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Prolog

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Ich habe schon viele Tote gesehen, bei einigen Morden war ich Zeuge, und ich habe selbst getötet, aber der Tod des Redners war … spektakulär.

»… Menschenhandel ist nach Drogen- und Waffenhandel und noch vor dem illegalen Kunsthandel die drittgrößte Einnahmequelle des internationalen Verbrechens. Die kausale Kette heißt Armut, Menschenhandel, Sklaverei. Die extreme Spanne zwischen Armut und den möglichen Gewinnen ist der Motor, der diesen Kreislauf antreibt. Wer also Menschenhandel verhindern will, muss auf der ganzen Front mit allen polizeilichen, juristischen, rechtlichen, politischen und letztendlich auch ideologischen Mitteln gegen die Sklaverei, den Menschenhandel und in letzter Konsequenz gegen die Armut vorgehen.«

Ich war zu diesem Kongress über Menschenhandel und Sklaverei eingeladen worden, die Eröffnungsrede hielt der Tagungsleiter Rogé Delecroix. Ich saß auf dem mittleren Platz in der hintersten Reihe des Auditoriums. Von dort aus hatte ich eine gute Sicht auf das Podium und das Rednerpult in dessen Mitte. Die halbkreisförmige Panoramaglasfront hinter dem Pult öffnete den Blick über einen schilfbewachsenen Zierteich, einen Weg mit hellem Kies, eine Reihe Rhododendronbüsche vor einem alten schmiedeeisernen Zaun und den Wald mit vielen hohen, alten Tannen. Die vorderen Stuhlreihen waren etwas abgesenkt, nach hinten erhöhte sich das Auditorium, sodass ich aus einer leicht erhabenen Position den Überblick über die knapp achthundert Anwesenden hatte.

Durch die unmittelbar vorhergehenden Ereignisse war ich emotional aufgewühlt und richtete deshalb meine ganze Aufmerksamkeit auf den Redner.

»Dieser Kongress wird Lösungen und Vorschläge erarbeiten, wie ehemalige Sklaven resozialisiert, wie Gefährdete aufgeklärt, wie Opfer geschützt und Täter belangt werden können. Was aber am Ende wirklich nötig ist und größer sein kann – sein muss – als der Ansatz eines Kongresses über Menschenhandel, ist die Entwicklung einer Idee für die gerechte Verteilung der Ressourcen. Der Kommunismus hat versagt, der Kapitalismus beutet die Welt zum ungerechten Vorteil weniger aus. Ich wünsche mir, dass diese Konferenz zur Keimzelle einer neuen Ideologie wird, die am Ende nicht nur den Generationen von Sklaven, sondern der ganzen Menschheit zum Wohle –«

Hinter dem Kopf des Redners erblühte im Panoramaglas eine Eisblume aus gezackten Kristallen. Im selben Moment brach aus deren Mitte, dem Kopf von Rogé Delecroix, eine unglaublich schöne rote Blüte hervor, deren Blütenblätter für den Bruchteil einer Sekunde spitz und stachelig auf mich wiesen. Der mittige Blütendorn raste auf mich zu, verlor sich zu einer Ahnung werdend und klatschte mit einem hässlich splitternden Geräusch gegen die Holzvertäfelung über mir.

Ich hatte dieses Phänomen in voller Konzentration auf Rogé Delecroix wahrgenommen, aber erst als ich die Bilder vor meinem inneren Auge rekonstruierte, langsamer als in Zeitlupe, wurde mir klar, dass der Redner vor achthundert Zeugen zum Schweigen gebracht worden war.

Schwarzwälder Schweigen

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