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III

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Der Krieg war vorbei. Und mit ihm die Furcht, mit der Familie Hirschmann konfrontiert zu werden oder möglicherweise bei einem der gefürchteten Bombenangriffe, die die Engländer immer nachts flogen, im Keller verschüttet zu werden und qualvoll ums Leben zu kommen.

Wie durch göttliche Fügung waren das Haus mit dem Ladengeschäft im Westend und auch die nahe Gertraudenkirche unbeschädigt geblieben.

Und Kläre Schattling, die immer noch mit ihren alten Eltern und dem Windhund allein lebte, wollte jetzt vor allem eines: endlich einmal leben!

Zu dieser Zeit kam Karlheinz Schmittke aus der russischen Kriegsgefangenschaft nach Hause. Dünn, ausgemergelt, obwohl Erst Ende Zwanzig mit nahezu vollkommen ergrautem Haar und gezeichnet von einem Habitus und Gestus, der darauf schließen ließ, dass Karlheinz Schmittke ein an Körper und Seele Gebrochener geworden war.

Schmittke war seinerzeit der Reiter-SS beigetreten, jenen schneidigen SS-Kavallerieverbänden, welche bis März 1936 offiziell dem NS-Reiterkorps unterstellt waren, dann aber zur Allgemeinen SS zählten.

Stolz hatte Schmittke die schwarze SS-Uniform getragen und die beiden einander kreuzenden Lanzen im rechten Kragenspiegel, die ihn als Angehörigen dieser Elitetruppe auswies.

Schmittke war der SS-Reiterstandarte 7 zugeteilt worden, dem sogenannten „Oberabschnitt Spree“ mit Sitz in der Reichshauptstadt Berlin. Bei Kriegsbeginn, zum 1. September 1939, wurde die Reiter-SS den Kavallerieverbänden oder der Waffen-SS unterstellt, um dort eigenständige berittene Einheiten zu bilden. Schmittke war zur Waffen-SS abkommandiert worden.

Im Krieg hatte Schmittke dann Befehle ausgeführt und Dinge übernommen, über die er nie wieder sprach. Nicht einmal in den Momenten höchster Verschwiegenheit und Intimität zu seiner späteren Frau Kläre Schattling. Die Angst verschloss ihm zeitlebens den Mund.

Schon im Polenfeldzug hatte Schmittke als zeitweilig dem Chef der Ordnungspolizei Kurt Daluege unterstellter Waffen-SS-Reiter sogenannte „Sicherungsaufgaben“ im Hinterland übernommen.

Dazu gehörte nicht nur die gezielte Terrorisierung der polnischen Zivilbevölkerung im Hinterland der Front, denn diese Zivilbevölkerung sollte um großen Teil physisch ausgelöscht werden, sondern vor allem die Liquidierung jüdischer Einwohner dieser Gebiete.

Seinerzeit war Schmittke sogar gelegentlich Hermann Fegelein persönlich begegnet, damals Kommandeur der SS-Totenkopf-Reiter-Standarte und später quasi der Schwager des Führers und Reichskanzlers Adolf Hitler.

Bescheiden und gemäß dem Ehrenkodex eines SS-Mannes hatte Schmittke stets seine Pflicht getan und dabei vor allem auf Sauberkeit geachtet. Er möchte es nicht leiden, wenn seine blitzblank geputzten Stiefel Blutspritzer oder die Reste der Hirnmasse erschossener Juden aufwiesen und er daher besonders im Hochsommer beständig von einer schwarz-metallisch glänzenden Wolke von Fliegen umschwirrt wurde.

Ein guter Deutscher, zumal ein Angehöriger der SS-Reiterstandarte, hatte vor allem auf Sauberkeit zu achten!

Während des Russlandfeldzuges agierte Schmittkes Einheit schließlich unmittelbar hinter der rasant ins Landesinnere vorrückenden Heeresgruppe Mitte. Die Gebiete im Rücken der starken deutschen Front waren hier besonders von Juden jeden Geschlechts und aller Altersgruppen physisch zu säubern sowie von sogenannten verdächtigen Elementen. Hierzu zählten vor allem versprengte Rotarmisten, Partisanen oder Menschen, die man dafür hielt, kommunistische Funktionäre aus den zivilen Betrieben und der zivilen Verwaltung und sogenannte Banditen, wobei nicht näher spezifiziert und ausgeführt war, was es bedeutete ein Bandit zu sein. Im Zweifelsfall war jede Person, auf die man im Hinterland der Front irgendwo traf, ein Bandit. Ob nun Kind oder Greis, Mann oder schwangere Frau.

Mit anderen Kameraden zur SS-Kavallerie-Brigade zusammen gefasst, erlebte Unterscharführer Karlheinz Schmittke schließlich ab dem Dezember 1941 das Grauen der Kämpfe vor Moskau und die berühmt-berüchtigte Knochenmühle von Rschew.

Die Verluste der Einheiten waren derartig hoch, dass im Frühjahr 1942 von ihnen lediglich etwa 700 Mann am Leben geblieben waren, die zur sogenannten Auffrischung zunächst nach Polen verlegt wurden, wo ihnen freiwillige Volksdeutsche aus Rumänien zugeführt wurden, um die Einheit dadurch wieder auf Divisionsstärke zu bringen.

Von diesen Volksdeutschen, die ungefähr 40 Prozent der Einheit ausmachten, insbesondere von ihrer mangelnden politischen Zuverlässigkeit, hielt Schmittke im Allgemeinen wenig. Das waren für ihn keine vollwertigen Kameraden!

Wieder war die Einheit der Heeresgruppe Mitte zugeteilt worden und erlebte einen neuerlichen Einsatz bei Rschew und Orjol. Wieder war im Anschluss eine Auffrischung notwendig.

Den Sommer 1943 verbrachte Schmittke mit seiner Einheit bei der Partisanenbekämpfung im Hinterland der Front. Eine Aufgabe, von der er seinerzeit behauptete, er freue sich darauf, wie ein Jagdhund auf die Hatz, denn Gefangene wurden unter den angeblichen Partisanen grundsätzlich nicht gemacht.

Während der Herbstkämpfe des Jahres 1943 entrichtete die Division erneut einen derartigen Blutzoll, dass eine alsbaldige Auffrischung in Kroatien erforderlich wurde.

In Osijek in Kroatien aufgefrischt, nahm Schmittkes Division schließlich an der Besetzung Ungarns teil. Nach Kämpfen in Siebenbürgen geriet Schmittke in den Kessel von Budapest, wo ihn die Russen schließlich gefangen nahmen.

Dürr und beinahe lapidar lesen sich die Einträge in seinem Notizbuch, wobei er zeitlebens darauf bestand, während des Krieges lediglich seine Pflicht getan zu haben:

„Bis September 1942: Einsatz zur Bandenbekämpfung hinter der Front;

Oktober 1942 – März 1943: Einsatz bei Heeresgruppe Mitte in Russland;

März – Juni 1943: erst Auffrischung, dann Partisanenbekämpfung;

Juni – Dezember 1943: Heeresgruppe Süd unterstellt;

Dezember 1943 – März 1944: Auffrischung und Neuaufstellung in Kroatien;

März 1944: Wir besetzen Ungarn;

September 1944: Heeresgruppe Südukraine unterstellt;

Oktober 1944 – Januar 1945: wieder Heeresgruppe Süd unterstellt,

Januar 1945: Kesselschlacht bei Budapest.“

Siedend heiß jedoch stieg die Angst auch Jahrzehnte nach Kriegsende in Schmittke hoch, wenn er nach der Zeit vom 1. bis zum 12. August 1941 gefragt wurde. Jene Tage, in denen seine Einheit im Gebiet des Prypjat nahezu 14.000 Juden liquidierte. Auch am 7. August 1941 hatte seine Brigade in der Nähe von Minsk weitere 7.819 Juden erschossen.

Mit Tränen in den Augen und mit zitternden Händen konnte auch der alternde Schmittke immer wieder versichern, mit all diesen Dingen nichts zu tun zu haben. Auch hatte er angeblich nicht einmal etwas davon gewusst, sondern war immer nur unter Lebensgefahr vorwärts geritten und hatte abends sein Pferd versorgt, geputzt, trocken gerieben und gestriegelt. Mehr nicht.

Die Aufzählung und die Ränge aller seiner Kommandeure konnte er jedoch bis zuletzt fehlerfrei aufsagen:

SS-Standartenführer Hermann Fegelein, SS-Brigadeführer und Generalmajor der Waffen-SS Wilhelm Bittrich, SS-Standartenführer Fritz Freitag, SS-Brigadeführer und Generalmajor der Waffen-SS Hermann Fegelein, SS-Gruppenführer und Generalleutnant der Waffen-SS und der Polizei Bruno Streckenbach, SS-Gruppenführer und Generalleutnant der Waffen-SS Hermann Fegelein, SS-Gruppenführer und Generalleutnant der Waffen-SS und der Polizei Bruno Streckenbach, SS-Oberführer Gustav Lombard, SS-Brigadeführer und Generalmajor der Waffen-SS Joachim Rumohr.

In der Kriegsgefangenschaft war Schmittke gefoltert und vergewaltigt worden, auch mit Schaufelstielen.

Ein schmerzhafter Riss des Enddarmes und ein Abriss des Preputiums, des Vorhautbändchens, waren die Folgen.

Russland war groß. Ebenso groß und allgewaltig, wie die Sühne, die Schmittke hier für in deutschem Namen begangenes Unrecht zu leisten hatte. Das Land und seine schieren Ausmaße, durch die man ihn in Güterzügen transportierte oder wochenlang auf seinen eigenen Beinen laufen ließ, sprengten jede Vorstellung. Wie konnte ein politischer Führer je so vermessen sein, das Unterfangen zu beginnen, dieses gewaltige und uferlose Land erobern und beherrschen zu wollen?

Der Schnee im Winter war majestätisch und tödlich zugleich. Die Wälder glichen endlosen Meeren aus Föhrenstämmen und samtgrünen Kronen, deren Rauschen über dem Kopf der Kriegsgefangenen zusammenschlug, wie die Wogen des Urmeeres, das sich anschickte, sie zu verschlingen.

Zeit und Raum lösten in Russland alles. Lösten jedes Problem. Und der Mensch mit seinen Sorgen und Nöten verschwand in der uferlosen Weite des Landes und in den unermesslichen Äonen der Zeit, die dieses Land zu haben schien, um zu werden.

Niemand wagte die bange Frage zu stellen, ob oder überhaupt wann sie jemals heimkommen würden. Schon aus schierer Angst heraus, die Antwort könne lauten, sie müssten hier in Russland sterben.

Und als ein Kamerad doch einmal mit zitternder Stimme und in gebrochenem Russisch einen Wachmann fragte, sagte diese, wenn Russland vollständig wieder aufgebaut sei, erst dann kämen sie heim, was gut zwanzig, dreißig oder auch vierzig Jahre andauern könne, so dass sie allesamt hier sterben müssten.

Die ernüchternde Antwort, die auf bange und trostlose Monate hinaus jede Hoffnung in ihnen ausgelöscht hatte, während die Zeit wie in Betäubung an ihnen vorbei gegangen war, wurde durch die Beobachtung verdrängt, dass man offensichtlich schwer Kranke nach Hause entließ.

So war Schmittke dazu über gegangen, sich Schmutz und Dreck und den Eiter von Kameraden immer wieder in die eigenen Wunden zu schmieren.

Mit Erleichterung nahm er daher schließlich zur Kenntnis, als ihm mitgeteilt wurde, er litte unter Tuberkulose und laufe Gefahr, das ganze Lager anzustecken.

Nur notdürftig auskuriert entließ man ihn daher endlich in die Heimat.

In der unzerstört gebliebenen Gertraudenkirche seiner Heimatstadt warf sich Schmittke aus purer Dankbarkeit gegenüber dem Allmächtigen platt auf den Boden und lag dort weinend auf den kalten Steinfliesen, wie ein Mönch beim Profess.

Er beschloss, über alles, was er erlebt und während des Krieges getan hatte, zeitlebens zu schweigen und sich niemals wieder politisch zu betätigen.

Wie er es bei den Männern in Russland gesehen hatte, so ließ auch Schmittke sich einen Vollbart wachsen.

Drecksmaden

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