Читать книгу Juma - Ralf Lothar Knop - Страница 3

Augustinus

Оглавление

Ralf Lothar Knop

Juma

Fiktion


Alle Ereignisse und Personen in diesem Roman sind völlig frei erfunden. Irgendwelche Ähnlichkeiten mit verstorbenen oder lebenden Personen sind rein zufällig und beabsichtigt.




Für meine Brüder Günter und Herbert


Karl ging bereits seit zwei Jahren zu Carl zur Psychotherapie, ohne dass irgendeine Besserung zu beobachten wäre. Woche für Woche spielte sich dieselbe Begrüßungszeremonie ab.

„Guten Tag Herr Marx, bitte kommen Sie herein und nehmen Sie Platz.“

„Bitte unterlassen Sie den Unsinn, Herr Jung, mein Name ist Augustinus von Hippo Regius. Sie dürfen mich Augustinus nennen.“

„Selbstverständlich. Bitte entschuldigen Sie, Herr Augustinus, ich habe so ein fürchterlich schlechtes Namensgedächtnis. Ist es richtig, dass Sie am fünften Mai 1818 in Trier geboren wurden?“

„Na, mein lieber Jung, heute sind Sie aber wirklich mal wieder vollkommen verwirrt. Ich wurde am dreizehnten November 354 in Tagaste geboren.“

Carl war diese Zeremonie sehr wichtig, weil er auf diese Weise feststellen wollte, ob es irgendein Anzeichen von Verbesserung oder auch nur die kleinste Veränderung gab. Als nächstes versuchte er Karls Geist durch dessen eigene Theorien aus der Dämmerung wieder hervor zu holen. An diesem Tag wollte er sich mit ihm über seine Einstellung zur Ehe, über den Menschen im Allgemeinen und über die Dreifaltigkeit unterhalten.

„Herr Augustinus, können Sie mir sagen, was Sie damit meinten, als Sie schrieben, dass „mit Aufhebung der jetzigen Produktionsverhältnisse auch die aus ihnen hervorgehende Weibergemeinschaft, d. h. die offizielle und nichtoffizielle Prostitution, verschwindet“. Soll das etwa heißen, dass Sie Ehefrauen für Prostituierte halten?“

„Einen solchen Unsinn habe ich natürlich niemals geschrieben, mein lieber Jung, Sie müssen sich wirklich besser vorbereiten. Ich habe vielmehr sehr deutlich ausgeführt, dass die Begierlichkeit des Fleisches allen sinnlichen Freuungen und Genüssen zugrunde liegt und dass sie deren Knechten nur Verderben bringt, genauso wie die Begierlichkeit der Augen und die Hoffart. Schon als kleines Kind habe ich gesündigt, denn noch bevor ich sprechen und laufen konnte gierte ich plärrend nach den Brüsten und mit bitterbösem Blick schaute ich auf meinen Milchbruder hin, trotz reichem Fluss und Überfluss des Milchquells habe ich den andern Bedürftigen nicht als Genossen geduldet. Später habe ich dann unter den Stachelstößen der Begierden die Fuhre meines Elends gezogen und im Ziehen immer noch gehäuft.“

„In Ihrem „Manifest der Kommunistischen Partei“ sprechen Sie nicht von Genossen, sondern vom modernen Arbeiter und Sie führen dort aus, dass die Bourgeoisie nicht nur die Waffen geschmiedet habe, die ihr den Tod bringen, sondern sie habe auch die Männer gezeugt, die diese Waffen führen werden – die modernen Arbeiter, die Proletarier.“

„Mein lieber Jung, ich habe Ihnen doch schon zig mal erklärt, dass der Ursprung des Bösen allein im freien Willen des Menschen besteht und nur durch das Licht der Seele können wir an Weisheit (sapientia) und Glückseligkeit (beatitudo) teilhaben. Nur durch Erkenntnis und Liebe erlangen wir die Teilhabe an Weisheit und Glückseligkeit.“

„In Ihrem Werk „Das Kapital“ haben Sie behauptet, dass alle Geheimnisse in der trinitarischen Formel „Kapital – Zins, Boden – Grundrente, Arbeit – Arbeitslohn einbegriffen seien und Sie haben dies die Dreieinigkeit genannt.“

„Das ist ja heute mal wieder kaum auszuhalten. Sie haben zwar Recht, dass ich mich auch über die Dreieinigkeit geäußert habe, aber in völlig anderer Weise: da hätten wir den Vater, den Urgrund der Weisheit, und aus ihm gezeugt und ihm gleich und gleichewig den Sohn und schließlich finden wir den Geist, der über den Wassern schwebte. Ich zitiere aus meinen Bekenntnissen: ‚da ist sie, die Dreifaltigkeit, mein Gott: Vater und Sohn und Heiliger Geist, Ein Schöpfer der Schöpfung allgesamt.‘“

„Ich möchte auf ein letztes Problem zu sprechen kommen. In Ihrem „Manifest“ behaupten Sie, dass der Mensch „allen selbständigen Charakter“ verloren habe und dass sich seine Kosten „fast nur auf die Lebensmittel, die er zu seinem Unterhalt und zur Fortpflanzung seiner Race bedarf“, beschränken. Sind Sie immer noch der Meinung?“

„Na, mein lieber Jung, Sie machen es sich heute aber sehr einfach. Glauben Sie wirklich, dass ich auf so plumpe Fragen hereinfalle? Ich habe weder ‚Das Kapital‘ noch das ‚Manifest‘ geschrieben. Ja ich habe mich auch über den Menschen geäußert, ich darf mal wieder zitieren: ‚Ein abgrundtiefes Geheimnis ist sich der Mensch. Selbst noch seine Haare, die Du, Herr, gezählt hast, und deren keines verlorengeht bei Dir, sind leichter zu zählen, als was sich regt und wegt in seinem Herzen.‘ Ich glaube, das ist etwas völlig anderes als der Unsinn, den Sie da zitiert haben.“

„Mein lieber Herr Augustinus, das soll für heute genügen, wir sehen uns in einer Woche wieder. Friedrich Nietzsche ist ein Zeitgenosse von Karl Marx, ich möchte Sie bitten bis zur nächsten Woche dessen Schrift ‚Menschliches, Allzumenschliches‘ zu lesen. Leben Sie wohl!“

„Ich weiß weder, was ich mit Karl Marx zu tun habe, noch mit Friedrich Nietzsche, aber wenn Sie es wünschen, werde ich selbstverständlich diese Schrift lesen. Leben Sie wohl, mein lieber Jung!“

Unmittelbar nach der Therapiestunde flog Karl alias Augustinus von Zürich nach London zurück, wo er in der Campden Hill Road in der Nähe von Holland Park eine Wohnung hatte. Da er die überfüllten Londoner U-Bahnen hasste, nahm er sich am Flughafen Heathrow ein Taxi zur Hyde Park Corner, von dort schlenderte er durch den Green Park zum Buckingham Palace, wo er jedoch von den vielen Touristen genervt wurde, die auf den Palace schauten, als würden sie von dort ihre Erlösung erwarten. Deshalb ging er weiter durch den St. James’s Park, wo er sich bei dem sonnigen Wetter für eine Weile auf eine Bank setzte und auf den St. James’s Park Lake schaute.

Anschließend ging er weiter zur Westminster Abbey, da er ein kurzes Gebet sprechen wollte, doch leider war der Eingang von der Polizei abgesperrt, weil mal wieder irgendein ausländischer Politiker unbedingt diese Abbey besichtigen musste, deshalb ging er weiter hinüber zu den Houses of Parliament, wo er eine Weile stehen blieb und sich vorstellte, welche wichtigen Entscheidungen in diesem Haus getroffen wurden, von hier ging er durch die Downing Street zurück zum St. James’s Park, am Buckingham Palace vorbei durch den Green Park, den Hyde Park, Kensington Gardens und durch die Holland Street schließlich zu seiner Wohnung in der Campden Hill Road, wo er sich vollkommen erschöpft erst einmal auf sein Bett fallen ließ und sofort einschlief.

Als er mitten in der Nacht wieder aufwachte, musste er sich zunächst einmal orientieren, indem er die Ereignisse des vergangenen Tages noch einmal im Geiste durchlief. Dieser Carl Gustav Jung war schon ein sehr merkwürdiger Vogel, aber sein Freund Friedrich hatte ihn in den höchsten Tönen gelobt, er sollte angeblich eine anerkannte Kapazität sein, die einen völlig neuen Zugang zur menschlichen Seele gefunden habe. Trotzdem wusste Karl, alias Augustinus, nicht, ob er die Therapie fortsetzen sollte, da er sich eigentlich vollkommen gesund fühlte, es waren ja die anderen Menschen, die ihm diese Therapie empfohlen hatten.

Er konnte es zwar nicht leugnen, dass er immer noch nicht die Beziehung zu seiner Mama verarbeitet hatte, doch das war schließlich keine Krankheit. Einerseits liebte er seine Mama Monnica und er war ihr außerordentlich dankbar, weil sie sich ihr ganzes Leben lang um ihn gekümmert hatte. War sie es doch, die ihn aus der Irrlehre des Manichäismus befreit hatte und sie hatte auch in den Jahren seines lasterhaften Lebens zu ihm gehalten, obwohl es ihr so manches Mal die Tränen in die Augen getrieben hatte, wenn sie sah, dass sein einstiges Leben von Diebstählen, Lügen und vor allem der Raserei der Lust geprägt war.

Sie hatte es wirklich nicht verdient, dass er sie so kläglich hinterging, als er ohne sie nach Rom abreisen wollte. Da sie ihn einfach nicht loslassen wollte, hat er sie getäuscht und belogen und fuhr heimlich in der Nacht fort und am nächsten Morgen stand sie fassungslos vor Schmerz mit Klagen und Seufzen an der Küste, denn sie hing ja nach Art der Mütter an ihrem Beisammensein mit ihm und trotz seiner Falschheit und Grausamkeit betete sie wieder für ihren Sohn. Liebesstark im Glauben ist sie Gott sei Dank dann später jedoch, als er schon in Mailand war, mit seinem Bruder nachgekommen und sie waren wieder vereint.

Im Gegensatz zu Karl alias Augustinus, der in seinen frühen Jahren dem Alkohol sehr zugetan war und dem das Loblied der Nüchternheit genauso zum Ekel war, wie der wassergemischte Trunk dem Säufer, hatte bei seiner Mama die Trunksucht keinerlei Macht über ihren Geist.

Andererseits hatte seine Mama dafür gesorgt, dass die Beziehung zu seiner über alles geliebten Aemilia beendet wurde, wodurch auch seinem Sohn Adeodatus die Mutter genommen wurde und das konnte er ihr auf keinen Fall verzeihen. Die Wunde, die die Trennung von der Geliebten geschlagen hatte, wollte nicht heilen und schmerzte noch lange, weshalb er sich auch sogleich nach der Trennung als ein Sklave der Lust einer anderen Frau hingab, um die Sucht seiner kranken Seele nicht nur zu befriedigen, sondern sie in üppigen Orgien bis zur Ekstase zu steigern, wodurch sich der wühlende Schmerz über den Verlust der Geliebten von einer Entzündung in Fäulnis verwandelte.

Fressen, Saufen und Huren, das war sein Leben, er konnte sich gar nicht erinnern, mit wie vielen Frauen er es getrieben hatte, selbst als er schon mit seiner Geliebten Aemilia zusammen war, hatte er immer wieder Beziehungen zu anderen Frauen gehabt. Aber selbst mit Aemilia war er ja nicht verheiratet, da sie für ihn nicht standesgemäß war; er lebte also mit ihr in einer unzüchtigen Beziehung. Karl, alias Augustinus, war froh, dass seine Mutter seine Bekehrung noch erleben durfte, andererseits war er sehr traurig, dass sie viel zu früh gestorben war.

Aber es war keine Frage, ohne seine Mama wäre sein Leben vollkommen anders verlaufen, obwohl der eigentliche Wendepunkt in seinem Leben einen anderen Grund hatte, den er wohl niemals vergessen wird, diese Kinderstimme, die ihm immer und immer wieder sagte: Tolle, lege! Und was las er dann in der Heiligen Schrift:

Lasst uns ehrbar leben wie am Tage, nicht in Fressen und Saufen, nicht in Unzucht und Ausschweifung, nicht in Hader und Eifersucht; sondern zieht an den Herrn Jesus Christus und sorgt für den Leib nicht so, dass ihr den Begierden verfallt.

Karl alias Augustinus wunderte sich doch sehr über all diese Gedanken, weshalb er den übrigen Teil der Nacht wach auf seinem Bett liegen blieb. Er stellte fest, dass all diese Bilder in seinem Gedächtnis noch sehr lebendig waren und sie in ihm immer noch ein außerordentliches Wohlgefallen verursachten, besonders im Schlaf konnten diese Bilder ihm Gefühle vermitteln, derer er im wachen Zustand nicht fähig war. Dann fragte er sich: „Bin ich dann nicht ich? Wahrhaftig solch ein Unterschied ist zwischen mir und mir, dass die gesehene Wirklichkeit mir vollkommen gefühllos erscheint.“

Am nächsten Morgen machte er sich gleich nach dem Frühstück an die Lektüre von ‚Menschliches, Allzumenschliches‘ von Friedrich Nietzsche und er stellte natürlich sehr schnell fest, dass Carl ihn mit dieser Schrift offensichtlich nur provozieren wollte. Da behauptet zum Beispiel dieser Nietzsche, dass ‚der starke Glaube nur seine Stärke, nicht die Wahrheit des Geglaubten beweist‘. Einen solchen Unsinn konnte doch nur jemand schreiben, der die Gaben des Heiligen Geistes nicht empfangen hatte.

Es wurde jedoch noch grotesker, wenn Nietzsche aussagt, dass der Glaube daran, dass ein Gott das Schicksal der Welt bestimme, längst nicht mehr existiere und dass deshalb ‚die Menschen selber sich ökumenische, die ganze Welt umspannende Ziele stellen‘ müsse. Mehr noch, er behauptet sogar, dass möglicherweise im Interesse der Bedürfnisse der Menschheit ‚unter Umständen sogar böse Aufgaben zu stellen‘ seien. Was war das nur für ein verderbter Mensch, der solche Lügen und Irrtümer in die Welt setzte. Man musste sich wirklich fragen, ob solche Frechheiten wirklich verbreitet werden durften. Er selbst hatte ja persönlich ein Erweckungserlebnis gehabt und nur durch die Kraft seines Glaubens konnte er sein liederliches, sündhaftes Leben beenden und zu einem gottgefälligen Leben übergehen.

Schließlich kommt jedoch noch der absolute Höhepunkt in den Ausführungen von Nietzsche, wenn er dazu auffordert, alle Vorstellungen über ‚die christliche Seelennot, das Seufzen über die innere Verderbtheit, die Sorge um das Heil‘ zu vernichten, weil es sich hier um Vorstellungen handle, die auf Irrtümern der Vernunft beruhen. Wie konnte er nur jemals behaupten, dass der ‚Glaube an Wert und Würdigkeit des Lebens‘ ausschließlich auf unreinem Denken beruhe und dass ‚das Mitgefühl für das allgemeine Leben und Leiden der Menschheit sehr schwach im Individuum entwickelt‘ sei. Auch hier konnte Karl, alias Augustinus, aus voller Überzeugung sagen, dass es genau umgekehrt sei, nämlich dass das Denken dieses Herrn Nietzsche sehr schwach entwickelt sei.

Selbstverständlich ist es auch vollkommen falsch, dass der junge Mensch sich gerne der Metaphysik zuwende, weil er durch sie die Möglichkeit habe, in den Dingen, die er an sich selbst missbilligt, „das innerste Welträtsel oder Weltelend“ zu erkennen. Es war einfach falsch, dass der Mensch auch durch historische Erkenntnisse das Interesse am Leben und seinen Problemen gewinnen könne. Nein, der Mensch war von Grund auf verderbt und nur durch die Gnade Gottes, so wie es auch bei ihm selbst geschehen war, konnte er sich zu einem guten Menschen wandeln. Nur wenn der Mensch seinen eigenen Willen aufgab, konnte er Gottes Willen erfüllen.

Nachdem Karl alias Augustinus den ganzen Aufsatz gelesen hatte, war ihm klar, dass es sich bei Nietzsche um einen Menschen voller Verachtung für die Menschen und die Welt und vor allem auch für Gott handle; er war ein Anwalt des Teufels und ein Feind Gottes, den man zum Schweigen bringen musste, seine Schriften sollten einfach verboten werden.

Karl alias Augustinus war nun bereit mit Carl über diese Schrift zu diskutieren und er würde ihm in aller Deutlichkeit sagen, dass er ihn in Zukunft bitte mit solchen gotteslästerlichen Schriften verschonen solle.


Juma

Подняться наверх