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c) Kirche als Kommunikationsgemeinschaft

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Kirche und Zivilgesellschaft

Dem Modell der Kirche als eines supranationalen staatenähnlichen Gebildes tritt in der gegenwärtigen Diskussion das Modell der Kirche als Gemeinschaft zur Seite. Lange vor dem Vaticanum II begann die theologische Wiederentdeckung des altkirchlichen Verständnisses der Kirche als communio. Auf dem Konzil wurde „communio“ zum ekklesiologischen Leitbegriff (Kasper/92:272–289).

Hatte das Modell der societas perfecta seine weltgeschichtliche Bezugsgröße im neuzeitlichen Staat, so ermöglicht der Begriff der Gemeinschaft eine Rezeption des modernen Demokratiegedankens in der Kirche. Demokratie ist dabei nicht im Sinne der repräsentativ-demokratischen Herrschaftslegitimation durch Wahlen zu verstehen, sondern in dem Sinne der universalen Partizipationsmöglichkeit aller von gemeinsamen Entscheidungen Betroffenen an dem Prozess der Entscheidungsfindung. Unter den Leitideen der Partizipation an Entscheidungsprozessen hat sich parallel zum Parteien- und Staatssystem in den modernen Demokratien die Entwicklung einer Zivilgesellschaft vollzogen (v. Soosten/239:1846–1849).

Der Gedanke des Dialogs aller Beteiligten hat einen stärkeren Widerhall in der Kirche gefunden als derjenige einer Herrschaftslegitimierung durch Repräsentation der Wählenden. Gegen die kirchliche Rezeption repräsentativ demokratischer Modelle wird eingewendet, dass die Kirche Jesus Christus und nicht die Interessen einer kirchlichen Mehrheit zur Erscheinung zu bringen hat. Die Anwaltschaft für die Unverfügbarkeit der göttlichen Offenbarung als der Mitte des kirchlichen Lebens obliegt dem kirchlichen Amt, das deshalb in Unabhängigkeit von der herrschenden Meinung in der Kirche konstruiert werden muss (Hilberath/87:212).

Aber aus der demokratischen Zivilgesellschaft lässt sich lernen, dass der breite öffentliche Diskurs strittiger Fragen sich eher korrektiv zur Interessengeleitetheit der repräsentativen Demokratie verhält und größere Sachgerechtigkeit der Entscheidungen ermöglicht. Ein innerkirchlicher Dialog ersetzt nicht das Leitungsamt, sondern ergänzt es.

Kirche als Verständigungs-, Traditions-und Handlungsgemeinschaft

Hans Zirker beschreibt Kirche als eine Gemeinschaft (communio), die durch eine dreifach strukturierte gemeinsame Praxis zusammengehalten wird: Kirche ist „Verständigungsgemeinschaft“, in der der Glaube an den Auferstandenen als eine kirchliche Deutungsleistung entsteht, in der der biblische Kanon seine Form findet, in der synodal zustimmungsfähige Einigungen herbeigeführt werden (Zirker/38:126–167).

Kirche ist Traditionsgemeinschaft, die über die Zeiten das Wissen um Jesus Christus als den gemeinsamen christlichen Ursprung weitergibt. Dieser Prozess der Tradition ist bei Zirker ein komplexes Zusammenspiel von Deutung, Verständigung und Bewahren (Zirker/38:168–185).

Die Kirche schließlich setzt ihren aktualisierten, übersetzten, gelebten Glauben in eine innerkirchliche und in eine gesellschaftlich-politische Praxis um. Insofern ist sie Handlungsgemeinschaft, die handelt in den Sprech-und Zeichenhandlungen der Liturgie, im Sprechhandeln der Verkündigung, im helfenden und dienenden Handeln der Diakonie und im werbenden Handeln der Mission. Kirche ist schließlich auch gesamtgesellschaftlich als Handlungssubjekt politischer Partizipation präsent (Zirker/38:186–210).

„Dialog als kirchlicher Selbstvollzug“

Die Praxis der dialogischen und disputativen Klärung kann zudem auf eine lange kirchliche Tradition zurückblicken (Geerlings/50) Durch die Gründung der hochmittelalterlichen Universitäten schafft die Kirche sich selbst eine Institution, die Aufgaben einer Zivilgesellschaft wahrnimmt. Die strittige Erörterung offener Fragen wird zu ihrem methodischen Markenzeichen (Neuner/98:50–55).

Der Begriff des Dialoges ist in der neueren Lehrverkündigung und Organisationspraxis der Kirche rezipiert worden, allerdings weniger in Bezug auf die innerkirchliche Praxis als vielmehr mit Hinblick auf Andersgläubige: Mit seiner Enzyklika „Ecclesiam suam“ (1964) erhebt Paul VI. den Dialog zum hervorragenden Merkmal der missionarischen Sendung der Kirche nach außen und der „Begegnung mit den getrennten Schwestern und Brüdern“. Aber auch innerhalb der Kirche soll ein „dynamischer Dialog“ die Heiligung der Kirche vorantreiben (ebd., Nr. 113), ohne dass damit allerdings die Pflicht der Katholiken zum Gehorsam gegenüber den Hirten geleugnet würde (ebd., Nr. 114). Unter den Bedingungen des auch in die Kirche selbst eindringenden Pluralismus erscheint der Dialog als ein gegenüber dem Gehorsam chancenreicheres Organisationsprinzip kirchlicher Entwicklung.

Kirche als „Communio“

„Communio“ ist in der Ekklesiologie des II. Vaticanums ein Grundbegriff. Communio hat sich aber auch innerhalb des ökumenischen Gesprächs als Basisvorstellung von Kirche bewährt.

Der breiten Rezeption entspricht allerdings eine inhaltliche Unbestimmtheit des Begriffes: Was bedeutet der emphatische Gebrauch des Begriffes „Gemeinschaft“?

Konsensfähig ist sicherlich, dass „Gemeinschaften“ aus einer inneren Zustimmung der in ihr Verbundenen zueinander und zu einer gemeinsamen Überzeugung leben. Darin unterscheiden sie sich von Institutionen, die durch formale Strukturen ja gerade sicherstellen wollen, dass sie unabhängig von subjektgebundenen Inhalten existieren können.

Die konkreten Vorstellungen von „communio“ offenbaren unterschiedliche Schwerpunktsetzungen:

(1) Communio kann wahrgenommen werden als sakramentale, durch die Kirche vermittelte Partizipation an Jesus Christus im Heiligen Geist. Die Teilhabe an dieser trinitarisch erschlossenen Communio ist zugleich die Grundlage einer concordialen Einstimmigkeit der solchermaßen verbundenen Menschen. Der so als Wesensdefinition verstandenen Communio entspricht die innere Übereinstimmung mit dem bischöflichen Leitungsamt und dem Bischof von Rom als dem sichtbaren Zeichen der Universalität der einen Kirche Gottes (Breuning/82; Ratzinger/101; Thönissen/210).

(2) „Communio“ ist aber auch ein Korrektivbegriff für die konkreten Formen des alltäglichen innerkirchlichen Umgangs miteinander. Man geht in einer „Gemeinschaft“ miteinander anders um als in einer Behörde, einem Verein oder einem Staat. Wo der Communio-Begriff weniger als Wesensbegriff und mehr als Gestaltungsprogramm verstanden wird, impliziert er die Frage nach einer Verbesserung der effektiven Verständigung der gemeinschaftlich verbundenen Menschen im und über ihren Glauben und die dem Glauben angemessene Praxis.

Communio in diesem Sinne verlangt nach dem Abbau von unnötigen Hierarchien und Strukturen, die die menschliche Zusammenarbeit und Verständigung eher behindern als fördern. Communio wird so zu einem Begriff, mit dem sich die Forderung nach mehr Kommunikation und Partizipation an der kirchlichen Leitung verbindet (Volf/35:227; Magaña/8:249).

Das Forschungsprogramm einer Communio-Ekklesiologie

Als solcher wird er von B. J. Hilberath zum Forschungsgegenstand erhoben (Hilberath/89). In Absetzung von den klassischen Institutionentheorien lässt sich Hilberath „am ehesten durch Elemente aus dem Bereich der kritischen Theorie faszinieren und anregen“ (Hilberath/89:278). Dementsprechend will er kein fertiges, theoretisches, allseits gerundetes Endbild der Kirche entwerfen. Eine kritische Theorie will die Wirklichkeit nicht abbilden, wie sie ist oder wie sie (eigentlich) sein soll. Mit ihr soll vielmehr ein Beitrag zur sinnbestimmten Veränderung der Wirklichkeit geleistet werden.

Hilberath wehrt die Vorstellung, dass Kirche in ihrer konkreten Gestalt immer schon geschlossen eine göttliche Willenskundgabe beinhaltet, als „monophysitistisch“ ab. Kirche als Inkarnationsgestalt Gottes kann sich nicht davon dispensieren, sich am geschichtlichen Material der Welt abarbeiten zu müssen. Sie schwebt nicht über der Geschichte und der Welt und kann deshalb nicht einmal adäquat zwischen sich selbst und der Welt trennen. Kirche ist dabei gekennzeichnet sowohl durch systemische Merkmale, wie sie N. Luhmann beschreibt, als auch durch die subjekthafte Selbstbestimmung der Christen (Hilberath/89:283). Diese allerdings gilt es mithilfe einer Communio-Ekklesiologie als Kirchenmerkmal erst noch herbeizuführen. Diesem Ziel sei nicht gedient, indem man über die Kirche als Communio so redet, als wäre diese Communio schon Realität. Vielmehr gilt es, das „Grundproblem des neuzeitlichen und des modernen Katholizismus darin zu sehen, dass es ihm nicht gelungen ist, die Vermittlung zwischen Institution und Tradition einerseits und gläubiger Subjektivität andererseits als Problem ernst zu nehmen oder gar zu lösen […]“ (Hilberath/89:296).

Dieses Grundproblem verlangt es, dass Christen sich seiner Überwindung stellen. Zu diesem Zweck müssen Christen lernen, sich wechselseitig als Subjekte des Glaubens anzuerkennen. „Die konkrete institutionelle Gestalt solcher Anerkennung ist die Partizipation, die ,sachgemässe‘ Teilhabe aller ,Beteiligten‘ an den kirchlich-institutionellen Grundvollzügen.“ (Hilberath/89:296). Hilberath empfiehlt deshalb Skepsis gegenüber einer harmoniegesprägten Redeweise von Communio. Communio verlangt die Anerkennung des Anderen als eines Anderen. Deshalb ist Communio kein Zustand, sondern ein Prozess der kommunikativen Begegnung, der für das Subjekt auch schmerzhaft und belastend ist. Hilberath verlangt klar anzuerkennen, dass Kirche faktisch nicht hinlänglich Kommunikationsgemeinschaft ist. Erst nach der Anerkenntnis dieser Wirklichkeit können Wege gesucht werden, wie sie es werden könnte. Nur so aber könne sie den Anschluss an die Moderne gewinnen und jenes Maß an Pluralitätsoffenheit realisieren, ohne das sie in der pluralen gesellschaftlichen Situation der Gegenwart nicht existieren kann.

Einheit in der pluralen Gesellschaft

Hilberath umreißt die Aufgabe, in der Kirche communiales Denken wissenschaftlich und praktisch zu fördern, um so einen Entwicklungsweg zu bahnen, auf dem die katholische Kirche aus ihrer Grundaporie herauswachsen kann, Einheit des Glaubens in einer selbstbewusst immer pluraler werdenden Welt zu realisieren. Einheit in Vielgestalt wird dabei von Hilberath nicht als Gegensatz in sich begriffen, sondern als eine Wirklichkeit, die von der Mitte des christlichen Glaubensmysteriums her als praktische Analogie zu denken aufgegeben ist (Hilberath/89:296). Deshalb betrifft sie auch die Kirche als ganze und nicht nur „weiche Randgebiete“, in denen etwas Kommunikation zugestanden werden kann, während der harte Kern institutionell zu denken wäre.

Grundlage dieses Gedankens bildet die Vorstellung, Gottes Dreifaltigkeit sei weder in der lateinischen Tradition monosubjektivistisch zu denken noch in der griechischen tendenziell subordinatianistisch, sondern vielmehr trialogisch: Gottes „Bewusstseins- und Handlungseinheit“ subsistiere als „Dialog Gemeinschaft“ dreier göttlicher Subjekte, und als „Ikone der Trinität“ (Nitsche/99:106) sei Kirche nicht anders denkbar denn als „Dialog der Vielen (Polylog), als wechselseitiges Sich-öffnen, Sich-verschenken und Sich-bereichern“ (ebd., 107). Dieses Modell der göttlichen Einheit als Vorbild eines polylogischen Konzepts der Kircheneinheit wird von B. Nitsche dem von ihm so genannten christomonistisch-hierarchischen Modell der westkirchlichen Tradition gegenübergestellt (ebd., S. 97ff.). Jenes sehe Jesus als Gottes Bevollmächtigten, der seinerseits nach demselben Muster die Amtsträger bevollmächtige. Der Hierarchie des sendenden Vaters entspricht die hierarchische innerkichliche Ordnung von Amtsgewalt, Stellvertretung, Sendung und Beauftragung (ebd., 97f.).

Das Interesse der Communio-Theologie, den Gemeinschaftscharakter theologisch, möglichst hochrangig zu verankern, um die leidvollen Erfahrungen pseudocommunialer Praxis in der Kirche zu überwinden, ist erkennbar. Allerdings räumt Hilberath selbst ein, es müsse der Eindruck vermieden werden, communiale Existenz und Demokratie seien „[…] lediglich oder doch jedenfalls am überzeugendsten trinitätstheologisch […]“ zu begründen (Hilberath/89:295).

Umgekehrt darf gefragt werden, ob nicht die tripersonale Trinitätstheologie eine Gefährdung communialer Praxis darstellt. Denn die innergöttliche Kommunikation ist in den Trinitätstheologien immer die Entfaltung und Einfaltung der Einheit des göttlichen Wollens und Handelns.

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