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Jules Verne und Pierre-Jules Hetzel

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Der Beruf des Verlegers war nicht neu, aber er sollte im 19. Jahrhundert neu definiert und zu einer Schlüsselstellung des literarischen Betriebs werden. Von der multifunktionalen Tätigkeit des Buchhändlers, der hauptsächlich auf Nachfragen der beschränkten Lesekreise reagierte, sonderte sich jetzt diejenige des Verlegers ab, der ein eigenes Programm konzipierte und somit ein Angebot für ein großes Publikum schuf. Der Verleger, an den Verne sich wandte, Pierre-Jules Hetzel, darf mit Louis Hachette und Pierre Larousse zu den herausragenden Persönlichkeiten seiner Zunft gerechnet werden.

Im Sommer 1862 legte Verne Hetzel seinen Roman Un voyage en l’air (Eine Reise in der Luft) vor, der Verleger war sehr angetan davon, änderte lediglich kurzerhand den Titel in das eingängigere Fünf Wochen im Ballon und handelte am 23. Oktober mit Verne den ersten Vertrag aus. Die damit einsetzende Zusammenarbeit von Verleger und Autor markiert den Wendepunkt in Vernes Schriftstellerleben. Das Team Verne und Hetzel stellt eine faszinierend vielschichtige Beziehung zwischen Autor und Verleger dar, die sich in einer Schnittmenge aus Lektorat, Freundschaft und Geschäft entwickelte. Ohne Hetzel kein Jules Verne und keine Außergewöhnlichen Reisen. Wenn Verne später an Hetzel schrieb, er habe ihn erfunden, dann steckt bei aller Ironie auch eine tiefe Wahrheit darin. Das Werk Vernes ist ohne einen genauen Blick auf seinen Verleger nicht zu verstehen.

Das Verlagswesen und die Aufgaben eines Verlegers, so wie wir sie heute kennen, haben sich in jener Zeit im Zuge der technischen Verbesserungen im Druckwesen, der wachsenden Zahl an Druckerzeugnissen und der steigenden Alphabetisierung erst entwickelt. Waren 1810 an die 3 900 neue Titel erschienen, so lag die Zahl 1850 schon bei knapp 9 900. Treibende Kraft dieser Veränderungen war der technische Fortschritt, konkret die künstliche Herstellung von Tinte sowie die Entwicklung von Papierrollen und Rotationsmaschinen, mit denen man schneller und billiger herstellen konnte, um dem wachsenden Bedarf zu genügen.

War der sich ausweitende literarische Buchmarkt bis zu den 1830er Jahren noch von französischen Klassikern und erfolgreichen Übersetzungen, darunter Romane von Walter Scott und E. T. A. Hoffmann, geprägt, setzten sich dann mehr und mehr auch französische Bestsellerautoren durch. Ihr Erfolg war eng an den Aufschwung der Presse gebunden, die 1836 den Feuilletonroman als feste Komponente aufnahm und dadurch einen wahren Boom auslöste. Der besondere Status des Feuilletonromans für die Presse wird anschaulich, wenn man sich die Zusammensetzung einer typischen Pariser Tageszeitung vergegenwärtigt: vier großen Seiten mit fünf Spalten, auf der ersten Seite Nachrichten über die Regierung und im unteren Viertel, dem so genannten »rez-de-chaussée«, die Episode eines Feuilletonromans, die sich auf anderen Seiten unten fortsetzen konnte; Seite zwei bot weitere politische Nachrichten (auch aus dem Ausland), es folgten Vermischtes und auf Seite vier schließlich Werbeanzeigen und Annoncen. Der Feuilletonroman lockte somit nicht nur bereits auf der ersten Seite die Leser an, sondern stellte einen entscheidenden Kaufanreiz dar, weil er im Unterschied zu den Nachrichten – die man auch in anderen Zeitungen lesen konnte – ein exklusives Angebot war.

Der Vorabdruck von Romanen in der Presse schaffte eine neue Verwertungskette, die das unternehmerische Risiko minimierte. Die quasi täglichen Romanlieferungen, die möglichst mit einem cliffhanger endeten, hatten den Vorteil für die Zeitungen, Leser nicht nur an sich zu binden, sondern auch zahlreiche neue zu gewinnen, wie die Verkaufsziffern eindrucksvoll belegen. So steigerte Le Constitutionnel in den Jahren 1844 und 1845 aufgrund des Erfolgs von Eugène Sues Der ewige Jude seine Abonnenten von 3 600 auf 20.000. Bald gab es keine Zeitung mehr, die sich dieser Entwicklung versagte. Die großen Erfolge jener Zeit sind allesamt als Feuilleton erschienen: Le Siècle triumphierte 1844 mit Dumas’ Drei Musketieren, das Journal des débats brachte zwischen 1842 und 1843 Die Geheimnisse von Paris von Sue und von 1844 bis 1846 Dumas’ Grafen von Monte-Christo. Eine anschließende Buchausgabe war ein ebenso sicheres Geschäft wie eine Bühnenfassung; und sollte ein Roman einmal im Feuilleton scheitern, so konnte er einfach abgebrochen und ersetzt werden.

Diese neuen Einnahmequellen professionalisierten das Schreiben. Waren Dichter bisher von ihrem Privatvermögen oder von meist adligen Mäzenen abhängig gewesen, so konnten sie ihre Tätigkeit nun zum Beruf machen. Einfacher wurde dies dadurch nicht, denn sie gerieten in neue Abhängigkeiten, an erster Stelle vom sich ständig verändernden Markt und in zweiter Hinsicht vom Engagement eines Verlegers.

In dieser Marktstruktur war es für einen Verleger von besonderem Interesse, nicht nur Bücher, sondern auch Zeitungen und Zeitschriften herauszugeben. Diese Kombination machte ihn zu einer keinesfalls immer geliebten Schlüsselfigur des Buchmarktes. Trotz seiner Macht stand auch er unter dem Druck, erfolgreich zu sein, und das konnte er nur, wenn er die Entwicklungen des Marktes genau beobachtete oder sogar beeinflusste, indem er neue Autoren lancierte. So stand er mit einem Bein in der Welt des Geschäfts und mit dem anderen in der Welt der Kreativen und besaß idealerweise Züge von beidem: Er musste genau rechnen und nüchtern planen können, aber auch über Fantasie und Visionen für Projekte verfügen, zugleich enge Kontakte zu den Intellektuellen aufbauen und Zugang zu Salons und Zirkeln haben, um auf Talentsuche zu gehen.

Der 1814 in Chartres geborene Pierre-Jules Hetzel besaß all diese Eigenschaften in exemplarischer Weise. Literaturbegeistert und mit eigenen schriftstellerischen Ambitionen, studierte er zunächst in Straßburg Jura, wo er die deutschen und die französischen Romantiker für sich entdeckte. Schließlich brach er das Studium ab und ging 1835 nach Paris, wo er bei dem Buchhändler Paulin arbeitete und schon nach zwei Jahren dessen Kompagnon wurde. Als Sohn eines Sattlermeisters und einer Hebamme gehörte Hetzel neben den Brüdern Garnier oder Michel Lévy somit zu den Neueinsteigern einer Branche, die wegen der rasanten Veränderungen solche Karrieren ermöglichte. Nun darf man sich den Markt allerdings auch nicht als unüberschaubar vorstellen. Er konzentrierte sich ganz auf Paris, wo um 1850 ca. 100 Verleger arbeiteten, die meist im Quartier Latin angesiedelt waren.

Schon die ersten eigenen Buchprojekte Hetzels verweisen auf Konstanten, die seine verlegerischen Prinzipien kennzeichnen: Neben hoher Papierqualität legte er von Anfang an Wert auf künstlerisch anspruchsvolle Illustrationen, um den Lesern ein bibliophiles Vergnügen zu ermöglichen. Hetzels Gebetbuch Livre d’heures (Stundenbuch) und die Imitation de Jésus-Christ (Nachfolge Christi) von 1838 und 1839 kombinieren Bild und Text miteinander und machen die Bücher auch zu einem visuellen Erlebnis. Erbauliche Literatur dieser Art war ein sicheres Geschäft, und die in zahlreichen französischen Übersetzungen kursierende Nachfolge Christi gehörte zu den meist gedruckten Texten überhaupt.


Vernes Verleger Pierre-Jules Hetzel

In seinem ersten größeren Projekt, den Scènes de la vie publique et privée des animaux (Szenen aus dem öffentlichen und privaten Leben der Tiere), in dem die Pariser Gesellschaft anhand von Tieren karikiert wird, kommen weitere charakteristische Aspekte zum Vorschein. Zunächst Hetzels schriftstellerische Tätigkeit, die er unter dem Pseudonym P.-J. Stahl verbarg. Er verfasste nicht nur das Vorwort, sondern auch ganze neun Kapitel. Dann die Fähigkeit, große Namen wie einen Balzac, einen Alfred de Musset, eine George Sand oder einen Charles Nodier dafür zu begeistern. Das aufwendige Werk, das mit 323 Vignetten reich illustriert wurde, begann 1839 und dauerte über hundert Lieferungen bis 1842 an. Bücher wurden deshalb zunächst in Teillieferungen verkauft und abschließend gebunden, um die Kosten zu stückeln und das Risiko dadurch zu verringern. Was das Marketing anging, so setzte Hetzel schon hier als einer der ersten auf Plakatwerbung, die auch später bei den Titeln Vernes eine wichtige Rolle spielte. Der Erfolg bestätigte seine Vorgehensweise: 1845 erschien der Band in der 5. Auflage.

Schon bevor die Scènes de la vie publique et privée des animaux abgeschlossen waren, wagte sich Hetzel an eine wahre Mammutaufgabe heran: das noch nicht abgeschlossene Gesamtwerk Balzacs herauszugeben, erstmals unter dem Namen Comédie humaine (Menschliche Komödie), jenes monumentale Fresko der französischen Gesellschaft der Restauration mit mehreren tausend Figuren, die eine literarische Höchstleistung des Realismus darstellt und die Literaturgeschichte bis heute beeinflusst. Balzac zog das Publikum seiner Zeit in seinen Bann, nicht nur angesichts seiner schier unbändigen Energie, seiner phänomenalen Beobachtungsfähigkeit und seines unglaublichen Gedächtnisses, auch rein physisch wirkte der bäuerliche, dicklich kräftige Mann mit dem wachen Blick so faszinierend, dass noch Rodin, der ihn nie leibhaftig gesehen hat, sich von ihm einnehmen ließ und ihn in mehreren Skulpturen verewigte.

Wie sollte der noch keine dreißig Jahre alte Hetzel eine solche Herausforderung bewältigen? Schon allein finanziell war das Projekt so aufwendig, dass er sich mit zwei weiteren Verlegern, Dubochet und Furne, zusammentun musste. Aber Hetzel war die treibende Kraft des Unternehmens, 1841 wurde der Vertrag mit Balzac unterschrieben, ab 1842 erschienen die ersten Bände. Auch wenn die Menschliche Komödie kein finanzieller Erfolg wurde, so ist sie doch eine verlegerische Glanzleistung, und nicht nur das, Hetzels Hartnäckigkeit verdanken wir eines der literaturgeschichtlich bedeutendsten Zeugnisse. Denn er zwang dem zögernden Balzac jenes berühmte Vorwort ab, das die Menschliche Komödie einleitete und heute zu einer der wichtigsten theoretischen Schriften der realistischen Schule gehört.

Hetzels forsche, aber immer sympathische Art und seine klaren Vorstellungen gehen aus einem Brief hervor, mit dem er Balzac zu dem Vorwort drängte, das dem Autor weitaus mehr Mühen abverlangte als das Verfassen von Romanen:

»Es kann nicht sein, dass eine Gesamtausgabe von Ihnen, das Größte, was zu Ihren Werken bisher gewagt wurde, ohne ein paar Seiten Vorwort von Ihnen ans Publikum geht. …

Ans Werk, mein Dickerchen; erlauben Sie einem mageren Verleger, so zu Eurer Dicklichkeit zu sprechen. Sie wissen, dass es in guter Absicht geschieht.«

Einmal von einer Idee überzeugt, fasst Hetzel den Stier bei den Hörnern und lässt nicht locker, bis das Projekt umgesetzt ist. Für die spätere Zusammenarbeit mit Verne ist die Herausgabe von Balzacs Gesamtwerk deshalb vorausweisend, weil Hetzel hier erstmals das Konzept zur Herausgabe eines umfangreichen Werks nur eines Autors in Angriff nimmt.

Ohne das Geschäftliche zu verachten, steht für Hetzel Kommerzielles nicht an erster Stelle, was auch sein politisches Engagement von 1848 zeigt. Hetzel war überzeugter Republikaner und hat seine verlegerische Tätigkeit stets in den Dienst der allgemeinen republikanischen Ideale und Zielsetzungen gestellt.

1848 wurde er während der republikanischen Übergangsregierung von dem Dichter und Außenminister Alphonse de Lamartine zum Kabinettschef ernannt. Zwar ist Hetzel ab 1849 wieder ausschließlich Verleger, aber seine republikanische Haltung war Louis Napoléon Bonaparte bekannt. Daher tauchte er im Dezember 1851 nach dem Staatsstreich in Paris unter, wohl wissend, dass sein Aufenthalt nicht lange geheim bleiben würde. Als er erfährt, dass Agenten ihn ins Exil begleiten sollen, beschließt er, lieber allein das Land zu verlassen, und geht nach Brüssel, wo sich zahlreiche Republikaner, darunter auch Victor Hugo, versammeln. Zwar kennt Hetzel ihn bereits, in Brüssel jedoch entwickelt sich eine Freundschaft zwischen beiden, die sich auch in der Herausgabe verschiedener Werke Hugos ausdrückt, darunter dessen bissige Verurteilungen Louis Napoléons in Les Châtiments und Napoléon-le-petit. Umso enttäuschender war es für Hetzel daher, als der große Romantiker 1862 seinen Roman Die Elenden, der sich als Riesenerfolg erwies, nicht ihm, sondern dem finanziell besser ausgerüsteten Brüsseler Verlag Lacroix, Verboeckhoven et Cie anbot.

Die Schwierigkeiten, den Verlag von Brüssel aus zu führen, zwangen ihn, vorübergehend als Literaturagent ante litteram für George Sand zu arbeiten, zu der sich ein freundschaftliches Verhältnis entwickelte. Als diese 1852 beim Kaiser persönlich eine Begnadigung für Hetzel erwirkte, hielt er es wie sein Freund Hugo und blieb vorerst im Exil, begab sich zwar regelmäßig nach Paris, kehrte aber erst 1859 mit der Generalamnestie definitiv zurück, um seinen Verlag in der Rue Jacob Nr. 18 wieder aufzubauen.

Ein Neuanfang ist immer auch eine Chance, und Hetzel besaß die besten Voraussetzungen, um sie zu nutzen. Zunächst galt es, ökonomisch wieder Fuß zu fassen. Hier optimierte Hetzel seine Verlagspolitik der Zeit vor 1848, was sich an der heute noch beeindruckenden Luxusausgabe der Märchen von Charles Perrault aus dem Jahre 1862 veranschaulichen lässt. Das bibliophile Konzept weist bereits auf die späteren Ausgaben Vernes voraus, denn schon rein äußerlich kündigt die in Rot und Gold gestaltete Hardcoverausgabe die späteren Prachtausgaben der Außergewöhnlichen Reisen an. Angesichts des Preises von 60 Francs (ca. 195 €), was dem Monatsgehalt eines Arbeiters entsprach, richtete es sich an das städtische Bürgertum. Innen fand der Leser vierzig ganzseitige Stiche von Gustave Doré, die bis heute zu den beeindruckendsten Illustrationen der Märchenklassiker wie Rotkäppchen, Der gestiefelte Kater oder Blaubart gehören. Das Buch war aufgrund des Formats und der hohen künstlerischen Qualität der Illustrationen ein Prestigeobjekt und sollte zur gemeinsamen Lektüre und Betrachtung der Bilder anregen. Der philologische Respekt vor dem Original spielte dabei keine große Rolle, Hetzel passte die Märchensammlung seinen Vorstellungen an, indem er Texte wegließ, Fassungen verwendete, die nicht von Perrault stammten, und bei allen Märchen die Moral strich.


Gustave Dorés Illustration zu Rotkäppchen in Hetzels Märchenausgabe

Die Prachtausgabe wurde ein anhaltender Erfolg. Dennoch garantieren bibliophile Ausgaben und verlegerische Hingabe keine wirtschaftlichen Gewinne. Hetzels Bücher waren schlichtweg zu teuer und kamen zu einer Zeit, als Billigausgaben wie die »Bibliothèque Charpentier« ab 1838 die Preise drückten und zu einer ernsthaften Konkurrenz wurden, ganz abgesehen von dem Dauerproblem der belgischen Raubdrucke, die für drei Francs (ca. 10 €) den französischen Markt überschwemmten. Letzteres entspannte sich erst, als 1852 ein Abkommen über Autorenrechte zwischen Frankreich und Belgien geschlossen wurde.

War Hetzel bereits zwischen 1846 und 1848 nur knapp der Pleite entgangen, so geriet er Anfang der 1860er Jahre erneut in finanzielle Engpässe, aus denen ihm erst die erfolgreiche Zusammenarbeit mit Jules Verne heraushalf, die sich ab 1865 ökonomisch positiv bemerkbar machte.

Hetzel interessierte sich aber nicht allein deshalb für Verne, weil er sich gute Gewinne versprach, sondern vor allem, weil er in sein pädagogisches Programm passte. Schon 1843 hatte Hetzel eine Reihe für Kinder mit dem Titel Nouveau Magasin des Enfants ins Leben gerufen, die er nach seiner Rückkehr aus dem Exil mit der Entwicklung einer spezifischen Literatur für Kinder- und Jugendliche fortführte. Wenn uns heute die Existenz einer Kinder- und Jugendliteratur eine Selbstverständlichkeit zu sein scheint, so ist dies im 19. Jahrhundert noch keineswegs der Fall. Ein Blick in Schulbücher wie Louis Hachettes Leselehrbuch für die Primarstufe Alphabet et Premier Livre de lecture à l’usage des écoles primaires von 1831, das eine Auflage von 500.000 Stück erreichte, veranschaulicht, dass die Texte nach heutigem Verständnis alles andere als kindgerecht, sondern vielmehr informationsreiche Sachtexte und moralisch-christliche Unterweisungen gewesen sind. Kinder wurden als kleine Erwachsene angesehen, und Kindheit wurde bisher kaum als eigengesetzliche Entwicklungsphase ernst genommen.

Es spricht für Hetzels verlegerisches Geschick, dass er den Bereich der Kinder- und Jugendliteratur in unterschiedlichen sich ergänzenden Formaten und Reihen anging, von denen hier nur einige exemplarisch genannt werden: ab 1864 über die Zeitschrift Le Magasin d’Éducation et de Récréation, ab 1866 über die illustrierten Albums Stahl, dann die kostengünstige Romanreihe Petite Bibliothèque Blanche (ab 1879) oder die Reihe ländervergleichender Pädagogik namens Scènes de la vie de collège dans tous les pays von André Laurie.

Hetzel griff dabei weiterhin selbst zur Feder und publizierte fleißig im eigenen Verlag mit und firmierte anonym als »ein Papa« oder wie gehabt mit dem Pseudonym P.-J. Stahl, das er auch für Bearbeitungen verwendete. So erschien 1864 im ersten Band des Magasin eine Neubearbeitung des Schweizerischen Robinson, die Hetzel sorgfältig geändert hatte, indem er veraltete wissenschaftliche Annahmen richtigstellte oder moralisch anstößige Szenen wie Grausamkeiten gegen Tiere abschwächte. Angefügt sei hier, dass der Verlag auch als Vermittler ausländischer Jugendliteratur wirkte. So hat Hetzel die französischen Erstübersetzungen von Robert Louis Stevensons Schatzinsel oder Rider Haggards König Salomons Schatzkammer herausgegeben.

Das Herzstück seiner edukativen und editorischen Strategie war das Magasin d’Éducation et de Récréation, eine Zeitschrift, die er schon seit Jahren in Planung hatte. Mit Jules Verne schien nun endlich ein Autor gefunden worden zu sein, der die gewünschte Verstärkung bildete, um das Projekt umzusetzen. Herausgeber waren 1863 zunächst P.-J. Stahl und Jean Macé, ein Schulfreund Hetzels, der als Lehrer an einem Mädchenpensionat im Elsass arbeitete. Jules Verne sollte ab 1866 noch hinzukommen. Ein großer Teil von Vernes Romanen wurde hier vorpubliziert. Auf dem Markt konkurrierte das Magasin zunächst mit dem Journal des enfants (seit 1832) und Hachettes Semaine des enfants (seit 1857), konnte sich jedoch behaupten und war bald anerkannt, was sich 1867 in einem Preis der Académie manifestierte. Als Hochphase ihrer Verbreitung können die 1870er Jahre angesehen werden, in denen sie im Jahre 1876 auf ca. 13.000 Abonnenten kam.


Hetzel als Erzieher mitseinem Sohn Louis-Jules

Die aus ca. 32 zweispaltigen Seiten bestehenden Einzelnummern des Magazins boten in der Regel eine Lieferung Vernes, die etwa die Hälfte der Seiten füllte, eine weitere Romanlieferung (ca. fünf bis sieben Seiten), anschließend leichtere Lektüre mit moralischer Botschaft (ebenfalls um die fünf bis sieben Seiten), dann kürzere Texte wie Fabeln, Gedichte oder Maximen und schließlich zwei bis drei illustrierte Seiten für jüngere Leser.

Hauptautoren waren Verne, Macé und Stahl, die sich die Ressorts aufteilten: Lieferte Verne Geografie und Abenteuer, so vermittelte Macé eher Biologie und Medizin, und Stahl sorgte für die moralische Unterweisung. In der ersten Nummer fand der Leser Lieferungen von Macés Les serviteurs de l’estomac (Die Diener des Magens), La princesse Ilsée von Stahl, Die Reisen und Abenteuer des Kapitäns Hatteras von Jules Verne und Wyss’ Schweizerischen Robinson. Je nach Wissensgebiet holte Hetzel weitere Spezialisten heran, die zu den bedeutendsten Namen ihres Faches zählten, darunter den Entomologen Jean-Henri Fabre, den Architekten Viollet-Le-Duc oder den Astronomen Camille Flammarion.

Explizite politische Aussagen wurden zwar vermieden, aber das Programm entsprach insgesamt den republikanischen Ideen Hetzels und Macés. Die Aufwertung des Pädagogischen im Sinne einer allgemeinen Schulbildung gehörte zu den Kardinalforderungen der Republikaner. Zwar waren schon von Guizot 1833 und Victor Duruy 1867 Gesetze erlassen worden, die wichtige Schritte auf diesem Weg darstellten, endgültig sollte die allgemeine Schulpflicht aber erst mit Jules Ferrys Gesetzen von 1881–1882 kommen.

Der pädagogische Grundgedanke, den Hetzel im Vorwort der ersten Nummer deutlich zum Ausdruck brachte, formulierte das bekannte Horazsche Diktum vom prodesse et delectare als allgemeinen Zweck der Dichtung in eine didaktische Maxime für die Kinder- und Jugendliteratur um: »Das Belehrende muss sich in einer Form zeigen, die Interesse weckt; ansonsten schreckt es von der Unterweisung ab, das Amüsante muss einen moralisch wahren Kern enthalten, also nützlich sein.«

Die Betonung des Moralischen bedarf einer Erklärung, weil das Deutsche den Begriff der Moral heute anders versteht. Hetzel bringt Moral hier explizit in Zusammenhang mit Nützlichkeit. In Frankreich gibt es eine lange literarische Tradition der so genannten Moralisten, zu deren Klassikern etwa La Rochefoucauld mit seinen Maximen und Reflexionen gehört, die sich allgemein um menschliche Schwächen drehen und psychologische mit soziologischen Beobachtungen verknüpfen und damit eine Zwischenstellung zwischen Sprichwörtern und philosophischen Betrachtungen einnehmen. Viele von ihnen können jedoch auch als ganz praktische Lebensregeln gelesen werden.

Auch Hetzels Moralbegriff dreht sich um die praktische Bewältigung des sozialen Miteinanders, allerdings ohne jede ironische Note, sondern in einem väterlich wohlwollenden Ton, der sich an die willigen Kinder des Bürgertums richtet. Damit entsprach Hetzel durchaus den allgemeinen Auffassungen von Pädagogik und erhielt für zwei seiner Werke, 1869 für die Morale familière und 1875 für Histoire d’un âne et de deux jeunes filles (Geschichte eines Esels und zweier Mädchen), den Prix Montyon, einen auf den Baron von Montyon zurückgehenden Tugendpreis, der im 19. Jahrhundert regelmäßig vergeben wurde.

Ein Blick in die Texte veranschaulicht, in welche Richtung Hetzels Pädagogik zielte. Die (Lebens-) Geschichte eines Esels wird aus der Perspektive des Esels Criquet erzählt, der anschaulich von seinen Erfahrungen und seiner Entwicklung seit seiner Geburt berichtet. Seine Unwissenheit von der Welt gibt zwar Anlass zur Komik, wenn er mit Menschenkindern am Tisch sitzt und sich ordentlich zu benehmen hat. Aber vor allem beinhaltet jede Episode stets eine moralische Lehre: Man soll fleißig sein, auf die Älteren hören, aus Fehlern lernen, still sitzen usw. Als höchste Ziele der Erziehung erscheinen der gesunde Menschenverstand sowie die Unterordnung unter die Pflichten und sozialen Gegebenheiten. Criquet resümiert: »Jeder hat ein Gesetz zu erdulden in dieser Welt. Vom ersten bis zum letzten hat jeder irgendjemandem oder irgendetwas zu gehorchen. Es gibt niemanden, der keinen Herrn hat, denn niemand ist ohne Pflicht auf dieser Welt. Egal ob man ein Esel oder ein Kaiser ist, muss jeder den Regeln des gesunden Menschenverstandes, der Gerechtigkeit und der Vernunft gehorchen, um falsche Schritte zu vermeiden und sich vor Purzelbäumen zu hüten.«

Ein Grund dafür, warum Hetzels Texte trotz ihrer historischen Bedeutung nicht überlebt haben, dürfte gerade in ihrer Eindeutigkeit liegen, die dem Zahn der Zeit nicht standzuhalten vermochte. Vernes Romane hingegen waren von vornherein doppelt adressiert, richteten sich also auch an erwachsene Leser und konnten daher mühelos alternativ in allgemeinen Tageszeitungen vorpubliziert werden. Gerade diese Unterschiede veranschaulichen jedoch, dass das Magasin als Gesamtkonzept aus sich ergänzenden verschiedenen Teilen zu verstehen ist und seinen im Titel versprochenen Erziehungs- und Erholungsauftrag in einer Kombination aus Reiseabenteuer, Sachwissen und moralischer Erbauung gerecht wurde.

Hetzels Vorbild hat im wahrsten Sinne des Wortes Schule gemacht, denn konzeptionell lässt sich vom Magasin eine direkte Linie zum 1877 erstmals erschienenen Schulbuch Le Tour de la France par deux enfants. Devoir et patrie (Reise durch Frankreich zweier Kinder. Pflicht und Vaterland) ziehen, das bis 1914 auf sieben Millionen Exemplare kam und Generationen französischer Schüler geprägt hat. Es erzählt von zwei Waisenkindern, die aus dem von Preußen annektierten Gebiet Lothringens nach Frankreich fliehen und sich dort auf die Suche nach Verwandten begeben. Die Rundreise durch das Land wird genutzt, um die Regionen und ihre Traditionen vorzustellen, letztlich mit dem Ziel, das Einheitsgefühl der Nation zu stärken. Auch hier ist jedes Kapitel unterschiedlich kombiniert aus praktischem Wissen, geschichtlich-geografischen Kenntnissen und moralischer Erbauung, wobei die geografische Kenntnis auch das militärisch bedeutsame Kartenlesen beinhaltet.

Von Anfang an spielte Verne somit eine zentrale Rolle in Hetzels neuem Verlagsprogramm, daher soll nun ein genauerer Blick auf seinen ersten wissenschaftlichen Roman Fünf Wochen im Ballon geworfen werden.


Jules Verne

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