Читать книгу Inkompetenzkompensationskompetenz - Ralf Lisch - Страница 10

Hoffnungsträger

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Die verantwortlichen Herren des alteingesessenen Handelshauses hatten sich mal zusammengesetzt und analysiert, wie es auf den obersten Managementebenen in Zukunft eigentlich weitergehen sollte. Ein gewisses Alter hatten sie ja alle schon erreicht. Zwar war nicht damit zu rechnen, dass sich die Vorstandskollegen wie ganz normale Arbeitnehmer mit dem Erreichen der Altersgrenze zur Ruhe setzten – nein, dafür fühlten sie sich zu fit –, aber irgendwann würde eben doch der Zeitpunkt kommen, zu dem man etwas kürzertreten musste und vielleicht besser in die Aufsichtsgremien wechseln sollte. Denn dass man sich so ganz zur Ruhe setzte, das kam natürlich nicht in Frage. Top-Manager zu sein, war ja nicht einfach irgendein Beruf, das Top-Management war ein Lebensstil. Allerdings ließ es sich eben doch nicht ganz von der Hand weisen, dass es an der Zeit war, sich Gedanken über den Managementnachwuchs zu machen. Immerhin waren auch auf den weiteren Managementebenen die grauen Haare – wenn sie denn nicht schon ausgegangen waren – keineswegs zu übersehen. Da bestand Handlungsbedarf.

Um die Thematik etwas systematischer anzugehen, hatten sich die Herren an Frau Kluge gewandt. Sie leitete das Human Resources Department und stellte die gewünschten Daten mit der gebotenen Sorgfalt und Vertraulichkeit zusammen und bereitete sie zum leichteren Verständnis sogar grafisch auf. Sie wusste, was von ihr erwartet wurde. Und so beugten sich die Herren schon bei der nächsten Vorstandssitzung über ein Diagramm, das mit mehr oder weniger langen Pfeilen zeigte, wann die einzelnen Damen und Herren Führungskräfte ausscheiden würden – sofern sie bis zum Rentenalter durchhielten, was ja keineswegs sicher war.

Dr. Winter, der Vorstandsvorsitzende, bereute beinahe, dass er nicht schon früher einmal um eine Aufstellung der Daten gebeten hatte. Das war ja kaum zu glauben. Das hatte man ja gar nicht gewusst, dass die Dame vom Credit Management gar nicht mehr so jung war wie sie aussah. Donnerwetter, die hatte sich gut gehalten. Ganz das Gegenteil von dem Marketingleiter. War der wirklich noch nicht älter? Der sah doch aus, als würde er kurz vor der Rente stehen. Und immer dieses verdrießliche Gesicht. Hatte wahrscheinlich ein Magengeschwür. Na ja, der hieß ja nicht umsonst Peter. Der hatte seine Stufe zur Inkompetenz schon lange überschritten. Man kannte das ja vom Peter-Prinzip. Wieso hatte man den eigentlich damals befördert?

So gingen die Herren einen Namen nach dem anderen durch und zu jedem fielen ihnen ein paar – keineswegs immer sehr schmeichelhafte – Kommentare ein. Gelegentlich gingen die Meinungen allerdings deutlich auseinander, denn jeder hatte seine eigene Fraktion, auf die er nichts kommen ließ. Nur in einem Punkt waren sich alle Herren einig. Es musste etwas geschehen. Man näherte sich ganz offensichtlich einem Punkt, an dem sich die Mehrheit der Manager in die Rente verabschiedet haben würde. Das war absehbar und da galt es vorzusorgen. Die Frage war nur, was man am besten unternahm, um die Führungsriege zu verjüngen.

Vor vielen Jahren hatte man es mal mit Quereinsteigern versucht. Damals war jemand eingestellt worden, der nicht im Trading Business groß geworden war. Allerdings war der nicht nur Quereinsteiger, der war auch Querdenker. Ausgerechnet ein Soziologe war’s gewesen. Und nicht nur das. Doktor der Philosophie war er. Und das in einem Handelshaus. Na, das hatte man schnell bereut. Das konnte ja nicht gutgehen. Wer war nur auf diese Idee gekommen? Dieser unselige Soziologe hatte schnell gelernt, das musste man ihm lassen. Und seine Arbeit machte er sehr ordentlich. Daran gab es nichts auszusetzen. Aber dann begann er eigene Ideen zu entwickeln. Und immer war er kritisch. Hinterfragte alles. So war das ja nicht gemeint gewesen. Na ja, inzwischen hatte sich die Sache erledigt. Das war auch besser so. Obwohl – es gab da einige Mitarbeiter, die erinnerten sich noch gerne an ihn. Eines hatte man jedenfalls daraus gelernt. Noch so einen Quereinsteiger würde man dem Unternehmen nicht zumuten. Es kam eben doch auf den richtigen Stallgeruch an. Und deshalb musste man den Managementnachwuchs im eigenen Hause heranzüchten. So viel war klar.

Die Herren erinnerten sich an ihr Hi-Po-Programm, das vor einigen Jahren eingeführt worden war. Haipo wurde es ausgesprochen und stand für High Potential. Wer nicht in das Programm aufgenommen worden war, sprach allerdings eher verächtlich von Hippos und nannte es einen Zoo für Nilpferde. Aber daraus sprach nur der Neid. Das war klar.

Die Abteilungsleiter hatten für das Programm damals junge Mitarbeiter benannt, von denen sie aus irgendeinem Grund annahmen, dass sie zu Höherem berufen waren. Bei den Mitarbeitern hatte dieser Schritt erhebliche Erwartungen ausgelöst. Sie sahen sich umgehend auf dem Weg nach oben. Einige konnten nur mit viel Überredungskraft davon abgehalten werden, ihre Zugehörigkeit zum Hi-Po-Programm auf ihrer Visitenkarte anzugeben. Erst fühlten sie sich um die Früchte ihrer Ernennung gebracht, doch später waren sie dankbar gewesen für den Rat, denn nach der Aufnahme in das Programm geschah nichts mehr. Sie warteten vergeblich auf die Beförderung und machten ihren Job weiter wie jeder andere. Die wenigen Stellen, die frei wurden, waren anderweitig besetzt worden und die Hoffnung, besonders gefördert zu werden, erfüllte sich auch nicht. So recht wusste niemand, wozu es eigentlich gut war, in dieses Programm aufgenommen worden zu sein, doch niemand mochte fragen. Die Furcht war zu groß, dass diese Frage womöglich zum Ausschluss führen würde.

Immerhin erinnerte einmal im Jahr das Human Resources Department an das Hi-Po-Programm. Dann war es wieder an der Zeit, dass jeder Vorgesetzte auf einem speziellen Beurteilungsbogen ankreuzte, wie es bei den eigenen Kandidaten um Leadership, Durchsetzungskraft und andere Eigenschaften, die man von einem zukünftigen Manager zu Recht erwarten würde, bestellt war. Die Bosse waren großzügig mit ihren Einschätzungen. Sie fürchteten, dass kritische Urteile auf sie zurückfallen würden. Das galt es zu vermeiden. Da war es nur vernünftig, dass die Beurteilungsbögen bei der Mitarbeiterauswahl unbeachtet blieben.

Man hatte deshalb kurzzeitig erprobte und bewährte psychologische Tests in Erwägung gezogen, um zu einer besseren Einschätzung des Nachwuchses zu kommen. Doch das war im Vorstand schnell wieder verworfen worden und alle Führungskräfte waren dankbar. Wer konnte schon vorhersagen, was bei solch einem Test herauskommen würde? Womöglich stimmte am Ende das Ergebnis nicht mit den persönlichen Eindrücken und Erwartungen überein und dann hätte man Mühe, seine Personalentscheidungen zu begründen. Solch eine Situation wollte man lieber von vornherein ausschließen. Also lieber keine psychologischen Tests. Obwohl, ein Anstrich von Wissenschaftlichkeit würde einem Auswahlverfahren sicherlich gut anstehen.

Was die verehrten Herren denn von einem Assessment Center halten würden, fragte Frau Kluge, die man zu dieser Besprechung eingeladen hatte. Das wäre doch eine schöne Sache. Da könnte man die High Potentials mal so richtig durch die Mangel drehen. Dann würde man ja sehen, wie viel Potential sie tatsächlich fürs Management mitbrachten. Außerdem würde so ein Assessment Center genügend Möglichkeiten für individuelle Betrachtungen bieten. So ein bisschen psychologisch sei das ja auch, aber eben nicht so seelenlos wie ein genormter Psycho-Test. In einem Assessment Center würde man sehen, was die Kandidaten taugten und ob man sich um die Zukunft des Managements dieses ehrwürdigen Handelshauses Sorgen machen musste. Das überzeugte die Herren und es wurde protokolliert, dass alle Kandidaten aus dem Hi-Po-Programm zu einem Assessment Center eingeladen werden sollten. Frau Kluge würde dafür die Verantwortung tragen.

Das Assessment Center fand schon bald nach diesem Grundsatzbeschluss in einem Hotel statt, das darauf verzichtet hatte, Sterne an der Eingangstür zu präsentieren. Es waren zu wenige, um Gäste damit zu beeindrucken. Doch das Angebot war günstig gewesen und der Vorstand hatte ohnehin darum gebeten, das Umfeld schlicht zu gestalten. Sonst würden diese Youngster womöglich übermütig. Wer wusste denn, ob sie das Assessment Center überhaupt bestanden? Das würde eine harte Auslese. Da war es besser, wenn sie nicht mit einem verfrühten Eindruck von den Annehmlichkeiten eines Lebens im Management auf ihre Sachbearbeiterposition zurückkehrten.

Bereits am Mittag trafen einige leitende Damen und Herren ein, die Frau Kluge in Abstimmung mit dem Vorstand als Beobachter ausgewählt hatte. Frau Kluge hatte sie allerdings als Assessoren bezeichnet, denn sie würden nicht nur beobachten, sie würden auch bewerten, wie sich die Kandidaten im Assessment Center bewährten. Es war eine verantwortungsvolle Aufgabe, für die sie vorher noch schnell trainiert werden mussten. Sie hatten so etwas ja noch nie gemacht. Doch daran sollte es nicht scheitern. Immerhin waren drei Stunden für die Vorbereitung eingeplant, die Frau Kluge nutzen würde. Über die menschliche Wahrnehmung wolle sie etwas erzählen, sagte sie einleitend. Die habe nämlich manchmal ihre Tücken. Deshalb sollten die Assessorinnen und Assessoren doch bitte mit einer wohlwollend neutralen Einstellung an ihre Aufgabe herangehen und nicht etwa das erwartete, sondern das tatsächliche Verhalten beurteilen – ganz objektiv und unvoreingenommen. Das sei ja sicherlich nicht so schwierig. Sie seien ja alle erfahrene Manager. Dem wollte niemand widersprechen und deshalb wurden keine weiteren Fragen gestellt. Es war eine sehr hilfreiche Einführung gewesen und die Damen und Herren harrten der Dinge mit dem guten Gefühl, dass sie das Geschehen objektiv und sehr genau erfassen würden. Außerdem kannten sie ja die meisten Kandidaten aus der täglichen Arbeit. Das würde ihnen die Beurteilung erleichtern. Es konnte also losgehen.

Inzwischen waren auch alle Kandidaten eingetroffen, denn für den Vorabend des Assessment Centers stand ein gemeinsames Dinner auf der Agenda. Dahinter stand in Klammern: Networking. Da sollten sich die Teilnehmer schon einmal kennenlernen, auch wenn sie sich doch eigentlich schon lange kannten. Ganz nebenbei würde man außerdem beobachten können, ob diese Hoffnungsträger den Umgang mit Messer und Gabel beherrschten. Da kann man ja heutzutage nicht mehr so sicher sein. Doch kaum war das Essen serviert, da sprang ausgerechnet einem der Beobachter die vom viel zu langen Braten ausgezehrte Hähnchenbrust beim Versuch, sie in kleine Stücke zu schneiden, vom Teller. Da war er nur froh, dass er sich hier nicht auf dem Prüfstand befand. Warum hatte man bloß so ein billiges Hotel ausgesucht? Nun lag die Hähnchenbrust auf seiner Hose. Die neben ihm sitzenden Kandidaten reichten schnell ein paar Servietten. Ob das Teil des Assessment Centers ist, fragten sie sich insgeheim. War es überhaupt richtig, Servietten zu reichen? Oder hätte man die Sache besser mit einer witzigen Bemerkung überspielt? Dass das Huhn sehr frisch sei und noch fliegen würde. Irgendwie so etwas. Oder vielleicht doch besser so tun, als hätte man das Unglück gar nicht bemerkt? Schnell in eine andere Richtung gucken? Wenn man das doch nur wüsste. Warum war dieser Fall in keinem der Ratgeber erwähnt, die sie zur Vorbereitung auf das Assessment Center gelesen hatten?

Immerhin war jeder froh, dass den Kollegen auch keine bessere Reaktion eingefallen war. Doch konnte man sie überhaupt noch als Kollegen bezeichnen? Waren sie nicht vielmehr Konkurrenten? Man würde sie genau beobachten müssen. Von denen würde man sich die Karriere jedenfalls nicht verderben lassen. Nicht von denen. Das würde man morgen ausfechten. So leicht würden sie einen nicht kriegen. Sie hatten einem den Fehdehandschuh hingeworfen. Nun war es an der Zeit, ihn aufzuheben.

Am nächsten Morgen versammelten sich die Teilnehmer des Assessment Centers im großen Saal des Hotels. Anzug, Krawatte, Kostüm mit weißer Bluse, der Haarschnitt frisch vom Friseur und im Gesicht ein siegesgewisses Lächeln – so fühlten sie sich bereit für eine steile Karriere im Management. Gelegentlich war da allerdings ein nervöses Zucken im Gesicht zu bemerken, und wenn sie die Jacke abgelegt hätten, dann wären die Schwitzflecken wohl kaum zu übersehen gewesen. Wenn doch nur erst einmal dieses Assessment Center hinter ihnen liegen würde.

Dr. Winter hatte es sich nicht nehmen lassen, persönlich für ein Grußwort zu erscheinen. Von großartigen Karriereperspektiven, die sich in den nächsten Jahren im Unternehmen auftun würden, sprach er und dass er und seine Vorstandskollegen auf die junge Generation setzten, die bald das Ruder übernehmen würde, um dieses alteingesessene und überaus erfolgreiche Unternehmen auf Kurs zu halten. Das sei eine gewaltige Aufgabe. Dafür würde man die Besten brauchen und die würde man mit diesem Assessment Center ermitteln. Allein die Einladung sei schon eine Anerkennung. Darauf dürfe man durchaus stolz sein. Wer dann noch das Assessment Center bestünde, habe beste Aussichten auf eine große Karriere – auch wenn dies natürlich keine Garantie für eine umgehende Beförderung sei. Aber immerhin, der erste Schritt sei damit schon mal gemacht. Wer hingegen nicht bestehe, solle keinesfalls enttäuscht sein, denn dies sei nun einmal ein strenger Ausleseprozess. Schon damals im alten China habe man die Beamten nach einem ähnlichen Verfahren ausgewählt. Und damals bei der Reichswehr sei es ähnlich gewesen. Aber das sei vielleicht nicht so ein gutes Beispiel. Jedenfalls wünsche er allen viel Glück und Erfolg. Und während er das sagte, warf er noch einmal einen Blick auf die Agenda und war froh, dass er es bis zum Vorstandsvorsitzenden gebracht hatte, ohne jemals ein Assessment Center zu durchlaufen. Aber das ließ sich nicht vergleichen, seine Fähigkeiten waren ja auch so für jeden offensichtlich gewesen.

Genug der Worte, es konnte endlich losgehen. Es möge sich doch bitte zunächst jeder einmal selbst vorstellen, sagte Frau Kluge, die allen aus der Personalabteilung bekannt war und die nun das Assessment Center leiten würde. Drei Minuten Zeit habe jeder und die solle man gut nutzen. Es ginge also darum, sich auf das Wesentliche zu konzentrieren, denn nach drei Minuten würde sie jedem rigoros das Wort entziehen. Zeitmanagement sei ganz entscheidend für Manager, sagte sie und hatte inzwischen selbst schon viel zu lange gesprochen. Doch niemand entzog ihr das Wort. Sie war ja die Vorsitzende. Da galten andere Regeln.

Frau Kluge hätte gar nicht so viel erklären müssen, denn auf diese Aufgabe waren natürlich alle Kandidaten vorbereitet. Sie hatten sich gut informiert, wie solch ein Assessment Center abläuft. Einer nach dem anderen stand auf und präsentierte sich fast so, wie sie es zu Hause vor dem Spiegel geübt hatten. Ausbildung, Studium, derzeitige Aufgaben, vielleicht noch einen Hinweis auf ein Hobby oder einen Sport, den man pflegte – soweit die tägliche Arbeit für das Unternehmen dafür überhaupt genügend Zeit ließ, wie die Kandidaten nicht anzumerken vergaßen. Sonst entstand da womöglich noch ein falscher Eindruck. Ebenso wichtig war, dass das Hobby einen gewissen Anspruch verdeutlichte. Vielleicht klassische Musik. Anspruchsvolle Literatur? Oder doch lieber Sport? Fußball kam da allerdings nicht in Frage. Auch Tennis galt als durchaus steigerungsfähig. Nur die Beobachter wunderten sich etwas, wie viele Kandidaten gerade begonnen hatten, Golf zu spielen. Sie vermerkten es wohlwollend. Wenn sie später die Karriereorientierung der Kandidaten bewerteten, würden sie es berücksichtigen. Doch erst einmal ging es darum zu notieren, ob die Kandidaten bei ihrer Selbstpräsentation Blickkontakt mit ihren Zuhörern hielten. Das war ein Zeichen von Selbstbewusstsein und Offenheit. So hatten sie es von Frau Kluge im Beobachtertraining gelernt. Da gab es Punktabzüge, wenn der Blick auf den Boden gerichtet war oder gar an die Decke, weil die Kandidaten versuchten, sich an ihren zu Hause einstudierten Text zu erinnern.

Die erste Aufgabe war geschafft. Eine Kaffeepause war in weiter Ferne. Und weil das alles doch noch nicht ganz so locker gelaufen war, wie sie es gerne gesehen hätte, hielt Frau Kluge einen Ice-Breaker bereit. Dafür wurden die Teilnehmer in vier Gruppen eingeteilt und jede Gruppe erhielt die Aufgabe, nun einen möglichst hohen Turm aus Papier zu bauen. Neben dem Kopierer stapelten sich ohnehin immer all die falsch kopierten Blätter, die man nun endlich mal einer sinnvollen Verwendung zuführen würde. Immerhin waren dafür jede Menge Bäume gefällt worden. Klebstoff sei nicht zugelassen, gab Frau Kluge zu bedenken, um die Aufgabe etwas schwieriger zu machen. Hier wurden ja zukünftige Manager gesucht. Aber dann stellte sie doch jedem Team eine Schachtel Büroklammern zur Verfügung. Das Team solle zunächst diskutieren, wie man die Aufgabe am besten anginge, und sich dann für ein Design entscheiden, bevor der Bau des Turms begänne und hoffentlich nicht gleich wieder einstürze. Die Uhr läuft. Jedes Team hat 20 Minuten.

Frau Kluge war zufrieden. Diese Übung würde das Eis brechen. Sie hatte absichtlich keine Teamleiter benannt. Die Gruppen würden sich also auf einen Kompromiss einigen müssen. Und vielleicht würden sich dabei ja schon einmal einige natürliche Leader herauskristallisieren. Leadership und Teamfähigkeit, das war es, was im Management zählte. Hinzu kamen Kreativität und Innovationsfreude. Da war der Turm geradezu symbolisch. Wo er einstürzte, wäre es nicht weit her mit den Managementqualitäten. Die Beobachter sahen genau hin und machten sich Notizen. Sie hätten gerne eingegriffen. Als erfahrene Manager fühlten sie sich durch ihre Beobachterrolle erheblich eingeengt.

Die nächste Übung würde nun aber deutlich ernsthafter, sagte Frau Kluge. Es ginge ja keineswegs um die Auswahl von Baumeistern, sondern um die Auswahl zukünftiger Manager. In dieser Rolle würde man sich mit anspruchsvollen Themen und Entscheidungen auseinandersetzen müssen. Das erfordere unternehmerisches Denken und Handeln. Deshalb sollten sich die Kandidaten doch bitte einmal vorstellen, sie würden im Aufsichtsrat eines Unternehmens sitzen, das die Übernahme eines bedeutenden, aber doch etwas kleineren Konkurrenten plane. Beide Unternehmen hätten eine lange Tradition und eine ausgeprägte, allerdings sehr unterschiedliche Firmenkultur. Nur in einem Punkt würden sich beide Unternehmen ähneln. Beide machten seit Jahren erhebliche Verluste, wobei das kleinere Unternehmen allerdings noch schlechter dastehe als das größere. Die optimistisch geschätzten jährlichen Synergieeffekte seien bemerkenswert, würden jedoch geringer ausfallen als die gemeinsamen Verluste. Da sei allerdings noch Potential durch zusätzliche Mitarbeiterfreisetzungen bei dem Übernahmekandidaten. Bei vorsichtiger Schätzung seien die Mergerkosten erheblich. Allerdings bewege man sich in einer Branche, in der Größe Vorteile biete. Leider würden die Experten für die Zukunft keine grundlegende Verbesserung der Marktsituation erwarten. Außerdem sehe man sich einem starken Wettbewerbsdruck ausgesetzt. All das sollten sich die Kandidaten mal vorstellen und diskutieren. Wie sie da als Aufsichtsräte entscheiden würden. Als Manager müsse man ja Visionen für die Zukunft entwickeln und strategisch denken. Zwei Stunden würden für die Diskussion zur Verfügung stehen und in dieser Zeit solle man möglichst zu einer Entscheidung kommen. Denn Entscheidungsfreude sei eine wichtige Eigenschaft eines Managers.

Wieder wurden Gruppen gebildet. Der Vorsitz würde während der zwei Stunden wechseln, damit sich jeder in unterschiedlichen Rollen beweisen könne. So saßen die Kandidaten zusammen und versuchten Visionen zu entwickeln und unternehmerische Entscheidungen zu treffen. Etwas Zahlenmaterial hatten sie auch bekommen, was allerdings wenig daran änderte, dass das Szenario doch reichlich realitätsfern erschien. Über solch eine theoretische Situation musste man ja erst einmal nachdenken. Wer sich das wohl ausgedacht hatte?

Das Schweigen währte allerdings nur kurz. Als zukünftige Manager fürchteten sie Missinterpretationen. Nichts zu sagen, könnte leicht als Schwäche ausgelegt werden. Man solle die Situation doch erst einmal strukturieren und in einzelne Punkte gliedern, meldete sich eine Teilnehmerin zu Wort, obwohl dieser Vorschlag doch vom Vorsitzenden der Diskussionsgruppe erwartet worden wäre. Die Beobachter notierten es in ihren Beobachtungsprotokollen unter dem Stichwort Initiative und gaben der Teilnehmerin zusätzlich Pluspunkte für analytisches Denken.

Die Frage, inwieweit sich die unterschiedliche Unternehmenskultur nachteilig auf den Integrationsprozess nach der Firmenübernahme auswirken würde, wurde kontrovers diskutiert. Die einen hatten erhebliche Bedenken, weil kulturelle Veränderungen Zeit bräuchten. Häufig sei auch nach vielen Jahren der ursprüngliche Stallgeruch noch deutlich zu riechen, warnte einer. Er hätte da ein paar Beispiele. Bedenkenträger, notierte der Beobachter an dieser Stelle. Man müsse die neuen Mitarbeiter einfach nur gründlich trainieren, warf ein anderer Teilnehmer in die Diskussion ein. Die Beobachter vermerkten einen Pluspunkt für sein Durchsetzungsvermögen.

So wogte die Diskussion hin und her. Einerseits und andererseits. These, Antithese, Synthese. Die Kandidaten hatten ein feines Gespür für Erwartungen und merkten schnell, dass es deutlich angemessener wäre, sich für eine Übernahme auszusprechen statt dagegen. Auf irgendeine Kleinigkeit würde man trotzdem verweisen müssen. So würden Sorgfalt und Analysevermögen demonstriert. Die weiteren Diskussionsbeiträge wären dann allerdings vorwärtsgerichtet und optimistisch zu formulieren. Damit da gar nicht erst Missverständnisse entstünden. Immerhin galt es, Initiative, Durchsetzungskraft und eine positive Einstellung zu vermitteln. Die Beobachter waren zufrieden, dass sich am Ende der zwei Stunden alle Gruppen klar für eine Übernahme des Konkurrenten ausgesprochen hatten. Sie notierten es mit Wohlwollen.

Es war Zeit für die Mittagspause. Eine Stunde musste reichen, denn es standen noch zwei weitere Übungen auf dem Programm, bevor es zu einer Auswertung der Ergebnisse kommen würde. Allerdings zeigten sich da schon deutliche Trends. Doch nun ging es erst einmal um einen Intelligenztest, den Frau Kluge mit einigen Fragen zur Persönlichkeit angereichert hatte. Dr. Winter hatte ausdrücklich darum gebeten, das Assessment Center mit einem kurzen Intelligenztest zu verbinden. Denn es war ja klar, dass es für gehobene Managementpositionen einer gesunden Portion Intelligenz bedurfte. Das könne man am besten an ihm sehen, hatte Dr. Winter gesagt. Irgendjemand hatte ihn noch gefragt, wie er Intelligenz definieren würde. Aber diese Frage ließ wohl eher an der Intelligenz des Fragestellers zweifeln und Dr. Winter hatte sie deshalb unbeantwortet gelassen.

So saßen die Teilnehmer kurz nach dem Mittagessen schon wieder an ihren Plätzen, und während sie noch mit der Mittagsmüdigkeit kämpften, sahen sie sich am Computer allerlei Fragen und Aufgaben gegenüber. Eine Folge gerader Zahlen zu ergänzen, fiel natürlich leicht, obwohl man sich wunderte, was dies über einen Manager aussagen sollte. Bei den Kästchen mit den sonderbaren Symbolen wurde es schon etwas schwieriger, denn die Uhr tickte erbarmungslos. Aber dann kamen Fragen zur Persönlichkeit. Da galt es aufzupassen, dass man nicht in eine Falle tappte.

Meine Arbeit befriedigt mich, stand da zum Beispiel und ließ nur ein Ja oder Nein zu. Da gerieten einige Kandidaten ins Grübeln. Einerseits waren sie keineswegs unzufrieden mit ihrer Arbeit. Andererseits waren sie hier, weil sie mehr wollten als ihre bisherige Arbeit. Jaaber hätte gepasst, doch das war nicht vorgesehen. Auf einem Blatt Papier hätten sie so etwas wie falsche Fragestellung oder gar Quatsch an den Rand schreiben können und dahinter vielleicht ein Ausrufezeichen gesetzt. Aber sie saßen am Computer. Da konnten sie nichts an den Rand schreiben. Und zur nächsten Frage kam man auch nur, wenn diese beantwortet war. Vielleicht ging es ja gar nicht darum, ob man mit seiner Arbeit zufrieden war. Vielleicht ging es ja nur darum, wie man mit Stress umging. Warum starrten einen die Beobachter ständig an? Was notierten sie?

Jetzt nur nicht aus der Ruhe bringen lassen. Vielleicht ließ sich eine Gesetzmäßigkeit erkennen. Die letzten drei Fragen hatten alle ein Ja erfordert. Da würde etwas Abwechslung guttun. Also Nein anklicken und weiter zur nächsten Frage. Manche Dinge im Leben kann ich nicht ernst nehmen, stand da. Das war leichter zu beantworten. Da würde man ein Ja anklicken.

Immerhin, nach einer halben Stunde war auch dieser Teil des Assessment Centers geschafft. Und als es nach einer kurzen Kaffeepause weiterging, da kam sie dann doch noch, die von allen Kandidaten mit Spannung erwartete Postkorbübung. Darüber hatten sie viel gelesen. Dass es eine Stresssituation sei und man das ja gar nicht alles schaffen könne, was da von einem erwartet würde. Deshalb ginge es darum, die richtigen Prioritäten zu setzen. Denn das würde von jedem Manager erwartet, dass er auch unter Stress immer die richtigen Prioritäten setze und sich auf keinen Fall in Kleinigkeiten verlöre. Nein, im Management kam es auf die große Linie an. Das war jedem Kandidaten klar.

Alles würde vollautomatisch bis hin zur Auswertung am Computer ablaufen, erläuterte Frau Kluge. Da sei für jeden Kandidaten ein prall gefülltes Postfach eingerichtet, das sie abarbeiten müssten. Außerdem habe jeder einen Terminkalender. Und während sie sich noch mit all den Mails beschäftigten und die nötigen Entscheidungen trafen, was denn nun zu tun sei, würden immer wieder neue Mails eintreffen. Das sei wie im richtigen Leben eines Managers. Denn da würden auch Entscheidungsfreude und Flexibilität verlangt. Das könne sich wahrscheinlich jeder gut vorstellen. Daran würde übrigens auch die Sekretärin nichts ändern. Denn die ginge ja manchmal auf Urlaub, und außerdem müsse man der als Manager natürlich sagen, worauf es ankommt. Denn die Verantwortung, die man als Manager habe, könne man nicht einfach delegieren. Eine Stunde Zeit habe jeder zur Verfügung. Rückfragen seien nicht gestattet. Ja, Manager sind einsam, wenn es um Entscheidungen geht. Das würden sie bei dieser Übung schon einmal erleben.

Zu jedem Vorgang müsse entschieden werden, wie wichtig und dringend er sei. Ob man ihn selbst erledigen müsse oder delegieren könne und wann er erledigt werden müsse. Oder ob man ihn vielleicht in den Papierkorb werfen könne. Eisenhower-Prinzip, rief einer der Kandidaten dazwischen und hoffte, dafür bei den Beobachtern einen Pluspunkt zu bekommen. Ja, so habe Eisenhower alle Aufgaben in Kategorien eingeteilt. Der Mann war immerhin General und Präsident der Vereinigten Staaten gewesen. Den anderen Teilnehmern kam da allerdings eher in den Sinn, dass man seine Arbeit vielleicht so organisieren sollte, dass man gar nicht erst unter derartigen Druck geriete. Doch das war bei der Postkorbübung nicht vorgesehen. Nun ja, man würde auch diese letzte Aufgabe noch irgendwie überstehen. Danach wäre es ja geschafft und man würde von den Beobachtern hören, wie es gelaufen sei. Die Kandidaten waren da allerdings nicht übermäßig optimistisch. Aber nun erst einmal gucken, was da im Postkorb auf einen wartete. Frau Kluge drückte auf die Stoppuhr.

Am besten würde man alles durchsehen, um sich einen Überblick zu verschaffen. So hatte es in den Ratgebern gestanden, die die Kandidaten im Vorfeld konsultiert hatten. Dabei könnte alles schon einmal nach Prioritäten sortiert werden. Der Boss bittet um eine Besprechung, stand gleich in der ersten Mail. Das war einfach, denn das war natürlich höchste Dringlichkeitsstufe. Aber wieso bittet er? Sonst nannte er doch einfach einen Termin und dann konnte man zusehen, wie man damit zurechtkam. Auf jeden Fall handelte es sich hier um Kategorie 1 – dringend und selbst zu erledigen.

Auch ein Mitarbeiter bat um ein Gespräch. Der würde sich allerdings etwas gedulden müssen. Oder sollte man es vielleicht besser delegieren? Man konnte sich ja nicht zerreißen. Eine Mail von der Tochter. Sie schrieb, sie habe ihr Handy in der Disco verloren und brauche Geld für ein neues. Das hatte leider eine gewisse Dringlichkeit. Es war ja bekannt, wie zickig sie sein konnte. Aber wie oft sollte man ihr noch sagen, dass sie nicht an die Firmenadresse schreiben sollte? Warum kümmerte sich ihre Mutter nicht mal darum? Aber von der war da ja auch eine Mail im Postfach. Sie schrieb etwas von einem Termin beim Anwalt. Sie würde ihm das per Mail an die Unternehmensadresse mitteilen, weil er ja ohnehin nichts als seine Arbeit im Kopf habe. Näheres würde er dann von dem Anwalt hören. In welche Kategorie das wohl am besten einzuordnen wäre? Papierkorb vielleicht?

Ein Lieferant lud zu einem Golfturnier ein. Da musste man hin. Das konnte man auf keinen Fall delegieren. Aber warum schickte der die Einladung nicht früher? Der Steuerberater verwies auf eine Frist, die unbedingt zu beachten sei. Die neue Kollegin wollte ihren Einstand geben und fragte, welcher Termin dafür geeignet sei. Da sollte man vielleicht mal hingehen, nachdem die eigene Frau Post vom Anwalt angekündigt hatte. Darüber würde man noch einmal nachdenken. KIV – keep in view. Die Verabschiedung von dem Meier könnte hingegen delegiert werden. Da musste eine Rede gehalten werden, denn der ging in Rente. Außerdem bat die Entwicklungsabteilung um einen Termin für eine Präsentation des gerade fertiggestellten Prototyps. Und ganz nebenbei gingen mit einem hellen Klingelton immer wieder neue Mails ein. Herrschaftszeiten, was waren das für Manager, bei denen es so zuging?

Da musste man durch. Rückfragen und Kommentare waren bei dieser Übung nicht vorgesehen. Einige Kandidaten zeigten deutliche Stressreaktionen, während sie Prioritäten vergaben, Entscheidungskategorien anklickten, Unwichtiges delegierten und Wichtiges organisierten und terminierten. Manchmal lief es auch umgekehrt. Schließlich war jeder froh, als die Stunde endlich vorüber war.

Es war ein langer Tag gewesen und nicht nur die Teilnehmer, auch die Beobachter waren sichtlich müde und erschöpft. Die Kandidaten fragten sich insgeheim, ob es im Management wohl immer so stressig sei wie im Assessment Center. Und die Beobachter bereuten ein wenig, dass sie sich bereit erklärt hatten, diese Rolle zu übernehmen. In ihrem Büro ging es eben doch weitaus ruhiger und entspannter zu. Zum Glück erfolgte die Auswertung der Postkorbübung vollautomatisch. Das war der Vorteil eines Computers. Schnell und objektiv lag das Ergebnis vor. Doch bevor man sich einen Drink zur Entspannung gönnen würde, standen noch die internen Beratungen an und danach würde man Abschlussgespräche mit den Kandidaten führen müssen.

Die Beobachter einigten sich schnell auf die abschließenden Beurteilungen. Wo der Computer noch Interpretationsspielräume ließ, da halfen eigene Einschätzungen weiter. Zufrieden stellten alle fest, dass das Assessment Center die persönlichen Eindrücke, die sie schon lange hatten, eindrucksvoll bestätigte. Aber nun war diese Einschätzung natürlich weitaus systematischer und objektiver. Ja, die Beobachter waren geneigt festzustellen, dass ihre Beurteilungen nun wissenschaftlich abgesichert seien. Zumindest quasi-wissenschaftlich. Deshalb seien Assessment Center so erfolgreich, sagte Frau Kluge und die anderen nickten zustimmend. Es sei natürlich auch mit etwas mehr Aufwand verbunden, aber das Ergebnis würde das allemal rechtfertigen.

So ging es an die Einzelgespräche, in denen die Kandidaten einer nach dem anderen hören würden, wie sie im Assessment Center abgeschnitten hatten und was die Beobachter über ihre weitere Karriere zu sagen hatten.

Mal klang es hoffnungsvoll, mal eher zurückhaltend. Weichen wurden gestellt. Karrieren nahmen Wendungen. Und während sich die einen bestätigt fühlten und hoffnungsvoll in die Zukunft blickten, weil eine Beförderung nun wohl nur noch eine Frage von Tagen oder höchstens Wochen sein würde, waren auch einige Enttäuschungen unvermeidlich. Doch Frau Kluge machte den erfolglosen Kandidaten Mut. In ein, zwei Jahren hätten sie sicherlich noch einmal eine Chance. Nach den positiven Erfahrungen gäbe es nun häufiger ein Assessment Center. Manchmal brauchten die Dinge eben etwas mehr Zeit, um sich zu entwickeln. Man solle deshalb nicht enttäuscht sein.

Als letzte war Sabrina dran. Frau Kluges Gesicht hellte sich merklich auf. Man müsse das mal deutlich sagen, wie sehr Sabrina alle Beobachter beeindruckt habe. Niemand habe so sehr überzeugt wie sie. Diese Ruhe und Selbstsicherheit, die sie da an den Tag gelegt habe. Außerdem natürlich ihr Durchsetzungsvermögen in der Gruppe. Besser könne man seine Führungsqualitäten gar nicht zum Ausdruck bringen. Auch beim Intelligenztest habe sie ein bemerkenswertes Ergebnis erzielt. Bei solch einer Punktzahl könne es ja überhaupt keine Zweifel im Hinblick auf ihre weitere Karriere im Hause geben. Man habe da schon ein paar Gedanken entwickelt, welche Position als nächster Schritt in Frage kommen könnte. Wenn sie sich weiter so entwickelte – und das Assessment Center ließe daran überhaupt keine Zweifel – dann hätte sie eine große Karriere vor sich. Sogar Dr. Winter, der extra angerufen habe, um sich nach den Ergebnissen zu erkundigen, obwohl sein Terminkalender ja auch so voll genug sei – aber er setze da nun einmal klare Prioritäten, wie man das von einem Top-Manager erwarte –, also Dr. Winter habe gesagt, dass ihn das Ergebnis in keinster Weise überraschen würde. In keinster Weise – ja, genauso habe er es ausgedrückt.

Sabrina hatte sich die Lobeshymne geduldig angehört. Ihr Gesicht zeigte keinerlei Regung. Nun ja, sagte sie schließlich, das klinge alles sehr erfreulich. Allerdings sehe sie das aus einer etwas anderen Perspektive. So ein Assessment Center sei ja keine Einbahnstraße. Sie habe deshalb den Tag auch dazu genutzt, sich ein Bild von der Firma zu machen. Da habe sie bisher vielleicht manches nicht ganz richtig gesehen. Ihr seien nämlich im Verlauf des Assessment Centers einige Zweifel gekommen, ob ein Unternehmen, das die Zukunft seiner Mitarbeiter von einem Schauturnen auf einer künstlichen Bühne abhängig mache, das richtige Umfeld für ihren weiteren beruflichen Werdegang sein könne. Das erinnere sie doch ein bisschen an ihre Zeit damals im Kindergarten. Da hätten sie auch solche Spiele gespielt. Einen Turm aus Bauklötzen hätten sie gemeinsam gebaut und geguckt, ob er umfällt. Aber aus dem Alter sei sie inzwischen raus. Nun wolle sie ernsthafte Arbeit im Management leisten. Ja, sie habe viel gelernt im Assessment Center. Sie habe die Firma genau beobachtet und habe sich einige Notizen gemacht. Die habe sie inzwischen ausgewertet und das Ergebnis sei eindeutig: sie würde es wirklich bedauern, aber diese Firma sei nicht der richtige Ort für ihre weitere berufliche Karriere. Diese Erfahrung nehme sie aus dem Assessment Center mit und dafür würde sie sich gerne bedanken. Mit diesen Worten stand sie auf und verabschiedete sich von Frau Kluge mit einem kurzen Händedruck, bevor sie ging und die Tür hinter sich schloss.

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