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Feuerbach

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Kaum hatte Karl alias Augustinus wieder in Carls Arbeitszimmer Platz genommen, wurde Carl wegen einer wichtigen Angelegenheit aus dem Zimmer gebeten. Während Karl alias Augustinus sich im Zimmer umschaute, entdeckte er eine Mappe mit der Aufschrift „Karl Marx“ auf dem Schreibtisch und natürlich konnte er seine Neugier nicht zügeln, er ging um den Schreibtisch herum und schlug die Mappe auf.

Diagnose:

Dissoziative Identitätsstörung verbunden mit wesentlichen Anteilen einer Schizophrenie (endogene Psychose, Realitätsverlust, Wahnvorstellungen)

Bei Herrn Marx zeigte sich in der Vergangenheit eine rücksichtslose Männlichkeit und damit verbunden der Ehrgeiz, nach höchsten Zielen zu streben. Dies äußerte sich in einer Gewalttätigkeit gegenüber Dummheit, Verbohrtheit, Ungerechtigkeit und Faulheit. Er zeigte eine Opferwilligkeit für das als richtig Erkannte, die an Heroismus grenzt. Weiterhin konnte ich bei ihm beobachten Ausdauer, Unbeugsamkeit und Zähigkeit des Willens, Neugier, die auch die Welträtsel nicht schrecken und schließlich einen revolutionären Geist, der seinen Mitmenschen ein neues Haus baut oder der Welt ein anderes Gesicht aufsetzt.

Aufgrund eines traumatischen Erlebnisses, das in der Therapie bislang noch nicht identifiziert werden konnte, versuchte Herr Marx sich zu erlösen, indem er zeitweilig eine andere Identität annimmt, diese andere Identität ist der Kirchenlehrer Augustinus von Hippo, der sich dadurch auszeichnete, dass er sich von einem Saulus in einen Paulus verwandelte, sodass Herr Marx nun die Möglichkeit hat, sich selbst in einem positiven Licht zu betrachten.

Augustinus hatte einen Mutterkomplex, durch den er unbewussterweise die Mutter in jedem Weibe suchte. Er hatte sehr viele sexuelle Beziehungen zu vielen verschiedenen Frauen und schließlich eine fünfzehn Jahre dauernde uneheliche Beziehung zu einer Frau, mit der er auch einen Sohn zeugte. Durch ihre Beharrlichkeit und ihr intrigantes Vorgehen erwirkte die Mutter die Trennung von dieser Frau, sorgte dafür, dass ihr Sohn sich taufen ließ und schließlich ein anerkannter Bischof wurde.

Es ist noch nicht eindeutig, ob Herr Marx sich lediglich in der Frömmigkeit des Augustinus als Gegenpol zu seinem eigenen Leben spiegelt oder ob auch Herr Marx an einem Mutterkomplex leidet.

Therapie:

In diesem Moment öffnete sich die Tür des Arbeitszimmers, sodass Karl alias Augustinus nicht weiterlesen konnte, er machte die Mappe schnell wieder zu und ging auf seinen Platz zurück. Carl tat so, als hätte er nicht bemerkt, dass Karl alias Augustinus in seinen Unterlagen geblättert hatte, schließlich konnte es nicht schaden, wenn er seine Diagnose kannte.

„Ich bitte diese Verzögerung zu entschuldigen. Es war mal wieder eine dieser impertinenten Personen am Telefon, die sich einfach nicht von meiner Sekretärin abwimmeln ließ. Eine gewisse Ellis Wogel bestand darauf, mich persönlich sprechen zu müssen, da es außerordentlich dringend sei. Sie könne ihre Homosexualität einfach nicht länger ertragen und außerdem dulde ihre Partei, die AfS, keine lesbische Frau an ihrer Spitze, deshalb müsse sie unbedingt sofort bei mir eine Therapie machen.

Ich habe ihr klargemacht, dass Homosexualität keine Krankheit sei und dass ich der Überzeugung bin, dass Nazis absolut untherapierbar seien, woraufhin sie einfach den Hörer auflegte. Ich hoffe, dass sie nicht mehr anruft, aber ich muss jetzt natürlich damit rechnen, dass sie mich wegen sexueller Diskriminierung anzeigt. Es ist doch erstaunlich, dass diese Nazis, deren einzige Politik darin besteht, andere Menschen zu diskriminieren, so empfindlich sind, wenn es sie selbst betrifft.

Aber jetzt wollen wir endlich von ihnen reden, mein lieber Herr Augustinus. Haben Sie den Text von Nietzsche gelesen?“

„Wer ist Augustinus? Mein Name ist Marx, Karl Marx. Ich habe die Welt in Angst und Schrecken versetzt vor allem durch meine Werke ‚Manifest der Kommunistischen Partei‘ und ‚Das Kapital‘. Die Menschen sind so erschrocken, dass sie sogar sagten ‚Ein Gespenst geht um in Europa‘. Dabei habe ich nur unser politisches und ökonomisches System ganz sachlich analysiert und bin dabei zu dem Ergebnis gekommen, dass die große Mehrheit der Menschen in unserer Gesellschaft von einer Minderheit ausgebeutet wird und dass es nur eine Frage der Zeit ist, bis die Mehrheit sich von diesem Joch befreit. Die Expropriierten müssen sich von der Expropriation durch die Expropriateure befreien, damit sie endlich ein freies und menschenwürdiges Leben führen können.

Diese Minderheit, die sich auf Kosten der Mehrheit bereichert, wird von einer solchen Angst um ihren Reichtum getrieben, dass sie sogar die Kirche in ihren Dienst gestellt hat, um die Menschen von ihrem Elend abzulenken und sie auf ein Jenseits zu vertrösten, in dem sie dann glücklich werden.

Ich nehme an, dass ich ja deshalb den Aufsatz von Friedrich Nietzsche lesen sollte, denn er sagt vollkommen richtig‚ dass ‚die Menschen selber sich ökumenische, die ganze Welt umspannende Ziele stellen‘ müssen, wobei sie möglicherweise im Interesse der Bedürfnisse der Menschheit unter Umständen sogar böse Aufgaben erfüllen müssen.

Mein Freund Ludwig Feuerbach hat zu diesem Zweck zum Beispiel die Religion als das entlarvt, was sie in Wirklichkeit ist, wenn er darauf hinweist, dass das angebliche Bewusstsein Gottes nichts weiter ist als das Selbstbewusstsein des Menschen und dass die Erkenntnis Gottes nichts weiter ist als die Selbsterkenntnis des Menschen. Übrigens war Feuerbach bei weitem nicht der Erste, der diese Erkenntnis hatte, sondern schon der Vorsokratiker Xenophanes hat bereits fünfhundert Jahre vor Christus darauf hingewiesen, dass die religiösen Götterbilder durchaus nichts anderes seien als Projektionen menschlicher Erfahrungen, Hoffnungen und Befürchtungen. Schon Xenophanes hat sehr deutlich gesagt, dass die Menschen Gott nach ihrem eigenen Bild formen, während sie das Gegenteil behaupten.

Das Christentum selbst hat ja Gott zum Menschen erniedrigt und dadurch den Menschen zu Gott gemacht. In der Religion offenbart sich die Liebesfähigkeit des Menschen, seine Liebe ist fatalerweise jedoch auf ein vermeintlich anderes Wesen gerichtet, er liebt also sich selbst als ein anderes Wesen. Der Mensch hat Gott nach seinem Ebenbild geschaffen, wenn ein Mensch also Gott erkennt, dann erkennt er sich selbst in seiner Vollkommenheit. Ein Gott ohne Liebe, Weisheit und Gerechtigkeit ist kein Gott und diese Eigenschaften sind nicht göttlich, weil Gott sie hat, sondern Gott hat sie, weil sie göttlich sind, ohne diese Eigenschaften wäre Gott ein mangelhaftes Wesen, daraus folgt, dass der Mensch ohne diese Eigenschaften nicht vollkommen ist.

Die Religion macht nun den fatalen Fehler, dass sie behauptet, Gott könne nur allmächtig sein, wenn der Mensch ohnmächtig ist, der Mensch muss also alle positiven Eigenschaften an sich verneinen, um sie Gott zuschreiben zu können. Gott ist alles und der Mensch ist nichts, obwohl sich doch Gottes Handeln nicht vom Handeln des Menschen unterscheidet. So wie ich gezeigt habe, dass der Mensch durch die moderne Produktionsweise von sich selbst entfremdet wird, so hat Feuerbach gezeigt, dass die Religion die Entfremdung des Menschen von sich selbst ist, da er sich Gott als ein fremdes Wesen gegenübersetzt, sodass er sich von sich selbst entzweit. Es ist endlich an der Zeit, dass wir die an den Himmel verschleuderten Güter wieder auf die Erde zurückholen.

Seitdem der Mensch denken kann, ist er auf der Suche nach dem Sinn des Lebens, also nach einer letzten Ursache, die durch nichts Anderes verursacht wird oder wie schon Aristoteles es vor über zweitausend Jahren formuliert hat, da alles, was bewegt wird und bewegt, immer ein Mittleres ist, sucht der Mensch nach etwas, das bewegt, ohne selbst bewegt zu werden. Den Grund für diese letzte Behauptung ist Aristoteles allerdings schuldig geblieben.

Ohne einen Urgrund für die Existenz der Welt und des Menschen fühlt der Mensch sich einem sinnlosen Zufall preisgegeben und dieser Zustand ist für ihn so unerträglich, dass er bereit ist, sich einem Wesen anzuvertrauen, das er als diese erste Ursache betrachtet und dem er gegebenenfalls auch die Schuld für seine Misere geben kann. Er ist nicht bereit, den Sinn und Zweck der Welt in seinem eigenen Wesen zu suchen, denn dann wäre er ja auch selbst verantwortlich für alles, was ihm widerfährt.

Feuerbach hat sehr deutlich aufgezeigt, dass die Vorstellungen, die der Mensch von Gott hat, seinen eigenen Verstand spiegeln, sodass also die Vorstellung von einem unendlichen Gott nichts Anderes ist als der Beweis für einen unendlichen Verstand. Solange die Menschen an Gott als ein körperliches Wesen glaubten, war auch ihr Verstand an den Körper gebunden; erst durch die Vorstellung eines immateriellen Gottes hat der Mensch die Freiheit seines Verstandes erkannt und ihn, den Verstand, damit zum höchsten Wesen erklärt, nur wer denkt, ist frei, unabhängig und selbstständig und somit keinem anderen Wesen unterworfen. So wie Aristoteles auf der Suche nach der Wesenheit war, die bewegt, ohne selbst bewegt zu werden, so gilt es nun zu erkennen, dass der Verstand das einzige ist, was selbst genießt, ohne genossen zu werden.

Der Monotheismus stellt insofern einen Fortschritt der Menschheit dar, weil durch ihn erkannt wurde, dass es für den Verstand unmöglich ist, sich mehrere höchste Wesen vorzustellen, weil dies ja bedeuten würde, dass der Verstand sich selbst widerspricht, sein eigenes Wesen verleugnet und damit sich selbst vervielfältigt. Wir messen alles mit dem Verstand, sodass also der Verstand das Maß aller Maße ist, hier lassen sich Existenz und Wesen nicht unterscheiden. Erst durch den Verstand entsteht das Bewusstsein und durch das Bewusstsein erklärt sich die Existenz der Welt und des Menschen, denn ohne Bewusstsein würde die Welt nicht existieren, es würde also das Nichts existieren, was ein vollkommener Unsinn wäre. Der Unsinn des Nichts ist der Grund für den Sinn der Welt, denn Nichtsein ist sinnlos. Der Durst, das Bedürfnis, die Notwendigkeit und der Mangel sind die Ursachen und der Sinn des Lebens.

Wie könnte ein Mensch in Gott Frieden finden, wenn Gott ein ganz anderes Wesen wäre als der Mensch. Heißt es nicht sogar in der Heiligen Schrift der Christen: ‚Wenn jemand dich zwingt, eine Meile mit ihm zu gehen, dann geh mit ihm zwei‘. Das bedeutet doch nichts anderes, als dass man ein anderes Wesen nur verstehen kann, wenn man sich in seine Lage versetzt. Der Mensch kann sich also nur in Gottes Lage und Gott nur in die Lage des Menschen versetzen, wenn beide eines Wesens sind oder wie Feuerbach es formuliert: ‚Und soll und will daher der Mensch in Gott sich befriedigen, so muss er sich in Gott finden‘. Alle Religionen, insbesondere die christliche, sind also nichts Anderes als die Verehrung eines anthropotheistischen Wesens, also die Liebe des Menschen zu sich selbst in seiner Vollkommenheit, die absolute Bejahung des Lebens.

Es kommt also darauf an, dass der Mensch sich von der Qual seines Sündenbewusstseins und seines Nichtigkeitsgefühls, die ihm die Herrschenden und die Kirche seit zweitausend Jahren einreden, befreit. Erlösung kann er nur finden, wenn er sich der Liebe des Herzens bewusst wird und sie als das Höchste ansieht, ohne das nichts existieren kann, sodass also auch Gott nur als herzliches, liebendes, menschliches Wesen existieren kann.

Im Gegensatz zu dieser Liebe steht das Gesetz, dem kein Mensch wirklich genügen kann, da es immer von der Vollkommenheit ausgeht. Schon Seneca erkannte, ‚mit dem Gesetz begannen die Vatermörder‘ und Luther sagte: ‚Das Gesetz bringet uns um‘. Es ist nur die Liebe, die den Menschen frei machen kann. Im Gesetz stellt der Mensch Gott sich als ein anderes fremdes Wesen gegenüber, wodurch er sein eigenes Leiden verursacht, erst wenn er sich mit Gott versöhnt, indem er sich ihm gegenüberstellt als sein eigenes Wesen, kann der Mensch Frieden finden.

Daher ist die Inkarnation auch nichts Anderes als die Erscheinung eines menschlich fühlenden Wesens, auch hier kann Ludwig Feuerbach es noch viel genauer beschreiben: ‚Allein der menschgewordene Gott ist nur die Erscheinung des gottgewordenen Menschen; denn der Herablassung Gottes zum Menschen geht notwendig die Erhebung des Menschen zu Gott vorher. Der Mensch war schon in Gott, war schon Gott selbst, ehe Gott Mensch wurde, d.h. sich als Mensch zeigte‘.

Wir haben es der Anthropologie zu verdanken, dass die Illusion von Gott als einem übernatürlichen Wesen zerstört und die Liebe als der eigentliche Ursprung und Mittelpunkt der Welt erkannt wurde. Wenn man Gott als ein übernatürliches Wesen ansieht, das auch ohne die Liebe existieren kann, dann entsteht der religiöse Fanatismus, dann werden Ketzer und Hexen verbrannt und es werden Kriege geführt gegen sogenannte Ungläubige, dann segnen die Popen Waffen, mit denen Menschen getötet werden und der Papst verbietet den Gläubigen, den Kriegsdienst zu verweigern, mit anderen Worten, er zwingt sie, andere Menschen zu töten, weil er Angst hat um seine Macht und weil er keine Liebe kennt, jedenfalls nicht die menschliche Liebe.

Es gibt jedoch gar keine andere als die menschliche Liebe, auch Gott kann den Menschen nur um des Menschen Willen lieben, um ihn glücklich zu machen, er liebt also genauso wie die Menschen es tun. Nichts anderes lehrt die Heilige Schrift der Christen, wenn sie sagt, dass die Liebe des Menschen vollkommen und ungeteilt sein soll. Aber die Kirche behauptet, dass es unterschiedliche Arten von Liebe gebe, so als hätte die Liebe einen Plural.

Wenn ein Mensch einen anderen Menschen liebt, dann hat er das außerordentliche Verlangen, diesen Menschen zu sehen, denn in ihm erscheint die Liebe von Angesicht zu Angesicht, sodass die Menschwerdung Gottes auch nichts anderes ist, als die Erscheinung der Liebe, der Liebe Gottes zu den Menschen und damit des Menschen zu sich selbst, durch diese Erscheinung wird die Liebe in sich selbst zur Gewissheit, um es erneut mit Feuerbach zu sagen: ‚In Gott kommt daher mein eigenes Wesen mir zur Anschauung; ich habe für Gott Wert; die göttliche Bedeutung meines Wesens wird mir offenbar‘. ‚Gott ist der Spiegel des Menschen‘.

Wir können den Sinn des Lebens also nicht in irgendwelchen metaphysischen Wesen, sondern ausschließlich in uns selbst finden; weil wir existieren, haben wir Gefallen an uns selbst, haben wir das Recht, uns zu lieben; wer den Menschen verurteilt, weil er sich selbst liebt, der macht ihm den Vorwurf, dass er existiert. Der eigentliche Sinn des Lebens ist also der Lebenstrieb, die Vereinigung von Natur und Geist im Menschen.

Anders ausgedrückt, erst wenn Verstand und Gefühl, Verstand und Liebe zusammen kommen, ist der Mensch vollkommen; der Mensch braucht also unbedingt ein Gegenüber zu seiner Vollkommenheit, ich und du sind zwei unterschiedliche Wesen und doch bilden sie eine Einheit; der Gott Vater braucht den Gott Sohn, da sonst seine Liebe nicht manifest werden kann. Erst durch die Verbindung von Vater und Sohn, von Verstand und Liebe, von Ich und Du entsteht der Geist, der dem Menschen als ewige Wahrheit inne wohnt.

Der Geist ist also nichts anderes als die Liebe zwischen den beiden Personen, aber da er für den Menschen als Person nur schwer zu begreifen ist, musste unbedingt noch eine weitere Person hinzukommen, nämlich die Mutter Gottes. Die Trinität von Vater, Sohn und Heiliger Geist ist also in Wahrheit eine Quaternität von Vater, Mutter, Sohn und Heiliger Geist, eine Vierfaltigkeit oder auch eine Quadrophonie. Erst durch das weibliche Element kann die Liebe vollkommen werden, nur die Sexualfeindlichkeit der Kirche verhindert eine Liebesbeziehung zwischen Vater und Mutter, aus der der Sohn als Inkarnation der Liebe hervorgeht.

Im Gebet schließlich hat der Mensch die Möglichkeit, sich selbst als einem anderen Wesen gegenüber zu treten, sich selbst mit Du anzureden und in dem Gefühl, dass es für ihn keine Grenzen gibt, seine tiefsten und innigsten Wünsche auszusprechen und darauf zu vertrauen, dass sie tatsächlich Realität werden können, sei dies auch noch so unwahrscheinlich. Außerdem ist er nicht mehr mit seinem Leid alleine, sondern er kann es mit seinem Gegenüber teilen und so das Gefühl bekommen, dass ihm dieses Leid abgenommen wird, dabei spielt es überhaupt keine Rolle, dass es sich im Grunde um ein Selbstgespräch handelt. Im Gebet verschließt der Mensch sich aller Außenwirkung auf ihn und er konzentriert sich voll umfänglich auf sein eigentliches, vollkommenes Wesen.

Im Christentum sind Geist und Natur, Körper und Seele, Individuum und Kollektiv nicht mehr voneinander getrennt, sie bilden eine Einheit, eben die göttliche Vollkommenheit des Menschen, des unsterblichen Menschen oder wie Feuerbach es formuliert: ‚Der Glaube an die Unsterblichkeit des Menschen ist der Glaube an die Göttlichkeit des Menschen‘. Wenn der Mensch nicht unsterblich ist, dann existiert auch kein Gott, denn Gott ist letztlich nichts anderes als ein von allen Unvollkommenheiten befreiter Mensch. In der Religion geht es um die absolute Freiheit des Menschen, eine Freiheit, die von allen Einschränkungen durch die Natur befreit ist.

Der Traum des Menschen von der Glückseligkeit verwirklicht sich in der Religion, der Mensch projiziert seine Vorstellungen auf ein anderes Wesen, das ihm folglich als Erlöser erscheint, denn hier begegnet er sich als das Wesen, das er sein möchte, er sieht seine idealisierte, ewig existierende Persönlichkeit, an der er seine Wirklichkeit messen kann und die ihm als Sinn und Zweck seines Lebens erscheint. Letztlich kann der Mensch den Sinn seines Lebens also nur in sich selbst, in seinem Innersten finden, in dem er noch nicht von sich selbst entfremdet ist.

Deshalb ist die Liebe auch nicht an das Christentum gebunden, sondern sie ist universell, die wahre Liebe bezieht sich immer auf die Gattung Mensch, auf die gesamte Menschheit und ist deshalb vollkommen unabhängig von jeglicher Religion; sobald sie mit einer Religion in Verbindung gebracht wird, ist sie auch immer an den Glauben gebunden und führt dann zu Gräueltaten, wie sie das Christentum und der Islam über die ganze Welt verbreitet haben.

Der Mensch erlangt erst seine göttliche Bestimmung, wenn er eins wird mit der Liebe, mit der grenzenlosen Liebe. Der Mensch ist erst heil, er ist erst heilig, wenn er mit der Liebe eins wird, wenn die Liebe zum Menschen zu seinem wahren Wesen wird, in dem er den Sinn und Zweck seines Lebens findet, all dies hat Feuerbach zusammen gefasst in dem einen Satz: ‚Homo homini Deus est‘.

So wie mein Freund Ludwig die Religion und speziell das Christentum entlarvt hat, so habe ich das ökonomische und das politische System unserer Zeit entlarvt, was es in Wirklichkeit ist, nämlich nichts anderes als die Ausbeutung des Menschen.“

„Mein lieber Herr Marx, ich danke Ihnen ganz herzlich für diese wunderbare Therapiestunde, ich durfte mal wieder außerordentlich viel von Ihnen lernen und dabei auch noch viel Geld verdienen. Leider müssen wir nun eine dreiwöchige Pause machen, da ich zu einem Kongress nach Amerika fahre und anschließend noch vierzehn Tage Urlaub machen möchte. Aber Sie brauchen in dieser Zeit natürlich nicht untätig sein, ich gebe Ihnen mal wieder eine Hausaufgabe. Kennen Sie Arthur Schopenhauer?“

„Ich bitte Sie, Arthur ist mein Freund, wir haben schon viele Diskussionen miteinander geführt, er ist für mich einer der größten Philosophen mit einem unglaublichen Wissen.“

„Na, fantastisch, lesen Sie doch bitte das vierte Buch aus seinem Werk ‚Die Welt als Wille und Vorstellung‘, darüber können wir dann in drei Wochen reden. Ich wünsche Ihnen einen guten Heimflug.“

„Ich verstehe, Sie wollen unsere Kontemplation über Erkenntnis und Liebe noch weiter ausbauen. Es ist mir bekannt, dass mein Freund Arthur die Upanishaden über alles geliebt hat, er hat wiederholt zu mir gesagt, dass sein ganzes Werk ohne Plato, Kant und die Oupnekhat, wie er die Upanishaden nannte, niemals entstanden wäre. Interessant ist ja hier schon sein Leitwort: ‚Tempore quo cognitio simul advenit, amor e medio supersurrexit.‘. Ich würde den Satz folgendermaßen übersetzen: Sobald die Erkenntnis entsteht, entwickelt sich aus ihrer Mitte heraus die Liebe.

Andere haben es übersetzt mit: ‚Zur Zeit, da die Erkenntnis sich einstellte, hob sich die Begierde von dannen‘. Ich halte diese Übersetzung für vollkommenen Unsinn, es geht nicht um die Begierde, sondern um die Liebe, bei diesen Übersetzern hat sich wahrscheinlich mal wieder die kirchliche Sexualfeindlichkeit durchgesetzt oder sie haben sich zu sehr an der buddhistischen Lehre orientiert, deren Ziel es ja gerade ist, die Anhaftung an diese Welt durch die Aufhebung aller Begierden auszulöschen. Ganz in dem Sinne Feuerbachs hat Schopenhauer sich in einem Manuskript notiert: ‚Tat-twam-asi‘. Das bist Du! Das Absolute ist mit dir wesensgleich. Erinnern Sie sich, was Feuerbach gesagt hat, homo homini deus est. Das ist ja doch genau dasselbe, es geht um die Identität von Gott, dem Menschen und die Liebe.

Nun, mein lieber Jung, ich wünsche Ihnen viel Erfolg bei Ihrem Kongress und erholen Sie sich von mir in Ihrem Urlaub. Bis in drei Wochen.“


Juma

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