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EINLEITUNG

Rückblick nach fünf Jahren

Fünf Jahre lebte ich in Israel, in Nes Ammim, einem internationalen christlichen Dorf. Als ich 2016 nach Deutschland zurückkehrte, erging es mir nicht anders als den fast zweihundert Freiwilligen, für die ich dort ein Studienprogramm angeboten hatte: Ich hatte mehr Fragen als Antworten und war irritierter als ich gekommen war. Weder bin ich zum Israel- noch zum Nahost-Experten geworden, als der ich jetzt manchmal in Deutschland begrüßt werde. Bis zum Schluss ging es mir mit dem Land und seinen Bewohnern wie mit einem Kaleidoskop. Alle paar Tage hat es jemand etwas gedreht und mir ein anders Bild vermittelt. Bei allen Problemen macht das auch den Reiz des Landes aus. Es ist niemals langweilig.

Nes Ammim ist ein ungewöhnliches christliches Dorf in Israel. Anders als viele andere Christen, die nach Israel kommen, wollen wir die Juden weder belehren noch bekehren. Das Nein zu jeder Form der Judenmission ist ein programmatisches. Unser Bekenntnis zum Messias Jesus ist kein triumphales, bes­serwissendes nach dem Motto „Wir kennen euren Messias, ihr nicht“, sondern ein demütiges, das alles von dem kommenden Messias erwartet. Deshalb können wir der jüdischen These zustimmen, dass die Messias-Frage offen ist. Unser Bekenntnis zum gekreuzigten und auferstandenen Jesus ist angewiesen auf die Bestätigung des Kommenden und darum offen für seine Antwort. Der Kommende wird sagen, wer er ist. Er allein wird triumphieren, nicht das Christentum über das Judentum (oder umgekehrt). Diese Einsicht erlaubt es nicht, die Position eines „Bescheidwissers“ einzunehmen, sondern nötigt zu vielfältigen Dialogen. Dem fühle ich mich verpflichtet.

Ich habe mit vielen, denen ich während meiner Zeit in Nes Ammim begegnet bin, gelitten und ich habe mich mit vielen gefreut. Gelitten habe ich am meisten unter der politischen Situation: ein Land mit zwei Völkern. Die Mehrheit auf beiden Seiten möchte die jeweils anderen nicht im Land haben und gibt sich Illusionen oder mörderischen Fantasien hin, die sich auch in Gewaltaktionen Luft machen. Wir ausländischen Gäste in Nes Ammim haben uns weder in das politische Alltagsgeschäft einzumischen noch Belehrungen zu erteilen. Seit Jahren hat Nes Ammim aber zu einer Parteilichkeit gefunden, die auf beiden Seiten die Minderheit unterstützt, die sich für Gerechtigkeit und Frieden einsetzt. Von beiden Seiten wird uns dafür gedankt, dass wir im Land sind, und dafür, wie wir es sind: in „doppelter Solidarität“. Wer mehr „politische Zurückhaltung“ fordert, ist nicht weniger politisch, denn solche Zurückhaltung stabilisiert den Status quo, der auf Dauer für beide Seiten nicht akzeptabel ist.

Erfreut haben mich die vielen Menschen, die für mich „das andere Gesicht“ Israels und Palästinas repräsentieren – in beiden Teilen des Landes, in der Nachbarschaft und in den lokalen Dialoggruppen. Ich habe zwar in Israel gelebt, habe aber auch die palästinensischen Gebiete und viele ihrer Bewohner kennen und schätzen gelernt. Diese Menschen in Israel und Palästina sind die Hoffnung für das Land. Ich habe wahrgenommen, wie sie unter der Situation leiden, und ihren Mut und ihre Tatkraft bewundert, in den Schuhen der anderen zu gehen und damit kleine Schritte auf dem Weg des Friedens und der Gerechtigkeit zu wagen. An ihrer Seite möchte ich auch weiterhin stehen – bei meinem Engagement für sie in Deutschland und bei meinen künftigen Besuchen. Und von diesem „anderen Gesicht“ Palästinas und Israels will ich in diesem Buch erzählen. Es wird geprägt durch Menschen, die sich anders verhalten als üblich, die keine Gewalt ausüben, durch Palästinenserinnen und Palästinenser, die sich friedlich für Gerechtigkeit einsetzen, und durch jüdische Israeli, die sie darin unterstützen, statt sie zu bekämpfen. Ihr heimliches Motto heißt: „Wir weigern uns, Feinde zu sein“. Es ist entstanden im „Zelt der Nationen“ in Palästina.

Wir weigern uns, Feinde zu sein

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