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Kapitel 1

Glansrode, ein beschauliches Städtchen mitten im nördlichsten Mittelgebirge Deutschlands, dem Harz. Noch zu Niedersachsen gehörig, aber nur wenige Kilometer an der Grenze zu Sachsen-Anhalt gelegen.

Die 30000 Einwohner verbrachten dort ein recht beschauliches Leben mit allen Vor- und Nachteilen einer Kleinstadt. Zur nächstgrößeren Stadt, in diesem Fall Goslar, benötigte man 20 Minuten mit dem Auto. Natürlich gab es auch eine Bahnverbindung und es fuhren Busse, wenn auch für viele in zu langen Abständen.

Der Stolz der Glansroder war die historische Altstadt mit einer Flaniermeile, verzweigten Gassen und einem stattlichen Rathaus, am Rande des Marktplatzes gelegen. Die Häuser waren fast alle im Fachwerkstil gehalten, schön restauriert und ein Blickfang für immer mehr werdende Touristen, die vor allem zum Wandern in die Region kamen.

Hier hatte Hinnerk Bender vor 38 Jahren das Licht der Welt erblickt. Aufgewachsen in behüteten Verhältnissen und nun fest verwurzelt in Glansrode. Die Schulzeit verbrachte er zum Großteil auf dem Theodor Heuss Gymnasium, dort das Abitur, wenn auch mit Ach und Krach, bestanden und dann nicht gewusst, in welche berufliche Richtung es gehen sollte. Die Eltern drängten ihn zu einer Beamtenlaufbahn. Da hätte man einen ruhigen Job, zudem nahezu unkündbar mit einer schönen Pension im Alter.

Bender aber wollte eher studieren, vielleicht Journalistik, Fachgebiet Sport, oder auch Geschichte. Beides entsprach seinen Interessen. Er bewarb sich an mehreren Universitäten mit dem Ergebnis, dass er aufgrund des mäßigen Abis mit langen Wartezeiten konfrontiert wurde oder es Absagen hagelte. Da mit einem ausgeprägten Gerechtigkeitssinn ausgestattet, kam ihm schließlich die Idee, sich bei der Polizei zu bewerben (also doch Beamter). Dies hatten noch weitere Schüler seines Abi-Jahrganges, alle ebenfalls mit eher durchschnittlichen Noten, so praktiziert und einige waren tatsächlich angenommen worden.

Auch wenn er nicht vollends überzeugt war, begann er im Alter von 20 nach überstandenem Aufnahmetest die Ausbildung an der Polizeischule in Hann. Münden, am äußersten Südzipfel Niedersachsens. Dort, wo sich die Flüsse Fulda und Werra zur Weser vereinigten, aber auch dort, wo sich Fuchs und Hase eine schöne Nacht wünschten

Das war jetzt 18 Jahre her. Er hatte die Prüfung zum Polizeikommissar bestanden, sogar recht ordentlich, war dann in die Landeshauptstadt Hannover zum Streifendienst versetzt worden und liebäugelte mit einem Wechsel zur Kripo. Die Chance kam schneller als erwartet, als innerhalb des Dezernats für Staatsschutz gleich mehrere Kollegen der Vorteilsannahme beschuldigt wurden. Angeblich sollten kurdische PKK Angehörige mit Verbindung zu diversen Reisebüros verbilligte Urlaubsreisen für eher laxe Ermittlungen in dieser Szene gewährt haben. Die Affäre wurde zwar so gut es ging vertuscht; die Öffentlichkeit bekam zum Erstaunen aller nichts mit, aber die Kollegen wurden in unwirtliche Regionen Niedersachsens versetzt (z.B. auch nach Hann. Münden) und plötzlich fand sich Hinnerk Bender bei der Kripo wieder.

Es war nicht unüblich, dass nach einer gewissen Zeit in der Landeshauptstadt eine Versetzung in die Heimatregion möglich sein konnte.

Bender ergriff die Gelegenheit, als ein Kollege aus Glansrode, dortige Kriminalaußenstelle, in den Ruhestand ging, niemand Interesse am Dienst in der Provinz zeigte und er schließlich der einzige Bewerber war. 2009 war er wieder zurück in seiner geliebten Heimatstadt.

Der polizeiliche Alltag hatte bisher keine großen Höhepunkte für Bender gebracht. Mal mehr, mal weniger aufwändige Ermittlungen. Übliches Geschäft mit kleinen Erfolgserlebnissen, sowohl in Hannover, als auch die letzten 10 Jahre in Glansrode. Hier gab es ein Polizeirevier mit angegliederter Kriminalaußenstelle, diese besetzt mit 5 weiteren Kollegen und 2 Kolleginnen. Der Hauptsitz der Kripo war in Goslar.

Das private Leben verlief fast parallel mit dem dienstlichen. Heirat mit seiner Jugendliebe Karla 2011, Geburt der Tochter Luisa 2013, Erwerb einer Eigentumswohnung in einem gutbürgerlichen Außenbezirk Glansrodes 2014. Ein schönes, normales, ruhiges gutbürgerliches Leben mit diversen Urlauben in Österreich oder auch Süddeutschland. Bender war zufrieden, wenn auch leicht gelangweilt. Aber nur leicht.

An diesem Tag im September sollte sich einiges, ja sogar alles ändern.

Es begann mit einem Anruf seines Dienststellenleiters, EKHK Martin Holzer. Dieser zitierte ihn zu sich. Bender war skeptisch. In Holzers Stimme war eine gewisse Nervosität zu spüren. Völlig ungewöhnlich für den erfahrenen 55-jährigen mit Bierbauch und einem imposanten Kaiser Wilhelm Gedächtnisbart.

„Hinnerk, stell dir vor, es ist eine Leiche gefunden worden…hier in Glansrode“. Bender stutzte. Normalerweise nannte ihn hier jeder „Hinni“. Dass ihn Holzer jetzt bei seinem normalen Vornamen ansprach, war verwunderlich. Holzer stand der Schweiß auf der Stirn. Immer wieder wischte er mit einem rot gepunkteten Taschentuch über sein rundes Gesicht.

„Was ist daran besonderes, Martin? Hier gab es schon mehrere Leichen. Die meisten zwar auf natürliche Weise gestorben, aber einige auch mit Gewalt. Erinnere dich an den eifersüchtigen Mehmet, der vor vier Jahren seine Fatma…“

„Das musst du mir nicht erzählen,“ unterbrach ihn Holzer leicht gereizt. Irgendetwas beunruhigte den Chef.

„Beamte des Streifendienstes sind am Fundort, mitten im Wald, in der Nähe der Klärchenquelle im Unterholz. Es ist eigentlich gar keine richtige Leiche, mehr ein Totenschädel mit Knochen drumrum.“

„Also ein Skelett, womöglich menschlich.“

„Wirklich gut kombiniert…, ja wahrscheinlich ein menschliches Skelett. Aber laut den Kollegen vor Ort könnte der Schädel eine Schussverletzung aufweisen…Na egal, die können sich irren. Lobeschitz und Heufel sind ja nicht die hellsten.“

Damit meinte er zwei der Streifenbeamten vor Ort.

„Die Kriminaltechnik aus Goslar ist schon auf dem Weg zum Fundort. Ich will, dass du zusammen mit dem Kollegen Lonzig den Fall, sollte es einer sein, übernimmst. Fahrt hin, macht euch ein Bild und sagt mir sofort Bescheid.“

Bender hatte eigentlich Probleme mit Leichen. Immer kam es bei ihm zu einer kleineren bis mittelschweren Übelkeit, musste er sich mit einer beschäftigen. Deshalb war er erleichtert über ein Skelett. Wahrscheinlich ohne Fleisch und Verwesungsgeruch. So hoffte er wenigstens.

„Muss es unbedingt Lonzig sein, du weißt, dass wir nicht die allerbesten Freunde sind.“ Frank Lonzig war als Eigenbrötler bekannt, neigte zum Jähzorn, war aber meist einsilbig.

„Ist mir bekannt, aber er ist als Einziger verfügbar. Urlaub und Krankheit, die Kollegin Schneider ist schwanger, da bleiben nicht mehr viele übrig…Sag ihm Bescheid und dann ab zur Klärchenquelle“.

Während Bender als Durchschnittstyp durchging, war Lonzig alles andere als das. Knapp 2 Meter groß, Hände so groß wie Klodeckel, Vollglatze und der Hang zu schrillen Farben, was die Kleidung anging.

Bender atmete tief durch und betrat dann ohne zu klopfen Lonzigs Büro.

„Hallo Frank, kannst du mit mir kommen, wir haben einen Fall, vielleicht ein Tötungsdelikt…“

Lonzig war in eine Zeitschrift über Kampfsport vertieft und sah nur kurz auf.

„Aha“.

Mehr sagte er nicht, stand aber auf, packte seine Tasche und ging Richtung Tür. Bender folgte ihm, machte noch einen Abstecher zum eigenen Büro, um diverse Ausrüstung zusammenzupacken und ging dann mit dem wartenden Lonzig zum Fahrzeug der Kripobereitschaft.

Ziel war die sogenannte Klärchenquelle im Westen von Glansrode, mitten in einem ausgedehnten Waldstück, durchzogen von Wanderwegen. Die Klärchenquelle war der Ursprung eines Baches, der Ronde.

Der Verkehr floss an diesem Nachmittag zügig. Über die Bundesstraße bog Bender in eine Kreisstraße ab, um dann nochmals in das besagte Waldstück, den „Rößler-Grund“ zu kommen. Die Wanderwege waren auch mit dem Auto gut zu befahren, so dass die beiden fast unmittelbar bis zum Skelett kommen konnten. Während der Fahrt hatte Bender seinen schweigsamen Kollegen über die wenigen eigenen Informationen in Kenntnis gesetzt. Lonzig fragte nicht nach, sagte ab und an „Aha“ oder nickte mit seinem kahlen Schädel. Es war eben schwierig mit ihm und Bender wurde leicht ungeduldig. Er war froh, als sie schließlich in der Nähe des Skeletts waren.

Hier wimmelte es bereits vor uniformierten Kollegen. Man hatte bereits eine äußere Absperrung mit Flatterband gezogen. An neuralgischen Positionen stand ein Posten, um Wanderer oder Spaziergänger abzuweisen. Bender stellte ihren Wagen ab und ging zusammen mit Lonzig die letzten Schritte zu Fuß. Dieser hatte ein gehöriges Schrittmaß, so dass er schon nach wenigen Metern etwas außer Puste geriet,

Musste es denn unbedingt Lonzig sein? Er verfluchte schon jetzt Martin Holzer wegen dessen Personalauswahl.

Nach 300 Metern erreichten beide die innere Absperrung, ebenfalls mit Flatterband begrenzt.

Der Wald hätte Feuchtigkeit dringend nötig gehabt, aber schon seit Wochen gab es keinen Regen. Im Gegenteil, die Temperaturen waren beständig hoch und auch heute schien die Sonne gewohnt kräftig. Bender geriet leicht ins Schwitzen, auch weil es Lonzig offenbar eilig hatte.

Der Fundort lag etwas abseits eines Pfades, hinter einer umgestürzten Buche, die wohl schon seit Jahrzehnten vor sich hin verwitterte. In diesem Bereich des Harzes überließ man den Wald sich selbst. Forstwirtschaft spielte hier wohl keine Rolle. Zur Freude der Naturalisten und Wanderer, die diesen Umstand sehr zu schätzen wussten.

Innerhalb der Absperrung suchten drei Männer in Schutzanzügen den Boden ab, als Bender und Lonzig am Flatterband stehen blieben. Einer der Männer kam auf sie zu und begrüßte beide mit Handschlag.

„Schön, dass die Herren auch schon eingetroffen sind, aber in der Provinz ticken die Uhren wohl langsamer.“ Dabei grinste er über beide Ohren, was dem Spruch die Schärfe nahm.

„Hallo MaMa,“ erwiderte Bender „Du kennst doch unsere Gemütlichkeit. Tu also nicht so erstaunt. Was genau hast du denn für uns? Hoffentlich keine Arbeit und wenn, dann bitte im überschaubaren Rahmen… “

Sein Gegenüber war der Goslarer Chef der Kriminaltechnik, hieß Manfred Masulke, Mitte 40, klein, drahtig und wurde von den meisten nur MaMa genannt. Masulke hatte sich daran gewöhnt und freute sich sogar über diesen Kosenamen. Er fand weder Manfred noch Masulke prickelnd. So hatte er es Bender einmal eingestanden.

„Tja Hinni, was haben wir eigentlich? Auf jeden Fall ein menschliches Skelett mit Schädel und etlichen Knochen, die wohl dazugehören. Die Knochen sind verteilt, da haben sich die Tierchen im Wald eine Zeit lang dran erfreuen können. Der Schädel hat eine Verletzung am Hinterkopf, könnte sich um eine Schussverletzung handeln. Viel mehr kann ich dazu noch nicht sagen.“

„Vollkommen skelettiert oder sind noch Reste…?“

„Keine Sorge Hinni…. vollkommen ohne Beilagen.“

MaMa wusste um Benders Empfindlichkeit bei verwesenden Leichen.

„Die Person hatte Männerbekleidung an. Wir haben einen linken Schuh, Hose mit Gürtel und Kurzarmhemd aufgesammelt. Weitere Kleidung bisher nicht. Gehen wir also mal von einem Mann aus.“

„Wer hat die Leiche gefunden?“

„ Da drüben stehen die Kollegen Lobeschitz und Heufel. Die waren zuerst hier, haben dann das Revier und anschließend uns informiert. Die können euch mehr sagen.“

MaMa zeigte mit dem Kopf seitwärts, wo die Streifenbeamten zusammen mit einem Mann mittleren Alters standen und interessiert in ihre Richtung sahen.

„Ich mache dann mal weiter. In diesem Fall müsst ihr nicht unbedingt direkt zur Leiche und die wenigen Spuren noch weiter zerstören. Wir haben alles fotografiert. Außer ihr wollt euch in einen der Anzüge zwängen und selbst….“

„Nein Danke, außerdem habt ihr sicher keine Übergröße für Frank dabei.“ Lonzig hatte, wenig verwunderlich, noch kein Wort von sich gegeben und zeigte auch jetzt keinerlei Reaktion.

„Na dann fragen wir mal unsere beiden Streifenhörnchen“.

Gunnar Lobeschitz und Christian Heufel stellten den unbekannten Mann als den Finder der Leiche vor. Es handelte sich um einen Pilze suchenden Tou-risten aus Bottrop in Westfalen. Erst jetzt bemerkte Bender einen halbwegs gefüllten Korb mit Maronen, Rotkappen und einigen Steinpilzen auf dem Boden stehen. Alle drei konnten wenig erhellendes berich-ten. Der Bottroper hatte beim Suchen den Schädel hinter der umgestürzten Buche gefunden, nach sei-nen Angaben nichts angefasst oder gar verändert. Nach einigen hundert Metern hatte er endlich ein Handynetz und informierte über Notruf die Polizei in Glansrode. Lobeschitz und Heufel kamen dann als Erste zum Fundort und leitenden die ersten Maßnahmen ein.

Während sich Lonzig Notizen über die Aussagen machte und die Personalien des Bottropers nach Lobeschitz und Heufel ein zweites Mal aufnahm, kehrte Bender zu MaMa zurück, der ihn kurz zuvor zu sich gewunken hatte.

„Einen Bestatter brauchen wir in diesem Fall wohl nicht. Wir nehmen die Knochen zur Gerichtsmedizin in Goslar mit. Alles weitere von dort. Unseren Bericht bekommst du so schnell wie möglich. Die Kollegen vom Revier haben übrigens den weiteren Bereich abgesucht, aber keine weiteren Kleider oder Knochen oder sonst was gefunden. Natürlich auch keine Brieftasche mit Ausweispapieren oder so… Ganz so einfach sollst du es ja auch nicht haben. Nicht dass noch Langeweile aufkommt in eurem Glansrode.“ MaMa musste herzhaft lachen.

„Eins habe ich noch nicht erwähnt…Der Gürtel an der Hose hat eine etwas ungewöhnliche Schnalle. Ist aber ziemlich verdreckt und angerostet. Viel kann man momentan nicht erkennen, aber wir geben uns Mühe, wieder etwas sichtbar zu machen. Und wenn wir uns Mühe geben, dann …“

„Es kann dauern…Ich weiß, mein lieber MaMa. Noch eine Frage: Liegezeit, kannst Du da schon was sagen? 6 Monate, 6 Jahre?

„Na ich denke mindestens 1 Jahr, wahrscheinlich weit länger. Es ist aber auch so gar nichts an Fleisch übrig. Aber da wird dir die Gerichtsmedizin weiterhelfen können. Auch wegen Zahnschema und so. Und mach dir keine Hoffnungen auf Fremd-DNA…keine Chance.

Da es sich wahrscheinlich um eine Schussverletzung handelt, suchen wir natürlich auch nach dem Projektil oder der Hülse. Die Bereitschaftspolizei ist schon angefordert und kommt morgen. Persönlich glaube ich aber, der Typ wurde hier nur endgelagert. Tatort ? Wo auch immer…“

Lonzig war schließlich am Ende der Personalienaufnahme und zusammen gingen sie zu ihrem Fahrzeug.

An der äußeren Absperrung konnte er von weitem einen Pressevertreter des lokalen „Glansroder Boten“ und den örtlichen Radioreporter eines Privatsenders erkennen. Beide waren ihm flüchtig bekannt. Sie unterhielten sich mit einem uniformierten Kollegen, wahrscheinlich in der Absicht näher an den Leichenfundort zu kommen oder an ausführlichere Informationen zu gelangen. Der Uniformierte schüttelte mehrfach den Kopf oder zuckte mit den Schultern. Dieses Unterfangen schien momentan wohl aussichtslos.

Bender richtete sich schon auf eine weitere einsilbige Rückfahrt ein, als Lonzig tatsächlich mit seiner tiefen Stimme zu sprechen begann.

„Du Hinni, warum hast du eigentlich diesen bescheuerten Vornamen?“ Voll auf dem linken Fuß erwischt. Bender wechselte die Farbe und blieb selbst erst mal sprachlos.

„Na, jetzt erzähl mal…“

„Was soll ich da erzählen…eigentlich ganz einfach. Meine Mutter stammt aus Ostfriesland, Emden und da hat sie einen dort gebräuchlichen Namen ausgesucht. Das ist schon alles. Du kannst aber auch Fragen stellen. So richtig rücksichtsvoll.“

Lonzig grinste nur, gab ein kurzes „so, so“ von sich und blieb von nun an wie gewohnt stumm.

Auf der Fahrt hatte Bender seinem Chef Martin Holzer bereits die wenigen vorhandenen Erkenntnisse mitgeteilt und auf die nächsten Tage vertröstet, wenn die Ergebnisse der KT und Rechtsmedizin vorliegen sollten. Holzer schien lockerer als noch am Vormittag und vorerst beruhigt. Die Staatsanwaltschaft in Goslar hatte er trotz der wenigen Erkenntnisse vorsorglich bereits informiert.

Zurück auf der Dienststelle durchforstete Bender schon einmal alle männlichen Vermisstenfälle der

letzten 6 Jahre in einem Radius von circa 100 Kilometern.

Lonzig nahm sich die Fälle aus dem benachbarten Sachsen-Anhalt vor. Alles weitere mussten die nächsten Tage ergeben. Natürlich wollte auch die zuständige Staatsanwältin, Fr. Dr. Kühne, mehr Details, als sie von Holzer bereits erfahren hatte. Bender wiederholte einiges und fügte die Erkenntnisse vom Leichenfundort hinzu.

Mittlerweile hatte Holzer auch die Bereitschaftspolizei zur Geländedurchsuchung auf den nächsten Morgen angefordert. Die bald einsetzende Dunkelheit machte ein sofortiges Handeln unmöglich.

Die Anzahl aller männlichen Vermissten im Großraum Grenzgebiet Niedersachsen/Sachsen-Anhalt war letztlich überschaubar. Nämlich derer vier, verteilt auf die Städte oder Gemeinden Goslar, Glansrode, Clausthal-Zellerfeld und Wernigerode. Man wollte sich am nächsten Tag intensiver mit den Fällen beschäftigen. Dann lagen wahrscheinlich auch nähere Informationen vor.

Bender hatte es nicht weit von der Dienststelle bis zu seiner Wohnung, die sich in einem Vierfamilienhaus am Stadtrand befand. In seinem betagten Ford brauchte er 10 Minuten, bis er seine Frau Karla mitsamt Tochter Luisa begrüßen konnte.

Karla war zwei Jahre jünger, klein, etwas moppelig und seit der Geburt Luisas Hausfrau und Mutter. Allerdings strebte sie seit ein paar Monaten einen Job in ihrem alten Beruf als Rechtsanwaltsgehilfin an. Luisa war vor kurzem eingeschult worden. Da ließ es sich zeitlich besser einrichten, Kinderbetreuung und Beruf unter einen Hut zu bekommen. Karla lehnte es bisher strikt ab, die Großeltern zur Beaufsichtigung einzubinden. „Nur in Ausnahmefällen…“ so ihre immer gleiche Aussage. Bender gab sich schließlich damit zufrieden, obwohl sein Verständnis eher gegen Null tendierte. Wozu hatte man schließlich die Omas und Opas ? Überhaupt war zwischen den beiden eine kleine Entfremdung eingetreten. Bender ertappte sich öfter bei der Frage, ob sein Familienleben in dieser Form alles gewesen sein sollte. Meistens verwarf er aber seine Zweifel und überließ sich dem heimischen Komfort.

Über das dienstliche Geschehen sprach er zu Hause nur selten; er wurde von Karla aber auch nicht gefragt. Das kriminalistische Geschehen in und um Glansrode schien sie nur wenig zu interessieren. Bender sprach den Leichenfund zwar kurz an, aber die Antwort war auch hier wenig enthusiastisch, so dass er dieses Thema schnell beendete.

Der weitere Abend verlief ähnlich wie sonst auch. Luisa berichtete voller Begeisterung über den heutigen Schultag, die Klassenlehrerin Frau Scholz und ihre Freundin Emma, die in der Klasse neben ihr saß. Nicht ohne Stolz die eigenen Fortschritte im Schreiben und Rechnen zu rühmen.

Nachdem Luisa im Bett war, schauten Karla und er noch einen Spielfilm auf einem Privatsender mit unendlich viel Werbung, was Bender wie immer nervte, seine Frau aber offensichtlich wenig störte.

Er fragte sich, was wohl der nächste Tag bringen würde. Irgendwie spürte er eine gewisse Anspannung und Unruhe, ohne diese Gefühle näher beschreiben zu können. Was tatsächlich alles auf ihn zu kommen sollte, konnte er nicht ahnen. Es war weit mehr, als in seiner Wohlfühloase vorstellbar.

Der „Glansroder Bote“ berichtete nur in einer kurzen Nachricht auf der Lokalseite über das Skelett an der „Klärchenquelle“. Man hatte also nicht allzu viel herausfinden können.

In der Morgenbesprechung wurde das weitere Vorgehen besprochen. Neben Holzer, Bender und Lonzig war noch Kriminalkommissarin Nicole Fahl anwesend. Sie sollte die eingehenden Informationen sammeln und gegebenenfalls koordinieren. Masulke fehlte. Mit Akribie arbeitete er in Goslar daran die Spuren am Tatort auszuwerten. Die Bereitschaftspolizei durchkämmte bereits seit Sonnenaufgang das Gelände rund um die „Klärchenquelle“.

Eine besondere Bedeutung kam natürlich den Erkenntnissen der Gerichtsmedizin zu. Deren Auswertungen konnten schnell, aber manchmal auch recht spät bei den Dienststellen eintreffen. Chronisch unterbesetzt, wie fast überall im Polizeibereich, rechneten Holzer und auch Bender erst in den nächsten Tagen mit Ergebnissen.

Bender und Lonzig widmeten sich weiter dem Studium der Vermisstenfälle, als MaMa, also Masulke, Benders Büro betrat.

„Moin Hinni, schon so früh am Ermitteln? Donnerwetter, so kenne ich Dich gar nicht“ Dabei kicherte er leise. MaMa und Bender kannten sich schon lange, schätzen und mochten sich. Kleine Spötteleien waren an der Tagesordnung.

„Die Bepo hat den zweiten Schuh mit dazugehörigem Fuß etwa 80 m nördlich vom Schädel gefunden. Sonst bisher nichts. Ist aber nach dieser langen Liegezeit nicht weiter ungewöhnlich. Es krabbeln ja genug Tierchen durch den Wald. Und manche haben so richtig Appetit auf abgelegte Leichen. Was kann ich Dir also schon sagen? Jacke von der Hausmarke C & A, braune

Halbschuhe, Größe 43, Made in Hong Kong, blaue Jeanshose, kein Markenname, hellgrünes

Hemd. Alles Durchschnittsgrößen. Insgesamt nichts Besonderes.

Kommen wir zu etwas interessantem. Die Hose hatte einen braunem Gürtel und der hatte eine Schnalle. Habe ich Dir gestern schon gesagt. Die Schnalle haben wir gesäubert und Rostpartikel entfernt. Heraus kam das“.

Er holte ein Foto aus einer mitgebrachten Mappe heraus und zeigte es Bender.

Man konnte in Großaufnahme eine ovale Schnalle mit einer Figur erkennen. Der Kopf ähnelte einer Hexe mit undefinierbarer Haube in rot, in den Händen hielt sie einen Besenstiel. Dahinter ein Gewand in grün. Das unheilvolle Gesicht mit langer Warzennase in braun. Die Farbe war nur noch teilweise zu erkennen.

„Hinni, was fällt Dir dazu ein?“

„Na ja, ein Hexensymbol. Was denkt man im Harz, wenn man so was zu sehen bekommt? Walpurgisnacht, Hexensabbat, Brocken…Oder liege ich da falsch ?“

„Ich staune…In aller Herrgottsfrühe schon fleißig am Ermitteln und jetzt auch noch wenigstens den Ansatz von Intelligenz. Echt beeindruckend… “ MaMa kicherte wieder.

„Für Dich könnte es noch reichen.“

„Also…du hast es richtig erkannt. Eine Hexe mit allen dazugehörigen Merkmalen. So wie man sich eigentlich seine Schwiegermutter vorstellt.“

„Wissen die anderen schon Bescheid?“

„Nö, du als leitender Chefermittler solltest als Erster in den Genuss kommen. Aber ich habe elektrische Briefe mit dem Foto an deine Untertanen geschickt.“

Mit elektrischen Briefen meinte er Emails, die er an Holzer, Lonzig und Fahl geleitet hatte.

„Unsere Analyse hat ergeben, dass es sich bei der Farbe um ganz gewöhnlichen Lack handelt. Nichts auffälliges. Der Typ, sollte es sich um einen Mann handeln, wovon ich ausgehe, scheint der Durchschnittstyp schlechthin zu sein. So wie du eben.“

Diesmal nur ein breites Grinsen, statt des üblichen Kicherns.

MaMa verabschiedete sich und machte sich auf den Weg zurück nach Goslar. Bender, Lonzig und Nicole Fahl berieten sich. Holzer hatte eine Besprechung mit dem Leiter des Polizeireviers und wollte später dazu kommen.

Sie fassten die wenigen bisherigen Fakten zusammen. Von der Gerichtsmedizin hatte man noch keine Ergebnisse bekommen.

Geschlecht wahrscheinlich männlich, Liegezeit mehrere Jahre, die Kleidung in Durchschnittsgrößen, in Durchschnittsqualität, Gürtelschnalle mit einem Hexenemblem. Bisher keine weiteren Funde im Bereich des Auffindeortes, außer dem zweiten Schuh mit Fuß.

Die Konzentration galt vorerst, näheres über die Vermissten zu erfahren mit einer eventuellen Verbindung zum Hexensabbat und der Walpurgisnacht.

Man teilte sich auf und suchte nach entsprechenden Gruppen oder Vereinen, die rund um den Brocken die Walpurgisnacht zelebrierten. Fast unglaublich, aber im Laufe des Vormittags kam man auf insgesamt 29 dieser, nach Benders Meinung, leicht desorientierten Gruppierungen.

Holzers Besprechung mit dem Revierleiter hatte länger gedauert. Thema war natürlich auch der Leichenfund und die Einbindung der Uniformierten in die Lage. Bender hatte gerade ein Gespräch mit dem Verantwortlichen einer dieser Hexencliquen beendet und informierte Holzer über den bisherigen Ablauf.

„Martin, du glaubst es kaum wie viele Vereine, Verbände oder wenigstens Sympathisanten es

gibt, die sich mit diesem Quatsch beschäftigen. Ich habe mit mehreren, meist selbsternannten Chefs, dieser Idioten gesprochen, das Foto verschickt und Fragen nach den Vermissten vier Männern gestellt. Bisher nichts. Bei Lonzig und Fahl genau dasselbe. Keiner kennt dieses Hexensymbol. Und wenn eine vage Ähnlichkeit besteht, dann stimmen die Farben nicht.“

„Weitermachen Hinni…und wenn kein Ergebnis, dann bringen wir das Photo in den Medien. Irgendjemand wird die Hexe wohl kennen. Im Übrigen setzte ich einiges auf die Ergebnisse der Gerichtsmedizin.“

Am frühen Nachmittag meldete sich Dr. Lothar Wichel telefonisch bei Bender. Wichel war der Leiter der Gerichtsmedizin. In Polizeikreisen wurde er gern „Wichtel“ genannt. Einfach ein „T“ hinzufügen und schon hatte man den passenden Namen. Passend deshalb, weil Dr. Wichel nur ca. 1,65 groß war, also noch kleiner als MaMa, und mit einer hohen Fistelstimme sprach.

„Herr Bender, ich gebe mal ein paar Ergebnisse, das Skelett betreffend, durch. In Schriftform alles später. Oder wollen Sie auf den Schrieb warten ? Das kann nämlich dauern. Muss ich selbst kreieren. Frau Odermatt ist nämlich krank.“

Frau Odermatt war seine Sekretärin.

„Nein Danke, Herr Doktor…wir wollen ja schließlich schnellstmöglich näheres erfahren. Schießen Sie los… “

„Schießen ist ein gutes Stichwort. Die Verletzung am Schädel ist tatsächlich ein Schusswunde. Großes Kaliber, wahrscheinlich 9 mm. Aber ohne Projektil nichts genaueres. Der Schuss ist durch den Hinterkopf ein- und wahrscheinlich an der Nasenwurzel wieder ausgetreten. Was wohl zum unverzüglichen Tod geführt hat. Das dazu.

Es handelt sich definitiv um eine männliche Person, Alter zwischen 30 und 50 Jahre, braune Haare, Liegezeit ca. 4 Jahre, plus/minus 6 Monate.

DNA ist entnommen und an die Datenbank weitergeleitet worden. Über die Herkunft der Leiche kann man ja mittlerweile auch einiges herausfinden. Isotopenbestimmung und so. Aber das dauert. Dann wissen wir nämlich, in welcher Region sich das Skelett im lebenden Zustand so aufgehalten und auch ernährt hat. Aber das alles später, wenn die DNA komplett ausgewertet ist. Noch Fragen ? Hoffe nicht, weil…Sie wissen ja, Frau Odermatt und überhaupt…“

Bevor Bender noch antworten konnte, hatte Dr. Wichel auch schon aufgelegt. So war er, fachlich ein Ass, aber immer hektisch und permanent unter Zeitdruck.

Die Informationen passten aber auch so gar nicht zu den vier vermissten Männern. Unter anderem deshalb, weil alle in einem anderen Alter waren. Einmal ein Jugendlicher von 17 Jahren. Von einem Tag zum anderen aus einem wohlbehüteten Elternhaus aus Glansrode verschwunden. Bender war damals in die Ermittlungen eingebunden. Der Zweite ein 58-jähriger Fernfahrer aus Clausthal-Zellerfeld, auf einer der Fahrten einfach weg. Den unbesetzten LKW hatte man auf einem Parkplatz auf der A5 südlich von Frankfurt aufgefunden. Nummer 3 ein Rentner aus Wernigerode, der von einem Spaziergang mit seinem Dackel nicht mehr zur wartenden Frau zurückkam. Alter: 66. Und der letzte ein 85-jähriger, abgängiger Bewohner eines Altenheims aus Goslar. Dieser war demenzkrank und entsprechend desorientiert.

Man musste sich neu orientieren. Vielleicht sogar ins Ausland. Dann stand komplizierter Papierkram mit dem BKA an. Der reinste Horror für Bender, hatte er doch schon diverse Erfahrungen mit den „Überpolizisten“ aus Wiesbaden gemacht.

Als er Holzer, Lonzig und Fahl informierte herrschte Ernüchterung. Blieb noch die Hoffnung, dass die Bereitschaftspolizei noch etwas im Wald fand oder die komplette DNA Analyse näheres erbrachte. Und zum Schluss die Hexe als Gürtelschnalle.

Bei Einbrechen der Dunkelheit brachen sie die Durchsuchung rund um die „Klärchenquelle“ ab. Außer Fragmenten eines alten, illegal entsorgten Fahrrades und vier Altreifen hatten die Kollegen nichts gefunden. Auch keinen Ausweis, ganz zu schweigen von einem Projektil oder einer Geschosshülse.

Beim Feierabendbier besprachen Bender, Lonzig, Fahl und Holzer das bisher bekannte. Es herrschte Einigkeit, dass es verdammt wenig war und doch hofften sie auf einen Durchbruch. Wie auch immer der zustande kommen sollte.

Zu Hause weihte Bender seine Karla in den Fall ein. Sie hatte den kleinen Artikel im „Glansroder Boten“ gelesen und selbst nachgefragt. Als die Rede auf die Hexengürtelschnalle kam, brachte sie neben dem Sabbat, auch irgendwelche esoterische Spinner oder heidnische Gebräuche oder Mittelalterfans ins Spiel. Vielleicht auch irgendwas mit Hänsel und Gretel und der bösen Hexe. Hinnerk wollte zwar nicht widersprechen, fand die Ideen aber wenig überzeugend.

Am nächsten Tag kam man überein, die Schnalle einer breiten Öffentlichkeit vorzustellen und in den Medien darüber zu berichten. Nicole Fahl übernahm den Part und bereitete einen diesbezüglichen Artikel über den Fall im allgemeinen und der Hexe im speziellen vor.

Das Bild der Gürtelschnalle hatte man natürlich innerhalb der Dienststelle im Intranet schon verbreitet. Auch von dort bisher keinerlei Resonanz. Niemand hatte eine solch hässliche Hexe bisher je gesehen.

Es war ausgerechnet Frank Lonzig, dem eine Idee kam.

„Sag mal Hinni…in Bayern und Österreich gibt es so komische Bräuche. Da verkleiden sich die jungen Männer als sogenannte „Krampusse“ mit dämonischen Masken, Verkleidungen und so. Vielleicht sollten wir in diese Richtung….“

Bender schaute verblüfft. „Was weist du über…wie heißen die nochmal..?

„Krampusse oder so ähnlich. Ich habe mal einen Krimi aus Bayern im Fernsehen gesehen…da haben die mitgespielt. Gruselig, kann ich nur sagen und echt verschroben… “

„Mit Hexen ?“

„Das weiß ich nicht mehr. Aber zwischen Krampussen und Hexen scheint mir der Unterschied nicht so groß.“

Die beiden recherchierten jetzt, ob es sich nur um eine TV-Erfindung handelte oder diese Gestalten in echt existierten. Tatsächlich gab es diese Art von Dämonen vor allem in Alpengebiet, also in Bayern und Österreich. Dort war laut Überlieferung der Krampus im Begleitung des Nikolaus oder besser umgekehrt unterwegs. Während der Nikolaus die braven Kinder beschenkte, bestrafte der Krampus die ungezogenen. Was es alles gab. Brauchtümer aus Bayern oder Österreich blieben dem gemeinen Harzer vollkommen fremd.

Die im Internet gefundenen Krampus-Bilder hatten zwar eine gewisse Ähnlichkeit mit der Hexe, aber eine richtige Übereinstimmung ? Eher nein. Wenn da was dran sein sollte, dann wenigstens in Bayern und nicht in Österreich. Sonst müssten sie das BKA einschalten. Und das wollte niemand.

Der nächste Tag sollte einige neue Tatsachen schaffen.

Sie weiteten die Fahndung nach vermissten männlichen Personen jetzt auf das gesamte Bundesgebiet, noch ohne das Ausland, aus.

Der „Glansroder Bote“ hatte das Foto der Schnalle bereits mit der Bitte um Hinweise veröffentlicht und alle warteten auf Anrufe.

Um die Mittagszeit meldete sich in anderer Sache Dr. Wichel aus der Rechtsmedizin.

„Wir haben die Analyse so gut wie fertig, mein lieber Bender. Folgendes: Der Mann ist ca. Mitte vierzig, seine DNA liegt nicht in der Datenbank ein, aber seine Heimat muss wohl Süddeutschland, vielleicht Alpenraum oder so gewesen sein. Kann man anhand der Ablagerung von Nährstoffen im Knochen, landestypischen Essgewohnheiten….aber das steht alles im ausführlichen Bericht. Ich schicke ihnen meine Ergüsse sobald als möglich zu…Sie wissen ja, ich bin allein, die Odermatt…also bis dann.“

Also tatsächlich Süddeutschland oder gar Österreich. Sollte Lonzigs Idee doch nicht so abwegig sein? Krampusse…was es alles gab. Unglaublich…

Den nächsten Hinweis erhielten die Ermittler von Frau Gerda Schwanke aus der Gartenstraße in Glansrode. Frau Schwanke hatte ihren letzten Urlaub im Schwarzwald verbracht. Genauer gesagt Hochschwarzwald, noch genauer Schonach. Dort wollte sie zusammen mit ihrem Mann Ende Januar eigentlich Skifahren. Doch in Ermangelung von Schnee widmeten sich die beiden notgedrungen anderen Dingen. Gelangweilt fiel ihnen auf einem Spaziergang eine Veranstaltung auf, für die inflationär geworben wurde. An jeder Ecke Plakate. Flyer in jedem, wirklich jedem Geschäft. Und die Eingeborenen hatten kein anderes Thema. Der fehlende Schnee mit vielen jetzt unzufriedenen Touristen war da nur Nebensache.

„Stellen sie sich vor, Herr Kommissar…überall Hexen, wirklich überall. Die haben uns von ihren Plakaten immerzu angestarrt. Ich glaube die feiern da so was ähnliches wie Karneval, nur eben mit Hexen…komisch oder? Und an diesem Wochenende war da so ein Ball. Wohl so eine Art Jahreshöhepunkt.

Auf jeden Fall sieht ihre Hexe so ähnlich aus wie die von den Plakaten. Beide extrem hässlich, nur die Farben stimmen nicht. Die Hexen in Schonach waren orange und blau, wenn ich mich richtig erinnern kann“

Bender bedankte sich herzlich bei Frau Schwanke und machte sich im Internet sofort auf die Suche.

Er gab Karneval und Schwarzwald in die Suchmaschine ein und heraus kamen die Begriffe Brauchtum, Fasnacht, Fastnacht oder auch Fasnet mit noch vielen anderen Begriffen, die Bender vollkommen fremd waren.

Er druckte so viel wie möglich aus, wunderte sich über die Anzahl der Seiten und setzte den Rest der kleinen SOKO in Kenntnis. Es sah vielversprechend aus, zumal es bei dieser Art von Karneval eine Menge von Hexenfiguren gab. Und nicht nur die der Schonacher in orange – blau.

Sie schienen auf dem richtigen Weg zu sein. Auch kamen noch weitere Anrufe, die in die gleiche Richtung zielten. Alles Urlauber, die irgendwie mit dem Karneval im Südwesten in Kontakt gekommen waren.

Der Tote aus Süddeutschland, Hexen im Schwarzwald…Holzer recherchierte nach entsprechenden

Vermisstenfällen aus dieser Region, während die anderen alle im Netz zu findenden Hexenvereinigungen durchforsteten.

Erstaunlich, nahezu jedes Dorf, jedes noch so kleine Kaff, natürlich auch jede Stadt hatte irgendwas mit Hexen zu tun.

Bender fand es verwunderlich, dass niemand in seinem Umkreis je etwas von solchen Umtrieben gehört hatte. Aber egal, dank Frau Schwanke hatten sie endlich eine Spur…und die führte wenigstens nicht nach Österreich.

Holzer und Fahl standen im dauerhaften Kontakt mit der Staatsanwaltschaft, Fr. Dr. Kühne. Diese hatte von solchen Gebräuchen außerhalb des Rheinlandes tatsächlich auch schon gehört und machte gegenüber Holzer ihren Ärger Luft nicht selbst auf die Idee gekommen zu sein.

In Baden-Württemberg waren es fünf Männer, die seit dem besagtem Zeitraum verschwanden und bei denen das Alter passte. Letzte Adressen in Nagold, Böblingen, Freudenstadt, Konstanz und Grommingen.

Bender hatte zusammen mit seiner Karla und Tochter Luisa sogar schon einmal Urlaub am Bodensee in in der Nähe von Friedrichshafen gemacht. Der Ort Grommingen war ihm gänzlich unbekannt, nach Konstanz hatten sie einen Abstecher unternommen. Die anderen Städte kannte er dem Namen nach.

Außer in Böblingen gab es tatsächlich in jedem dieser Flecken solche Hexengruppen, meist sogar mehrere. Gemeinsam mit Lonzig und Fahl suchte und fand er im Netz schließlich die Übereinstimmung. Tatsächlich…die Schnalle hatte eine frappierende Ähnlichkeit mit der Warzenhexe aus Grommingen. Abbild und Farben passten.

Diese obskure Vereinigung, also die „Warzenhexen“, nannte sich dort Zunft, 1958 gegründet und fester Bestandteil weiterer Gruppen, die alle dem Karneval zuzuordnen waren. Nur hieß das eben nicht Karneval, sondern „Fasnet“.

Die Begriffe Fasching oder auch Fastnacht hatten alle drei im Zusammenhang mit den tollen Tagen aus Bayern oder dem Südwesten irgendwann mal gehört. „Fasnet“ dagegen rief nur Schulterzucken hervor.

Ausgerüstet mit diesen Erkenntnissen marschierte Bender zu seinem Chef und berichtete. Holzer konnte mit diesem Thema genauso wenig anfangen, er fand es absonderlich und zuckte mit den Schultern.

„Die im Süden sind schon ein besonderer Menschenschlag, meistens katholisch, konservativ und mit anderen Prioritäten als wir hier im beschaulichen Harz.

Schauen wir uns den Verschwundenen aus Grommingen mal genauer an:

Name: Bernhard Schwendinger. 45 Jahre alt, verheiratet, ohne Kinder, verschwunden seit dem 12. Mai 2015. Vermisst gemeldet von seiner Frau Petra. Sachbearbeitende Dienststelle Kripo Grommingen, Aktenzeichen GR2435/15.“ Mehr war dem Informationssystem der Polizei „POLAS“ nicht zu entlocken.

Man würde sich direkt mit den Schwarzwäldern in Verbindung setzen müssen. Der dortige Sachbearbeiter wusste sicher näheres.

Holzer hatte in seinem Büro mehrere Karten an der Wand befestigt. Neben einem Stadtplan von Glansrode, dem Gebiet des Harzes und des Landes Niedersachsen auch eine große Karte des Bundesgebiets. Grommingen suchten sie in Baden-Württemberg vergebens. Wieder erst im Netz wurden sie fündig.

Große Kreisstadt, ein sogenanntes Oberzentrum, 40 000 Einwohner, historische Innenstadt, viele Vereine und Verbände mit jeder Menge Narrenzünften, unter anderem auch die „Warzenhexen“.

Der Oberbürgermeister war seit 12 Jahren im Amt, Mitglied einer konservativen Partei und hieß Anselm Zingerle. Es gab dort eine Polizeidirektion mit Polizeirevier und Kriminalpolizei.

Mitten im Schwarzwald zwischen Freiburg im Südwesten und Rottweil im Osten gelegen. Angebunden an die Schwarzwaldbahnbahn und einer Bundesstraße, der B 44, die um die Stadt in West-Ost Richtung führte.

Über den vermissten Schwendinger fanden sie nichts. Auch nicht im Archiv der dortigen Tageszeitung, dem „Gromminger Tagblatt“. Diese Archiv ging im Internet jedoch auch nur bis 2017 zurück, also geraume Zeit nach dem Verschwinden Schwendingers.

Bender suchte die Telefonnummer des Direktion, wählte und wartete bis endlich abgehoben wurde.

„Polizei Grommingen, Wurster.“

Bender stellte sich vor und wollte mit einem Sachbearbeiter, der für Vermisstenfälle zuständig war, verbunden werden.

„Hier macht jeder alles,“ war die Antwort. „Worum geht’s denn?

„Um einen Bernhard Schwendinger, vermisst seit dem 12. Mai 2015.“ Er gab das Aktenzeichen durch.

„Der Name sagt mir ebbes,“ erwiderte Wurster in einem für Bender fremd klingenden Dialekt. „Ich verbinde dich mal mit dem Geschäftszimmer, die können dir vielleicht mehr sagen…Momentle…“

Jetzt war Bender in der Warteschleife und wieder dauerte es gefühlte Stunden, bis sich eine Frauenstimme meldete.

„Schlenker“

Bender stellte sich abermals vor und schilderte sein Anliegen.

„Momentle“.

Die einsilbige Dame suchte jetzt offenbar im PC nach dem Fall bzw. dem Sachbearbeiter.

„Do hemmers. Schwendinger, Bernhard, vermisst seit dem 12. 05.2015. Verfahren eingestellt. Sachbearbeiter KOK Veigel.“

„Können sie mich mit Herrn Veigel verbinden?“

„Der isch beim Sport. Heute und zu dieser Zeit ist immer Sport für alle, da gibt´s keine Ausnahme. Da kann kommen was will.“

Bender bat die freundliche Frau Schlenker um Rückruf, wenn der Kollege Veigel, wahrscheinlich gestählt von der sportlichen Ertüchtigung wieder anwesend sein sollte.

Ein kauziges Volk, dachte Bender, der die ersten telefonischen Eindrücke mit Herrn Wurster und Frau Schlenker auf sich einwirken ließ.

Mittlerweile hatten Lonzig und Fahl die Hotels und Pensionen in und um Glansrode kontaktiert und alle mit dem Namen Schwendinger, kombiniert mit dem Jahr 2015, konfrontiert. Das Ergebnis war gleich null. Etwaige Meldedaten waren aus rechtlichen Gründen gelöscht. Vorerst konnte sich auch niemand an einen Schwarzwälder mittleren Alters erinnern. Wie sollte man einen Schwarzwälder rein optisch auch erkennen? Aber man wollte beim Personal nochmals nachfragen.

Eine Stunde später meldete sich der Kollege Veigel aus Grommingen.

Bender setzte ihn über das gefundene Skelett bei Glansrode und die wenigen bisherigen Ermittlungsergebnisse in Kenntnis. Natürlich auch die Daten des vermutlichen Toten Bernhard Schwendinger.

„Un jetzet? Isch des sicher mit dem Schwendinger? Ich glaube nämlich, dass der einfach von seiner Frau, der Petra, abgehauen ist. Ein richtiges Ribb, sag ich dir…Da kann ich mich noch gut erinnern und verstehen könnt ich den Schwendinger auch.“

Hinnerk wirkte ein wenig sprachlos.

„Äh…was heißt Ribb?“

„Na ein Ribb halt, ein bösartiges Weib eben…“

Es stellte sich im weiteren Gespräch heraus, dass KOK Holger Veigel, ebenfalls Mitglied in der „Warzenhexenzunft“, Bernhard Schwendinger flüchtig kannte.

„Weischt, wie viele Hexen es in Grommingen gibt…nämlich so richtig viele. Der Schwendinger war damals im erweiterten Vorstand, ich glaub zweiter Säckelmeister…Kontakt hatte ich mit dem erst, als er nimmer da war…Dienstlich, verstooscht. Ich glaube deine Geschichte mit dem Skelett im Harz und dem Schwendinger ehrlich gesagt net so recht. Du, wo genau isch der Harz eigentlich?“

Eine DNA Probe hatte Veigel damals natürlich nicht gesichert. Auch weil Petra Schwendinger nach eingehender Befragung einen freiwilligen Abgang ihres Gatten nicht ausschließen wollte. Die sowieso voreilig verfasste Vermisstenfahndung zu löschen hatte er schlicht vergessen, wie Veigel auch ganz offen zugab.

Man verblieb, dass er die bestehende, recht kurz gehaltene Akte, per mail an Bender schicken sollte. Außerdem würde er nochmals Kontakt mit der Frau des mutmaßlichen Opfers, dem „Ribb“, aufnehmen. Vielleicht gab es ja jetzt näheres zu erfahren. Außerdem hatte sie eventuell auch noch eine Zahnbürste oder einen Kamm ihres Gatten aufbewahrt. Dann konnte Dr. Wichel einen DNA Abgleich vornehmen, um absolute Sicherheit zu haben.

„Aber erst morgen…jetzt ist für mich Feierabend. Auf einen Tag kommt's jetzet auch net mehr an, oder?“

Da musste ihm Bender recht geben. Immerhin hatten sie heute schon eine Menge mehr erfahren und er wusste jetzt auch, dass es Grommingen mit „Warzenhexen“ gab. Wenn das kein Fortschritt war…

Am folgenden Tag kamen Holzer, Lonzig, Fahl und Bender zum morgendlichen „Briefing“, wie es Holzer wichtig nannte und besprach die weitere Vorgehensweise. Viel hing natürlich von den Erkenntnissen aus dem Schwarzwald ab. Man sah sich gezwungen abzuwarten, was der Kollege Veigel so alles ermitteln würde.

Gegen Mittag fand Bender endlich die Akte Schwendinger in seinem Postfach. Etwaige Erläuterungen dazu hatte sich Veigel erspart. Vom „Ribb“ und einem Besuch vor Ort…ebenfalls kein Wort.

Viel konnte man also der Akte nicht entnehmen. Nur dies:

Bernhard Schwendinger, 45 Jahre alt, in Grommingen geboren, seit 15 Jahren verheiratet mit Petra, geborene Bächle, keine Kinder,

städtischer Angestellter im gehobenen Dienst, bei seinem Verschwinden im Bürgeramt beschäftigt.

Mitglied bei den „Warzenhexen“, tatsächlich im Vorstand als 2. „Säckelmeister“ (was immer das heißen sollte), spielte bei den „alten Herren“ des FC 09 Grommingen Fußball.

Hobbys: Fasnet und Fußball

Beigefügt ein Foto Schwendingers. Absolut nichts auffälliges. Ein null-acht-fünfzehn Typ.

Laut den Aussagen seiner Frau stand die Ehe auf der Kippe, man hatte sich wohl „entfremdet“. In den letzten Wochen vor seinem Verschwinden kam es wiederholt zu lautstarken Auseinandersetzungen. Die Gründe waren vielfältig. Bernhard drohte mit Scheidung. Auch von einer Auszeit von der Ehe war die Rede.

Aus diesem Grund wollte Petra Schwendinger letztlich nicht ausschließen, dass ihr Gatte freiwillig das Weite gesucht habe. Ausweis, Kreditkarte, Pkw, ein Audi A 4, Handy und 2000 € an Bargeld hatte er mitgenommen und einfach von seiner Arbeitsstelle nicht mehr zurückgekommen. Diese hatte er pünktlich um 16.00 Uhr verlassen.

Seitdem kein Lebenszeichen mehr.

Möglicherweise war Petra ganz froh über diese Art der Lösung der Eheprobleme. Immerhin wohnte sie weiter in ihrem Elternhaus und durch ihre Tätigkeit in einer Apotheke finanziell unabhängig.

Oder wusste sie mehr über dessen Verschwinden? Die Ehefrau als Mörderin? Nicht sehr originell, ein richtiges Motiv bisher nicht zu erkennen …Und wenn ja, welche Beziehung gab es zum Harz?

Bender war gespannt, was der Besuch Veigels beim „Ribb“ an Erkenntnissen bringen würde.

Der meldete sich am Nachmittag.

„Viel Arbeit…jede Menge zum Dunn, weischt. Aber jetztet…Die Petra hat nen neuen Stecher. Der wohnt sogar schon bei ihr, Armin Beha heißt der. Näheres weiß ich noch net. Hab mich auf das Notwendigste beschränkt, bin aus ermittlungstaktischen Gründen nicht gleich mit der Tür ins Haus gefallen. Hab nur gesagt „Neue Erkenntnisse“ und so. Den Beha check ich aber noch ab. Wahrscheinlich morgen, weil so kurz vor Feierabend…

Zahnbürste, Klamotten und so hat sie alles weggeschmissen oder in die Kleidersammlung gegeben.

Gefunden und mitgenommen hab ich aber ein paar alte Kickschuhe vom Schwendinger, die sind schon auf dem Weg zu eurem Dr. Wichel. Wegen der DNA. Super…gell?

„Habt ihr eigentlich irgendetwas von dem A4. Könnt ihr den ausschreiben? Kann ja sein, dass wir über das Auto näheres über Schwendinger und dessen Schicksal erfahren.“

„Schreib ich auch morgen zur Fahndung aus. Okay? Kennzeichen und Farbe isch ja auch in der Akte, falls du das gleich machen willst, gell. Du bischt ja auch der Sachbearbeiter.“

Und somit legte er auf.

Bender beschlich das Gefühl, dass es dem Kollegen Veigel an einem gewissen Maß an Motivation mangelte.

Also stellte er den Pkw mit den vorhandenen Daten in die interne Fahndung ein und die Kollegin Fahl gab entsprechende Informationen an die Presse weiter.

Man wartete gespannt auf näheres im Fall „Klärchenquelle“. Dass es sich um ein Tötungsdelikt handelte stand zweifelsfrei fest. Dass es sich um Bernhard Schwendinger handeln könnte, war ebenfalls ziemlich klar, auch wenn es der Kollege Veigel aus Grommingen noch immer nicht so richtig wahrhaben wollte. Mag sein, dass dieser die eigenen, eher zurückhaltenden früheren Recherchen im Hinterkopf hatte. Dass jedoch eine riesige Menge offener Fragen zu beantworten war, machte ratlos und ließ die kleine SOKO momentan auf weitere Erkenntnisse hoffen.

Die Durchsuchung des Waldstücks rund um den Fundort hatte nichts ergeben. Der Pkw des Opfers…verschwunden. Auswertungen der Verkehrsüberwachung und der Verkehrspolizei hinsichtlich eventuell vorhandener Bilder aus „Blitzern"…negativ. Viele der Aufzeichnungen waren aus datenschutzrechtlichen Gründen natürlich schon gelöscht worden. Die Eigentümer der Pensionen und Hotels hatten das Personal, auch mit Unterstützung von Lonzig und Fahl, ohne Ergebnis befragt. Niemand konnte sich an einen unscheinbaren Schwarzwälder, der sich vor 4 Jahren im Harz aufgehalten haben sollte, erinnern.

Das Umfeld Schwendingers offenbarte nach den Worten Veigels wenig außergewöhnliches. An seiner Arbeitsstelle sowieso nicht, nur die Ehe war nach seiner Ansicht eben „ a weng ohne Schbass“, was wohl eine nette Umschreibung von eher schlecht war.

Bender hatte dazu eine etwas andere Meinung. Zwingend erforderlich mussten neben der Ehe auch die privaten Aktivitäten und das Bürgeramt als seine Arbeitsstelle genauer untersucht werden. Es beschlich ihn der Verdacht, dass der Kollege aus dem Schwarzwald mit den Aufgaben überlastet sein könnte.

Das „Ribb“ und deren neuer Lebenspartner Armin Beha mussten dringend näher beleuchtet werden. Viele Morde hatten ihren Ursprung im familiären Umfeld.

Veigel hatte über Beha immerhin einiges herausgefunden:

Der Neue wohnte seit 2 Jahren bei Petra Schwendinger, 40 Jahre alt und von Beruf Lackierer in einer Werkstatt, die sich auf die Restaurierung von Oldtimern spezialisiert hatte. Privat ebenfalls Mitglied bei den „Warzenhexen“. Polizeilich bislang nicht in Erscheinung getreten. Seine erste Ehe nach 6 Jahren geschieden. 2 Söhne wohnten bei der Ex in einem kleinen Ort nahe Grommingen. Insgesamt wieder mal nichts aufregendes…

Am nächsten Tag hatten sie endlich Gewissheit über die Identität des Toten.

Es war Dr. Wichel, der sich telefonisch bei Bender meldete.

„Also lieber Bender, die DNA Analyse hat eine 100 prozentige Übereinstimmung zwischen den Knochen und dem Stinkstiefel, also dem Fußballschuh mit DNA ergeben. Es muss sich also um diesen Schwendinger handeln…Ein Schwabe tot mitten im Harz! Klingt interessant. Was macht der hier? Da kommt noch Arbeit auf Sie zu…“

Mit seinem hochfrequenten Lachen verabschiedete er sich wieder einmal schnell und legte auf.

Im Anschluss traf man sich in Holzers Büro und Bender fasste alle bisherigen Erkenntnisse zusammen.

„Wir haben also einen unauffälligen, seit 4 Jahren toten Schwarzwälder, den hier keiner kennt oder wenigsten irgendwo gesehen hat. Wie er hier her gekommen ist, wissen wir nicht. Sein Audi ist verschwunden. Was er hier wollte…? Keine Ahnung. Fundort gleich Tatort? Wahrscheinlich nicht. Tatwaffe, Hülsen, Projektile? Nichts gefunden…Stellt sich die Frage, wo wir hier noch ansetzen sollen?“

Holzer überlegte und zwirbelte unbewusst seinen mächtigen Kaiser-Wilhelm Gedächtnisbart.

„Ich denke, es bleibt uns nicht erspart in den Süden der Republik zu fahren und zusammen mit den dortigen Kollegen weiterzumachen. Ich schlage vor, dass du, Hinnerk zusammen mit Lonzig das übernehmt. Die Kollegin Fahl und ich bleiben hier am Ball. Ich kläre das mit den Dienststellen hier und dort unten ab und gebe euch dann Bescheid.“

Lonzig machte ein Gesicht, als ob er kurz vor der Henkersmahlzeit stehen würde. Bender wusste, dass er so gut wie nie den Harz verlassen hatte. Im Urlaub blieb er immer in Glansrode und auch seine Ausbildung hatte ihn nicht weiter als nach Hannover geführt. Selbst Hann. Münden blieb im damals erspart.

Trotzdem äußerte er sich nicht weiter. Bei ihm eine normale, erwartbare Reaktion.

Hinnerk wusste, dass Holzers Vorschlag der wahrscheinlich beste Weg war, Licht ins Dunkel rund um den toten Schwarzwälder zu bringen. Man musste vor Ort sein, um mehr über den Toten zu erfahren…zumal der dortige Sachbearbeiter eher motivationslos wirkte.

Karla nahm die Ankündigung seiner Dienstreise in den Schwarzwald eher gleichgültig zur Kenntnis. Zwar fragte sie nach dem Zeitpunkt seiner Abreise und auch nach der voraussichtlichen Rückkehr. Das jedoch ohne Emotionen. Irgendwie schien seine Ehe auch nicht mehr so zu sein, wie es einmal war. Er musste sich selbst eingestehen, sich auf die Fahrt zu freuen und vielleicht tat eine kurze Auszeit beiden gut. Nur die Trennung von Luisa stimmte ihn etwas traurig.

Am nächsten Morgen informierte ihn Holzer über die näheren Umstände der Reise.

„Hinnerk, ich habe mit der Verwaltung und auch mit dem Polizeidirektor in Goslar gesprochen. Es ist alles genehmigt, Zumindest erst mal mündlich. Die schriftliche Bestätigung folgt später. Abfahrt ist morgen…viel Zeit dürfen wir nicht verlieren. Der Schwarzwälder hat schon lange genug bei uns im Wald gelegen. Wie besprochen fährst du mit Frank Lonzig. Nicole und ich werden hier die Fäden in der Hand halten. Den Kollegen dort unten habe ich euch angekündigt. Die kümmern sich um die Übernachtungen etc. Ich habe mit dem Leiter der dortigen Kripo gesprochen, einem Kriminalrat Walter Allgaier. Der schien wenig begeistert und fragte dauernd, ob wir seinen Kollegen keine Mordermittlungen ohne auswärtige Hilfe zutrauen würden und eure Anwesenheit wirklich nötig sei.

Ich denke, ich konnte ihn einigermaßen überzeugen…Na ja sieh mal zu, wie ihr mit dem zurechtkommt. Ich will nicht zu viel rein interpretieren….macht euch selbst ein Bild, wenn ihr angekommen seid.“

Lonzigs Reaktion fiel gewohnt kurz aus.

„Wenn es sein muss, aber mir fallen leider keine Gegenargumente ein. Machen wir das Beste draus…“ Als Abfahrt legten sie 8.00 Uhr am nächsten Morgen fest.

Bender fuhr anschließend nach Goslar, machte einen Besuch bei MaMa, holte von dort die Gürtelschnalle und die Kleidungsstücke Schwendingers und ging zum Schluss zur Rechtsmedizin, um ein abschließendes Gespräch mit Dr. Wichel zu führen. Dieser hatte wie üblich wenig Zeit und klagte wieder über die krankheitsbedingte Abwesenheit seiner Sekretärin, der Frau Odermatt. Man kam überein, auf dem kurzen Dienstweg Kontakt zu halten, sobald sich neue Erkenntnisse ergeben würden und Wichels Hilfe nötig erschien.

„Grüßen sie mir die Hinterwäldler im schwarzen Wald…Komisches Volk dort, wenn ich die Zeit hätte, könnte ich ihnen Geschichten von einem Kollegen aus Rottweil erzählen…. Aber ich habe noch eine Brandleiche eines Bauern aus Clausthal im Kühlfach…und ehe der noch ganz zerbröselt und gar nix mehr von ihm da ist…“

Ein hohes Lachen, schon war er aus seinem Büro verschwunden und ließ Bender einfach stehen. Aber so war er nun mal, der Herr Dr. Wichel.

Karla hatte ihm seine Sachen schon gepackt, als Hinnerk sich am Morgen schweren Herzens von Luisa verabschiedete. Die Trennung von seiner Frau fiel ihm hingegen bedeutend leichter. Ein flüchtiger Kuss auf die Wange, die nochmalige Zusicherung sich regelmäßig zu melden, dann machte er sich auf den Weg zur Dienststelle.

Dort sicherte er Holzer zu, diesen über jeden noch so kleinen Umstand auf dem Laufenden zu halten. Lonzig erschien pünktlich. Es fiel auf, dass dieser nur einen kleinen, braunen Lederkoffer in den Dienstwagen verlud. Offenbar rechnete er mit einem eher kurzen Aufenthalt im Süden. Erfahrungswerte mit Reisen und dem damit verbundenen Gepäck konnte Frank ja sowieso noch nicht verbuchen.

Vor ihnen lagen rund 600 km bis zum Ziel. Aufgrund der Gesprächigkeit Lonzigs machte sich Bender auf eine sehr einsilbige Fahrt gefasst.

Auf Höhe von Kassel, dem Parkplatz „Herkulesblick“, hielten sie erstmals für eine kurze Zigarettenpause an. Bender, selbst Nichtraucher, musste dieses Eingeständnis gegenüber Lonzig machen. Als passioniertem Selbstdreher gehörten Tabak, Blättchen und Filter zu seiner Standardausrüstung.

„Hinnerk, weißt du, dass ich gerade eben das erste Mal die Landesgrenze Niedersachsens überquert habe?“

Bender verstand nicht so recht, ahnte aber etwas…

„Wie soeben das erste Mal…?“

„Na, ich war schon in Hannover, in Oldenburg und einmal kurz vor Hamburg, aber so tief im Süden, wie jetzt Kassel.soweit noch nie.“

„Soll das heißen, du warst noch nie im Urlaub oder so…“ Bender hatte aus Kollegenkreisen schon ähnliches gehört, dem aber wenig Glauben geschenkt.

„Hat sich einfach nicht ergeben…du weißt ja, ich bin Single, hab mich im Harz mit den Wäldern und Bergen immer wohl gefühlt. Hatte nie das Bedürfnis…

Warum erzähle ich dir das? Weißt du Hinni, wir sind ja jetzt ein paar Tage weit weg von zu Hause zusammen und du kennst mich wahrscheinlich gar nicht so richtig. Ich finde es gut, wenn wir uns besser kennenlernen. Schließlich muss sich jeder auf den anderen verlassen können. Und wer weiß, was das für Kollegen sind, da im Schwarzwald…“

Bender hatte nie viel von Lonzig gehalten, er kannte auch nur seine Einsilbigkeit und diverse Marotten, wie zum Beispiel die bunte Kleidung. Beim Feierabendbier oder bei Ausflügen fehlte er in steter Regelmäßigkeit, ein Außenseiter

Aber diese Aussagen machten ihn irgendwie auf einen Schlag weitaus sympathischer.

Die Weiterfahrt verlief zum Glück weniger langweilig als Bender angenommen hatte. Lonzig erzählte von seinen Hobbys und auch über sein privates Umfeld.

„Ich hatte schon die ein oder andere Beziehung. Aber irgendwie hat es nie so richtig gepasst. Du weißt selbst…Polizist und Privatleben, echt schwierig. Außerdem falle ich wegen meiner Größe, der Frisur, wenn man die so nennen kann, und meinem Modegeschmack schon ein bisschen aus dem Rahmen. Das ist mir schon bewusst.. “

Die Fahrt verlief ohne Komplikationen. Lonzig und Bender unterhielten sich angeregt und sparten auch weitere Details aus ihrem jeweiligen Privatleben nicht aus.

Als sie die Autobahn bei Rottweil verließen, hatten sie sich besser kennengelernt, als in ihrer bisherigen gesamten gemeinsamen Dienstzeit.

Es folgte eine ca. 1 stündige Fahrt durch den östlichen Teil des Schwarzwaldes. Berge, Täler, kleine Ortschaften, viele Bauern mit langsamen Traktoren und natürlich eine Menge dunkler Fichten und Tannen waren das Augenscheinlichste.

Gegen 15.00 Uhr erreichten sie schließlich die Außenbezirke Grommingens.

Tödlicher Hexenschuss

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