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Männerwahl à la Oma

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Schläfrig ertaste ich mein unter dem Bett liegendes Handy und stutze beim Blick auf das Display. Was, es ist schon zehn nach zwölf? Verkatert zucke ich an diesem Samstagmittag zusammen. Da liegt ein mir unbekannter schnarchender Riese neben mir auf dem Rücken. Ganz vorsichtig linse ich unter die gemeinsame Bettdecke. Gott sei Dank, der Typ ist komplett angezogen. Es kam also offensichtlich zu keinem Geschlechtsverkehr mit dem dicken Brummbären. Bei meiner aktuellen chaotischen Lebensweise hätte ich mir eine solche Intimität glatt zugetraut. Ich mustere ihn im Schlaf. Sein gewaltiger Brustkorb hebt und senkt sich beim Atmen gewaltig. Ein richtiger Koloss liegt da neben mir! Bei diesem Begriff denke ich sehnsüchtig an meinen letzten Urlaub auf Rhodos zurück. Der Brummbär hat allerdings nichts mit der einstigen Anmut des Kolosses von Rhodos, dem Sonnenkönig von Griechenland, gemein. Ich habe starke Kopfschmerzen. Vorsichtig tippe ich den schnarchenden Fremden mit dem Zeigefinger am rechten Oberarm an. Er trägt ein kurzärmeliges T-Shirt. Ich bin beeindruckt von seinen muskulösen und stark behaarten Armen. Mein zarter Weckversuch führt zu keiner erkennbaren Reaktion. Beim zweiten Anlauf werde ich mutiger und greife mit beiden Händen nach seinem Unterarm, um kräftig daran zu rütteln. Er schnarcht unbeirrt weiter. Der Bär scheint sich im tiefen Winterschlaf zu befinden. Weitere Versuche unterlassend, ihn dabei zu stören, krabble ich aus meinem eindeutig überbelegten Bett und schleppe mich ins Bad. Meine noch verklebten Augen blinzeln dem Spiegel entgegen. Ich bin entsetzt von meinem Aussehen im grellen Licht der Spiegellampe. Lea, du hast auch schon bessere Zeiten erlebt. Schockiert von meinen kleinen Schlitzaugen wende ich mich vom Spiegel ab. Mein noch schlaftrunkener Blick streift über meinen Busen, den Bauch, die Beine bis zu meinen zu breit geratenen Füßen. Betrachtet man meine Figur, passe ich mit meinen neununddreißig Lenzen leider ja schon ganz gut zum Brummbären. In meinem Kopf pocht es. Da habe ich wohl gestern im Tanzclub den ganzen Frust auf einmal runterspülen wollen.

Leise vor mich hin stöhnend, fasse ich noch einmal gedanklich zusammen: Nach der Trennung von Max vor einem halben Jahr habe ich mich gehen lassen, bin viermal zu spät zur Arbeit gekommen – was man sich als Kindergärtnerin nun mal nicht leisten kann. Nachdem ich mein im Normalzustand eigentlich ganz hübsches Köpfchen nicht mit der Bedeutung einer Abmahnung vom Privatkindergarten belasten wollte, folgte beim vierten Überhören meines Handyweckers die Kündigung.

Noch heute verfluche ich mich für meine Nachlässigkeit, den Weckton nicht lauter gestellt zu haben. Na super, Lea … tolle Bilanz! Aufgrund meines Alters bin ich als potenzielle Mama schon fast ausgemustert, der geliebte Job ist weg und mein Konto chronisch überzogen. Ich habe lange gebraucht, um über die Trennung von Max hinwegzukommen. Wir waren immerhin vier Jahre lang ein Paar.

Ich werde den fremden Mann bitten, meine Wohnung zu verlassen, aber dazu muss er erst einmal aufwachen. Nach der Dusche ziehe ich meine zerrissene Lieblingsjeans an und streife mir meinen schwarzen Wohlfühlpullover über. Am Esstisch sitzend schlürfe ich einen Kaffee und spüre, wie meine Lebensgeister langsam zurückkehren. Das Pochen meines Kopfes lässt nach.

Ich blicke rüber zum Brummbären. Sein gleichmäßiges Schnarchen hat etwas Beruhigendes. Nach dem zweiten Kaffee suche ich nach etwas Essbarem im Kühlschrank. Er ist, wie so oft in letzter Zeit, fast leer. Also begnüge ich mich mit einer Tafel Schokolade zum Frühstück. Die Hälfte davon verschlinge ich innerhalb von fünf Minuten. Nach der Süße gelüstet es mich nach etwas Saurem. Ich erlöse das Gurkenglas von seiner Einsamkeit, womit das ungesunde Frühstück nun offiziell perfekt ist: Kaffee, Schokolade und saure Gurken.

Im Schneidersitz auf dem Küchenstuhl sitzend, grüble ich über mein Leben nach. Lea, so geht das nicht weiter. Ich brauche dringend einen Plan. Gleich am Montag verkaufe ich die Goldzähne und den Schmuck meiner Oma, nehme ich mir vor. Das Geschäft Ankauf und Verkauf Goldmeyer liegt ja direkt in der Nachbarschaft. Mit dem Erlös werde ich wieder liquide sein und kassiere keinen mitleidigen Blick mehr, wenn ich das nächste Mal beim Kundenberater meiner Bank Geld vom Konto abheben möchte. Er hat hierzu den Dispositionsrahmen meines Kontos erhöht, sodass ich mein Konto noch stärker überziehen kann. Mit dem Geld vom Goldverkauf komme ich dann erst mal ein paar Wochen über die Runden.

Wieder schaue ich frustriert an mir herunter. In den nächsten Wochen werde ich versuchen, meinen Cellulitebody etwas in Form zu bekommen. Mein Hüftgold muss weg. Leider kann ich es nicht wie Omas Goldkronen verkaufen. Ich greife in den Speckgürtel meiner rechten Hüfte. Männer haben es mit einem zu dicken Bauch aus meiner Sicht besser. Meistens tragen sie ihn voller Stolz. ‚War teuer …‘ Oder: ‚Alles Muskeln und Samenstränge.‘ Eben ihre gängigen wahnsinnig witzigen Sprüche zu diesem Thema. Der Brummbär hat sich aufgedeckt und präsentiert mir, immer noch auf dem Rücken liegend, seinen Bauch. Er scheint auch viele Samenstränge zu haben. Ich lächle.

Ab Montag beabsichtige ich, mich gesünder zu ernähren. Soll ich zusätzlich noch Sport treiben? Ich verwerfe diesen Gedanken. Sport ist ja bekanntlich Mord und ein runder Po gefällt den meisten Männern, rede ich mir ein.

Nachdem der Dicke immer noch schläft, widme ich mich nun gedanklich meiner beruflichen Situation. Einen Job als Erzieherin werde ich bestimmt finden, nur zum chronisch verschuldeten Waldkindergarten kann ich leider nicht zurückkehren. Das habe ich mit meiner Schlafmützigkeit vermasselt. Die Kolleginnen bedauerten meinen Rausschmiss. Aber ich verstehe es ja, Kinder brauchen Verlässlichkeit und keine Tante Lea, die sich wie Rotkäppchen immer wieder zu spät in den Wald verirrt. Für meinen nächsten Job kaufe ich mir einen lauten Wecker mit allen Schikanen, selbst wenn ein Goldzahn dran glauben muss.

Mein größtes Problem stellt meine Einsamkeit dar. Ich sehne mich nach einer festen Partnerschaft. Ein glückliches Händchen bei der Männerwahl war mir noch nie vergönnt. Ich lächle, als mir meine Oma in den Sinn kommt und was sie zum Thema Männer stets sagte: ‚Kind, du musst die Männer testen, nur dann bekommst du den Besten! Das reimt sich sogar und was sich reimt, ist gut.‘

Liebe laut oder leise

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