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Zehn Jahre zuvor

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Am Küchentisch der geliebten Oma

»Ich schreibe dir meinen zum Männerglück führenden Test auf. Wenn ich einmal nicht mehr lebe und du immer noch alleinstehend bist, nutzt du ihn hoffentlich, um einen netten Mann für dich zu finden. So habe ich auch meinen Theodor gefunden und er war in jeder Beziehung wie ein Sechser im Lotto, das kannst du mir glauben, Kindchen.« Lea schmunzelt. Hochkonzentriert schreibt die alte Dame mit zittrigen Händen ihre Tipps auf, faltet den Zettel und überreicht Lea das Papier.

Der Tag für Omas Empfehlungen ist gekommen … Ich springe vom Stuhl auf, krame im Nachttisch nach dem inzwischen vergilbten Plan und werde schnell fündig: Er liegt gleich neben den Goldzähnen. Es ist inzwischen dreizehn Uhr und der Koloss schnarcht immer noch vor sich hin. Was immer der Test ergibt, der dicke Brummbär wird ihn kaum bestehen. Zum Glück habe ich heute nichts vor, sonst hätte ich jetzt ein Problem mehr, nämlich die Angst, einen Fremden in meiner Wohnung allein zu lassen.

Ich setzte mich wieder auf den Küchenstuhl. Ein Lächeln huscht über mein Gesicht. Was hat Oma da wohl für alte Tricks auf Lager? Sie stammen ja noch aus einer ganz anderen Zeit. Die Sicht auf das vermeintlich starke und schwache Geschlecht war damals noch mehr von klassischen Rollenklischees geprägt. Hoffentlich sind ihre Empfehlungen auch noch im Jahr 2019 brauchbar. Ein Kennenlernen über Dating-Portale wie Tinder war noch nicht möglich, als meine Oma auf Männersuche war. Meine Freundin Laura schwärmt hingegen von der Möglichkeit, allein durch ein Wischen nach rechts Männer für ein Date oder mehr kennenzulernen. Diese Art von schneller Auswahl lehne ich ab, da mir hier die Romantik einer ersten Begegnung zweier Menschen fehlt.

Ich hole noch einmal tief Luft und falte mit feuchten Händen den handgeschriebenen Zettel auf. Aufgeregt lese ich mir leise selbst vor:

1 Er sollte dich optisch ansprechen.

2 Er sollte Freude an seinem Beruf haben und möglichst gut verdienen, damit er die Familie ernähren kann.

3 Er sollte für Gespräche, aber auch für gemeinsames Schweigen taugen.

4 Du solltest erkennen, dass du ihm wichtig bist.

5 Du solltest mit ihm lachen können.

6 Er sollte ein Herz für Kinder haben.

7 Er soll gern und gut küssen.

So teste jeden Mann mit Verstand, aber lasse auch dein Herz sprechen.

Ich lese mir ein zweites Mal die Notizen durch und lasse die Worte sacken. Eigentlich hatte ich etwas mehr erwartet, aber ihre Vorgaben erscheinen mir schlüssig.

Jeden Mann testen … Oma ist gut! Ich kenne ja kaum Männer und meine biologische Uhr tickt. Ich blicke zum Bett. Mit ausladenden Bewegungen streckt sich der fremde Kerl, indem er seine beiden Arme kreisend über dem Kopf bewegt. Den Gedanken, gleich den Brummbären ausführlich zu testen, verwerfe ich sofort, da er schon bei Punkt eins, Aussehen, scheitert.

Ich nehme mir vor, noch heute ein Profil zu meiner Person in einem seriösen Dating-Portal zu erstellen. Eine quantitative Reaktion von infrage kommenden Männern vorausgesetzt, plane ich, diese mit Hilfe von Omas Anforderungsliste zu testen.

»Guten Morgen, Lea«, begrüßt mich der Koloss mit sonorer Stimme. Er kennt meinen Namen. Mir ist seiner ja leider entfallen und ich frage deshalb nach. »Ich heiße Maximilian. Meine Freunde nennen mich aber Max«, lautet seine Antwort. Ich fasse mir ungläubig an die Stirn. Das darf doch nicht wahr sein! »Ich werde dich Maximilian nennen«, erwidere ich etwas zerknirscht.

Maximilian steht mit seinen hundertneunzig Zentimetern wie ein großer breitschultriger Bär vor mir. Er hat dichtes schwarzes Haar, das ihn umso mehr wie einen Schwarzbären aussehen lässt. »Darf ich mich zu dir setzen und mit dir frühstücken? Auch über einen Kaffee würde ich mich sehr freuen. Ich habe einen Bärenhunger.« Ich habe durch seine Wünsche gleich zwei Bedenken. Wird mein klappriger Küchenstuhl seine Last tragen? Und werden meine drei übrig gebliebenen Essiggurken als Bärenfrühstück genügen? Wie ist der Bär nur in meinem Bett gelandet? Nachdem ich auf den mir gegenüberstehenden Stuhl deute, setzt er sich und lächelt mich an. Seine großen braunen Augen wirken ehrlich und warmherzig. Ich werfe heimlich einen Blick auf die schlanken, hölzernen Stuhlbeine zu seinen Füßen. Sie knarzen unter seiner Last. Das Geräusch wird von seinem Magenknurren übertönt. Auf seinen Frühstückswunsch gehe ich nicht ein und versuche ihn mit einer anderen Frage abzulenken. »Sag mal, Maximilian, wie um Gottes willen bist du denn in meinem Bett gelandet?«, erkundige ich mich fast flüsternd. Verlegen blicke ich dabei in seine Augen. Er lächelt verschmitzt und seine weißen Zähne kommen dabei zum Vorschein. »Lea, ich glaube, das wird dich etwas schockieren. Betrunken an der Bar sitzend, hast du mir leidgetan, also habe ich dich angesprochen. Du hast irgendwas von einem Bären gefaselt, der dich beschützen soll. Zum Glück war der Kellner imstande mir zu sagen, wo du wohnst, denn darüber konntest du mir nämlich nichts Verständliches mehr erzählen. Ich bin letzte Woche in die Schillerstraße gezogen. Sie liegt fußläufig maximal fünf Minuten von hier entfernt. Du hast immer wieder gelallt, dass ich nachts bei dir bleiben soll, um dich zu beschützen. Deshalb bin ich wie gewünscht geblieben. Dafür habe ich mir jetzt mein Frühstück verdient und dann hau ich ab.«

Ich stehe auf und koche ihm seinen Kaffee. An der Kaffeemaschine stehend, wende ich mich an ihn: »Was möchte denn ein Bär wie du zum Frühstück? Ich habe leider fast nichts mehr vorrätig. Seit heute bin ich auf strenger Diät.« »Honig und frische Brötchen wären für den Anfang mal nicht schlecht«, teilt er mir verschmitzt lächelnd mit. Ich biete an, im Penny um die Ecke beides zu besorgen. Da ich ihm mittlerweile einigermaßen vertraue, stellt es für mich kein Problem dar, ihn kurz allein zu lassen. »In der Zwischenzeit kannst du duschen«, meine ich und betrachte fasziniert seinen starken Haarwuchs. Nicht nur seine Unterarme sind dicht behaart, auch aus seinem Hemd quellen lange schwarze Brusthaare. Es reizt mich, einmal über das weiche Fell zu streicheln. Ich beherrsche mich jedoch und mache mich auf den Weg zum Discounter.

Als ich vom Einkauf zurückkomme, thront er frisch frisiert und geduscht mit nacktem Oberkörper am Küchentisch. Mein Blick streift kurz seine massige Brust. Verlegen von so viel nackter Haut wende ich mich ab. Er ist mir eindeutig zu dick und entspricht nicht meinem Beuteschema bei Männern, aber als guten Kumpel könnte ich mir Maximilian sehr gut vorstellen.

Der Bär genießt sein Mahl und wir kommen leicht ins Gespräch. Obwohl wir uns kaum kennen, schildere ich ihm offenherzig meine aktuelle Lebenssituation und den Werdegang bis zur Kündigung beim Kindergarten. Ich erzähle ihm sogar mit glänzenden Augen ausführlich von meiner alten Wirkungsstätte.

Während meiner Ausführungen schaut er mir tief in die Augen und fragt insbesondere wegen der misslichen finanziellen Situation und dem pädagogischen Konzept eines Waldkindergartens nach. Sein Interesse freut mich. Er selbst outet sich als Landschaftsgärtner. Das passt zu ihm. Ich sehe vor meinem geistigen Auge, wie er mit seinen starken Armen Büsche aus dem Boden reißt, ganz ohne maschinelle Hilfe. Genüsslich leckt er den Honig vom Löffel. Nachdem er das halbe Glas ausgeschleckt hat, bedankt er sich höflich bei mir und meint zum Abschied: »Ich rette dich zur Not gern noch einmal, aber nur, wenn du den übrigen Honig bis dahin für mich aufbewahrst.« Ich muss über seine kokette Art herzhaft lachen. »Okay, Maximilian, ich stelle das Glas in die Vorratskammer. Vielleicht brauche ich tatsächlich mal wieder einen Retter wie dich. Du wohnst ja gleich in der Nähe. Wir werden uns bestimmt mal wieder über den Weg laufen.« Wir verabschieden uns an der Tür. Als er vor das Haus tritt, dreht er sich noch einmal lächelnd um, die Hand zum Gruß erhoben. Den sympathischen Bären könnte ich mir wirklich als guten Kumpel vorstellen.

Nachdem ich mich eine halbe Stunde dösend auf dem Sofa ausgeruht habe, setze ich mich wieder an den Küchentisch und beginne, am Laptop ein Profil zu erstellen. Immer wieder schüttle ich unzufrieden den Kopf. Nach ewigem Hin und Her speichere ich folgenden Text ab: Gut aussehende brünette und nette Kindergärtnerin (39) sucht gut situierten, kinderlieben, blonden und schlanken Mann mit Herz. ‚Brünette und nette‘ reimt sich und was sich reimt, ist gut. Bei diesem Gedanken wird mir warm ums Herz. Mit ‚gut situiert‘ habe ich am längsten gehadert, beschließe aber, dass es mir in Kombination mit dem Wort ‚Herz‘ wichtig ist. Meinen Kindern soll es schließlich einmal an nichts mangeln. Die Herren der Schöpfung werden das ‚kinderlieb‘ in Anbetracht meines Alters hoffentlich richtig interpretieren. Ich lade ein aktuelles Foto hoch, das mich ungeschminkt und mit offenen, langen Haaren zeigt. Mein Lächeln auf dem Foto gefällt mir … und dass mein großer Busen gut zur Geltung kommt. Auf die Verwendung von Filtern verzichte ich, sodass meine zarten Lachfalten um die Augen erkennbar sind. Eine Woche später rede ich mir ein, immerhin null Komma vier Kilogramm abgenommen zu haben. Es ist ärgerlich, dass ich den vermeintlichen Gewichtsverlust dem Display nur entlocke, wenn ich am Rand der Waage balanciere. Die stattliche Anzahl von hundertdreiundsechzig Männern, die sich bereits innerhalb von drei Tagen gemeldet haben, freut mich. Ich entscheide mich dazu, eine Erstauswahl über das Aussehen der Interessenten zu treffen. Aufgeregt klicke ich mich am frühen Nachmittag durch die Bilder der Herren. Die weniger mit Schönheit gesegneten werden von mir schnell weggeklickt, anders wüsste ich die Anzahl auf den ersten Blick nicht einzugrenzen. Bei der Auswahl der Bilder achte ich insbesondere auf die Strahlkraft der Augen. Vierzig habe ich aufgrund der Optik ausgewählt, nun analysiere ich deren Selbstdarstellungen. Mein letzter Freund Max war gut aussehend, aber leider sehr narzisstisch veranlagt. Ich werde müde und gähne. Die Selektion fällt mir schwer. Immer wieder entscheide ich mich um, bis ich mich endlich um zwanzig Uhr auf drei Männer festlege. Ihre Profilangaben sind vielversprechend, was die Kriterien meines Traummannes betrifft. Ich nehme mir vor, diese drei Männer bald zu treffen und sie nach den Empfehlungen meiner Oma zu testen. Zum wiederholten Male betrachte ich mit erhöhtem Puls die drei Bilder. Schließlich beabsichtige ich, den im Test am besten abschneidenden Kandidaten zu heiraten. Meine tickende biologische Uhr drängt mich zur Eile.

Mein erstes Date habe ich am heutigen Dienstagabend beim Edel-Italiener mit einem Studiendirektor des städtischen Schiller-Gymnasiums. Ich habe mich richtig rausgeputzt und mein Hüftgold mit einer Spezialstrumpfhose kaschiert. Aus Prinzip gehe ich bis zum dritten Date mit keinem Mann ins Bett. Bevor ich mich also nackt präsentieren werde, verbleibt noch genügend Zeit, um abzunehmen. Der Gymnasiallehrer verhält sich wie ein richtiger Oberlehrer. Jetzt hat er schon den dritten Satz grammatikalisch mit mir aufgearbeitet. Immer beginnt er hierbei mit dem einleitenden Satz: ‚Schöne Frau, seien Sie mir nicht böse, aber es müsste … lauten.‘ Der Typ nervt mich mehr als eine permanent quietschende Tür. Ich versuche ihn zur Strafe mit dem teuersten Gericht zu schädigen, voraussetzend, dass er die Rechnung bezahlt. Testen brauche ich ihn nicht. Dieser intellektuelle Schnösel hat mich heute das letzte Mal gesehen. Was hat der jetzt gerade gesagt? Die Zornesröte steigt mir ins Gesicht. Er will aus Gründen der Emanzipation die Rechnung teilen. Na prima, ich habe für dieses fürchterliche Date quasi einen Goldzahn meiner geliebten Oma geopfert. So ein Arsch mit Ohren, denke ich. Apropos Gesäß … Vor dem Restaurant gibt er mir doch tatsächlich mit den Worten »Du bist echt ’ne scharfe Alte« einen Klaps auf mein rundes Hinterteil. Reflexartig gebe ich ihm im Gegenzug eine Ohrfeige. Er schaut ganz überrascht. Ich sammle mich erstaunlich schnell und fahre ihn wütend an: »Du Schwein! Ich bin vieles. Vielleicht sogar sprachlich unbegabt. Aber alt bin ich noch lange nicht.« Das tut gut. Gibt es denn nur noch Idioten auf dem Heiratsmarkt? »Ich möchte dich nie wieder sehen«, fahre ich ihn mit scharfem Tonfall an und stolziere davon.

Am nächsten Tag treffe ich nachmittags zufällig Maximilian im Penny. Er lädt mich spontan zu einer Tasse Kaffee im benachbarten Straßencafé ein. Im Freien genießen wir die noch sanfte Frühlingssonne. Er trägt eine dunkelgrüne Latzhose der Landschaftsgärtnerei. Im Brustbereich ist der Namenszug Gärtnerei Bär eingestickt. »Da hast du dir ja einen passenden Arbeitgeber ausgesucht«, durchbreche ich den kurzen Moment des Schweigens. Er lacht und nimmt meine offensichtliche Anspielung auf seine Figur augenscheinlich mit Humor. In Ermangelung einer Freundin, die Zeit für mich hat, komme ich meinem Mitteilungsdrang nach und erzähle ihm von meinem gestrigen missglückten Date mit dem Oberlehrer. Er lacht herzhaft. »Lea, den hätte ich an deiner Stelle auch geohrfeigt. Da gibt es doch andere Männer für dich.« Dabei schaut er so schelmisch drein, dass klar ist, worauf er hinauswill. »Mache dir bitte keine falschen Hoffnungen«, kläre ich gleich die Fronten zwischen uns. Maximilian lächelt nun etwas schräg und zieht eine traurige Grimasse. Ich streichle ihm zweimal freundschaftlich über den behaarten Unterarm. »Jetzt komm schon! Ich finde dich doch super sympathisch. Du bist halt vom Aussehen her nicht mein Typ, aber als Kumpel würde ich dich gern weiter kennenlernen.« Sein Gesicht hellt sich auf und ich komme richtig ins Plaudern, erzähle ihm von meinem Dating-Profil und den Empfehlungen meiner Oma. »Wenn ich schon nicht dein Traumprinz sein kann, finde ich es natürlich prima, wenn ich dich als Freund beraten darf. Die Geschichte ist spannend. Da musst du mich unbedingt auf dem Laufenden halten«, meint Maximilian augenzwinkernd. Ich strahle. Auf dieses Vorhaben stoßen wir mit einem Mineralwasser an. Um in Kontakt bleiben zu können, tauschen wir unsere Handynummern aus. Ich zeige ihm ein Bild von meinem nächsten Kandidaten, Robert, und weihe ihn in mein geplantes morgiges Treffen mit ihm ein. »Bin schon ganz neugierig, was du mir beim nächsten Mal über den Herrn berichten kannst. Ich drücke dir die Daumen, dass er besser zu dir passt.« Wenige Minuten später verabschieden wir uns mit einer kurzen freundschaftlichen Umarmung.

Robert treffe ich gleich am nächsten Abend im gutbürgerlichen, deutschen Lokal Zum Lamm. Beim zweiten Kandidaten handelt es sich um einen selbstständigen Architekten. Im Gegensatz zum arroganten Pädagogen wirkt er gleich sympathisch. Das Gespräch verläuft nur anfänglich etwas schleppend, aber er bringt mich schon nach einer Viertelstunde dazu, aus meinem Leben zu erzählen. Er interessiert sich für meinen Kinderwunsch und den existenzbedrohten Kindergarten. Robert sichert zu, der Institution eine Spende zukommen zu lassen. Mein Gegenüber transpiriert stark und sein Schweiß riecht penetrant. Er gibt vor, gut situiert zu sein und untermauert dies, indem er von drei eigenen Häusern spricht. Das wirkt beim ersten Treffen angeberisch auf mich. Sein blondes dichtes Haar und die markanten Gesichtszüge mit einem breiten Kinn und einer großen Hakennase entsprechen meinem Beuteschema. Seine blauen Augen betrachte ich gern. Er gibt vor, kinderlieb zu sein. Doch ich werde das Gefühl nicht los, dass er die Spende für den Waldkindergarten nur aus taktischen Gründen zugesichert hat. Was aber für mich in Ordnung ist, da ich diese Großzügigkeit als ein positives Zeichen seines Interesses interpretiere. Seinen unangenehmen Geruch versuche ich mit seiner Aufregung zu begründen. Man soll ja zum Glück auf Dauer auch geruchsblind werden. Irgendwas fehlt diesem Robert zwar, aber ich ermahne mich: Lea, jetzt sei mal zufrieden. Du bist auch kein heiß begehrtes, gut bezahltes Fotomodel, um das sich jeder reißt. Beim Gedanken, ihn vor dem ersten Sex unter die Dusche zu stellen, schmunzle ich. Mit dem Stuhl rücke ich weiter vom Tisch ab. Er zahlt die Rechnung und fährt mich nach Hause.

Eine Woche nach unserem ersten Date bringe ich über eine Ex-Kollegin des Kindergartens in Erfahrung, dass er tatsächlich gespendet hat. Außerdem versucht er inzwischen in zahlreichen WhatsApp Nachrichten heftig mit mir zu flirten. Mehrfach beteuert er, wie sympathisch und attraktiv er mich findet. Bei einem zweiten Treffen in einer Cocktailbar haben wir uns angeregt über unsere Berufe ausgetauscht. Er kann gut zuhören und lustige Anekdoten aus seinem Alltag erzählen. Der Architekt kann über sich selbst lachen! Er offenbart mir, wie seine Unsicherheit bei der Berechnung der Statik von Häusern dazu führt, viel zu überdimensionierte dicke Balken für den Dachstuhl vorzusehen. »Ich habe damals schon als Student meine Schwierigkeiten mit den Statik-Vorlesungen gehabt. Inzwischen sind die voluminösen Balken schon zu einem Markenzeichen meiner Häuser geworden«, meint er schmunzelnd. Mir gefällt es, dass er sich Schwächen eingestehen kann. Ich höre ihm gern zu. Mich fasziniert, wie seine Augen glänzen, wenn er voller Euphorie von seiner Passion für die Architektur schwärmt. Er ist zuvorkommend, achtet darauf, dass mein Glas nicht leer ist. Kurze Gesprächspausen empfinde ich als nicht unangenehm. Die Rechnungen für die Getränke zahlt er und spendiert der Bedienung außerdem ein üppiges Trinkgeld. Heute habe ich einen handschriftlichen Liebesbrief von ihm im Briefkasten gefunden. Seine Zeilen haben mich berührt. Er schreibt mir, dass er davon träumt, mit mir schlafen zu dürfen, woraufhin ich beschließe, Sex mit ihm zu haben. Nun bin ich bereits seit einem halben Jahr mit keinem Mann mehr intim geworden. In der Regel befriedige ich mich mehrmals in der Woche mit einem kleinen Vibrator selbst. Mal sehen, ob Robert mit dem Spielzeug mithalten kann. Zwei Tage später bin ich schlauer. Er kann nicht mithalten.

Beim Vorspiel ist er stark auf meine großen Brüste fixiert und saugt lange und zärtlich an meinen Brustwarzen. Auf Zungenküsse verzichtet er. Schade eigentlich, ich habe Max immer sehr gern geküsst.

Doch die Hingabe, mit der er an meinen harten Warzen saugt, erregt mich. Beim eigentlichen Akt in seinem hell erleuchteten Schlafzimmer dirigiert er mich in ständig neue Stellungen und ich werde das Gefühl nicht los, dass er mit mir einen Pornofilm nachspielen möchte. Er wirkt so angestrengt, dass ich mich nicht fallen lassen kann. Schweißperlen stehen auf seiner Stirn. Er penetriert mich mit schnellen, monotonen Stößen in der Missionarsstellung. Ich wende mein Gesicht von ihm ab. Sein Schweißgeruch dringt stechend in meine Nase. Ich sehne seinen Höhepunkt herbei und stöhne, um das Tempo bis dahin zu beschleunigen. In der Doggy-Stellung ist sein Geruch immerhin etwas erträglicher. Mit seinen verschwitzten Händen packt er mich grob an der Taille. Nach seinem Orgasmus küsst er mich kurz auf die Stirn und wendet sich dann von mir ab. Zwei Minuten später liegt er schnarchend neben mir. Nach einer halben Stunde schleiche ich mich aus seiner Wohnung und dusche daheim ausgiebig. Er ist sehr nett, aber der Sex mit ihm war mehr als enttäuschend. Allerdings möchte ich sein Manko, ein schlechter Liebhaber zu sein, nicht überbewerten. Am nächsten Morgen erreicht mich eine lange Nachricht mit vielen Emoji-Herzen über WhatsApp. Er bedauert darin, so früh eingeschlafen zu sein. Weiterhin schreibt er: ‚Ich hätte dich so gern mit einem Frühstück verwöhnt. Hoffentlich bist du gut heimgekommen.‘ Durch die Nachricht versöhnt, beschließe ich, eine dauerhafte Partnerschaft mit ihm nicht auszuschließen. Auf alle Fälle würde ich, sollte es noch einmal zum Sex kommen, das Licht ausschalten und Kerzen aufstellen. So versuche ich, mir das nächste Mal positiver vorzustellen. Vielleicht müssen meine Gefühle einfach noch wachsen.

Zwei Tage nach dem für mich unbefriedigenden Sex, bekomme ich eine Sprachnachricht von Maximilian: »Liebe Freundin, ich bin neugierig, was deine Männergeschichten machen. Hast du Zeit und Lust, mich morgen um sechzehn Uhr im Café Burger zu treffen? Für deinen Lagebericht bezahle ich dir auch Kaffee und Kuchen.« Ich finde es nett, dass sich mein neuer Kumpel für mein Projekt ‚Männersuche‘ interessiert. Ich schicke ihm das Emoji eines erhobenen Daumens und ein Zwinkern als Antwort. Wieder haben wir Glück mit dem Wetter und können die angenehme Frühlingssonne im Freien genießen. Wir ergattern den letzten freien Tisch für zwei Personen. Bevor wir Platz nehmen, schaue ich mir sein heutiges Outfit genauer an. Er trägt ein weites schwarzes Hemd und eine hellgraue Leinenhose. Sein dunkler, dichter Dreitagebart gefällt mir. Im Vergleich zu ihm fühle ich mich in zerrissenen Jeans und meinem schlichten v-förmig ausgeschnittenen weißen T-Shirt zu leger gekleidet. Er beugt sich zu mir rüber und funkelt mich mit seinen warmherzigen Augen neugierig an. »Leg schon los, wie es mit Robert war! Du strahlst diesmal so.« Etwas verlegen zupfe ich am Tischtuch und beginne meine Ausführungen, während ich weiterhin auf meine Kaffeetasse starre. Dabei bemühe ich mich, Roberts sämtliche Vorzüge hervorzuheben, gehe auf sein attraktives Äußeres, seine galante Art, mich zu unterhalten, sowie seine Großzügigkeit und netten digitalen Nachrichten ein. Im Anschluss tippt mich Maximilian am Unterarm an, damit ich ihn ansehe. »Hast du bereits mit ihm geschlafen?« Ich bekomme rote Flecken am Dekolleté und zupfe an meinem Ausschnitt herum. »Ja«, gestehe ich kleinlaut und blicke wieder auf den Tisch. »Und?«, setzt er nach. Ich zögere. »Ehrlich gesagt nicht so prickelnd, aber sonst ist er echt toll«, ringe ich mir doch noch eine Antwort ab. Immer wieder wage ich es, ihm kurz in seine mandelförmigen braunen Augen zu schauen. Ich kann seinen konzentrierten Gesichtsausdruck und das Runzeln seiner Stirn nicht deuten. Wir schweigen beide und essen unseren Käsekuchen. »Das mit Robert hört sich ja recht positiv an«, bricht er schließlich das Schweigen. »Ja, das sehe ich auch so«, antworte ich leise. »Vielleicht solltest du dir trotzdem Kandidat Nummer drei anschauen«, meint er zu meiner Überraschung kurz vor unserer Verabschiedung. Noch auf dem Heimweg tippe ich eine Nachricht an Kandidat Nummer drei. Seine Antwort folgt prompt. Morgen Abend werde ich mich mit ihm in einem noblen thailändischen Lokal in der Altstadt treffen.

Daheim angekommen, bewerte ich Robert mithilfe von Omas Liste. Meine Bewertung fällt nach reiflicher Überlegung wie folgt aus:

1 Er sollte dich optisch ansprechen. Okay

2 Er sollte Freude an seinem Beruf haben und möglichst gut verdienen, damit er die Familie ernähren kann. Okay

3 Er sollte für Gespräche, aber auch für gemeinsames Schweigen taugen. Okay

4 Du solltest erkennen, dass du ihm wichtig bist. Okay

5 Du solltest mit ihm lachen können. Okay

6 Er sollte ein Herz für Kinder haben. Okay

7 Er sollte gern und gut küssen können. Nein

Sechs von sieben Punkten. Eine sehr gute Bilanz für Robert. Da wird es Kandidat Nummer drei schwer haben, dennoch bin ich auf das morgige Treffen gespannt. Wenn ich weiterhin so häufig mit Männern essen gehe, wird das Abnehmen nicht gelingen. Als ich versuche einzuschlafen, denke ich sehnsüchtig an meine Arbeit als Erzieherin im Waldkindergarten, die ich so geliebt habe. Die Arbeit fehlt mir. Ich träume von meinem ersten Kanadaurlaub vor acht Jahren. Dieses Land mit seinen riesigen Wäldern fasziniert mich. Nur vor den Bären in der freien Natur hatte ich Angst.

Der Börsenmakler stellt sich als ekelhafter Selbstdarsteller heraus. Er prahlt mit seinem Vermögen und ist während unseres Essens mehr mit seinem Handy als mit mir beschäftigt. Ständig fragt er den Stand seiner Aktien ab. Ich bin dennoch froh, den dritten Kandidaten noch getroffen zu haben. Jetzt fällt mir die Entscheidung für Robert leichter.

Der Architekt hat das Battle deutlich gewonnen. In den beiden kommenden Wochen sehen Robert und ich uns täglich. Fast jede Nacht schläft er abwechselnd bei mir oder ich bei ihm. Der Sex mit ihm wird angenehmer, auch wenn es ihm noch nicht gelingt, mich zu befriedigen. Seine liebevollen Komplimente, die er mir im Alltag über digitale Nachrichten zukommen lässt, schmeicheln mir sehr. Gestern machte er mir im Rahmen eines Dinners, das er bei mir zu Hause zubereitet hat, mit zitternder Stimme einen Heiratsantrag. Wir sind verlobt und ich freue mich, dass sich mein Kinderwunsch als verheiratete Frau bald erfüllen könnte. Robert wird mir ein guter Ehemann sein, davon bin ich überzeugt. Die Waage gaukelt mir vor, zwei Kilogramm abgenommen zu haben, allerdings auch nur, wenn ich beim Wiegen wirklich viel Akrobatik betreibe. Wieder ein Grund mehr, glücklich zu sein. Oft fühle ich mich zu meiner eigenen Überraschung nicht rundum zufrieden. Vermutlich fehlt mir die Arbeit, deshalb beschließe ich, mich in den nächsten Tagen als Erzieherin zu bewerben.

Mein Briefkasten quillt über. Heute stelle ich mich tapfer den unzähligen Rechnungen. Das Gold habe ich erfolgreich verkauft. Inzwischen ist das Geld dieses Erlöses ausgegeben. Ich werde Robert um finanzielle Unterstützung bitten. Mein Verlobter ist großzügig, dennoch ist es mir unangenehm, ihn anzubetteln. Unter den Mahnungen befindet sich Post vom Waldkindergarten. Mit erhöhtem Puls reiße ich hektisch den Umschlag auf. Ich lese ungläubig die Zeilen:

Liebe Lea, wir haben mit der Landschaftsgärtnerei Bär einen neuen Hauptsponsor gefunden. Herr Bär hat sich mit Nachdruck für deine Wiedereinstellung eingesetzt. Du hast uns gefehlt. Wir freuen uns, dich bald wieder im Team begrüßen zu dürfen. Zum Einstand schenken wir dir einen Wecker. Wir freuen uns, bald von dir zu hören. Liebe Grüße, Marion.

Das darf jetzt nicht wahr sein. Mein Freund der Schwarzbär hat zugeschlagen! Fassungslos tippe ich mir an die Stirn und schüttle ungläubig den Kopf. Meine Augen werden feucht. Ich darf wieder im Waldkindergarten arbeiten! Noch vor Rührung schluchzend, wähle ich Maximilians Handynummer. Er meldet sich nicht. Ich google erfolgreich nach der Festnetznummer der Gärtnerei, um mich bei meinem Freund zu bedanken. »Gärtnerei Bär, Sie sprechen mit Frau Bär. Was kann ich für Sie tun?«, meldet sich eine freundliche weibliche Stimme. Ich zögere kurz überrascht. »Hier Lea Schellting. Kann ich bitte Herrn Maximilian Bär sprechen? Ich möchte mich für eine Spende bedanken.« »Ah, die Kindergärtnerin! Mein Mann hat mich informiert. Es tut mir leid, aber er arbeitet heute im Stadtpark. Ich werde ihm ausrichten, dass Sie angerufen haben.« »Danke! Auf Wiederhören.« Ich bin sprachlos. Mein Freund ist verheiratet. Also ich werde meinem Robert später einmal nicht erlauben, bei fremden Frauen zu übernachten. Das Telefonat macht mich konfus und ich tigere verwirrt um den Esstisch herum. Warum hat mir Maximilian seine Frau verschwiegen? Ich versuche die Frage zu verdrängen und ermahne mich zur Eile. Um zwölf treffe ich mich mit meinem Verlobten zum Essen und muss noch duschen und mich herrichten. Schließlich möchte ich ihm gefallen.

Am Tag darauf ruft mich Maximilian an. Ich ergreife gleich das Wort: »Na, du bist mir ja so eine Wundertüte! Vielen Dank für deinen wahnsinnigen Einsatz für mich! Du bist der beste Freund der Welt«, bedanke ich mich überschwänglich. Die drängende Frage, warum er mir seine Frau verschwiegen hat, verkneife ich mir. »Es freut mich, wenn ich dir eine Freude machen konnte. Ich würde dich auch gern sehen, du musst mir wieder von deinem Männerprojekt erzählen.« Wir verabreden uns für sechzehn Uhr in unserem Stammcafé.

Diesmal möchte ich mich nicht underdressed fühlen, deshalb ziehe ich ein kurzes, leicht ausgeschnittenes rotes Kleid an und schminke mich dezent. Ich bin bereits vor der verabredeten Uhrzeit im Café und nehme an einem Zweiertisch Platz. Als ich Maximilian auf mich zukommen sehe, verschlägt es mir fast den Atem. Er hat gut fünf Kilogramm abgenommen, trägt ein weißes Hemd und eine dunkelblaue Jeans. Seine schwarzen Schuhe glänzen in der Sonne. Er ist braun gebrannt. »Hallo Lea, du siehst blendend aus«, begrüßt er mich. »Du aber auch!« Ich werde rot. Wir sitzen uns lange schweigend gegenüber, verlieren uns in den Augen des jeweils anderen. Immer wieder fahre ich mir mit der linken Hand durch die Haare. Ich kann die Frage nach seiner Frau nicht länger zurückhalten: »Warum hast du mir verschwiegen, dass du verheiratet bist?« Er lacht. »Warum ist das so wichtig? Wir sind doch nur Kumpels?!« Ich bekomme wieder rote Flecken auf dem Dekolleté. Er starrt lächelnd auf meinen Ausschnitt. Ich fühle mich ertappt. »Meine Frau und ich haben uns auseinandergelebt. Wir arbeiten nur noch beruflich zusammen. Nächste Woche ist unser Trennungsjahr vorbei und wir können uns endlich scheiden lassen«, klärt er mich schmunzelnd auf. Wir sehen uns erneut tief in die Augen, strahlen um die Wette. Als ich den Blick senke, sehe ich, dass er eine Gänsehaut hat. Es ist ein magischer Moment.

Maximilian entschuldigt sich kurz, um auf die Toilette zu gehen. Ich krame mit rasendem Herzen den Test meiner Oma aus der Handtasche. Wie im Rausch bewerte ich in Gedanken ganz schnell und komme zu folgendem Ergebnis:

Analyse Schwarzbär

1 Er sollte dich optisch ansprechen.Er hat die schönsten Augen der Welt.

2 Er sollte Freud an seinem Beruf haben und möglichst gut verdienen, damit er die Familie ernähren kann. Okay

3 Er sollte für Gespräche, aber auch für gemeinsames Schweigen taugen. Okay

4 Du solltest erkennen, dass du ihm wichtig bist. Okay

5 Du solltest mit ihm lachen können. Okay

6 Er sollte ein Herz für Kinder haben. Okay

7 Er sollte gern und gut küssen können. ?

So teste jeden Mann mit Verstand, aber lasse auch dein Herz sprechen. ♥♥♥

Den letzten und wichtigsten Satz habe ich bisher nicht weiter beachtet. Mein Herz spricht zu mir. Es rast. Ich bin über beide Ohren in den Bären verknallt. Mein Bauchgefühl sagt mir, dass er gut küssen kann. Am liebsten würde ich gleich über ihn herfallen. Mir wird heiß. Maximilian kommt zurück. Seine braunen Augen funkeln mich entschlossen an. »Lea, komm mit, ich habe bereits gezahlt. Ich muss dir etwas zeigen«, fordert er mich mit fester Stimme auf. Ich folge ihm neugierig und mit wild schlagendem Herzen. Er zieht mich hinter eine große Eiche. Am Boden liegen langstielige Rosen zu einem großen Herz drapiert. Er nimmt mich liebevoll in den Arm und ich bekomme den schönsten Kuss meines Lebens. Die Welt steht in diesem Moment still.

Am nächsten Morgen erwache ich, meinen Kopf auf die behaarte Brust meines Bären gekuschelt. In der Nacht hing der Himmel voller Geigen für mich. Die Zahl der Höhepunkte, die er mir geschenkt hat, kann ich nur schätzen.

Die Verlobung mit Robert muss ich lösen. Ich werde mit ihm reden und wünsche ihm im Geiste, dass er einmal so glücklich wird, wie ich es mit Max bin. Das Gespräch mit Robert wird schwer. Mein Verstand wäre mit ihm als Ehemann zufrieden gewesen, doch mein Herz habe ich an einen Bären verloren. Nur zufrieden hätte mir nicht gereicht.

Ich himmle Max an, küsse ihn und er erwidert meinen Kuss. Erneut stehen wir in Flammen, obwohl wir in der vergangenen Nacht kaum geschlafen haben. Wir können unsere Lippen nicht voneinander lassen und verlieren uns im Rausch unserer Leidenschaft. Seine Küsse schmecken süßer als Honig.

Apropos, nach meinem zweiten Morgenorgasmus hat sich der hübsche Knuddelbär sein Frühstück mehr als verdient. Ich eile in die Vorratskammer und werde fündig. Max der Zweite ist der Richtige und genießt seinen Honig!

Ende

Liebe laut oder leise

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