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III

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Die Vorfahren Stalins waren Osseten. Rein sprachlich sind die Osseten Nachfahren der Alanen, eines iranischen Volkes, welches als Teilstamm der iranischen Sarmaten, für den es Belege bereits aus dem 1. Nachchristlichen Jahrhundert gibt, etwa im 6. Jahrhundert in den Kaukasus einwanderte und sich zum Christentum bekannte.

Bereits im Jahre 921 entstand hier ein alanisches Erzbistum. Durch militärische Einfälle der Tartaren und der Mongolen kam es im 13. Jahrhunderten zur Zerstörung des im Kaukasus gelegenen Reiches der Osseten.

Die überlebenden Alanen zogen sich in die Berge des Kaukasus zurück, wo noch heute Verteidigungs- und Wehrtürme von ihrer Siedlungstätigkeit aus jenen Tagen künden.

Seinerzeit bildete sich im Kaukasus das moderne Volk der Osseten heraus.

Sie siedelten vor allem nördlich des Hauptkammes des Kaukasus. Etwa seit dem 16. Jahrhundert begann ein großer Teil des ossetischen Adels damit, sich zum muslimischen Glauben zu bekennen.

Der ossetische Adel verband sich eng mit dem Adel der Kabardiner, einer Siedlungsgruppe der Tscherkessen und mit dem balkarischen Adel, einem der Turkvölker des Kaukasus.

Bereits im Jahre 1774 trat ganz Ossetien aus freien Stücken dem Zarenreich bei.

Von 1817 bis 1864 tobte der Kaukasuskrieg, von 1877 bis 1878 der Russisch-Türkische Krieg. Beide Auseinandersetzungen führten dazu, dass ein erheblicher Teil des muslimischen ossetischen Adels aus dem Nordkaukasus in das Osmanische Reich auswanderte.

Auch viele Abchasen, Tscherkessen und Tschetschenen wanderten aus dem Zarenreich aus und in das Osmanische Reich ein.

Als das Zarenreich in der Oktoberrevolution zerfiel, kam es von 1918 bis 1920 zum Georgisch-Südossetischen Konflikt, der sich überwiegend im Gebiet von Südossetien abspielte. Im Verlaufe dieser Konflikte verloren zwischen 5.000 und 18.000 Osseten ihr Leben. Annähernd 20.000 von ihnen wurden aus ihrer kaukasischen Heimat vertrieben.

Stalins Urgroßvater hieß Sasa Dschugaschwili. Er war ein ossetischer Leibeigener, der aus dem südossetischen Dorf Geri stammte. Der eigentliche ossetische Name lautete Dsugajew, später georgifiziert zu Dschugaschwili. Im Jahre 1804 nahm Sasa Dschugaschwili an einem Aufstand gegen die Annexion seiner Heimat Georgien durch das zaristische Russland teil. Über die Urgroßmutter Stalins ist nichts bekannt. Gewiss ist lediglich, dass Sasa Dschugaschwili zwei Söhne hatte: Wano und Giorgi Dschugaschwili. Von Giorgi Dschugaschwili hieß es, er sei von Banditen ermordet worden. Wano Dschugaschwili war Stalins Großvater.

Wano Dschugaschwili war als einfacher Weinbauer tätig. Er stand in den Diensten des georgischen Fürsten Banur Matschabeli.

Wano Dschugaschwili hatte vermutlich nur einen einzigen Sohn: Bessarion Dschugaschwili, genannt Besso. Geboren im Jahre 1853 oder 1854 im Dorfe Didi-Lilo in Georgien und gestorben am 25. August 1909 in Tbilissi. Besso war der Vater Stalins. Der russische Literaturnobelpreisträger Alexander Issajewitsch Solschenizyn behauptete später, Besso sei jüdischer Abstammung gewesen und Stalin daher Halbjude, ohne dieses jedoch beweisen zu können.

Besso erlernte den Beruf eines Schuhmachers. Er sah Stalin sehr ähnlich. Fotos zeigen ein schmales Gesicht von orientalischem Schnitt. Die dunklen Augen schmal und eng zusammen liegend, was ihnen etwas Verschlagenes gab. Die Ohren groß und die Nase kräftig. Fleischige Lippen, die derselbe Schnurrbart verdeckt, wie ihn auch Stalin trug. Auf dem Kopf eine Schirmmütze, keck ein wenig zur Seite geschoben.

Bessarion hatte sehr dichte schwarze Augenbrauen und einen starken Schnurrbart. Er war ein großer und stattlicher Mann, der ständig die Tschocha, das einfache georgische Hemd trug.

Seine breiten bauen Hosen trug er in die Stiefel gesteckt und auf dem Kopf stets die russische Mütze.

Er war von grober, ungeschlachter und gewaltbereiter Natur, wie die meisten Osseten. Die hohen kaukasischen Berge hatten sie wohl dazu gemacht. Nur sehr langsam und sehr zögerlich konnten die Osseten die georgische Kultur annehmen. Lieber waren sie für sich allein.

Bessarion Dschugaschwili war am Anfang seines Berufslebens als einfacher Schumacher in der Schuhfabrik G. G. Adelchanows in Tbilissi beschäftigt.

Später wechselte er zur Schuhmacherwerkstatt des Armeniers Josef Baramow. Es war die Aufgabe dieser Schusterwerkstatt, für die Garnison von Gori zu arbeiten. Bessarion sprach Georgisch, Russisch, Armenisch und Türkisch.

Irgendwann in den Jahren nach 1872 machte sich Bessarion Dschugaschwili mit einer eigenen Schusterwerkstatt in Gori selbständig. Zehn Arbeiter und mehrere Lehrlinge waren in seiner Werkstatt angestellt.

Am 17. Mai 1872 heiratete Bessarion Dschugaschwili Ketewan Geladse.

Ketewan Geladse, Keke genannt, wurde im Jahre 1855 in Gambareuli bei Gori in Innerkartlien geboren. Sie war die Tochter des leibeigenen Bauern Glacho und seiner Frau Melania Geladse. Keke hatte zwei Brüder. Im Jahre 1861 wurde die Familie Geladse aus der Leibeigenschaft entlassen und konnte nach Gori ziehen. Dort arbeitete Kekes Vater als Gärtner.

Als der Vater früh starb, mussten die beiden Brüder den Broterwerb für die Familie übernehmen.

Kekes Mutter sorgte dafür, dass das Mädchen Lesen und Schreiben lernte. Als junges Mädchen arbeitete Keke als Putzfrau, später als Hausmädchen, Wäscherin und Näherin. Sie verdiente auf diese Weise bis zu 10 Rubel im Monat.

Ihr Ehemann, Bessarion Dschugaschwili, war zwei Jahre älter. Ihm brachte sie drei Kinder zur Welt: am 14. Februar 1875 Micheil; am 24. Dezember 1876 Giorgi und am 6. Dezember 1878 schließlich Iosseb, den späteren Stalin.

Die beiden älteren Söhne starben nur wenige Monate nach ihrer Geburt, lediglich Iosseb überlebte. Sie wohnten zunächst in einem erbärmlichen Haus am Stadtrand von Gori. Das Haus, eigentlich mehr eine kleine schmutzige Hütte aus unverputzten Mauern aus unförmigen Steinen und ein wenig Sand, stand in der Soborostraße. Das Dach war stets undicht. Es war durchlässig für Wind und Regen. Unmittelbar am Häuschen war ein winziger quadratischer Hof gelegen, der von einem hohen hölzernen Zaun umschlossen wurde. Knarrend öffnete sich die Brettertür des Hauses und man gelangte in eine winzige Stube. Der Fußboden war mit Ziegelsteinen belegt, die mit der Zeit in den Lehmboden eingesunken waren und nun die Nässe jedes Eintretenden aufnahmen. Links und rechts der niedrigen Brettertür gab es jeweils ein winziges Fensterchen, welches durch ein Fensterkreuz in vier Glasscheiben unterteilt wurde. In der Stube schien ein ewiges Halbdunkel zu herrschen, eine bedrückende Art von Dämmerung. Die Luft war feucht und muffig. Geschwängert vom Kochdunst und den Ausdünstungen regennasser Kleidung.

Ebenso erbärmlich wie das Häuschen war seine Einrichtung, die noch von den Vorfahren der derzeitigen Bewohner zu stammen schien. Es gab nur sehr wenige Möbel. So eine uralte Kommode mit vier Schubladen. Auf der Kommode lag eine einfache getickte Tischdecke, auf der wiederum ein Drehspiegel stand. Um den Tisch herum standen anstelle von Stühlen dreifüßige Sitzbänke. Die blaue Tischdecke zeugte von Kekes Reinlichkeitssinn. Aus jeder Ecke der erbärmlichen Hütte lugte die Armut ihrer Bewohner hervor. In eine der Wände der Hütte waren ein Schrank und ein winziger Spind eingelassen. Gegenüber gab es eine riesige Bettstelle im uralten georgischen Stil. Diese Bettstelle nahm mit ihren geradezu riesigen Ausmaßen etwa die Hälfte des Raumes ein und deutete darauf hin, dass alle Bewohner des Hauses gemeinsam in ihr schliefen. Tagsüber wurde dieses Bett stets von einem dünnen Teppich im altpersischen Stil bedeckt. In einer Ecke des Raumes stand die altmodische und armselige Nähmaschine, an welcher Keke zu sitzen und zu nähen pflegte. Die Bedienung dieser Nähmaschine erwies sich stets als schwierig und mühselig. In einer anderen Ecke des stets düsteren und muffigen Raumes standen große Geschirre aus einfachem Ton, welche für den Transport und die Aufbewahrung des Trinkwassers vorgesehen waren. In einer hölzernen Schüssel wurde das Regenwasser aufgefangen, welches durch das undichte Dach tropfte.

Zunächst, nachdem Bessarion Dschugaschwili sich selbständig gemacht hatte und zehn Arbeiter und mehrere Lehrlinge beschäftigte, lebte die Familie im Wohlstand.

Zu Beginn der 1880er Jahre begann Bessarion zu trinken, wurde streitsüchtig, vertrank all sein Geld und verprügelte seine Frau und seinen Sohn regelmäßig.

Im Jahre 1888 verließ er seine Familie einfach. Da Bessarion Dschugaschwili nun regelmäßig trank, litt auch die Arbeit in der Schusterwerkstatt. Allein seine Lehrlinge hielten die Werkstatt wirtschaftlich aufrecht.

Als Bessarion Dschugaschwili das Fenster einer Schankwirtschaft zerschlug und außerdem noch den Polizeichef von Gori, Dawritschewi mit seiner Schusterahle angriff, wies man ihn kurzerhand aus Gori aus. Er hatte das Image eines stadtbekannten Trinkers und Raufbolds erlangt.

Er fand wieder Arbeit in der Schuhfabrik Adelchanow in Tbilissi. Hier sah er seinen Sohn Iosseb zum letzten Mal, als Iosseb gerade damit beschäftigt war, einen Streik der Arbeiter in der Schuhfabrik Adelchanow zu organisieren.

Bessarion Dschugaschwili starb schließlich am 25. August 1909 im Michailow Klinikum von Tbilissi. Hier war er wegen Kolitis, Tuberkulose und einer chronischen Lungenentzündung behandelt worden. Bessarion Dschugaschwili wurde in Telawi, 70 Kilometer östlich von Tbilissi begraben. Telawi liegt am Fuße des Kaukasus und am Fluss Alasani.

Keke hatte nun mehrere Beziehungen mit anderen Männern. Vermutlich war dies der Grund dafür, dass Stalin sie später oft verächtlich eine alte Hure nannte. Iosseb liebte es, später stets das Gerücht zu verbreiten, Keke habe derartig viele Männer in ihrem Leben gehabt, dass die Identität seines letztendlichen Erzeugers und die zweifelsfreie Vaterschaft Bessarions höchst fragwürdig seien. Diese Behauptung gehörte zu den Legenden und Nebeln, mit denen Iosseb seine Kindheit und Jugend gern umgab. Um den Lebensunterhalt für sich und ihren Sohn Iosseb zu finanzieren, arbeitete sie als Hausmädchen, Wäscherin und Näherin für wohlhabende Familien von Gori.

Keke war eine sommersprossige und dunkelhaarige Frau. Sie war nichts anderes gewohnt, als Jahr um Jahr in großer wirtschaftlicher Not zu leben. Meist saß sie, gebeugt über ihre uralte Nähmaschine, um damit zu versuchen, einige Kopeken als Näherin zu verdienen.

Stets nähte sie bei schlechtem Licht und tief hinab gebeugt, über ihre alte Nähmaschine, so dass sie darüber kurzsichtig wurde und gezwungen war, eine starke Brille auf ihrer Stupsnase zu tragen.

Keke war tief religiös und bestrebt von dem Drang, Gott, ihrem Mann und ihrem Kind zu dienen, wie alle Georgierinnen.

Bei allen Leuten von Gori war sie als die fleißige, arme und gottesfürchtige Frau des Schusters geachtet.

Sie trug stets die erbärmliche traditionelle Tracht aller Georgierinnen, den Tschichti auf dem Kopf und ein verschlissenes blaues Kleid, um auf die Weise den blauen Himmel Georgiens mit den Wolken und der Sonne zu symbolisieren. Sie war eine typisch georgische Frau.

Keke beschloss, dass aus Iosseb ein georgisch-orthodoxer Priester werden sollte.

Im Jahre 1888 meldete sie ihn auf der kirchlichen Schule von Gori an. 1894 überredete sie Iosseb schließlich, er hatte ein Stipendium erhalten, zum Theologischen Seminar nach Tbilissi zu wechseln.

Seither ab es nur noch losen Briefkontakt zwischen Ihnen. Iosseb schickte seiner Mutter mitunter Geld, Fotos oder auch Medikamente.

Nachdem die Rote Armee im Jahre 1921 Georgien besetzt hatte, wies Stalin ihr einen Raum als Wohnung im Palast des einstigen russischen Vizekönigs von Georgien am Rustawelis Gamsiri in Tbilissi an. Der damalige Chef der GPU von Georgien, Lawrenti Beria, stellte ihr ab 1927 mehrere Leibwächter. Iosseb besuchte sie kaum. Bereits sehr krank, sah sie ihn 1935 in Tbilissi zum letzten Mal. Sie starb am 13. Mai 1937 in Tbilissi und wurde auf dem Pantheon am Berg Mtazminda in Tbilissi beigesetzt. Iosseb erschien nicht zur Beisetzung. Er schickte lediglich einen Kranz.

Väterchens Misstrauen. Die Welt des Josef Stalin

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