug alles, was mir die Götter auferlegt hatten. Jeder Versuch, das Kind zu erschlagen, blieb schon im Ansatz stecken. Ich konnte es einfach nicht. Inzwischen kann das Kleine schon leidlich laufen und beginnt zu reden. Es ist jetzt gerade mal ein paar Monate alt. Ich fand noch keinen Namen für den Knaben.
Ich bin gerade dabei, einen Fisch mit dem Messer auszunehmen. Mein Junge sitzt auf einem Stein, mir gegenüber. Ich muss ihn anblicken und sehe, wie er mich sehr angestrengt ebenfalls ansieht. Schon wieder dieses Grinsen.“
Ich sehe wieder durch Irandinas Augen das Kind und höre: „Sagte ich dir nicht, du wirst mich nicht los, Irandina. Da bin ich wieder.“
Eine kindliche Stimme mit dem schmierigen Tonfall von Alamon. Ein Aufschrei des Entsetzens kommt über meine Lippen, der die anderen alarmiert. Mit zufriedenem Nicken nahm das Kind dies zur Kenntnis.
„Da bin ich wieder, meine lieben Gefolgsleute. Ich hoffe, ihr habt mich nicht allzu sehr vermisst. Offensichtlich ist euch die Zeit nicht lang geworden. Ihr kommt schon ganz gut zurecht, wie ich sehe. Auf Ka-Ra müssen wir auch nicht mehr allzu lange warten. Morlogane darf das Monsterweib austragen. Nun besorgt mir ein großes Gewand, denn es wird nicht mehr lange dauern. Ich spüre es. Also bewegt euch.“
Zwilter, der immer noch nicht bei einer Frau gelegen hat, bringt das Gewünschte und reicht es dem kleinen Kind. Ohne einen Dank greifen die kleinen Hände danach und mit den Worten: „Wartet hier!“ verschwindet es in der Höhle, schleift den Umhang hinter sich her. Nur am schmerzvollen Stöhnen vermögen wir zu erahnen, was dort gerade vor sich geht. Der kindliche Ton wird deutlich erwachsener und dunkler und schon bald steht wieder der alte Alamon vor uns.
„Offensichtlich hat keiner von euch verstanden, was die Götter uns in ihrer Strafe mit androhten. Ihr Frauen werdet unsere eigenen Seelen wieder gebären. Darum wusste ich, dass ich wieder kehren werde. Zu Ka-Ras Pech war ich allerdings nicht damit einverstanden, sie als Mutter zu haben. Deswegen habe ich mich in ihrem Leib selbst getötet. Da warst du mir im zweiten Anlauf schon deutlich lieber, beste Irandina. Irgendwie musste ich mich doch für den Mord rächen. Töten darf ich dich leider nicht oder besser gesagt, ich werde dich nicht töten. Es wird mir deutlich mehr Vergnügen bereiten, dich zu quälen und glaube mir, ich habe die Macht dazu. Ich habe viel gelernt in deinem Bauch, ohne dass du etwas davon mitgekriegt hast. Jetzt hört, was mir inzwischen widerfahren ist.
Nachdem Irandina sich meiner entledigt hatte, fand ich mich umgehend in einem Seelenkäfig in zeitlosem Raum wieder. Um mich herum war nichts. Ich konnte nicht von der Stelle oder sonst irgendwie aktiv werden. Irgendwann packte man meine Seele und schleuderte sie wieder hierher auf die Erde. Ich konnte noch kurz erkennen, in welchen Mutterleib ich komme, dann war zunächst nichts mehr. Es dauert, bis ein Geist im Mutterleib erwacht. Wissend wer mich erwartet, habe ich alles daran gesetzt, mich zu töten, wollt ich doch Irandina als mich liebende Mutter.“
Äußerst verletzend, diese Bemerkung.
Er fährt fort: „Als ich erneut einen irdischen Leib verließ, wurde ich merkwürdiger Dinge ansichtig. Weit im Süden der Welt erheben sich merkwürdige Geschöpfe, die Feuer speien können. Manche sind sogar des Fliegens mächtig. Offensichtlich ist den Göttern die Natur aus den Fingern geglitten und sie macht nun, was ihr gefällt. Ich denke, das wird noch einen Spaß geben. Dann fühlte ich mich eingefangen und fand mich erneut in jenem Seelenkäfig wieder. Doch diesmal stellte sich Hermes vor mich hin und lachte über mich. Vor Wut begann ich in dem Käfig zu rasen, was ihn nur noch mehr erheiterte. >Du kommst hier nicht raus<, rief er. >Auch darf ich dir von den Göttern nunmehr erklären, dass du zwar etwas gesehen hast, was auf der Erde irgendwann einmal geschieht, doch wird dich diese Erfahrung ein Stück deiner Lebensmacht kosten.
Wisse, du wahnsinniger Alb, jedes Mal, wenn sich einer von euch das Leben selbst nimmt, so wird er eines irdischen zukünftigen Ereignisses ansichtig. Doch für den Mutwillen des Selbstmordes wird mit Lebensmacht bezahlt. Irgendwann ist diese Macht dann aufgebraucht und eure schwarze Seele wird auf ewig in solchem Käfig schmoren. So ist eure Zeit auf Erden also nicht gänzlich unbegrenzt. Werdet ihr von einem Alb getötet oder sterbt ihr, weil der Körper alt geworden und verbraucht ist, so kehrt ihr zurück auf diese Insel in den nächsten freien Kindeskörper, der geboren wird. Ihr seht nichts von der Welt, doch kostet dies auch nichts von der Lebenskraft.<
Erneut lacht er höhnisch über mich. Dann packt mich eine universelle Kraft und ich lande im Kinde Irandinas.
Nachdem nun mein Geist erwachte, übte ich mich in meinen Kräften und lernte Vieles dazu. Zuletzt vermochte ich schon in ihrem Leib für meinen Schutz zu sorgen. Deswegen konnte Ka-Ra es nicht gelingen, mich aus diesem Körper zu vertreiben.“
Zufrieden blickt Alamon um sich.
„Ich denke, es spricht nun nichts dagegen, wenn ich hier wieder die Führung übernehme. Nicht wahr, Guggeri? Elrone?“
Betreten blicken die beiden zu Boden und ich darf wieder in meinen Körper zurück kehren.
„Das Weitere werde ich dir nur noch erzählen, Waltruda.“, sagt Irandina, nachdem ich wieder klar im Kopfe wurde. „Alamon wurde ein wahrer Meister darin, uns zu quälen. Ganz besonders natürlich mich. Wie er vorher sagte, bekam Morlogane bald ein Kind, aus dem dann nach wenigen Monaten Ka-Ra wurde. Ich musste ihm öfter als mir lieb war zu Willen sein und bekam viele Kinder, die seelenlos waren. Ihr Körper wurden auf die schon gewohnte Weise im Meer entsorgt, wo sie Futter für die Haie wurden. Der Grund dafür wurde uns erst viel später bekannt. Nach dem Urteil der Götter und der Unterscheidung zwischen Mann und Frau hat es alle Verstandeswesen in ihrer Entwicklung so weit zurück gesetzt, dass vieles völlig neu gelernt werden musste. Das war nötig, dass sich ein Gewissen ausbilden konnte. Erst danach waren die Götter in der Lage nach den Taten zu richten und die missratenen Seelen, wie sie es nannten, zu uns zu schicken. So dauerte es lange Zeit, dass du für die Zahl der Jahre keinen Namen hast.
Zwilter, der überhaupt nichts mit Frauen zu schaffen haben mag, wurde gezwungen, mit Grima Kinder zu zeugen, bis endlich eine neue Seele erschien. Sie nannte sich Kain und war ein Mensch. Danach häuften sich unsere Niederkünfte und immer mehr böse Seelen trafen bei uns ein. Nun ließ Alamon von mir ab, hatte er noch genügend neue Opfer und wir, die ersten Alben, wurden so etwas wie eine Oberschicht. Jeder neue Geist, wir nennen sie Verbannte, wurde genötigt, mindestens einmal Selbstmord zu begehen, damit wir erfahren konnten, was auf der Erde geschieht. Und schon wieder einmal unterlag Alamon einem Trugschluss. Die neuen Alben wurden bezüglich eines Selbstmordes anders beurteilt als wir. Bei ihnen war alles abhängig von der Schwere ihrer Verfehlung. Es gab sogar den einen oder anderen, der viel zu kurz bei uns war, um sich selbst zu töten. Und wenn einer der wiedergeborenen Verbannten etwas sehen konnte, fehlte meist der Verstand, das Gesehene so zu berichten, dass wir etwas damit anfangen konnten.“
Die Albin bricht an dieser Stelle ihr Erzählung ab und kann nur noch sagen: „Leb wohl, Waltruda. Ich spüre einen neuen Körper mich rufen. Ich darf mich bessern. Ich freue mich.“
Zusehends verschwommener wird ihr Bild, bis ich sie nicht mehr erkennen kann. Ihre letzten Worte verhallen wie aus weiter Ferne.
Ich hätte noch so viele Fragen, doch ich erwache.