Читать книгу Wir weigern uns, Feinde zu sein - Rainer Stuhlmann - Страница 5
ОглавлениеVorwort
„Zwischen den Stühlen“ – meine „Alltagsnotizen aus Israel und Palästina“ wurden 2015 sehr freundlich aufgenommen. Darum wurde ich eingeladen, auch meine Erfahrungen bis zu meiner Rückkehr nach Deutschland im Spätsommer 2016 zu publizieren. Bevor das Buch geschrieben war, stand schon sein Titel fest „Wir weigern uns, Feinde zu sein“. Meine Erzählungen von der palästinensisch-christlichen Familie Nassar und ihrem „Zelt der Nationen“ hatten die Menschen besonders angesprochen. So wurde ihr Motto zum Titel dieses Buches. Von ihnen erzähle ich im ersten Kapitel (I).
Mehr und mehr entdeckte ich, dass dieses Motto der unausgesprochene Leitsatz vieler ist in Palästina und in Israel. Von ihnen erzähle ich in einem längeren zweiten Kapitel (II). Dabei springe ich ständig über ihre Mauern und lasse mich von überraschenden Erfahrungen mit beiden irritieren und gebe diese Irritationen an Leserinnen und Leser weiter.
Dabei bin ich mir bewusst, wie angreifbar ich mich damit mache. Wer nur die einen meiner Geschichten liest, wird mich für einen „Freund Israels“ halten, der keinen Blick für Palästinenser hat. Und wer nur die anderen meiner Geschichten liest, wird mich für einen „Sympathisanten Palästinas“ halten, „der den Staat Israel verunglimpft“. Beide Erfahrungen habe ich bereits gemacht. Sie sind unvermeidbar. Darum sehe ich ihnen auch weiter tapfer entgegen.
Zwei Gruppen habe ich je ein eigenes Kapitel gewidmet, weil sie sich weigern, meine Feinde zu sein. Das eine (III) handelt von jüdischen Israeli und ihren Begegnungen mit mir als Deutschem. Sie beschämen mich immer aufs Neue. Das andere (IV) handelt von christlichen Palästinensern und ihren Begegnungen mit mir als europäischem Christen. Sie helfen mir, meinen Eurozentrismus zu überwinden, den ökumenischen deutsch-palästinensischen Dialog als theologische (und nicht nur politische) Aufgabe zu begreifen und an dessen notwendiger Verknüpfung mit dem christlich-jüdischen Dialog zu arbeiten.
Lange habe ich gezögert, dieses Buch zu schreiben. Seit meiner Rückkehr nach Deutschland wurde ich immer wieder aufs Neue verwirrt durch die Schärfe der Auseinandersetzung hier zulande, die auch jüdische und palästinensische Israeli schockiert, wenn sie Deutschland besuchen. Manche sprechen vom „Krieg der Sympathisanten“. Allmählich haben sich mir Ursachen dafür erschlossen und Wege eröffnet, auch hier Feindschaft zu verweigern und Schritte zu einer sachlichen Auseinandersetzung zu finden. Dem ist ein weiteres Kapitel gewidmet (V). Ich verstehe aber auch mein ganzes Buch als Beitrag zur Versachlichung dieser Diskussion.
Als Beitrag zur Überwindung von Feindbildern verstehe ich auch meine kurzen Auslegungen klassischer Texte aus dem Alten und Neuen Testament in meinem letzten Kapitel (VI), die sich betont von ihren traditionellen antijüdischen und antisemitischen Auslegungen absetzen. Die Texte im Anhang geben Auskunft zu Fragen, die bei der Lektüre des Buches entstehen könnten.
Katja und Dr. Tobias Kriener danke ich für kritische Beratung. Sie arbeiten seit 2016 als Koordinator für Studienarbeit und Koordinatorin für Dialogarbeit in Nes Ammim. Ermutigt und gestärkt fühle ich mich durch die Evangelische Kirche in Deutschland, die mich beauftragt hat, für knapp ein Jahr den Propst in Jerusalem zu vertreten.
Jerusalem, im Dezember 2019
Rainer Stuhlmann