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IV

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Kläre Schattling und Karlheinz Schmittke, die sich bei der Christmette in der Gertraudenkirche begegnet waren, waren schließlich einander näher gekommen.

Sie gingen miteinander, wie es damals hieß.

Tatsächlich verband sie mehr, als bloße Äußerlichkeiten, denn beide standen bald in dem Ruf, gewaltige Geheimniskrämer zu sein, die irgendetwas zu verbergen hatten und die sich nicht gern in die Karten schauen ließen.

Zweifellos reizte Schmittke der Wunsch, eine Frau zu besitzen. Eine Frau, das war schließlich der Traum aller Träume gewesen, die sie in den Monaten und Jahren ihrer Kriegsgefangenschaft in den hölzernen Baracken bei Tag und bei Nacht geträumt hatten.

Vor allem reizte ihn ihre vornehme Reserviertheit, als wäre sie aus geradezu königlichem Hause. Ihre vornehme und dezente Zurückhaltung, die mitunter den Eindruck erweckte, als sähe sie mit Verachtung auf andere Menschen herab.

Schmittke war zeitweilig sogar der Illusion aufgesessen, das blutleere dürre Mädchen mit dem scharf geschnittenen schmalen Gesicht und den stets ein wenig hervor quellenden Augen müsse unter ihrer eiskalten Schale ein regelrechter Vulkan der Leidenschaften sein.

Kläre Schattling schließlich, die den Laden jetzt wieder mit einer Aushilfskraft führte, eine Kriegerwitwe und Evakuierte, konnte einen Mann im Laden gut gebrauchen. Ohnehin herrschte Männermangel, denn wer nicht gefallen oder vermisst war, der steckte womöglich noch irgendwo in der Kriegsgefangenschaft, wobei eine Rückkehr bis zuletzt ungewiss blieb.

Auch war sie sich sicher, dass ein ehemaliger SS-Mann wie Schmittke, der im Osten die Juden in Schach gehalten haben musste und daher wusste, wie man ihnen umzugehen, wie man ihnen Angst einzuflößen hatte, möglicherweise doch noch auftauchenden Angehörigen der Familie Hirschmann wirksam würde Paroli bieten können.

Mit einem ehemaligen SS-Mann an ihrer Seite, der ja quasi so etwas wie ein früherer Polizist zu Pferde war, fühlte sie sich ganz einfach sicherer und geborgen. Er gab ihr Halt und Sicherheit in jenen Zeiten und außerdem hatte er vor dem Kriege auch die Handelsschule besucht und verstand daher etwas von Buchhaltung.

Und als es schließlich hieß, bei Kläre Schattling sei ein Kind unterwegs, da wurde geheiratet.

Kläres Brautkleid war aus alten Gardinen zusammen genäht wurden. Und der Anzug des Bräutigams war eine ehemalige Paradeuniform, die man angepasst und schwarz gefärbt hatte. Aber das alles spielte keine Rolle. Mit der Eheschließung kam nun alles in Ordnung und alles hatte jetzt seine Richtigkeit im Leben der Kläre Schattling, deren Ehemann Karlheinz den Nachnamen Schattling angenommen hatte.

Es war ihm recht, wenn auf diese Weise der einstige Unterscharführer der Reiter-SS, Karlheinz Schmittke, zumindest nominell von der Bildfläche verschwinden und alle möglicherweise doch noch einsetzenden Nachforschungen nach diesem im Sande verlaufen würden.

Und für das Geschäft war es besser, wenn es unter dem Namen Schattling weiter geführt wurde, unter dem es schließlich eingeführt war und zumindest hier, im Westend, einen gewissen und durchaus nicht unerheblichen Bekanntheitsgrad genoss.

In den 1950er Jahren kam Hanne zur Welt, die einzige Tochter von Kläre und Karlheinz Schattling.

Es war eine schwere Geburt, die sich auf fast 48 Stunden erstreckte und die Kläre viel Kraft kostete.

Es hieß, das Becken der jungen Mutter sei zu schmal gebaut und ihre Geburtswege seien zu eng für das Kind, so dass immer wieder unter der Geburt ein Kaiserschnitt erwogen worden war. Doch hatte der die Geburt leitende Arzt, aus Angst vor einer möglichen Verletzung der Harnblase, der Harnleiter, des Darmes oder auch der Nervenbahnen der Mutter, zuletzt doch noch auf diesen Eingriff verzichtet und Hanne war auf natürliche Art und Weise zur Welt gekommen.

Kläre hatte später, auch gegen den Wunsch von Karlheinz, darauf bestanden, keine Kinder mehr bekommen zu wollen. Die Angst vor den Schmerzen der Entbindung hatte sie lebenslang gezeichnet.

Und immer wenn Karlheinz darauf verwies, dass so ein kleines Brüderchen, ein Würmchen, wie er sich auszudrücken pflegte, auch der Hanne gut tun würde, so fuhr ihn Kläre barsch an:

„Du weißt gar nicht, was es bedeutet, ein Kind entbinden zu müssen! Du müsstest erstmal zentnerweise Backsteine scheißen, um hier überhaupt mitreden zu können! Es gibt kein zweites Kind, finde Dich damit ab! Ich will nicht unter der Geburt verrecken müssen, wie die Frau dieses russischen Leutnants, die mit ihren Zwillingen im Bauch neben mir im Kreissaal lag und die ganz jämmerlich geschrien hat, bis zuletzt! Es gibt kein zweites Kind! Basta!“

Kläre war also mit sich im Reinen. Und wenn sie in diesen Jahren etwas störte oder ihre Seele belastete, so war es nur ihre eigene jugendliche Dummheit, die sie dazu getrieben hatte, jene Tasche der Frau Hirschfeld mit den Alben und Etuis voller Goldmünzen von der eisernen Hubbrücke mitten in den Strom zu werfen.

Tag und Nacht kreisten in jenen bitteren Jahren des Aufbaus nach dem Kriege ihre Gedanken um das Gold mitten im Strom, während sie das Kind stillte oder mit umgebundener Schürze hinter dem Tresen in ihrem Laden stand, um die Kunden zu bedienen.

Das Gold hätte ihnen jetzt gute Dienste leisten und sie wirtschaftlich ein ganzes Stück weit nach vorn bringen können. Sie hätte den Karlheinz damit gut und gerne nach Westberlin schicken können, um Südfrüchte einzukaufen oder eine moderne Registrierkasse! Auch ein neuer Lieferwagen hätte ihnen jetzt gut zu Gesicht gestanden!

Wie Krimhild im Nibelungenlied, so gierte Kläre nach jenem Gold im Strom, dass sie durch Dummheit und durch unüberlegtes und voreiliges Handeln verloren hatte.

Nur, dass sie Krimhild und Hagen von Tronje zugleich und in einer Person war, denn sie hatte sich eigenhändig des Goldes beraubt.

Immer wieder versuchte sie daher, in Erfahrung zu bringen, wie tief der Strom an jener Stelle unterhalb der alten Hubbrücke wohl sei und wie stark die dortige Strömung, die es zweifellos geben musste.

In geradezu plastischer Deutlichkeit meinte sie die alte karierte Tasche der Jüdin auf dem Kies des Grundes liegen zu sehen. Im trüben Wasser, wie sie sich langsam bemooste, so musste die Tasche dort liegen, während die Strömung Trüb- und Schwebstoffe vorüber trieb, die Fische gründelten und die gewaltigen Schatten der Schubeinheiten von der Oberfläche herunter schimmerten, die Kies und Kohle, Zement und Getreide auf dem Wasserwege bis zur Nordsee brachten.

Nachts träumte sie, wie sie selbst im Taucheranzug in die entsetzliche grundlose Tiefe hinab tauchte, um den Schatz zu bergen und wie gewaltige schwarze Schiffslaibe dabei über ihrem Kopf dahin zogen und ihre Luftschläuche in ihren Schiffsschrauben zerschnitten, während die Tiefe sie verschlang.

Schreiend und schweißnass erwachte sie aus diesen Träumen und sie fuhr den Mann an, der müde und erschrocken neben ihr im Ehebett lag und sich beklagte.

„Sei Du bloß still, Karlheinz! Du hast gestern wieder von Russland geträumt und Erschießungskommandos im Traum befehligt!“

„Ach, Kläre! Red doch nicht sowas!“

„Jawohl, ich sag nur, wie es ist! Und das weißt Du ganz genau!“

Zweifellos schien es sehr gefährlich sein, das Gold vom Grunde des Stromes zu bergen, wo es sich ja noch befinden musste. Gefährlich, aber auch lohnenswert!

Sie hatte durch begieriges und diskretes Ausfragen der Binnenschiffer allmählich in Erfahrung gebracht, dass der Strom in der Stadt ein Tieflandfluss war, der hier seinen sogenannten Mittellauf erreichte.

Ehe er von der Stadt aus etwa 80 Kilometer fast schnurgerade nach Norden und nach Nordosten weiter floss, machte er im Stadtgebiet zunächst einen deutlichen Knick.

Die Binnenschiffer hatten ihr auch verraten, dass die Wasser des Stromes von ihrem Ursprung nahe der deutsch-tschechischen Grenze bis zur Küste der Nordsee ungefähr acht Tage benötigen würden, eine mittlere Wasserführung immer vorausgesetzt.

Mit spitzem Bleistift und Rechenstab, mit Lineal und Landkarte, kam sie auf eine Entfernung von annähernd 586 Kilometer, die der Strom auf dieser Strecke zu überwinden hatte.

So ergab sich demzufolge eine mittlere Fließgeschwindigkeit von etwa 3 Kilometern pro Stunde oder von 0,8 Metern pro Sekunde, was nicht unerheblich war und zudem noch von der jahreszeitlichen Menge des Wassers abhing, die der Strom mit sich führte.

Wen sollte man dort hinab schicken, in jenen gefährlichen Schlund? Und wenn sie den Strom wieder einmal ausbaggern würden? Spätestens dann musste irgendjemand auf den Schatz stoßen! Auf ihren Schatz!

Über die Tiefe des Stroms an jener Stelle stromabwärts von der alten eisernen Hubbrücke wusste sie jedoch nichts.

Sie hatte lediglich in Erfahrung bringen können, dass der Strom an seiner Mündung in die Nordsee knapp 13 Meter tief war. Eine Dimension, die ihr Angst bereitete.

Auch unterhalb der alten Hubbrücke musste die Tiefe beachtlich sein, denn immerhin war der Strom hier schiffbar und die Eltern und Großeltern hatten stets davon geredet, dass alles, was hier hineinfiel, auf ewig verloren sei.

So träumte sie ihre Träume und musste doch, wie die meisten Menschen, dabei ihr Leben leben, das mit den Träumen nicht immer zu tun hatte.

Eines jedoch wusste und lebte sie vor allem: Man musste sich nach der Decke recken! Und was man haben und besitzen wollte, das musste zunächst erst einmal anderen Menschen weg nehmen! Denn all die wunderschönen Güter dieser Welt, sie wurden schließlich nicht im Backofen in Massen hergestellt und danach über die Menschheit ausgeschüttet wie die Schneeflocken aus den Betttüchern der Frau Holle!

Und immer wenn sie hinten, in ihrem kühlen und dunklen Lager stand, wo die Tafeläpfel zum Nachreifen lagerten, die ihr aus dem Brandenburgischen angeliefert worden waren, dann pflegte sie eine Art von Kinderreim zu summen:

„Diese Juden sind tot.

Sie müssen tot sein!

Diese Juden haben das Gold nicht.

Tote brauchen kein Gold!

Ich aber lebe und brauche das Gold!

Auch ich habe das Gold nicht!

Der Strom hat das Gold!

Was aber soll der Strom mit dem Gold?

So ist die Welt ohne Sinn und Verstand!“

Die Stadt war berühmt für verborgene Schätze und Edelmetalle.

Am 19. April 1945 hatten amerikanische Truppen vereinbarungsgemäß den westlichen Teil der Stadt besetzt. Seit dem 5. Mai 1945 stand die Rote Armee vereinbarungsgemäß in all jenen Stadtteilen, die östlich des großen Stroms lagen.

In einem bereits 1927 unter dem Münsterberg errichteten bombensicheren Depot erbeutete eine Spezialeinheit der Amerikaner dort gelagerte Silberbestände der Reichsbank im heutigen Gegenwert von acht Millionen Euro.

Das Silber wurde geborgen und in die USA gebracht.

Briten und Amerikaner übergaben die Stadt am 1. Juli 1945 an die Rote Armee.

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