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Rotipa

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»Tina, bitte bleibe hier, das ziemt sich als Verlobte nicht! Du kannst doch nicht einfach für zwei Wochen mit dem Roller nach Italien abhauen«, meinte Stefan, mein siebenundzwanzigjähriger Verlobter.

»Doch, du musst ja eh an deiner Doktorarbeit schreiben und ich muss hier dringend mal raus! Und überhaupt, das ziemt sich nicht … Was ist das denn für ein bescheuertes antiquiertes Wort?«, erwiderte ich. »Ich bin maßlos enttäuscht von dir«, waren die letzten Worte, die Stefan mir mit auf den Weg gab, bevor ich mich auf meine weiße Vespa, Sondermodell Yacht-Club, schwang.

Ich war auch enttäuscht. Kein ‚Ich liebe dich‘ oder ‚Ich werde dich vermissen‘. Zugegeben, ein solcher Abschied hätte nicht glaubhaft gewirkt. In unserer Beziehung kriselte es. Mir gelang es immerhin, ihn mit den Worten »Pass auf dich auf, wir telefonieren« zu verabschieden. Mit einer Hand winkend verschwand ich hinter der ersten Kurve in die Freiheit, weg von der Enge unserer Gemeinde Pfinztal bei Karlsruhe. Auf einen Abschiedskuss hatten wir wie selbstverständlich verzichtet. Stefan hatte ohnehin nie gern geküsst. Aus hygienischen Gründen, zumindest behauptete er das. Seine wissenschaftlich fundierten Ausführungen hierzu überzeugten mich nie. Nach meinem Modedesign Studium plante ich, bei meinem Bruder einzusteigen, um in der Kreativabteilung seines Modehauses Bella Kleider zu entwerfen.

Meine erste Rast peilte ich um die Mittagszeit in Konstanz am Bodensee an. Im Fahrtwind fühlte ich mich von Minute zu Minute unbeschwerter und genoss jeden Meter meiner Fahrt zu meinem heißgeliebten Gardasee. Der Roller und ich sollten auf der Reise, die ich mir anlässlich meines Studienabschlusses gönnte, zu einer Einheit werden. Ich hoffte auf Freiheit ohne die Zwänge des Berufsalltages, der mich bald erwarten würde, und freute mich auf eine unbeschwerte Zeit mit wenig Luxus, aber Sonne und Meer pur. Nun da die stressigen Abschlussprüfungen endlich vorbei waren, sehnte ich mich nach einer sich hoffentlich bald einstellenden inneren Ruhe. Noch war mein Kopf nicht frei, aber meine Abenteuerlust erinnerte mich an die Zeit als pubertierende Jugendliche, als ich zum ersten Mal allein mit einer Freundin eine Radtour unternahm. Meine Gedanken kreisten um den Berufsstart mit meinem Bruder als Chef – was für ein Gedanke! – sowie um die Beziehung zu Stefan. Fühlte sich das alles mit ihm noch richtig an? Auf Stefan war Verlass, aber ich war für ihn zu einer Selbstverständlichkeit geworden. Als angehender Wissenschaftler für Atomforschung im CERN lebte er in einer anderen Welt. Ich bewunderte seinen brillanten naturwissenschaftlichen Verstand, aber wie war es um seine soziale und emotionale Intelligenz bestellt? Musischen Angelegenheiten gegenüber war er verschlossen, Sozialkontakte waren ihm zuwider. Immer weniger konnte ich damit umgehen, dass er sich fast nie in meine Gefühlswelt hineinversetzen wollte. Die geplante Heirat bedrückte mich, besonders jetzt, da ich auf dem Roller sitzend die Zeit hatte, nachzudenken und in mich hineinzuhören. In den drei Jahren, die wir nun schon zusammen waren, war unser Alltag monoton und vorhersehbar geworden. Umso mehr freute ich mich auf die bevorstehende Zeit in Italien. Meine langen schwarzen Haare wehten wild unter meinem Helm hervor. In den Kurven des Höllentals bei Freiburg atmete ich mit offenem Visier die erfrischende Schwarzwaldluft ein. Ich genoss das wohltuende Gefühl der Unabhängigkeit. Auf der Schnellstraße Richtung Bodensee ereilten mich die düsteren Gedanken an den gestrigen Abend und unseren Abschied. Ich mochte Stefan, aber wo waren unsere Gefühle füreinander geblieben? ‚Es ziemt sich nicht‘. Diese Worte gingen mir nicht aus dem Sinn. Gestern Abend ziemte es sich aber noch, den Herrn sexuell zu verwöhnen. Natürlich unter Einhaltung selbstauferlegter Hygieneregeln. Wir hatten grundsätzlich nur zu festgelegten Zeiten Geschlechtsverkehr, nämlich jeweils am Montag und Freitag um achtzehn Uhr dreißig. Als ich mich am vergangenen Abend dieser Routine widmen wollte, strafte er mich zunächst mit vorwurfsvollen Blicken, weil ich einen Büstenhalter und einen Slip nicht sofort in den Wäschekorb, sondern auf einen Stuhl geworfen hatte. Nachdem er demonstrativ das Aufräumen der Kleidungsstücke übernommen hatte, forderte er mich um achtzehn Uhr zweiunddreißig auf, ihn oral zu befriedigen. Welch ein feinfühliges Vorspiel … Nein, so egoistisch war er nicht immer.Es hatte auch schöne Momente in den letzten drei Jahren gegeben, aber diese waren immer seltener geworden. Obwohl ich nicht die geringste Lust verspürte, bemühte ich mich, ihm Vergnügen zu bereiten. Verkrampft sehnten wir beide seinen Höhepunkt herbei. Trotz aller Anstrengungen konnte ich kein Feuer bei ihm entfachen, sein Orgasmus ließ lange auf sich warten. Ich fühlte mich weder geliebt noch begehrt. In der Vergangenheit war es mir öfter einmal gelungen, aus einem Wissenschaftler einen kleinen Tiger zu machen. Doch gestern blieb mein körperlicher Einsatz umsonst. Ich war nicht der Typ, der eine Beziehung beendete. Viel häufiger suchte ich die Fehler allein bei mir selbst und gab mir die Schuld daran, wenn eine Beziehung nicht funktionierte.

Am Bodensee angekommen, parkte ich mein geliebtes Gefährt beim Konstanzer Konzilgebäude. Versonnen blickte ich zurück zum Roller. In seinen Chromteilen spiegelten sich die roten Rosen der gegenüberliegenden Blumenrabatte. Ich erstand einen Coffee-to-go und schlenderte die herrliche Uferpromenade entlang. Noch war ich zu aufgewühlt, um innezuhalten, außerdem tat mir die Bewegung nach der ersten langen Etappe gut. Ich lief immer weiter am See entlang in Richtung Strandbad Horn. Erst an einem breiten Kiesstrand ließ ich mich zufrieden nieder. Dort zogen mich die unzähligen Steinskulpturen in ihren Bann. Das Wasser war an dieser Stelle sehr flach und unnatürlich türkisfarben, der See ruhig, keine Wolke am Himmel. Am weit entfernten Horizont ging das Wasser in ein herrliches tiefes Blau über. Ganz friedlich glitten die Silhouetten dreier Segelboote über die spiegelnde Oberfläche. Einige schneeweiße Möwen schwammen ganz nah am Ufer. Dieses Türkis, dieses Licht, es erinnerte mich an die Karibik. Hier wollte ich verweilen. Andächtig lächelnd zündete ich mir einen Joint an. Der erste seit drei Jahren … Unwillkürlich muss ich an meine Freundin Sophie denken: »Echt cool, zwei Wochen auf Spritztour! Das wird dich hoffentlich entspannen. Ich schenke dir zur Sicherheit noch ein paar harmlose Tüten, die rauchst du dann, wirst locker und denkst dabei gefälligst an deine beste Freundin.« Schon nach den ersten Zügen, die mich zunächst leicht hüsteln ließen, stellte sich eine gewisse Gelassenheit ein. Eigentlich war ich doch ein Glückspilz: Ich hatte meinen Studienabschluss in der Tasche und vom lieben Gott ein sehr großes Talent in Sachen Mode geschenkt bekommen. Das Entwerfen immer neuer Kreationen würde wohl stets mein Lebenselixier sein. Trotz aller Selbstkritik war mir bewusst, dass ich eine attraktive junge Frau war. Mit meinen fünfundzwanzig Jahren hatte ich eine fast makellose schlanke Figur. Mein strahlendes Lächeln hatte schon viele Menschen verzaubert. Na ja, Stefans Brille war wohl mit inzwischen zwei Dioptrien immun gegen meine Schönheit geworden. Ich schmunzelte. Egal, jetzt saß ich hier in meiner Ersatzkaribik und versuchte mir die unterschiedlichen Erbauer der Steintürmchen vorzustellen. Sie spiegelten sich im ruhigen Wasser, auf dem reflektierte Sonnenstrahlen tanzten. Die Luft flimmerte regelrecht über der Wasseroberfläche, so heiß war es. Viele der gegen jegliche physikalischen Gesetze stabil stehenden Skulpturen waren sicherlich von in sich ruhenden Künstlern geschaffen worden. Die Werke waren vergänglich, aber verschafften mir in diesen magischen Minuten, gepaart mit dem Joint, eine zunehmende Entspannung. Fast eine Stunde nahm ich mir diese Auszeit. Ich war ganz allein. Es gelang mir, die Gedanken allein auf die Schönheit meiner Umgebung zu lenken. Diese Art der Fokussierung auf die Natur war mir selten gegönnt. Auf einmal näherte sich ein etwa zehnjähriger, spitzbübisch wirkender Junge. Er bewarf den höchsten der Türme, der von Stefan hätte sein können, mit groben Kieselsteinen. Akkurat waren flache Steine von groß nach klein aufeinandergestapelt, physikalisch statisch korrekt. Der Turm war stabil, aber mit der Zeit gelang es dem Jungen, ihn einzureißen.

Zeitgleich brummte mein Handy. Eine WhatsApp-Nachricht von Stefan: Hallo Tina, du wirst mich vermutlich ewig hassen, aber ich muss es dir endlich sagen: Ich liebe dich nicht mehr. Ich habe vor ein paar Monaten an der Uni eine junge Physikerin kennengelernt, mit der ich so gut zusammenarbeiten kann. Wir passen einfach zueinander. Das Doppelleben halte ich nicht mehr aus. Wenn du zurückkommst, werde ich aus deiner Wohnung ausgezogen sein. Ich habe lange mit mir gekämpft, aber es funktioniert nicht mehr. Pass auf dich auf!

Was war das? Drei Jahre Beziehung … unsere Verlobung … in ein paar feigen Zeilen digital beendet. Im selben Moment war der Turm zusammengefallen. Welche Ironie des Schicksals! Sollte ich ihn, einem Impuls folgend, anrufen und zur Schnecke machen? Heimfahren und ihm die Augen auskratzen? Ich zündete einen weiteren Joint an. Langsam wich die Wut einem überraschenden Gefühl der Erleichterung. Es hätte auf Dauer nicht mit ihm funktioniert. Der Stil des Schlussmachens war unterirdisch, aber die Trennung längst vorprogrammiert. Da ich ein sehr emotional veranlagter Mensch war, würden wahrscheinlich noch Momente und Tage der Trauer folgen, aber im Jetzt fühlte ich mich eher frei. Mich überfiel fast ein schlechtes Gewissen, dass ich es im Augenblick so einfach nahm. Benebelt bewegte ich meinen Körper wie in einer leichten Trance zurück nach Konstanz. Bei einem Edel-Italiener aß ich ein köstliches Pasta Gericht. Meine Lebensgeister kehrten zurück. So gestärkt gelang es mir nach einigen Telefonaten, für morgen ein Zimmer in Limone zu buchen. Heute Nacht würde ich in mein neues Leben fahren. Die nächtliche Fahrt über den Brennerpass reizte mich. Das Verhältnis zu meiner Vespa war vom ersten Tag an etwas ganz Besonderes. Nach dem zweiten Semester hatte ich mit einem selbstentworfenen Cocktailkleid an einem Mailänder Designerwettbewerb teilgenommen. Das Preisgeld für den dritten Platz betrug genau fünftausend Euro und war bisher mein größter beruflicher Erfolg. Das Geld hatte ich in den Roller investiert. Die Fahrt auf meiner Vespa schenkte mir das Gefühl von Freiheit, Abenteuer, Dolce Vita … Normalerweise war ich ein Angsthase, aber eingemummelt in meine wärmste Jacke wagte ich die nächtliche Fahrt über den Brenner Richtung Gardasee. Das hellblaue Licht meines Displays am Rollertacho setzte sich von der mysteriös dunklen Nacht ab. Es besaß eine oft beschriebene spirituelle Wirkung und ich schien sie zu empfangen. Die Nachtfahrt sensibilisierte mich. Alle meine Sinne waren geschärft und empfangsbereit. Ich hörte die leisesten Geräusche, nahm jeden Geruch überdeutlich wahr. Die einsame karge Landschaft des Brenners, der Fahrtwind, der Nebelschleier der Nacht in den Höhen des Passes … Das Motorengeräusch des Rollers, begleitet vom Wind des Passplateaus. Eine neue, surreale Erfahrung. Im Morgengrauen näherte ich mich dem Gardasee. Der erste Blick auf das Wasser war mir mit dem einhergehenden herrlichen Sonnenaufgang bei Torbole vergönnt. Immer wieder tauchte nach einer Serpentine der See auf. Genau im Lichtkegel der erwachenden Sonne waren Vögel zu erkennen, die sich als kleine bewegende Punkte darin abzeichneten. Auf der kurvenreichen Küstenstraße legte ich mich voller Endorphine in jede Kurve. Italien, ich komme … Trotz der langen Fahrt war ich auf einmal ganz aufgekratzt. Diese mediterrane Landschaft mit ihrem einzigartigen Licht, das jetzt schon sichtbare, am Hang erbaute Städtchen Limone mitsamt den typisch südländisch gekachelten Dächern … Einfach herrlich! Im kleinen, aber schmucken Hotel ganz oben am Hang wurde ich gleich herzlich begrüßt: »Come stai giovane donna?« Ich kannte nur wenige italienische Wörter, dennoch genoss ich diese lebensfrohe, temperamentvolle Sprache. Mir ging es gut, obwohl mein Verlobter gestern Schluss gemacht hatte. Ich durfte frühstücken und danach sogar gleich mein Zimmer beziehen. Nachdem ich die atemberaubende Aussicht genossen hatte, zog ich die schweren lachsfarbenen Vorhänge zu und warf mich in voller Montur aufs quietschende Bett. Mir war ein langer erholsamer Schlaf vergönnt. Als ich erwachte, linste ich durch die Vorhänge und erfreute mich am Anblick der Altstadt-Dächer und des Sees. Ich setzte mich auf einen fast barock anmutenden Stuhl, von wo aus ich das Wasser sehen konnte. Das Polster hatte den gleichen lachsfarbenen Ton wie die Vorhänge. Ich nahm mein Handy und schrieb an Stefan: Ich wünsche dir für deine Zukunft Erfolg, Gesundheit und deinen persönlichen Seelenfrieden. Unsere Trennung war wohl vorherbestimmt und nur eine Frage der Zeit. Es fühlt sich richtig an. Lebe wohl. Was sollten Vorwürfe und Belehrungen? Auf einmal erinnerte ich mich an den unangenehmen Geschmack von Gummi im Mund. Den lustlosen Sex in unserer letzten gemeinsamen Nacht hätten wir uns schenken können! Ich sah die zwei blauen Häkchen hinter meiner Nachricht und schaltete, mir in Gedanken auf die Schulter klopfend, das Handy aus. Das oftmals als magisch bezeichnete blaue Licht meines Tachos kam mir wieder in den Sinn. Das Kapitel Stefan war im wahrsten Sinne des Wortes blau abgehakt. Insgeheim dankte ich dem lieben Gott für diese unumgängliche Wendung in meinem Leben.

Nach einer wohltuenden Dusche zog ich mir frische Kleidung an – eine Jeans sowie eine weiße Bluse – und eroberte die idyllischen Gassen der kleinen Altstadt. Für den frühen Abend hatte ich mir eine neunzigminütige Massage im Hotel gebucht, wo ich mich einige Zeit später bis auf den Slip nackt wiederfand. Die kleine bildhübsche Italienerin massierte mich mit Öl am Rücken und an den Beinen. Ihre Hände bewegten sich sanft und zugleich professionell im Einklang mit der beruhigenden Hintergrundmusik. Ihre Hände hatten die Eleganz von lieblicher Poesie und brachten mich innerhalb weniger Minuten in eine Sphäre der tiefen Entspannung. Immer wieder durchzuckte ein kleiner Schauer meinen Körper. Ich genoss die Massage in einem Schwebezustand zwischen Schlaf und Traum. Das waren wahrlich gesegnete Hände. Die Kunst der Berührung hatte Stefan nie beherrscht. Wahrscheinlich war mir die Massage gerade deshalb ein üppiges Trinkgeld wert.

Für den nächsten Tag hatte ich noch keinen Plan, aber mein Roller führte mich wie selbstverständlich zurück nach Torbole, dem Surferparadies. Spontan buchte ich einen Kurs, obwohl ich bereits surfen konnte. Als Jugendliche war ich mehrere Jahre hintereinander hier auf dem Bord unterwegs gewesen. Ich war damals richtig gut. Es war wie mit dem Fahrradfahren. Man verlernt es nicht. Schon nach wenigen Minuten entließ mich der Lehrer mit den Worten: »Bella, you can surf like a pro. Why did you book this course?« Ich spielte tatsächlich wie eine wilde Amazone mit dem Wind. Meine langen wehenden schwarzen Haare und mein flach über das raue Wasser geneigter Körper beeindruckte die anderen Kursteilnehmer. Ich nutzte die Kräfte des Windes optimal für die Geschwindigkeit und alberte mit den anderen sympathischen jungen Leuten herum. Allerdings überschüttete mich der braungebrannte Surflehrer zunehmend mit schleimigen Komplimenten, sodass ich die letzte Stunde lieber allein mit dem Gefühl der Freiheit auf den Wellen genoss.

Als ich das Bord abgegeben hatte, winkte mich ein an der Küstenmauer sitzender alter Maler herbei. Er hatte mich doch tatsächlich mit wild wehenden Haaren auf dem Bord gezeichnet. Ich verliebte mich sofort in das Bild. Es machte mich stolz und ein klitzekleines bisschen selbstverliebt. Spontan kam mir die Idee, eine Bikini-Kollektion zu entwerfen und ich beschloss, als Vermarktungsstrategie surfende Schönheiten vorzuschlagen. Zur Not würde ich mich selbst als Model zur Verfügung stellen. Tina, jetzt bist du aber wirklich zu selbstverliebt, brachte ich mich innerlich wieder etwas zur Vernunft. Das sonnengegerbte, faltige Gesicht mit der römischen Hakennase und den stechenden Augen erhellte sich zu einem warmherzigen Lächeln, als ich das Bild großzügig bezahlte. In den folgenden vierzehn Tagen war ich sowohl an der Ostküste, der Westküste als auch im bergigen Hinterland mit meiner geliebten Vespa unterwegs. Ich fühlte mich nicht getrieben wie eine klassische Touristin. Ich verpflichtete mich nicht dazu, alle Sehenswürdigkeiten der Städte Salò, Malcesine, Sirmione, Garda, Desenzano und Bardolino sehen zu müssen. Frei wie ein Vogel fühlte ich mich. Ich genoss die Küstenorte intuitiv, ließ mich treiben und erholte mich auf wunderbare Weise. La dolce vita pur …

Einmal erfreute ich mich an einem duftenden Zitronenbaum, ein anderes Mal an einem leichten Wein, am Baden, einem Kaffee, einem leckeren Fischgericht oder einem Eis. Ich hatte mit meinem Bruder telefoniert und ihn gebeten, eine Woche später als geplant mit meiner Arbeit bei ihm beginnen zu dürfen. Er willigte ein, erst recht, nachdem ich Entwürfe geschickt hatte. In den letzten unbeschwerten Tagen hatte ich immer wieder, wie von der Muse geküsst, Modeskizzen erstellt. Mein zukünftiger Chef war hellauf begeistert von den zugesandten Werken.

Heute wollte ich einen letzten entspannten Tag auf der Halbinsel Sirmione verbringen. Es war gerade mal zehn Uhr. Ich trug ein neues kurzes Leinenkleid, das meine Figur hervorragend betonte und in einem herrlichen Kontrast zu meiner inzwischen gebräunten Haut sowie meinen glänzenden Haaren stand. An einer kleinen Eisdiele direkt am Ufer hielt ich an, im Hintergrund die imposante Burg mit vier unterschiedlich hohen quadratischen Türmen. Die Festung grenzte direkt ans Wasser an. Die hellen Steine, die saftig grünen Zypressen und das im Vergleich zum Bodensee noch sattere Türkis faszinierten mich. Wieder einmal eine Kulisse zum Verlieben. Ich konnte mich nicht sattsehen und sog das Idyll dankbar und begierig auf. Als ich meine beiden Kugeln Eis bezahlen wollte, fand ich im Geldbeutel jedoch nur noch einen Hundert-Euro-Schein. »Non posso cambiare questo è un disastro«, meinte der temperamentvolle Verkäufer. Sein Problem konnte ich trotz Sprachbarriere erahnen. Lustig, was bei den charmanten Italienern alles eine Katastrophe darstellt.

»Pagherò il gelato alla bella donna«, vernahm ich die sympathische Stimme eines hinter mir stehenden jungen Mannes. »Hallo, schöne Fremde, ich heiße Pablo und zahle dir das Eis sehr gern«, übersetzte er schmunzelnd in fast akzentfreiem Deutsch. Ich rang um Luft, als ich Pablo zum ersten Mal ansah. Die seltene Kombination aus wunderschönen blauen Augen und pechschwarzen dichten Haaren war genauso anziehend wie sein umwerfendes, schneeweißes Lächeln. Seine große, leicht gebogene Nase machte sein Gesicht nur noch interessanter. Ein Dreitagebart sowie sein breites Kinn unterstrichen seine maskuline Aura. Er war schlank, groß und hatte trainierte, aber keineswegs protzig wirkende Oberarme. Seine Jeans wies modische Schlitze im Oberschenkelbereich auf, das weiße Hemd wirkte wie frisch gebügelt und seine teuren Schuhe glänzten in der Sonne. Was für ein Mann! Selten hatte mich ein Typ bereits beim ersten Anblick so in seinen Bann gezogen. Ich brachte trotz aller Faszination immerhin ein »Grazie« über die Lippen. »Du kannst gern deutsch sprechen. Ich habe eine deutsche Oma«, erwiderte Pablo. »Wie kann ich mich für das Eis revanchieren?«, ging ich zu meiner eigenen Überraschung in die Flirt-Offensive. »Du kannst den Tag mit mir verbringen. Es ist Samstag und ich habe heute keine sonstigen Verpflichtungen.« Pablo sagte das mit einer solchen Selbstverständlichkeit, als ob es das Normalste der Welt wäre, mit einer wildfremden Person spontan den Tag zu verbringen. Innerlich schlug mein Herz Purzelbäume vor Glück. Ich hatte keine Lust, mich zu zieren, fühlte mich von Pablo wie magisch angezogen. Erfreut stellte ich fest, dass er auch mit einer Vespa unterwegs war. Eine schöne erste Gemeinsamkeit, dachte ich mir. Wir schwangen uns auf unsere Roller und düsten Richtung Bardolino. Pablo wollte mir unbedingt seine Weinberge zeigen. Dort angekommen, erzählte er mir mit stolzem Blick auf die Reben seine spannende Lebensgeschichte. Nach nur achtjähriger Schulzeit war Pablo aus dem armen Süden Italiens an den Gardasee gezogen, um beim Onkel die Kunst der Weinherstellung zu erlernen. Die kleinen Rebanlagen mit Bardolino-Trauben wurden jahrelang liebevoll von ihm und seinem Onkel gemeinsam bestellt. Die Arbeit war schwer, aber es war seine Passion, und so saugte er das gesamte Wissen des Verwandten wie ein Schwamm auf. Als der Onkel erkrankte, pflegte ihn Pablo und schuftete wie ein Besessener allein weiter. Ein harter Kampf ums finanzielle Überleben begann. Am Sterbebett riet ihm der alte Mann: »Du wirst meine Reben, das Weingut und mein Haus erben. Verkaufe das kleine Haus und bezahle davon weitere Flächen. Du musst in moderne Technik investieren, sonst kannst du allein nicht überleben. Bitte verspreche mir das, du bist ein guter Junge und wirst mein Lebenswerk fortsetzen. In den Sommermonaten kannst du auf meinem Motorboot leben und im Winter die spartanische Arbeiterwohnung auf dem Gut beziehen.« Pablo hatte alles wie gewünscht umgesetzt. Voller Stolz zeigte er mir die liebevoll gepflegten Reben in bester sonnenverwöhnter Lage. Seine Oma wohnte in Bardolino und wurde aktuell ebenfalls von ihm unterstützt.

Die gelebte Fürsorge und Wertschätzung für die alten Menschen berührten mich. Seine Augen funkelten vor Glück, als er mir den einzigartigen Geschmack der Trauben und des Weines erläuterte. Das war sein Leben, sein Glück und seine Berufung. Zur Mittagszeit legten wir uns zwischen die Reben, wo er mich mit den süßen Früchten fütterte. Wir aßen Käse und tranken ein wenig des tatsächlich köstlich schmeckenden Weines. Andächtig benetzte ich meinen Gaumen und genoss jeden Schluck, der die Kehle hinunterrann. Ich würdigte die schwere Arbeit für diesen Kulturschatz, indem ich die edlen aromatischen Tropfen ganz langsam und mit allen Sinnen genoss. Ich berichtete von meinen Plänen, bei meinem Bruder als angestellte Designerin zu arbeiten, schwärmte vom Gardasee und stellte ihm dar, wie sehr mich die letzten zwei Wochen künstlerisch inspirieren konnten. Mit großem Interesse betrachtete er meine letzten Entwürfe auf dem Handy und lobte meine Arbeiten überschwänglich. Sein positives Feedback tat mir gut. Lange lagen wir im warmen Gras, redeten und schwiegen miteinander. Es war keine unangenehme Stille. Mir erschien es, als ob unsere Herzen im Gleichklang schlugen. Die Zeit verrann, während wir schweigend in die strahlende Sonne blinzelten. Den Nachmittag verbrachten wir Hand in Hand, als hätten wir nie etwas anderes getan, und schlenderten durch die etwas kühleren Gassen der Altstadt, bevor er mir mit seinem alten Motorboot die schönsten Küstenabschnitte des Sees zeigte. Beim Einbruch der Dämmerung waren wir mitten auf dem See allein.

Eine fast gespenstische Stille legte sich über uns. Er überzeugte mich davon, nackt mit ihm baden zu gehen. Einander den Rücken zugewandt, entkleideten wir uns und sprangen getrennt voneinander – er am Steuerbord, ich am Backbord – in das angenehm erfrischende Wasser. Am Heck des Bootes schwammen wir langsam aufeinander zu. Das Abendrot spiegelte sich in unseren strahlenden Augen. Wir alberten im Wasser herum. Seine spielerischen, zarten Berührungen bereiteten mir eine Gänsehaut. An Bord betrachtete er mich wie eine anbetungswürdige Königin. Sein Blick war mir trotz meiner Schüchternheit gegenüber Männern nicht unangenehm. Ich sah in seinen Augen die ehrliche Bewunderung für meinen Körper und konnte auch meinen Blick nicht von seiner gestählten Maskulinität abwenden. Die Luft knisterte zwischen uns. Ich fühlte mich wie verzaubert. Ganz langsam, aber unausweichlich trafen sich unsere weichen Lippen. Seine linke Hand verweilte dabei liebevoll in meinem Nacken. Der Kuss entflammte meinen ganzen Körper. Unsere Zungen spielten zaghaft und einfühlsam miteinander, ein intimer Tanz, der zu einem Feuerwerk der Leidenschaft führte. Sein inniger Kuss wollte nicht enden, allerdings schien ich immer weniger Kraft zu besitzen, mich eigenständig auf den Beinen zu halten. Pablo drückte mich immer näher an sich, sodass wir gegenseitig unsere wild schlagenden Herzen spürten. Kaum versuchten sich meine Lippen von seinen zu lösen, schon mussten sie unwillkürlich die Reise noch intensiver fortsetzen. Pablo hob mich mit seinen starken Armen hoch und legte mich auf die hintere Liegefläche. Er ließ uns kurz innehalten und betrachtete mich bewundernd. Ich sehnte mich nach seinen Berührungen. Er spürte mein Verlangen und streichelte mich nun voller Hingabe. Langsam wanderten seine Küsse über meinen Oberkörper, widmeten sich erst meinem Bauch und kamen dann meinen Brüsten immer näher. Ich stöhnte leise, als er bei meinem Hals ankam und dort leicht in die sensible Haut biss. Seine Lippen verweilten mal küssend, mal leicht saugend genau an den Stellen, die mich noch mehr in Ekstase versetzten. Ein noch nie erlebtes Begehren ereilte meinen im Mondschein so sinnlich gehuldigten Körper. Seine einfühlsam streichelnden Hände sorgten dafür, dass sich feinste Härchen auf meiner Haut vor Wonne aufrichteten. Er erahnte intuitiv alle meine Sehnsüchte. Mein Stöhnen wurde lauter und flog hinaus in die sternenklare Nacht. Ich öffnete mich für ihn und hätte fast nicht mehr den Verstand gehabt, an ein Kondom zu denken. Gott sei Dank war Pablo noch geistesgegenwärtig genug, eines zu benutzen. Ganz langsam und doch leidenschaftlich fordernd tat er endlich das, was unsere Körper voller Lust einforderten. Es gab kein Zurück. Ein Rausch der Sinne folgte. Wir waren der Welt entrückt. Zwei sich in absoluter Harmonie bewegende Lenden, verschmolzen für ein kurzes irdisches Paradies. Die Wellen der Lust wurden immer mächtiger und auch das Wasser umspielte in kleinen Wellen und immer größer werdenden Kreisen das Boot. Unsere Leidenschaft brannte lichterloh. Wie ein tiefer Vulkan brodelte die Lava, ehe uns ein gemeinsamer Ausbruch mit sich riss und die schönsten Momente der Erlösung und Entspannung im synchronen Liebesduett schenkte. Lange schauten wir einander danach in die Augen, in denen die Dankbarkeit für dieses nicht in Worte zu fassende Empfinden der erlebten Lust stand. »O Pablo, das war wunderschön! Ich habe so etwas noch nie erlebt«, hauchte ich. »Tina, nicht reden, wir spüren den Zauber dieser Nacht doch auch so.«

Wir kühlten unsere erhitzten Körper im See ab und liebten uns noch mehrere Male in dieser Nacht, mal mit unendlicher Zärtlichkeit, dann wieder wild und leidenschaftlich. Pablo verwöhnte mich auf die kreativste und liebevollste Weise in fast allen intimen Spielarten der Lust. Aber auch ich war wie besessen davon, ihn immer wieder zu spüren und ihm alles zu geben, was er brauchte. Stefan hätte mehrfach den absoluten Hygienealarm ausgerufen. Erst kurz vor Sonnenaufgang fanden wir in der Löffelchenstellung aneinandergeschmiegt die Ruhe für einen seligen Schlaf. Das gemeinsame Erwachen mitten auf dem See war schön. Unsere Augen trafen sich scheu.

Dann wurde unser Blick immer trauriger. Wir wussten beide, dass unsere Romanze keine Zukunft hatte.

Sein Platz war hier, meiner im Pfinztal bei Karlsruhe. Bereits übermorgen musste ich die seit langem angestrebte Stelle bei meinem Bruder antreten. Das Glück der gemeinsamen Nacht wurde von einer unausgesprochenen Melancholie verdrängt. Der dunkle Schleier der baldigen Trennung legte sich auf unsere Gemüter, und obwohl wir kein Wort darüber verloren, konnten wir es vermutlich in den Gedanken des jeweils anderen lesen. Sahen die Traurigkeit in dessen Gesicht. Schließlich gelang es Pablo, das Eis zu brechen: »Tina, die letzte Nacht war unbeschreiblich. Auch wenn du mich heute Abend verlässt, wünsche ich mir eine unvergängliche Erinnerung an dich.« Gemeinsam entwickelten wir die Idee eines Tattoos auf dem Schulterblatt. Rotipa, das klang geheimnisvoll, erotisch und für zukünftige Partner nicht verletzend, da außer uns beiden ohnehin keiner wissen würde, was es damit auf sich hatte. Ro stand für Roller, ti für Tina und pa für Pablo. Wir wollten so unsere Nacht unvergänglich machen. In einem kleinen Studio setzten wir unseren Plan in die Tat um. Der Schriftzug auf meiner linken Schulter sollte mich für immer an Pablo erinnern. Danach checkte ich aus dem Hotel aus. Um die Mittagszeit aßen wir in Bardolino miteinander. Am Nachmittag versuchten wir, die uns verbleibende gemeinsame Zeit in den Weinbergen anzuhalten. Wir sprachen nicht viel. Drückten immer wieder nur liebevoll unsere Hände.

Beim Abendessen in einer der lauschigen kleinen Gassen von Bardolinos Altstadt sprachen wir endlich über unsere Gefühle. Ich machte den Anfang: »Pablo, ich weiß, das klingt vollkommen verrückt, aber ich muss dir sagen, dass ich noch nie für einen Mann empfunden habe, was ich nun für dich empfinde. Obwohl wir uns kaum kennen! Trotzdem werde ich nichts davon je in meinem Leben vergessen.« Tränen schossen mir in die Augen und machten mich unfähig, meine Emotionen weiter zu erklären. Er streichelte mir über den Unterarm. Schluchzend fuhr ich fort: »Ich mag dich sehr und bewundere deine Arbeit. Dein Leben ist hier, bei den Reben und deiner Oma.« »Bleibe bei mir, Tina. Ich flehe dich an! Ich möchte dich doch nicht gleich wieder verlieren.« Treuherzig schaute er in meine verheulten Augen. »Ich habe mich in dich verliebt. Es ist, als ob ein Blitz bei mir eingeschlagen hätte.« Seine lieben Worte machten es mir schwer, die für mich unausweichliche Trennung anzusprechen. Ich konnte nicht gleich antworten. »Pablo, ich habe mich auch verliebt. Aber es kann unmöglich schon Liebe sein. Wir müssen und werden lernen, ohne einander zu leben.« »Tue uns das nicht an, Tina!« »Wir kennen uns doch noch gar nicht. Es wird weh tun, aber wir werden es schaffen«, flüsterte ich. Sein Tonfall veränderte sich. »Wie kannst du so etwas sagen? Tina, warum kannst du nicht hier arbeiten? Wir verschenken unser Glück.« »Versteh doch! Ich habe auch meine Verpflichtungen. Mein Bruder zählt auf mich. Ich habe lange studiert, um bei ihm einsteigen zu können. Das ist meine berufliche Chance.« »Versuche hier zu arbeiten! Ich helfe dir«, unterbrach er mich flehend. »In Italien hätte ich keine Chance. Ich beherrsche weder die Sprache noch habe ich Beziehungen oder gar das Geld, hier etwas aufzubauen. Am Gardasee gibt es keine Anstellungen für deutsche Modedesignerinnen ohne Berufserfahrungen.« Er verschränkte traurig die Arme, sichtlich nicht überzeugt und auch ein kleinwenig vorwurfsvoll. »Du hast es nicht versucht. Mailand ist mit dem Auto in zweieinhalb Stunden erreichbar. Das ist doch eine Modemetropole.« Ich seufzte, fühlte mich in meiner Haut immer unwohler. »Bitte sei mir nicht böse. Ich traue mich nicht. Verzeih mir. Mach mir das Leben nicht so schwer.« Wir saßen noch lange da und konnten uns nicht voneinander trennen. Ich zögerte meine Heimfahrt hinaus. Er war enttäuscht von mir. Meine Feigheit, keinen beruflichen Start an seiner Seite in Erwägung zu ziehen, verärgerte ihn. Ich konnte ihn verstehen, immerhin blieb ihm selbst gar nicht die Möglichkeit, nach Deutschland zu gehen, da er sich um seine pflegebedürftige Großmutter kümmern musste. Aber ich wollte genauso wenig aus meiner Haut. In diesen Momenten konnte ich mich selbst nicht leiden. Die Stimmung war dahin und wir entschieden nach langem Hin und Her, den Kontakt lieber komplett abzubrechen, um einander schneller vergessen zu können. Es war schon halb neun, als ich mich endlich zur Heimreise aufraffte. Ich weinte immer noch. Wir nahmen uns zum Abschied innig in den Arm. Auf einen Zungenkuss verzichteten wir. Ich hatte Angst, dass er mich neu entflammen würde und ich mich gar nicht mehr von Pablo losreißen könnte. Schon die kurze Berührung seiner Lippen auf meinen elektrisierte mich. Die Trennung war so schwer. Ich weinte, als ich meinen Helm aufsetzte und den Motor startete. Pablo meinte zum Abschied: »Vielleicht besuchst du mich ja nächsten Sommer wieder?« »Aber nur, wenn nächstes Jahr nicht weitere Kunstwörter deine Schulter zieren«, entgegnete ich. Wir versuchten locker zu sein, und waren es doch beide nicht. »Ich werde dich nie vergessen«, waren die letzten Worte, die er mir hinterherrief, als ich davonfuhr. Mit der linken Hand winkte er mir, mit der rechten wischte er sich über die Augen. Ich war mir sicher, dass es kein Wiedersehen geben würde. Es war ein kurzes Glück, das uns beschieden gewesen war.

Meine Augen brannten. Ich werde dich nie vergessen. Dieser Satz begleitete mich die ganze Nacht. Ich meinte immer noch, seine Küsse auf meiner Haut zu spüren. Jeder Kilometer weg von Pablo schmerzte. Die Sehnsucht nach ihm würde hoffentlich im Laufe der nächsten Wochen schwinden. Zur Ablenkung beabsichtigte ich, mich umso tiefer in die neue Arbeit zu stürzen.

Wie auf der Hinfahrt auch erfreute ich mich am himmelblauen Licht meines Tachos.

Ich hatte eine herrliche Zeit mit meiner Vespa gehabt, hatte Impressionen gesammelt, die ich in unzähligen Bildern für meine Mode nutzen könnte. In der letzten Nacht hatte ich meinen Körper und die Leidenschaft wieder für mich entdeckt und war mir beim Blick in den Himmel sicher, dass ich die große Liebe in den nächsten Jahren finden würde. Voller Zuversicht lächelte ich in die Nacht. Irgendwann würde ich wieder Nächte der in mir schlummernden Lust erleben, gepaart mit tief empfundener Liebe, auch wenn die vergangene Nacht keine Wiederholung finden würde.

Mein Roller blieb bei mir, ein Leben lang. Er hatte mir Ruhe, Entspannung, Abenteuer und Freiheit geschenkt.

Ende

Liebe laut oder leise

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