Читать книгу Die kalte Stadt - Ralph Roger Glöckler - Страница 7

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Richard ließ von Günther ab, rollte sich heftig atmend auf den Rücken. Er beruhigte sich allmählich, wischte die Feuchtigkeit von seinem Leib. Da war wieder dieses seltsame Gefühl, das er in den letzten Wochen schon öfters gehabt hatte, ein Gefühl der Einsamkeit, der Verlassenheit, als sei er mit Sack und Pack in einem toten Bahnhof ausgesetzt worden. Er blickte Günther an, der sich auf die Seite gelegt hatte, betrachtete den Rücken, die Wölbung des Gesäßes, dessen Anblick ihn eben noch so erregt hatte, betrachtete die Beine. Er hätte sich dieses Gefühl erklären können, was aber bedeutet haben würde, an wesentliche Dinge zu rühren. Das wollte er nicht. Davor hatte er Angst. (Eben. Dieser Wille, die Situation auf andere Weise zu bewältigen, die trügerische, verdrängende Hoffnung. Ach Richard!)

Wenn Günther seine Ekstasen nicht teilen wollte, ja, sie scheinbar nur über sich ergehen ließ, versuchte er sich einzureden, dann lag es wohl an der zermürbenden Hitze dieses Sommers. Er war müde. Natürlich. Das Frankfurter Klima lässt ja auch Gäule kotzen … Richard legte sich auf den Bauch. Müdigkeit überschwemmte seine Gedanken. Er schlief ein.

Günther hatte die Hände unter dem Kopf verschränkt, blickte vor sich hin. Er konnte nicht schlafen, war über die Situation aufgebracht, aus der er sich nicht zu lösen vermochte. War es denn so schwierig, Richard reinen Wein einzuschenken? Was konnte ihn daran hindern? Es war eine Lähmung des Willens, die ihn auf dieses Bett, unter die Schenkel eines Mannes knechtete, vor dem er ein fast körperliches Gefühl des Ekels zu entwickeln begann. Ekel. Ja, ein schlimmes Wort. Alles, was Günther entgegenzusetzen hatte, war Verweigerung. Die Bedürfnisse dieses Mannes schienen sich verselbständigt zu haben, brauten sich über ihm zusammen, prasselten herab. Günther lag da, zur Strecke gebracht von der inhaltslos gewordenen Idee einer Beziehung, ließ die Entladungen über sich ergehen.

Die Unmöglichkeit eines konstruktiven Dialoges hatte ihm Richard entfremdet. Er hätte sich gewünscht, einmal angesprochen, befragt zu werden. Aber Richard fand wohl genüge daran, ihn zur Ehefrau Nummer zwei zu machen. Abteilung Sex. Er erhob Anspruch auf ihn, ohne sein Leben zu teilen. Das reduzierte ihn, Günther, zu einem in Sekreten zerfließenden Körper …

Die Stille des Zimmers besänftigte seine Gedanken, geschlossene Vorhänge dämpften das Licht. Die Ösen klickten in der Schiene, wenn der Wind in den Stoff drückte. Das kleine Geräusch band Günthers Aufmerksamkeit, hob die Zeit auf, machte sie schwerelos. Richard atmete ruhig. Er lag auf dem Bauch. Sein Kopf war auf die rechte Hand gelagert, das linke Bein angezogen. Er lag da, meilenweit entfernt von der Wirklichkeit Günthers, schlief wie ein Kind. Eine Fliege lief über seinen nackten Rücken. Er vertrieb sie mit einem Reflex des Schulterblattes. Sie hob ab, kreiste durch das Zimmer, ließ sich auf dem verknäulten Papiertaschentuch neben Richards Knie nieder.

Gut. Stellen wir uns Günther in diesem warmen, verschatteten Schlafzimmer vor. Er wendet sich um, betrachtet seinen Freund, wenn wir ihn der Einfachheit halber noch so nennen dürfen! Natürlich ist sich Günther in diesem Augenblick nicht bewusst, dass die Lähmung seines Willens von jenen Vorstellungen herrührt, die er aus Kindheit und Jugend in das freiere Leben nach dem Tode der Eltern mit hinübergenommen hat, ist an die Idee der Unverbrüchlichkeit der Ehe bis zum Tode gefesselt, nicht nur das, erwartet von einer Beziehung die Fortsetzung primärer Bindung. Das nur in Parenthese. Verfolgen wir die Szene.

Und er würde mich nicht verstehen, dachte Günther, der sich aufgesetzt hatte, wenn wir über alles sprächen. Wie sollte er. Für ihn ist ja alles in Ordnung. Er braucht mich. Er liebt mich.

Günther erhob sich, nahm eine Zigarette aus dem Päckchen, das auf der Wäschekommode lag, steckte sie in den Mund, blickte versonnen vor sich hin. Es war still. Die Hitze des Sommers lagerte im Zimmer, auch wenn der Wind in die Vorhänge drückte.

Ich langweile mich, dachte er. Dies alles bedeutet mir gar nichts mehr.

Also?

Er zuckte mit den Schultern. Sein Blick wanderte zu Richard hinüber, als könne eine unerwartete Antwort von daher kommen.

Dieser Blick veranschaulicht, dass er die Erfüllung seiner Bedürfnisse von anderen erwartet. Darf er nicht. Darf niemand. Seine Bedürfnisse sind legitim, haben ein Recht darauf, über sich selbst zu verfügen. Aber er selbst, dieser schwierige Mensch in allen seinen Verästelungen, ist ihm immer noch verdächtig. (Irgendwann ist er wohl so grundsätzlich verachtet worden, dass man ihn geopfert hat. Aber aus den Fetzen seines Körpers, die in der Erde vergraben wurden, sind keine Pflanzen erwachsen, wie in gewissen Mythen, nur Zerstörung ist geblieben, Drangabe an ein höheres, nicht zu haltendes Versprechen. Anm. d. Erz.)

Klavier, dachte Günther. Er würde mit beiden Fäusten auf die Tasten schlagen, wild, verrückt, außer sich, um seinen Freund aus dem Todesschlaf zu erwecken, um in ihn zu knallen mit hundert Dissonanzen, aber Richard würde weiterruhen und er, Günther, würde die Hände mutlos von den Tasten nehmen.

Lassen Sie mich noch hinzufügen, dass er selbst es in Wirklichkeit ist, der aus Verweigerung und Lähmung geweckt werden soll, aber seine Impulse stoßen noch in die falsche Richtung vor. Die Mutlosigkeit, die ihn sogleich erfasst, ist sicheres Indiz.

Günther zündete die Zigarette an. Richard, vom Zischen des Streichholzes erwacht, bewegt sich. Wie glücklich er sein muss, dachte Günther. Ahnungslos und glücklich. Richard drehte sich auf den Rücken. Wie spät es sei, fragte er bei geschlossenen Augen.

Gleich vier.

Ob Günther auch geschlafen habe. Er sei plötzlich so müde gewesen.

Nein.

Warum nicht?

Richard räkelte sich, rieb sich den Schlaf aus den Augen, setzte sich auf den Bettrand, zog die Armbanduhr an. Günther hasste die Bewegungen, mit denen Richard die Armbanduhr anlegte. Sie waren so auf den Punkt gebracht, entschlossen, jetzt gab es kein Zurück mehr. Aber das Wesentliche blieb auf der Strecke. Sie schlossen eine Antwort auf Richards Frage, warum er nicht geschlafen habe, von vorneherein aus.

Ich kann das verstehen, obwohl ich einräumen muss, dass er Richard in seiner verspannten Abwehrhaltung nicht gerecht werden konnte. Das ist kein Vorwurf. Er war viel zu sehr in seiner Entwicklung befangen. (Der Autor ist ja der Meinung, ich fände Günther attraktiver als Richard und wäre von daher parteiisch. Aber das stimmt nicht. Sollte der Autor eifersüchtig sein? Was für ein menschlicher Zug!)

Richard war nicht das kalte Ungeheuer, das Günther in ihn hineinsah. Es war eine seiner Schwächen, das unbedingte Verlangen Günthers nach Klarheit, Deutlichkeit, erarbeiteten Haltungen zu unterschätzen. Er wischte vieles mit einer Handbewegung vom Tisch. Während Günther in seinem jugendlichen Idealismus die größeren Zusammenhänge des Lebens betrachtete, dachte Richard, seiner Meinung nach, nur an das kleine alltägliche Überleben. Das setzte ihn in seinen Augen herab. Das war eines ernsthaften Mannes nicht würdig.

Ach, dieser Junge. Gut, dass er schon bald den spielerischen Charakter des Lebens entdecken sollte. Der Übermut des Lebens zerbricht Ideale, ist stärker. Aber zum Spiel gehört Reife …

Er würde jetzt gehen, sagte Richard, nahm das von getrockneter Samenflüssigkeit erstarrte Taschentuch, um es in die Toilette zu werfen. Er blinzelte Günther zu.

Er nähme jetzt erst einmal eine Dusche.

Günther zog an seiner Zigarette. Wenigstens würde dieser Mann jetzt gleich verschwinden. Er öffnete die Vorhänge, sah auf die Straße hinunter. Ein Auto fuhr langsam am Haus vorbei.

Die kalte Stadt

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