Читать книгу 10 Jahre Stalking - Nur weil Du ihn nicht siehst, heißt es nicht, dass er nicht da ist! - ramona wegemann - Страница 8

Ein verhängnisvoller Kontakt

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Am nächsten Tag lieferte uns der Hobbybauer wie vereinbart einen Rundballen Stroh für unsere Tiere. Frederik und ich empfingen ihn an unserem Gartentor. Er fuhr mit einem alten Golf II und einem kleinen, einachsigen Anhänger auf dem der Rundballen festgezurrt war, vor. Wie er diesen großen Ballen auf diesen kleinen PKW-Anhänger hinauf bekam, war mir irgendwie ein Rätsel, denn der Mann war nicht unbedingt ein athletisch oder groß gebauter Mann. Ich schätzte ihn auf Ende vierzig, vielleicht Anfang fünfzig. Seinen runden, kahlen Kopf umringten noch einige wenige, kurz geschorene und bereits grau gewordene Stoppeln. Mit geschätzt vielleicht gerade mal 169cm Körpergröße war er nicht besonders groß und für sein Gewicht definitiv etwas zu klein geraten. Seine Kleidung erzählte von seiner Arbeit. Die Jeanshose sowie das T-Shirt wirkten etwas lumpig und beansprucht, seine Füße steckten in alten und recht ausgelatschten, ursprünglich mal weißen Turnschuhen. Seiner Statur wegen nahm ich an, dass er sicherlich rein körperlich nicht in der Lage war, einen solchen großen Rundballen selbst auf den kleinen Anhänger zu hieven oder diesen mittels Rampe auf den Anhänger zu rollen. Solch ein Ballen wiegt immerhin an die 200 Kilo. Aber als Bauer, wird er sicherlich nötige Gerätschaft dafür haben, verwarf ich meine Gedanken. Wie auch immer er den Ballen auf den Hänger brachte, ich war froh, dass wir nun ausreichend Stroh hatten und nicht mehr die kleinen Packungen für den nahezu zehnfachen Preis im Handel kaufen mussten. Wir unterhielten uns noch einen Moment lang mit dem Bauern, bevor er den Ballen vom Anhänger schubste. Es war ein kurzes und belangloses Gespräch über den Gartenzaun hinweg, bei dem sich herausstellte, dass er sogar hier aus der Gegend kam. Seine sprachliche Ausdrucksweise war bodenständig und von einem starken Brandenburger Dialekt geprägt. Er wirkte dadurch irgendwie lustig und sympathisch und „gerade heraus“. Wir freuten uns, dass wir Kontakt zu jemanden gefunden hatten, der hier aus der Gegend kam. Wenn man auf dem Land neu ist, ist es doch recht schwer, Anschluss zu finden. Im Gespräch bot er uns sogleich an, dass wir ihn bei seinem Kosenamen nennen könnten, den er seiner Aussage nach wohl schon seit Kindertagen hatte. Ich musste bei seinem Kosenamen etwas lachen, da ich diesen Ausdruck als Bezeichnung für eine Steinschleuder wiederum aus meinen Kindertagen kannte und sogleich etwas Schabernack damit in Verbindung brachte. Wir nennen ihn in diesem Buch abgewandelt einfach fortan Zwille. Nach einem kurzen Plausch verabschiedete sich Zwille und verschwand mit seinem braunen Golf und dem rappelnden Einachsanhänger. „Zwille.., damit hatten wir als Kinder kleine Kiesel auf Dosen geschossen“, witzelte Frederik, als wir den Strohballen lachend und schäkernd zu seinem Bestimmungsplatz rollten.

Von diesem Tag an bemerkte ich den alten Golf immer öfter. War ich vielleicht unbemerkt sensibel dafür, weil ich den Fahrer ja nun kannte? War mir das Auto vorher einfach nur nicht aufgefallen? Es schien merkwürdig, dass jetzt, wo das Feld doch abgeerntet war, Zwille so viel am Feld zu sehen war, wo wir bis dahin nie jemanden bemerkten. Doch mit den üblichen Tätigkeiten eines Landwirtes kannten wir uns bis dahin nicht richtig aus und waren uns sicher, es würde alles seine Gründe haben und uns zudem auch nichts angehen. Scheinbar zufällig fuhr Zwille fast täglich die Straße vor unserem Haus mehrfach auf und ab. Wenn ich genauer darauf achtete und hinüber sah, sah ich, wie er zu mir schaute und freundlich grüßte. Selbstverständlich grüßte ich zurück, das gehört sich schließlich so. Doch plötzlich wendete der Wagen ohne jegliche Verzögerung und kam zügig zu mir herangefahren. Egal wo ich mich auf unserem Grundstück auch befand, Zwille stellte sein Auto unmittelbar auf der Straße oder direkt vor unserer Einfahrt ab. Er stieg flott aus dem Auto aus und kam zu mir. Es verblüffte mich, aber ich dachte mir, „das wird hier auf dem Land halt wohl so sein“, dass man sich einfach für einen Plausch die Zeit nimmt und „breit macht“. Er verwickelte mich in unverfängliche Gespräche, fragte höflich nach, ob wir mit dem Stroh zufrieden seien und begann unaufgefordert über belanglose Dinge zu sprechen. Er erzählte viel über das Dorf, die Bewohner, dass früher auf den Feldern noch Wirtschaft mit Flugzeugen getätigt wurde und dass seine Mutter noch im Dorf wohne. Er selbst wohnte immerhin gut 25 Kilometer entfernt, also quasi drei Dörfer weiter, würde aber immer wieder seine Mutter im Dorf besuchen. Zwischen den Zeilen der belanglos wirkenden Gespräche sagte er plötzlich so ganz nebenbei, dass ich mich nicht erschrecken solle, wenn er morgen mit dem Traktor käme, um die Wiese vor unserem Haus zu scheiben. Das bedeutete, er würde sie umgraben. Er würde dort einen Acker vorbereiten. Auf meiner Stirn runzelten sich Falten. Ich konnte kaum glauben, was er da sagte. Wie? Die Wiese vor unserem Haus? Das ist unsere Wiese, die soll bitte Wiese bleiben, die könne er doch nicht einfach umgraben! Er zückte rasch einen Straßen-Atlas-Plan hervor, eine veraltete Straßenkarte, die fast keinen Zusammenhang mehr an den zerfledderten Blättern fand. Er wollte mir völlig überzeugt weismachen, dass ihm das Stück Land vor unserem Haus gehören würde und deutete mit den Fingern ständig auf die verschmutzte Straßenkarte. Ich war über die Art und Weise ein wenig amüsiert, aber auch etwas empört über seine freche Idee, blieb aber freundlich und verteidigte meinen Standpunkt, dass wir diese besagte Fläche mit dem Haus zusammen gekauft hatten und alles notariell festgeschrieben war. Es müsse sich also um einen Irrtum handeln, wenn er meinte, es sei seine Fläche. Ich sagte ihm, dass wir das auch notariell belegen können, wenn er das möchte. Wir hätten sogar eine Katasterkarte, denn der Straßenplan könne ja nur wenig über Eigentumsverhältnisse aussagen. Er winkte plötzlich ab und lenkte ein. Vielleicht wäre das doch ein Irrtum. Er würde das nochmal prüfen, bevor er die Fläche umgräbt. Ich war wirklich sprachlos über diesen Auftritt und zwischen amüsiert und verunsichert hin und her gerissen. Er würde es nochmal prüfen, bevor er die Wiese umgräbt? Er war immer noch nicht davon abgerückt, die Wiese umgraben zu wollen? Wir zogen dann recht bald einen Zaun um die besagte Fläche, die zwischen dem Haus und der Straße lag. Die Fläche misst immerhin knapp 2.500 qm und sollte als Weide für unsere Tiere dienen und nicht zum kostenlosen Acker für Zwille werden.

Solche Ausflüge in die Kopfwelt von Zwille blieben mir, in immer kürzeren Abständen, auch weiterhin nicht erspart. Komisches Landvolk, hätte man oft denken können, aber ich wurde höflich erzogen, und einfach auf ein Gespräch nicht zu reagieren, nicht zuzuhören, das wäre ja unangebracht, oder? So benahm ich mich halt auch wohlerzogen und lauschte den phantasievollen Geschichten von Zwille, auch wenn ich eigentlich Besseres zu tun gehabt hätte. Er berichtete davon, dass er Frührentner sei, weil er einen Herzinfarkt auf dem Feld gehabt hätte. Ihm waren einige Stands und Bypässe gelegt worden. So erschreckend sich sein Schicksal auch anhörte, legte sich sogleich ein grauseliges Gefühl in meinem Bauch nieder, was nichts mit Mitleid zu tun hatte. Rentner? Oh Schreck! Viel Zeit! In meinem Kopf pochte es gleich hämmernd, oh nein, bitte nicht. Egal, ich bin ein taffes „Berliner Girly“ und würde mit meiner Lebenserfahrung an seltsamen Gestalten auch dieser Gestalt schon gekonnt und höflich auszuweichen wissen, wenn es doch zu nervig würde. Das dachte ich mir so. Doch auf dem Land ist es halt anders. Zwille kam nun täglich und war mit seiner einfachen Art auch immer irgendwie sympathisch, zwar etwas nervig und aufdringlich, aber doch irgendwie auch nett. Frederik und ich fragten uns immer wieder, warum er so nett zu uns sei und dachten beschwichtigend, das ist wohl hier auf dem Land einfach so. Zwille brachte uns häufig frisches Obst oder Gemüse aus seinem Garten mit. Er erklärte, er habe viel zu viel angebaut und seine Frau könne das ganze Zeug nicht mehr sehen. Wenn ich nicht zu Hause war, hing er es irgendwann sogar körbeweise an den Zaun oder stellte es vor die Tür. Wenn ich beiläufig in den zahlreichen Gesprächen erwähnte, dass ich Himbeeren besonders gerne mag, hingen am nächsten Tag Himbeeren am Zaun und sogar einige Himbeerpflanzen für den Garten dazu. Wenn Frederik am Sonntag eine Bohrmaschine brauchte, so brachte Zwille uns diese noch am gleichen Tag vorbei und zeigte sich immer hilfsbereit. Wir waren überwältigt und fühlten uns schon schlecht, weil wir seine nette Art so oft hinterfragten und so viel Hilfsbereitschaft nicht kannten.

Nach und nach lernten wir dann auch den einen oder anderen Nachbarn im Dorf über den Gartenzaun hinweg kennen. So kam eines Tages ein Hinzugezogener, wie wir es waren, mit seiner Ponykutsche, die von zwei schwarzbraunen Ponys gezogen wurde, vorbeigefahren, und wir kamen über unsere Tiere mit ihm ins Gespräch. Über den neuen Kontakt freuten wir uns natürlich, war dieser Kontakt doch anders als der mit Zwille. Mit diesem Nachbarn kamen durchaus interessantere Gespräche zustande, hatte man doch immerhin durch die Tiere ein gemeinsames Thema. Zwille konnte mit Tieren nicht so gut und ich hatte bei ihm wenig zu erzählen. Es folgten wechselseitige Einladungen zu gemeinsamen Grillabenden. Der Kutscher war ehemals ein Lehrer, der aufgrund von Rückenproblemen nun in Frühpension lebte. Dass er mit seinen Rückenproblemen allerdings mit der Kutsche über die holprigen Felder hetzte wunderte mich schon, wie das ging. Er kaufte sich im Dorf ein altes Haus, in dem er mit seiner Frau lebte, und erfüllte sich so seinen Traum von zwei Kutschponys am Haus. Frühpension? Wo sind wir hier hingezogen? Sind hier alle in vorzeitiger Rente unterwegs? Es stellte sich heraus, dass auch der Kutscher Zwille kannte. Dies war unter anderem dem Umstand geschuldet, dass Zwilles Mutter gleich zwei Häuser weiter neben dem Kutscher wohnte. Es war spät am Abend und vielleicht war schon ein Bier mehr oder weniger dabei, als der Kutscher etwas angepiekst meinte, dass wir uns bloß von Zwille fernhalten sollten. „Der ist nicht ganz sauber“, meinte er. „Passt bei dem bloß auf, der ist nicht ganz normal!“ Der Kutscher berichtete von einem Vorfall, bei dem Zwille wohl über den Zaun des Kutschers gestiegen sei und ungefragt eine Leiter vom Kutscher „geborgt“ habe.

Wir lachten über die Geschichte der „geborgten“ Leiter und wussten nicht ganz einzuordnen, ob es am Bierchen lag oder nicht. Es war ein heiterer Abend, doch diese Geschichte von Zwille begleitete uns ungewollt mit nach Hause. Den mahnenden Rat hatten wir noch lange im Ohr. „Lasst euch nicht mit dem ein!“ Doch was tun, wenn Zwille immer wieder zu uns kommt? Zudem ist Zwille zu uns doch immer nur nett. Vielleicht war es einfach ein Streit zwischen zwei alten, gelangweilten Frührentnern, die einfach zu viel Zeit hatten und zu unterschiedliche Lebensweisen? Uns war jedenfalls klar, dass da zwei unterschiedliche Welten aufeinander prallten.

Die Zeit zog ins Land, und der Winter kam uns auf dem Land noch viel kälter vor, als wir ihn aus der Großstadt gewohnt waren. Umso ärgerlicher waren die oftmals nervigen Besuche von Zwille. Täglich kam er angefahren, obwohl im Winter die Felder im Winterschlaf liegen und keiner Pflege bedürfen. Es nervte mich schon, bei Schnee und Minusgraden am Zaun zu frieren und das mittlerweile oft sogar über Stunden. Dass Zwille über drei Stunden Durchhaltevermögen hatte, musste ich bitterkalt erfahren. Landvolk, frieren die nicht? Während ich von der Hüfte abwärts scheinbar taub gefroren war, hampelte er noch fröhlich und munter vor dem Gartentor umher und erzählte schier unaufhörlich von sich und seiner Welt. Manchmal ließ ich von meinem Handy aus, welches ich in meiner Jackentasche heimlich betätigte, das Telefon im Haus klingeln, um dann rasch ins Haus entschwinden zu können. Doch wer nun meint, ich sei Zwille damit losgeworden, der irrt. „Ach, is keen Problem, ick komm später wieder.“ Ach-Herrje! Tatsächlich war es kein Problem für ihn, später erneut aufzutauchen. Egal ob ich ihm erklärte, dass ich noch arbeiten oder die Tiere nun versorgen müsste oder oder oder. Sein Auftreten war irgendwann vereinnahmend frech und in meinen Augen unhöflich, einfach nur noch nervig. Mit Höflichkeiten kam ich hier scheinbar nicht weiter, und ich musste schon mal klarere Worte finden. Einmal sagte ich ihm, dass ich mir einfach nicht so viel Zeit für ihn nehmen könnte, wenn dafür alles andere liegen bleibt. Ich würde ja schließlich selbst mit meiner besten Freundin nicht so oft und schon gar nicht so lange plaudern wie mit ihm, das geht einfach nicht. Doch ich bin mir nicht sicher, ob er sich damit nicht sogar noch geschmeichelt fühlte, weil er scheinbar mehr Zeit und Aufmerksamkeit von mir erhielt, als meine beste Freundin. Es spitzte sich immer weiter zu, und ich kam weder mit höflichen noch mit deutlichen Worten weiter, dass seine Besuche in diesen Ausmaßen weder angebracht noch erwünscht waren. Das prallte irgendwie einfach an ihm ab.

Eines Tages entschloss ich mich, nicht mehr an den Zaun zu gehen. Ich hatte aber auch wirklich ohnehin genug an diesem Tag zu tun und war zudem auch in schlechter Stimmung, sodass ich für Zwilles Welt an diesem Tag wirklich keinen Nerv mehr hatte. An dem Tag konnte ich mich einfach nicht dazu durchringen, brav dem Gequake von Zwille zu lauschen und meine Zeit dafür zu opfern. Ich ging also nicht nach vorne, als er auftauchte. Zwille kam einmal, er kam noch ein zweites Mal, ein drittes Mal und auch ein viertes Mal. Er klingelte am Tor und hupte sogar aus seinem Auto heraus. Dann fuhr er mit einem wilden Start rasant davon. Als er weg war, dachte mir nur „na endlich!“ Doch Zwille war so wütend über meinen Entzug, dass er nun bei Frederik auf der Arbeit anrief und ihn beschimpfte, wie unmöglich ich wäre, wie frech das von mir sei, er käme den weiten Weg zu uns gefahren und ich würde ihn einfach stehen lassen und ignorieren! Frederik war nachvollziehbar völlig überrumpelt und wunderte sich, warum ich mich so verhielt, wo Zwille doch immer so nett zu uns ist. Frederik rief mich an und redete auf mich ein, dass ich sowas doch nicht machen könne, wir würden es uns doch nicht mit denen aus dem Dorf verscherzen wollen. Es kann doch nicht so schlimm sein, wenn ich wenigstens mal „Hallo“ zu Zwille sage, wenn er mal „kurz“ vorbeikommt. „Kurz“? In mir brodelte es, wie frech es von Zwille war, einfach bei Frederik anzurufen und sich bei ihm zu beschweren, dass ich keine Zeit für ihn hätte. Als wenn Frederik auf seiner Arbeit nichts Besseres zu tun hätte. Aber viel schlimmer fand ich eigentlich die Sichtweise von Frederik. Er musste schließlich nicht „kurz“ das Gespräch mit Zwille führen und zu jeder Temperatur „kurz, für etwa drei Stunden“ draußen stehen. Aber er hatte ja irgendwie trotzdem auch Recht. Hier auf dem Land ist es halt vielleicht einfach so, da muss man sich vielleicht einfach anpassen? So war ich also wieder brav und ging zu Zwille nach vorne ans Tor und lauschte wieder den täglich gleichen Klängen. Egal wie bitterkalt es auch war, ich hatte stets lieber draußen gefroren, als Zwille ins Haus einzuladen.

Ein paar Tage später kam Frederik mit schlechter Laune nach Hause, irgendwie war es wohl ein stressiger Arbeitstag. Einen stressigen Tag hatte ich allerdings auch, ich war mal wieder steif gefroren und konnte kaum die Finger beugen vor Kälte. Der Haushalt kam an dem Tag auch etwas „kurz“. Frederik war muffelig, als er sah, dass ich die Wäsche noch nicht erledigt hatte und fragte mich zynisch, was ich denn den lieben langen Tag so machen würde. Tick Tick Tick – Boom! Da platze mir die Hutschnur inklusive Geduldsfaden und ich konterte ebenso zynisch zurück, dass ich mich, wie er es von mir immerhin verlangte, brav die ganze Zeit mit Zwille unterhalten hatte! Zack – Ruhe!

Mit der Zeit konnte ich sogar schon das Motorengeräusch von Zwilles Wagen von dem Geräusch anderer Autos gut unterscheiden. Bereits von Weitem erkannte ich es und nutzte, sofern es mir möglich war, den Vorsprung, um ins Haus zu verschwinden oder einfach das Weite zu suchen. Manchmal sprang ich schnell ins Auto und tat so, als würde ich gerade zufällig jetzt wegfahren müssen. Wenn ich dann zurückkam hing wieder etwas am Zaun, mal kleine Pflanzen, mal Obst oder Gemüse. Dann hatte ich schon wieder ein schlechtes Gewissen, dass ich mich eigentlich so mies gegenüber Zwille verhielt. Doch das schlechte Gewissen musste mich nicht lange quälen, denn kaum war ich zurück, kam Zwille ja schon wieder angefahren. Diese Zufälle kamen mir ab und an schon gruselig vor. Beobachtete er mich etwa? Ich wischte diesen Gedanken rasch weg. Solch ein Unsinn, das ginge ja nun wirklich zu weit, oder? Und schon hatte ich wieder ein schlechtes Gewissen. Wie kann ich so schlecht von ihm denken?

Irgendwann, in einem der täglich eher belanglosen Gespräche zwischen Zwille und mir, erzählte ich ihm, dass unsere Heuqualität von Woche zu Woche immer schlechter werden würde. Wir bekamen einmal die Woche einen Heuballen geliefert. Der Heulieferant lagerte die Heuballen nicht ein, sondern ließ sie einfach bis zum Verkaufstag bei Wind und Wetter auf der Wiese liegen. Je weiter das Jahr voranschritt, umso schlimmer wurden die Lagerspuren im Heu, bis dass sich sogar erbsengroße Schimmelpilze im Heu fanden und die Ummantelung schwarz vom Schimmelbefall war. Aber wir hatten keine Unterbringungsmöglichkeit bei uns auf dem Hof, um den Jahresbedarf gleich nach der Ernte selbst trocken einzulagern. Zwille verkaufte nur Stroh und kannte auch niemanden, der uns besseres Heu hätte liefern können. Es dauerte aber nicht lange, da hatte Zwille eine tolle Idee. Er rief mich an und sagte völlig begeistert, dass er mir unbedingt etwas zeigen müsste. Er würde gleich vorbeikommen und mich abholen. Das begeisterte mich erstmal nicht sonderlich, denn ich hatte noch einiges an Arbeit vor mir, aber ich war neugierig und willigte ein. Ich wäre ja ohnehin nicht drum herum gekommen. Bis heute kann ich dieses Gefühl nicht vergessen, das mich umschloss, als ich in sein Auto stieg. Es war mir nicht gleich klar, warum es so war, aber ich fühlte mich völlig beklemmt, als wenn mir die Luft abgeschnürt werden würde. Zwille wollte mir freudig etwas zeigen, aber ich fühlte mich in dem Moment, als die Autotür sich neben mir schloss, regelrecht hilflos ausgeliefert. Zwille war doch in dem Sinne kein Fremder für mich und war doch auch immer freundlich zu mir, dennoch war dieses unangenehme Gefühl einfach da. Mein Magen zog sich zusammen. Ich schaute mich im Wagen um und stellte überrascht fest, dass das Auto penibel sauber war. Kein Staub auf dem Armaturenbrett, die Fenster geputzt, die Sitze sauber wie bei einem Neufahrzeug, nicht ein Krümel im Innenraum, einfach nichts, was auch nur annähernd darauf schließen ließ, dass dieses Auto einem Bauern gehören würde. Von solchem Zustand konnte mein Auto nur träumen, fuhren hier doch regelmäßig Schäfchen, Ponys, Hunde und sonstiges Getier im Auto mit. Fühlte ich mich vielleicht deshalb so unwohl? Ich schämte mich schon fast, mit meiner Stalljacke in das Auto gestiegen zu sein und hoffte, dass ich kein Schmutzkrümel von meinem Schuh verlieren würde. In mir stieg unweigerlich die Frage hoch, wie das Auto so sauber bleiben könnte, wenn Zwille doch angeblich täglich so viele landwirtschaftliche Tätigkeiten rings um unser Haus herum zu tun hatte? Hatte er sein Auto vielleicht extra für heute geputzt? Zwille fuhr mit mir zum Nachbargrundstück, welches seit Jahren unbewohnt war. Zwille zeigte mir den riesigen Vorgarten, der vor dem Haus lag und führte sich dabei fast schon wie der Hausherr dieses Grundstücks auf. Es war mir unangenehm, auf dem Grundstück von Fremden herumzulaufen, ohne zu wissen, ob es den Eigentümern überhaupt recht oder gar bewusst war, dass ich als Fremde dort einfach eine Führung erhielt. Dann führte Zwille mich zielstrebig ins Haus. Er zeigte mir jedes Zimmer, von der Küche bis zum Schlafzimmer. Bei jedem neuen Raum dachte ich immer wieder, was er mir hier eigentlich zeigen wollte und wartete bei jedem neuen Raum auf die von ihm angekündigte Überraschung. So wie Zwille sich hier aufführte, erweckte es beinahe den Eindruck, als wenn ein Mann seiner Frau das neu erworbene Liebesnest präsentieren würde. Ich fühlte mich völlig deplatziert und bohrte ungeduldig nach, warum er mich hierher gebracht hätte, warum er mir das alles zeigen würde? Er eilte sich nun: „Ja, nur noch kurz, dit wollt ick dir nur schnell zeigen. Aber wir jehn mal nach hinten, dit wollt ick dir noch zeigen.“ Er führte mich nun in den Garten hinterm Haus. Er schlenderte mit mir an einem Bienenwagen vorbei, welchen er mir natürlich auch noch ausführlich präsentieren musste. Er zog nahezu jede Wabe heraus, um sie mir fast schon stolz zu zeigen. Zwille war nicht zu bremsen und während ich wie gewohnt zuhörte, plauderte er unaufhörlich weiter, plauderte über die Hausbesitzer, deren Familienverhältnisse, warum das Haus überhaupt leer stand, dass sie ihm das Haus wohl zum Kauf anboten. Huch, jetzt war ich wach! Oh weh, Zwille war ohnehin schon ständig anwesend, aber ihn jetzt noch als direkten Nachbarn zu haben, das könnte ich wohl kaum ertragen. So nett wie er auch war, das hätten meine Nerven nicht mitgemacht. Es war aber auch wirklich sehr anstrengend mit ihm und diese seltsame Vorführung hier bewies es mir erneut, dass ich ihn nicht unbedingt als neuen Nachbarn in Sichtweite haben wollte. „Ach Zwille…“, meldete ich mich nun zu Wort, „Du hast doch schon ein Haus, was willst Du denn nun noch ein weiteres haben? Denk doch mal darüber nach, ob das finanziell überhaupt sinnvoll ist und die ganze Arbeit, die dann doppelt anfällt. Denk dran, Du hast nur einen Hintern und kannst damit nur in einem Haus sitzen, oder?“ In dem Augenblick, als ich diesen Satz ausgesprochen hatte, biss ich mir gleich auf die Zunge. Er wird doch wohl nicht die Idee haben, hierher zu ziehen? Zwille jonglierte nun mit seinen Gedanken umher, wie praktisch es wäre, wenn er hier im Dorf so nah bei der Mutter wohnen könnte, und das Haus wäre ja viel schöner und größer. „Aber auch viel teurer“, warf ich hastig ein. Doch Zwille schwärmte weiter und während ich hinter ihm her trottete, erwähnte er, wie romantisch die Lichter am Gartenteich in der Nacht leuchten würden. Romantisch? In der Nacht? Es war vermutlich gut, dass Zwille vorweg lief und mir in diesem Moment nicht ins Gesicht schauen konnte. In meinem Kopf ratterte es heftig, was bitte würde Zwille hier in der Nacht machen? Ein Kommentar dazu verschluckte ich aber lieber und folgte ihm nur weiter stillschweigend. Doch innerlich wurde ich immer angespannter und ich hatte wirklich keine große Lust mehr auf diese Wanderung durch ein fremdes Haus und über ein fremdes Grundstück. So versuchte ich erneut, Zwille nun endlich zum eigentlichen Thema zurückkommen zu lassen. „Zwille, ich hab’ wirklich nicht so viel Zeit, sag mir doch mal, was Du mir eigentlich zeigen wolltest.“ „Naja warte mal ab“, sagte er und verschwand quasi zwischen zwei hoch gewachsenen Hecken. „Komm’ mal mit, guck’ mal!“ Ich kämpfte mich ebenfalls durch das Gestrüpp, durch welches Zwille vorweg grade entschwand. Auf dem hinteren Teil des weitläufigen Grundstücks tauchten wie aus dem Nichts zwei große, graue, langgezogene Gebäude auf. Früher wurden diese Gebäude als Kuhställe genutzt, doch nun standen sie bereits seit vielen Jahren leer. Zwille war sichtlich stolz, als er mir diese Hallen präsentierte. Nun kam er mit seiner Überraschung raus, hier könnte ich mein ganzes Jahresheu unterstellen und bräuchte so nicht mehr das vergammelte und schlecht gelagerte Heu von der Wiese kaufen. Fast heroisch streckte er seine Hand präsentierend in Richtung der alten Ställe aus. Er platzte fast vor Stolz, als er mir diese Idee vorstellte, und ich stand mit großen Augen vor ihm. Die Idee war ja wirklich großartig, aber wie käme er dazu, mir die Hallen anzubieten? Warum? Wieso? Zwille erklärte mir, dass er für das Nachbargrundstück nun die Hausmeistertätigkeit übernommen habe und im Gegenzug dazu die Hallen nutzen dürfe. Eigentlich wollte er seine Trecker in die Hallen stellen, doch die Einfahrtstore der Hallen seien wohl zu klein, sodass er mit seinen Treckern nicht hinein käme. Es wäre ihm auch zu viel Arbeit, die Hallen umzubauen, und somit wüsste er eigentlich nicht, was er mit den Ställen anstellen solle. Die Ställe lagen direkt neben seinem kleinen Gemüsebeet, welches er sich im letzten Jahr dort hinten angelegt hatte. Wenngleich er bei sich daheim einen Garten direkt an seinem Wohnhaus hatte, legte er sich einen kleinen Gemüsegarten hier im absoluten Niemandsland an, ohne Wasserzugang und so weit von Zuhause weg. Ich wurde aus ihm nicht schlau, ein komischer Kauz irgendwie. Da ist doch der Spritpreis für die ständige Fahrerei zur Versorgung des Gartens wesentlich höher, als wenn er sich das Gemüse im Laden kaufen würde. Fragen über Fragen, aber egal welchen Grund er dafür auch hätte, eigentlich ging mich das doch gar nichts an, darum wunderte ich mich nur still und hinterfragte das nicht weiter. Meine Gedanken kreisten um die Hallen und die Möglichkeit, dort Heu einlagern zu können. Das würde die Probleme lösen, doch wie sollten wir die großen Ballen von dort zu uns herüber bekommen? Zwilles tolle Idee wollte ich aber nicht gleich verwerfen und das Angebot am Abend mit Frederik besprechen. Frederik war von der Idee ebenfalls spontan angetan. Es brauchte also nur noch eine Lösung, wie wir die Ballen zu uns herüberbringen konnten. Uns war klar, dass wir solch eine tolle Möglichkeit so schnell nicht mehr bekommen würden und wurden gleich am nächsten Tag mit Zwille handelseinig. Für einen minimalen Obolus von 120 Euro im Jahr konnten wir eine Hälfte des ehemaligen Kuhstalls zum Lagern unseres Heus mieten.

Pro Woche benötigten wir mittlerweile einen Rundballen Heu für die Tiere. Die Kuhställe beziehungsweise nun Heuscheunen, die uns Zwille vermietete, waren beinahe einen halben Kilometer von uns entfernt. Über diese Strecke hätten wir spätestens im Winter keinen Ballen mehr von Hand zu uns rüber rollen können. Es musste nun also zügig eine passende Lösung für dieses Problem her. Es war an der Zeit, dass wir uns einen eigenen kleinen Traktor anschaffen wollten. Immerhin wuchsen auch die Arbeiten auf dem Hof, für die ein eigener Traktor nützlich sein würde, um diese mittlerweile alltäglichen Arbeiten bewältigen zu können. Eine Anschaffung würde sich also ohnehin lohnen. Nachdem wir einige Internetanzeigen durchsuchten, fanden wir einen alten Oldtimer Traktor, der uns passend vorkam: einen Geräteträger mit Namen RS 09. Frederik war ganz begeistert von dem merkwürdigen Trecker, der in meinen Augen eher wie ein Kinderklettergerüst aussah, beinahe wie ein seltsames Gerippe mit einem langen Stahlträgerbalken, an dem scheinbar die Räder nur seitwärts dran geschraubt wurden und der Sitz einfach auf dem Balken oben drauf gesteckt wurde. Einen Trecker stellte ich mir irgendwie anders vor. Seine schönsten Glanzzeiten hatte das Gerät längst hinter sich gelassen, soviel stand fest. Der Trecker war knallrot lackiert mit einem grau lackierten Frontheber und grauen Felgen. Frederik freute sich auf die Herausforderung, mit dem Trecker zu arbeiten, überschätzte aber scheinbar seine anfängliche Kompetenz auf dem Gebiet. Vom dem Moment an, als die beiden Verkäufer uns das Gerät vorführten, kamen mir Zweifel an dem seltsam anmutenden Trecker. Auf den ersten Blick sah er gepflegt und sauber aus. Sauber? Ein Trecker? Mir kam es komisch vor. Warum ist ein Trecker, mit dem angeblich noch gearbeitet wird, so sauber? Mir fiel auf, dass die Lackierungen überall, sogar über Kabel und Schrauben, scheinbar nur drüber gesprüht wurden. Ist das nicht so, als würde man etwas vertuschen wollen? Fast überall fehlten Schrauben und Bolzen oder es tröpfelte irgendwo eine Flüssigkeit heraus. Doch ich stand im Tal der Ahnungslosen, mit Trecker kannte ich mich so gar nicht aus. Darum fragte ich etwas kleinlaut nach, ob da nicht ein paar Schrauben fehlen und warum hier und da etwas heraustropfen würde. Ich wurde von den Männern belächelt. „Frauen!“ Mir wurde erklärt, dass das bei solch alten Geräten einfach so sei und durchaus immer so wäre, „dass da was tröpfelt“. „Das ist halt so“, hieß es. Ich hielt mich dann skeptisch zurück und hoffte, dass Frederik in seiner Überzeugung schon wissen würde, ob das alles so seine Richtigkeit hätte. Die beiden Verkäufer waren schließlich auch richtig nett. Gegen Aufpreis würden sie uns das Ding sogar nach Hause liefern. Prima, eine Sorge weniger, denn wir hätten auch nicht gewusst, wie wir den Trecker zu uns bekommen sollten. Also waren wir uns rasch handelseinig, und dies, obwohl Frederik das Ding nicht mal zur Probe fahren konnte. Komisch, bei Autos macht man das doch so, oder? Wir waren froh, dass man uns den tollen Trecker nach Hause liefern würde und wir schon bald unser Stroh und Heu selbst von der Scheune abholen könnten. Gleich am nächsten Tag brachten uns die freundlichen Verkäufer gegen Aufpreis den tollen, neuen Trecker. Sie ließen ihn von der Laderampe hinunterrollen und stellten ihn dort ab, wo er zum Stehen kam. Wir müssten nur noch etwas Getriebeöl aufkippen, hieß es. Das hätten sie für den Transport wohl abgelassen. Warum sie sich die Mühe machten, das Getriebeöl für den Transport abzulassen, erstaunte mich schon etwas, aber wie gesagt, ich war halt kein Kenner dieser alten Technik. Es würde sicherlich auch das geringste Problem sein, etwas Öl nachzuschütten. Frederik ließ sich zeigen, wo wir das Getriebeöl aufkippen mussten, und „schwupps“ waren die Herren zügig wieder weg. Da, wo der Trecker abgestellt wurde, blieb er dann auch die nächsten Tage stehen. Um genau zu sein, die nächsten Wochen. Irgendwie lief das Getriebeöl immer unten wieder raus, wenn wir es oben aufkippten. Komisch. Es lief irgendwie immer wieder aus allen Löchern, wo auch die vielen Schrauben und Bolzen zuvor von mir vermisst wurden. Also zogen wir los, um Bolzen und Schrauben in der passenden Größe, eine Dichtung und dazu noch Muffen, Dichtringe etc. zu kaufen. Und wenn man meinte, das wäre es jetzt gewesen, so kam ein neues „Und" dazu. Es kam, wie es kommen musste, wir beiden Stadtkinder waren die perfekten „Bauernopfer“ geworden und haben uns eine absolute Grotte andrehen lassen, die nur hübsch mit Farbe übergepinselt worden war. „Bauernblind“ nennt man das. Der Trecker war undicht und es lief quasi aus allen Ritzen, überall fehlten Teile und Dichtungen. Es war nahezu alles an dem Gerät defekt was nötig war, um den Trecker im Einsatz zu halten. Das war schlichtweg ein Reinfall. Doch da stand er nunmal, der Reinfall. Selbst wenn wir ihn nun wieder weggeben wollten, wir hatten ihn gar nicht vom Fleck weg bekommen. Frederik wurde nach und nach nun auch klar, was mir in meiner „Frauenlogik“ wesentlich schneller klar gewesen war: Der Trecker wird ein langes Bastelprojekt ohne tatsächlichen Nutzen. Es musste also rasch eine Alternative her. Hier kam der Wink des Schicksals und wir hatten Glück im Unglück. Zwischenzeitlich hatten wir wegen der immer schlechteren Heuqualität den Heulieferanten gewechselt. Der Kutscher hatte uns seinen Heulieferanten Hotte empfohlen. Ein Glücksgriff, denn wir bekamen jede Woche einen bedeutend besseren Heuballen von ihm geliefert als die vergammelten Dinger, die uns der vorherige Lieferant zumutete. Hotte fiel selbstverständlich gleich der Trecker ins Auge, als er unseren wöchentlichen Heurundballen lieferte. Wie es überhaupt dazu kam, dass nun auf unserer Wiese vor dem Haus dieser nutzlose Trecker stand, erzählten wir natürlich etwas peinlich berührt. Von dem Plan, nebenan gleich den ganzen Jahresvorrat einlagern zu wollen, waren wir immer noch begeistert. Hotte war in der Umgebung natürlich wesentlich besser vernetzt als wir und kannte zufällig jemanden, der ebenfalls einen RS09 verkaufen wollte. Der Trecker sei zwar nicht so ansehnlich, aber er wäre dafür zu 100% sofort funktional und würde treue Dienste leisten. Das sicherte uns Hotte zu, und diesmal hatte ich auch ein gutes Gefühl bei der Sache. Da Hotte uns bei dem Kauf Unterstützung zusicherte, gingen wir auf das Angebot ein und kauften also einen recht rostigen und unschönen RS09 dazu, welcher dafür aber tatsächlich zuverlässig funktionierte. Wie heißt es doch so schön: Aussehen ist nicht alles. Wir hatten nun einen (schönen) Trecker, der nichts taugte und einen hässlicheren Trecker, mit dem wir aber alles Nötige erledigen konnten.

Frederik nannte den Taugenichts von Trecker fortan „Styler“. Der taugte halt nichts, sah aber stylisch aus, wobei Schönheit immer im Auge des Betrachters liegt. Der Styler wurde Frederiks Projekt. In liebevoller Fleißarbeit begann er, ihn mühselig wieder flott zu machen. Bastelte Frederik früher gern an benzinbetriebenen, ferngesteuerten Modellautos herum, wurde das „Männerspielzeug“ nun deutlich größer. Für die anfallenden Arbeiten hatten wir das „Arbeitstier“ gekauft. Dem Plan, unser Heu in die schützenden Hallen einzulagern, stand nun also nichts mehr im Wege.

Wie aufregend war es, den ersten Ballen aus der Halle abzuholen. In dieser ganzen Vorfreude und Aufregung hatten wir irgendwie völlig vergessen, dass man für den Transport des Heurundballens nicht nur einen Trecker mit Frontheber benötigte, wie ihn unser Arbeitstier ja hatte, sondern dass an diesem Frontheber vorne auch eine Heugabel angebracht sein müsste, um den Heuballen daran aufspießen zu können. Das fiel uns aber erst auf, als wir vor den Rundballen standen. Völlig überfragt liefen wir um den Ballen und den Trecker herum und rätselten, wie wir diesen Ballen nun an den Hubarm bekämen. Als wir merkten, wie verplant wir waren, prusteten wir nur noch vor lauter Lachen los. Wenn uns jemand beobachtet hätte, wäre es sicherlich ziemlich peinlich gewesen. Städter! Nach all diesem Schlamassel standen wir nun völlig naiv vor diesem Ballen und hatten zwar einen Trecker, sogar einen Trecker mit Hubarm, hatten auch einen Heuballen, aber immer noch keine Ideallösung für den Transport, da uns die Mistgabel am Hubarm fehlte. Es war einfach zu komisch, eigentlich hätte alles so einfach sein können. An diese blöde Gabel hatte keiner von uns gedacht und Hotte wie es scheint auch nicht. Doch wir brauchten den Ballen nun für die Tiere und konnten nicht noch länger warten, bis wir eine passende Heugabel für den Trecker irgendwo auftreiben konnten. Darum nahmen wir einfach ein paar Spanngurte zur Hand und zurrten den Ballen am Hubarm des Treckers fest. Wir fotografierten dieses Ereignis natürlich für unser Jahresalbum und konnten es zwischendrin immer wieder selbst kaum fassen, dass wir zwei Berliner nun auf einem eigenen Trecker saßen und nun, auf eine recht seltsame Art und Weise, Heu zu unseren eigenen Tieren, auf unserem eigenen Hof transportierten.

Es fühlte sich so unglaublich an. Auf der Rückfahrt waren wir schon ein bisschen stolz auf uns, da war die Heugabel auch egal. Hätte uns jemand zwei Jahre zuvor gesagt, dass wir an diesen Punkt kämen, so hätten wir ihn vermutlich ausgelacht, so unwirklich und ungeplant verlief die Zeit bis dahin. Mit Gummistiefel und Trecker über Felder und Äcker, um die eigenen Tiere mit Futter zu versorgen.

Die angewachsene Tierhaltung stellte uns natürlich nicht nur vor die Herausforderung, die Tiere gut zu versorgen und unterzubringen. Wir mussten auch auf die Gesundheit und Gesunderhaltung der Tiere achten. Doch wo geht man mit einem Schaf oder einer Ziege zum Tierarzt? Wir kannten bis dahin nur den Kleintierarzt für Hund und Katze. Unser Stammtierarzt in der Stadt war natürlich auf Kleintiere spezialisiert, und der staunte nicht schlecht, als ich das erste Mal mit einem unserer Schafe hilflos in seiner Praxis stand. Im Wartezimmer saß mir eine Dame mit einem kleineren Hund gegenüber. Vermutlich dachte sie zunächst, ich sei mit einem großen, recht ungepflegt aussehenden Hund da. Diese Annahme verflog schockartig, als meine schwarze Dolly plötzlich ein lautes „Mähhhhähäh“ von sich gab. Ihr Hund sprang der Dame vor Schreck auf den Schoß, und sie stieß einen lauten Quietscher vor Schreck aus. „Das ist ja ein Schaf“, begann sie zu lachen und wollte sogleich Dolly streicheln.

Im Laufe der Zeit fanden wir glücklicherweise auch die passenden Tierärzte auf dem Land, welche auf Hoftiere spezialisiert waren und auch zu uns nach Hause kamen. Auch Schafe und Ziegen benötigen regelmäßige Impfungen, Wurmkuren und tierärztliche Kontrolluntersuchungen. Warum ich Ziegen aufzähle? Nun, weil unsere kleine Familie stetig wuchs und wir auch ein paar Ziegen bei uns aufnahmen. Die Ziegen konnten wir vor der Schlachtung bewahren und aus einer schlimmen Haltung herausholen. So bekamen wir zwei erwachsene Milchziegen und immerhin sieben kleine Flaschenlämmchen, die noch mit der Flasche aufgezogen werden mussten. Die kleinen Flaschenlämmchen bekamen mehrfach am Tag ihre warme Milchflasche. Die Mütter der Lämmchen wurden für kommerzielle Ziegenmilchproduktion gehalten, und die Lämmer sind für die meisten Produzenten einfach nur ein Abfallprodukt, welches sich schlecht vermarkten lässt. Sie sollten auf den Transport für die Resteverwertung geschickt werden. Im letzten Moment konnte ich zumindest sieben von über vierhundert dieser kleinen Zicklein abkaufen und zu mir nehmen. Die beiden großen Milchziegen hatte ich aus einer richtig schlechten Haltung abgekauft. Beide Ziegen standen hochtragend, also schwanger, in einem völlig verdreckten Verschlag. Die Ziegen versanken bis zu den Knien im eigenen Dreck. Der Pferch, in dem sie beide standen, hatte gerade mal die Größe von einem Meter Breite mal zwei Meter Länge. Eine Fläche so groß wie ein Einzelbett wurde für zwei dickbäuchige, schwangere Ziegen genutzt. Wie so oft wurden die Tiere in einem Nebengebäude gehalten. Ohne Tageslicht, dunkel und nasskalt war es da drinnen und die Luft war stickig und ätzend. Die Ziegen standen im eigenen, von Urin durchnässten und matschigen, Kot. Mir trieb es die Tränen in die Augen. Dort fristeten die beiden Ziegen dicht gedrängt nebeneinander ihr Dasein. Die Geburten ihrer Lämmchen standen kurz bevor und die dementsprechend dicken Bäuche wölbten sich weit zu beiden Seiten. Die zwei konnten sich kaum drehen geschweige denn sauber ablegen, um ihre Lämmer auf die Welt zu bringen. Nach ein paar Verhandlungen mit den Besitzern war ich um zwei hochschwangere Milchziegen reicher. Der Tierarzt hatte an uns also einen guten Kunden gefunden.

Wenn ich morgens nun meine Stallrunde startete, blickten mich ab sofort zusätzlich mehrere Ziegenäuglein erwartungsvoll an. Einige in Erwartung von warmer Milch und andere in Erwartung, dass vielleicht gleich etwas Schreckliches geschehen könnte. Immerhin sind Menschen diesen Tieren nicht immer freundlich und gutherzig gegenüber gewesen. Mit einem Namen für jede Ziege sollte nun auch ein neuer Lebensabschnitt beginnen. Sie waren keine Nummern mehr, die ihnen mit einer Plastikmarke betäubungslos in die Ohren gestanzt wurden. Sie waren, wie es die Namen verrieten, geschätzte, kleine Persönlichkeiten, die ab sofort zu uns gehörten. Es dauerte eine Weile, bis die trächtige braune Alma sich auch nur annähernd angstfrei in unserer Nähe wieder zu atmen traute. Immer wieder stand sie mit angsterfüllten, weit aufgerissenen Augen in der Ecke und gab schnaufende Grunzgeräusche von sich. Bei Ziegen ist dies ein Zeichen von Unwohlsein und Unsicherheit. Zu Alma bekam ich erst einen annähernden Kontakt, als ich ihr Geburtshilfe bei ihren Lämmchen leisten musste. Sie blieb zwar noch über Monate zurückhaltend und skeptisch, aber wir konnten uns zumindest mit Leckereien im Stall blicken lassen, ohne dass sie vor lauter Angst das Atmen einstellte. Die cremeweiße Ziege nannten wir Emma. Mit den passenden Leckereien war sie für Bestechungen wesentlich empfänglicher als Alma und schneller zugänglich. Ihre Lämmchen kamen nur wenige Tage vor Almas Lämmchen auf die Welt und für die Geburtshilfe schien Emma sehr dankbar zu sein.

Es war ein wunderbares Erlebnis, die Geburten der Lämmer zu begleiten. Wenn sich die kleinen Lämmchen mit großen Kulleraugen in einer großen, weiten Welt plötzlich wiederfinden und mit großen Kulleraugen um sich blicken, wackelig und zitternd die ersten Stehversuche unternehmen.

Wenn so kleine freche Ziegen ihre Welt erkunden, ist Spaß vorprogrammiert. Frederik begann den Ziegenstall umzubauen. Es machte uns richtig Spaß einen Stall zu konstruieren, der selbst bei schlechtem Wetter den Ziegen ausreichend Platz und Spielspaß bieten würde. Da wir die Grundfläche nicht erweitern konnten, baute Frederik kurzerhand eine zweite Etage mit Treppenpodesten und einem Dreietagenturm mit Ausguckfenster für die Ziegen. Einer Galerie, von der sie in den unteren Stall hinuntergucken konnten und Schlafboxen in verschiedenen Stallabteilungen, sodass die Ziegen auch ihre Rückzugsplätze fanden, wenn sie ihre Ruhe haben wollten.

Ziegen sind ebenso wie Menschen soziale Lebewesen und brauchen ihre Rückzugsmöglichkeiten und sogar etwas Privatsphäre. An die Eingänge der Schlafboxen hingen wir deshalb jeweils noch eine Decke davor. Somit waren die Schlafboxen nicht nur ein Stück weit separiert, sondern sie waren zudem besonders im Winter kuschelig warm. Auf den Boxen fanden die Ziegen eine schöne, begehbare Aussichtsplattform, von der sie entweder aus eines der Fenster hinausgucken oder sich einen besseren Überblick über die benachbarte Stallbox verschaffen konnten. Unser Ziegenstall verfügte natürlich auch über eine separate Krankenbox, falls eine Ziege Rotlicht oder besondere Ruhe benötigte. Aber meist standen alle Türen offen, sodass die Ziegen sich im kompletten Stall frei bewegen konnten. Wie es der kleinen Ziegenseele gerade beliebte, konnte sie entweder im Stall umhertoben oder durch die Ziegenklappe in den Ziegenauslauf einen Ausflug starten. Dass der freizügige Ziegenauslauf über einen eigenen Spielplatz verfügte, muss ich wohl kaum erwähnen. Frederik fand richtig Gefallen daran, sich an den neuen Ideen für das Ziegenparadies baumeisterlich auszutoben und die Ziegen fanden einen großen Spaß daran, diese Bauwerke in Benutzung zu nehmen. Von Wackelbrettern, Balancierbalken, einem Hochhaus mit Aussichtsplattform, einer Hängebrücke oder einfach nur den begehrten Sonnenbänken. Es gab Ruhezonen und Erlebnisbereiche. Ich denke, das hatte den Ziegen wirklich gut gefallen.

Eines der kleinen Flaschenlämmchen erhielt den Namen Nathalie. Eigentlich suchte sie sich den Namen selbst aus. Während ich einige Namen vor mir her sprach, reagierte sie plötzlich auf Nathalie. Sie mochte scheinbar den Klang des Namens und antwortete bei jedem Nathalie mit einem aufgeweckten „mh mh mh“. Schon am ersten Tag hatte sie begriffen, dass ich für ihre Milch zuständig war und begrüßte mich immer stürmisch und gierig suchend, wo ich wohl die heißersehnte Milchflasche versteckt haben könnte. Auf ihrem schwarzen Kopf wölbten sich bereits oberhalb des kleinen weißen Sterns auf ihrer Stirn ihre kleinen Hörnchen, welche zu wachsen begannen. Ihre seitlich vom Kopf abstehenden, weißen Ohren waren an den Enden etwas deformiert. Liebevoll habe ich sie immer mein kleines „Knopelöhrchen“ genannt. Als die kleinen Lämmchen zu mir kamen, war es zum Jahresanfang noch winterlich kalt. Es war sogar einer der Winter, der die Landschaft mit Schnee und Frost überzog.

Dort, von wo ich Nathalie abholte, stand sie mit vielen anderen, von der Mutter bereits getrennten Lämmchen, in einer Box zusammen. Vermutlich war eines der anderen Lämmchen auf der Suche nach Milch und bekam immer wieder einen Ohrzipfel eines anderen Lämmchens in die Schnute. Es saugte und nuckelte vergeblich an den Ohrzipfeln, aber es kam einfach keine Milch heraus. Da die nass genuckelten Ohrspitzen nun in der winterlichen Kälte gefroren, musste Nathalie durch diese Erfrierungen ihre Ohrspitzen einbüßen. Die Ohren knickten am Ende wie ein Schlappohr ab und durch die Erfrierungen vernarbte ihr rechtes Ohr so sehr, dass die Spitze sogar komplett verloren ging. Die Sorge, dass Nathalie ihre Ohren bei den starken Minustemperaturen vielleicht sogar ganz verlieren könnte, wenn der Frost weiter in die verletzten Ohren eindringen würde, war nicht unbegründet. So entschloss ich mich, im Haus einen extra hergerichteten Kinderlaufstall aufzubauen und Nathalie mit einem weiteren desolaten Flaschenlamm solange im Haus unterzubringen, bis die starken Minustemperaturen vorüber waren. Die Hunde waren von den außergewöhnlichen Besuchern sehr angetan. Bei jeder Flaschenfütterung standen sie alle rings um die Lämmer herum und schleckten die verschüttete Milch von den Lämmerschnuten.

Nathalie und Herrmann, das zweite Flaschenlämmchen, blieben selbstverständlich nicht die ganze Zeit über nur in dem kleinen Babystall. Sie brauchten Bewegung und ich musste täglich den kleinen Laufstall säubern können. Die Holztreppe in die erste Etage hinauf war ein Spielparadies für die kleinen, lebensfrohen Lämmchen. Nathalie hopste die Treppe hoch und wieder runter, und das Trappeln ihrer kleinen Füße hallte durchs ganze Haus. Treppe hoch und wieder runter, und wenn sie unten an den letzten drei Stufen angekommen war, wurde sie immer übermütiger und übte den Weitsprung. Mit einem gekonnten Satz sprang sie auf den Läufer, der zu ihrem Vergnügen noch ein Stück weit mit ihr darauf den Flur entlang rutschte. Herrmann war da etwas gemütlicher unterwegs. Einmal Treppe hoch und wieder runter genügte ihm.

Herrmann bevorzugte es, mit den Hunden vor der Heizung in dem großen Hundebett gemeinsam zu kuscheln oder gemütlich durchs Haus zu schlendern, auf der Suche nach interessanten Objekten. Er „beschäftigte“ sich mehr mit ruhigeren Dingen. Den Wäschekorb zum Beispiel bis zur letzten Socke auszusortieren und die Kleidungsstücke dann im Haus zu verteilen. Sogar hinter der Toilette fand ich einmal eine Unterhose oder in der Dusche ein T-Shirt. Erst, wenn der Korb komplett geleert und umgeworfen war, ging es an die Küchenschränke oder auf die Fensterbänke, um nach draußen zu schauen.

Herrmann hatte einen schlechten Start in seinem bis dahin noch kurzen Leben. Er war bereits drei Wochen alt, als er zu uns kam, aber hatte die Körpergröße und das Gewicht eines frisch geborenen Lammes. Herrmanns Mutter hatte aufgrund mangelhafter Versorgung keine Milch und die Besitzer versuchten Herrmann und das Geschwisterchen mit H-Kuhmilch aus dem Tetrapack aufzuziehen. Sie machten sich hierbei leider nichtmal die Mühe, die Milch wenigstens zu erwärmen. Es versteht sich von selbst, dass dies keine geeignete Lämmeraufzucht ist. Wenn zudem die falsche Milch noch kalt gereicht wird, bekommt das Lämmchen unbeschreibliche Bauchschmerzen. Die Lämmchen kümmerten vor sich hin und waren dem Tod näher als dem Leben. Als am Morgen das Geschwisterchen von Herrmann tot im Stall lag und Herrmann keine Milch mehr annahm, durfte ich das im Sterben liegende Herrmännchen abholen. Der kleine Fratz war eiskalt, nahezu regungslos, als ich ihn auf den Arm nahm. Rasch öffnete ich meine Jacke ein Stück, um ihn darunter mit meiner Körperwärme etwas aufzuwärmen. Er war so klein und so schwach, blinzelte mich aber noch trotz völliger Entkräftung mit seinen halbgeschlossenen Augen unter der Jacke hervor an. Sein dunkelbraunes Gesicht war mit einer breiten, weißen Blässe durchzogen. Seine kleine, rosafarbige Nase war blass, nahezu blau gefroren und von den zwanghaften Fütterungsversuchen der Besitzer mit alten Milchresten verschmiert. So wie Nathalie weiß-schwarz gefleckt war, so war Herrmann dunkelbraun-weiß gefleckt. In dem weißen Rückenfell sah ich ein paar Haarlinge umherkrabbeln, die ihm zusätzlich zu schaffen machten. Bei den Beinen war ich mir noch nicht sicher, ob sie eigentlich weiß waren oder tatsächlich dunkelbraun. Unter dem Schmutz war das nicht zu erkennen.

Später zeigte sich, dass eigentlich fast der ganze Körper weiß war, nur Hals und Kopf waren braun. Der Rest war abwaschbar.

Als erstes musste er wieder auf eine gute Körpertemperatur gebracht werden und etwas körperwarme Infusion bekommen. Es brauchte gut sechs Wochen, bis wir Herrmann als wirklich stabil bezeichnen konnten und uns sicher waren, dass wir ihn durchbekommen würden. Unser Leben drehte sich um diese kleinen Tierchen, wie sich vielleicht anderswo das Leben um den eigenen Nachwuchs dreht. Die Tage waren voller Sorgen um das Wohl der Kleinen, aber dennoch von unbeschreiblichen Glücksgefühlen erfüllt, wenn sie wieder einen Tag näher an ein unbeschwertes Leben heranrückten.

Die Küchenfronten sicherte ich mittels Kindersicherungen und die Blumen rettete ich rechtzeitig von den Fensterbänken.

Ohne Zweifel war es eine aufregende und auch aufreibende Zeit, aber unter keinen Umständen möchte ich diese außergewöhnlichen Erlebnisse in meinem Leben missen. Sobald das Babyställchen im Wohnzimmer wieder sauber und mit frischem Stroh weich aufgebettet war, war das Schlummerland für Nathalie und Herrmann auch nicht mehr weit entfernt.

Mit dem Schlaf der Zickelchen kehrte dann auch wieder etwas Ruhe im Haus ein. Den beiden beim Träumen zusehen zu können, war ein Gefühl von Zufriedenheit und Glück.

Endlich zogen sich Schnee und Frost zurück, die Zickleins zogen in den Stall um und der Frühling mühte sich damit, endlich warme Tage folgen zu lassen. An einem schönen, sonnigen Tag war es dann soweit: Unsere kleine Ziegengruppe sollte ihre Jahresimpfung und eine Entwurmung bekommen. Der Tierarzt war zum vereinbarten Termin gekommen, und wir wollten nur noch rasch das genaue Vorgehen besprechen, bevor sich der Tierarzt im Stall zeigt und somit die Tiere in Schrecken versetzt.

Die Ziegen kannten den Tierarzt nun schon genau, denn wer ihnen einmal eine Spritze gibt, wird so rasch nicht vergessen. Obwohl er es mit den Tieren immer gut meinte, hatten die Ziegen eine ganz eigene Meinung von ihm. So musste sich der Übeltäter nur zeigen, allein seine Stimme verriet ihn bereits von Weitem, und die Ziegen wussten sofort, dass wir einfach nichts Gutes im Schilde führen können, wenn dieser Mann mit im Stall auftaucht. Also entschieden wir uns, vorab alles Wichtige nicht im Stall, sondern noch im Garten zu besprechen, um die Ziegen nicht zu beunruhigen.

Wir standen vor dem Küchenfenster und unterhielten uns, als unser Gespräch durch das Klingeln meines Telefons unterbrochen wurde. Als ich es ans Ohr nahm, ertönte umgehend lauthals und zornig Zwilles krächzende Stimme: „Wat ist dit denn für ein Typ, der da neben dir steht“, krawallte er mir entgegen. Ich wusste gar nicht, wie mir geschah und sah mich verdutzt um, ohne auch nur etwas aus Verwunderung äußern zu können. Der Tierarzt und ich befanden uns vor dem Küchenfenster des Hauses, an einer Position auf dem Grundstück, welche von allen Seiten her von außen nicht einsehbar war. Von der Straße aus hätte uns niemand dort stehen sehen können, da das Haus die Sicht auf unseren Standort verdeckte. Ringsum war zudem kein öffentlicher Zugang, welcher einen Blick auf unseren Garten erlaubt hätte. Nach hinten vom Grundstück weg, also rückseits des Hauses, befand sich nur unser eigenes Grundstück. Es war für mich also völlig unerklärlich, wie Zwille „den Typen“ überhaupt neben mir hätte stehen sehen können. Ich sah mich immer noch verstört um, als Zwille nachlegte und weiter schimpfte: „Du brauchst jar nich lügen, ick sehe dir und den Typen janz jenau!“ Er brüllte so laut ins Telefon, dass der neben mir stehende Tierarzt problemlos alles mithören konnte. Er schien in dem Moment wohl darüber nachzudenken, in welche Situation er nun hineingeraten sein könnte. Das ging so nicht und ich fragte Zwille, was ihm einfallen würde und wo er jetzt gerade sei. Zwille prahlte damit, dass er sich auf unserem Grundstück hinterm Haus befinden würde, natürlich rein zufällig. Da stand er nun auf einem kleinen Hügel, zufällig mit dem Fernglas in der Hand, um besser sehen zu können. Das war doch kaum zu fassen, und ganz ehrlich, das ging mir auch wirklich zu weit. Während es sich anfühlte, als wenn ich vor dem Tierarzt gleich vor Scham im Boden versinken würde, zog ich einen ernsten Ton bei Zwille an. Ich gab ihm höfliche, aber deutliche Worte mit auf den Weg, dass ich das definitiv nicht gut finde. Dass, wenn mein Freund Frederik sowas machen würde, ich schon die Ohren anlegen würde, aber was würde Bitteschön IHM einfallen, auf unserem Grundstück zu stehen und mir nachzustellen? Zwischen Empörung und Anflug von Wut war ich wirklich hin- und hergerissen und sagte zu Zwille, dass es ihn doch gar nichts angehe, wer hier zu Besuch kommt und er solle sich nicht ungefragt auf unserem Grundstück rumtreiben! Nun wurde Zwille etwas kleinlauter, und seine Stimme wurde deutlich zurückhaltender: „Na, ick wollt ja nur auf dir aufpassen…“, stammelte er. „Nein, aufpassen kann ich sehr gut auf mich alleine“, motzte ich zurück. Trotzdem fühlte ich mich irgendwie dazu genötigt, ihm zu erklären, dass er beruhigt sein könne. Mein Besucher sei der Tierarzt, und er sei hier, um die Ziegen zu impfen, also kann er sich nun von unserem Grundstück entfernen. Mit ernstem Ton sagte ich noch, dass sowas zukünftig nie wieder vorkommen sollte! Danach legte ich einfach auf, ohne ein weiteres Wort von Zwille abzuwarten. Warum hatte ich mich gerade dafür gerechtfertigt, wer hier jetzt bei mir war? Sofort ärgerte ich mich über mich selbst. Warum hatte ich mich ihm gegenüber überhaupt erklärt? Aber viel Zeit blieb nicht, die Ziegen sollten behandelt werden und ich wollte den Tierarzt und auch mich aus dieser blöden Situation so rasch wie möglich herausnehmen und zur Tagesordnung übergehen.

Es war das erste Mal, dass ich doch etwas ernsthafter darüber nachdachte, dass Zwilles Verhalten so nicht normal sein kann. Landleben hin oder her, aber diese Aggression und Wut darüber, dass ich auf meinem Grundstück mit einem für ihn fremden Mann eine Unterhaltung führe, das war in meinen Augen völlig daneben. Was hatte er überhaupt auf unserem Grundstück zu suchen, und warum beobachtete Zwille mich, und dann noch mit dem Fernglas? Obwohl es mich doch sehr ärgerte, verdrängte ich diesen Gedanken und dachte, dass ich mich am Telefon wohl so unmissverständlich ausgedrückt hatte, dass es nun sogar Zwille verstanden haben sollte, dass er übers Ziel hinausgeschossen war. Es vergingen ein paar Tage, und für Zwille schien alles wie gehabt. In den weiteren Kontakten thematisierte ich diesen Vorfall nicht weiter, aber es lag mir noch deutlich im Magen. Zwille hingegen hing mir weiter seine Radieschen an den Zaun, brachte wieder Obst und Gemüse, wann immer er konnte. Ich nahm an, dass er es aus einem schlechten Gewissen heraus tat und dies seine Art der Entschuldigung war. Also wollte ich es damit auch gut sein lassen.

Da ich mit meiner Arbeit auch viel von Zuhause aus arbeiten konnte oder auch musste, verbrachte ich viel Zeit im Arbeitszimmer am Computer. Für eine regionale Zeitung schrieb ich regelmäßig eine Ratgeberseite zum Thema Tiere. Rund ums Tier gab ich Tipps und Auskünfte, wenn es zu Kommunikationsproblemen zwischen Halter und Tier kam. So saß ich oft mehrere Stunden am Rechner und arbeitete oben unter dem Dach diverse Artikel durch. Als langsam aber sicher die Zeilen auf dem Bildschirm vor meinen Augen zu verschwimmen drohten, war es Zeit für eine kleine Pause. Ich öffnete das Dachfenster und genoss die frische Luft, die ins Zimmer strömte. Was für ein toller Ausblick! Man öffnet das Fenster und blickt auf das eigene Grundstück. Nirgends ein Haus in Sichtweite, egal aus welchem Fenster man auch blickte, man sah nur Natur ringsum. Ich genoss diesen Ausblick und den Moment der Ruhe. Vor unserem Dachfenster erstreckte sich ein knapper Hektar eigener Wald, der sich aus Büschen, Bäumen und Sträuchern zusammensetzte. Ein Paradies für Tiere.

Völlig unerwartet riss mich das Klingeln meines Mobiltelefons aus der Schwärmerei. Zwille war dran. „Nich, dat de denkst, ick beobachte Dir, weil ick hier unten stehe…“ Ich war nicht nur völlig verwundert, sondern auch verunsichert, denn ich sah niemanden. Doch das wollte ich mir jetzt nicht anmerken lassen und tat so, als wenn ich ihn gesehen hätte, bohrte darum gleich nach, was ich denn denken soll, wenn er da steht? Meine Augen suchten die Umgebung weiter ab, aber ich konnte ihn nicht entdecken. Trotzdem legte ich weiter nach, warum er überhaupt schon wieder auf unserem Grundstück stehen würde. Ich dachte, das hätten wir schon geklärt? „Ne, dit war ja nur Zufall, ick wollt ja nur mal watt gucken, hat aber nüscht mit Dir zu tun.“ So so, also da geht das Fenster auf und umgehend kommt der Anruf von ihm, dass er mich zwar nicht beobachtet, aber es trotzdem sofort sieht, wenn sich das Fenster öffnet und ich am Fenster stehe? Was genau er nun schon wieder auf unserem Grundstück gucken wollte, gab er aber auch nicht preis. Es interessierte mich auch herzlich wenig. Ich forderte ihn abermals auf, unser Grundstück zu verlassen und nun auch endlich nicht mehr ungebeten unser Grundstück zu bewandern! Ganz gleich, was andere sagen, was andere für Entschuldigungen vorbringen mögen, ich fand dieses Verhalten nicht normal und unheimlich fand ich es langsam auch. Auch wenn ich es mir nicht eingestehen wollte, es beunruhigte mich doch sehr und ich ertappte mich selbst dabei, wie ich von Tag zu Tag immer wieder die Gegend genauer im Blick behielt, den Wald mit Blicken absuchte und doch immer wieder mal genauer hinsah, wenn Zwille nahte. Dieser Vorfall zeigte mir deutlich, dass nur weil ich ihn nicht sah, es nicht bedeutet, dass er nicht da ist. Als „Berliner Pflanze“ war ich doch so einiges an seltsamen Gestalten gewohnt. Ich dachte, dass mich so rasch nichts aus der Ruhe bringen könnte, doch die Unsicherheit nagte und kratzte nun geduldig seine kleinen Kerben in mein „dickes Fell“ hinein. Die häufige und tägliche Präsenz von Zwille wurde mir nicht nur immer lästiger, sondern auch immer unheimlicher. Es war schon seltsam, dass er täglich kam, von so weit her, immer ohne seine Frau, immer wenn Frederik nicht da war, immer rings um das Haus aktiv war. Oder bildete ich mir das jetzt nur ein? War ich zu empfindlich?

In den nächsten Tagen beschlich mich immer wieder ein ungutes Gefühl. Selbst wenn ich Zwille nicht sehen konnte, ging er mir im Kopf umher. Immer wieder ertappte ich mich dabei, wie ich teils unbewusst damit begann, die Umgebung abzusuchen, sobald ich das Haus verließ. Sobald ich spürte, dass ich mich beklemmt fühlte und mir unheimlich zu Mute wurde, ärgerte ich mich über mein eigenes Verhalten. Es kann doch nicht sein, dass ich mich von solch einem blöden Vorfall dermaßen verrückt machen lasse! Zumal das doch nur ein paar merkwürdige Unarten eines dummen Bauern sind, denen ich vielleicht zu viel Gedanken schenke. Ich versuchte, mich selbst zu beschwichtigen und diese ärgerlichen und unheimlichen Situationen abzuschütteln oder sie herunterzuspielen. Doch jedes Mal, wenn Zwille wieder auftauchte, kam dieses Gefühl sofort wieder in mir auf und es widerstrebte mir, mich mit ihm noch weiter am Zaun zu unterhalten. Nach und nach zog ich mich immer weiter zurück. Doch das war nicht so leicht wie gedacht. Zwilles übliche Marotten, das ständige Anfahren, Wegfahren, Zurückkommen und wieder minutenlang vor dem Haus zu parken, ließen auch weiterhin nicht nach. Es machte den Eindruck, als würde er nun, wo wir unser Jahresheu in den Hallen eingelagert hatten, der Meinung sein, dass er eine Art „Anspruch“ auf mich und meine Zeit hätte.

Ganz gleichgültig wie sehr ich mich auch ärgerte, um die Gespräche mit Zwille kam ich auf Dauer nicht herum. Er hatte schließlich auch so viel für uns getan. Jetzt, da das Heu in seinen Scheunen lagerte, wollte ich auch nicht undankbar wirken. Natürlich kostete es mich oft meinen letzten Nerv. Zudem darf man nicht vergessen, dass jeder mal gute Tage hat und dann auch wieder seine schlechten. Mir stand es doch ebenso zu, einen schlechten Tag zu haben und nicht immer nur nach den Vorlieben anderer funktionieren zu müssen. In meiner Arbeit als Tierpsychologin musste ich schließlich auch sehr oft schlimme Tierschicksale ertragen, zum Beispiel, wenn das angebliche Problemtier eigentlich einwandfrei war und nur das riesige Pech hatte, einem völlig ignoranten und selbstverliebten, unbelehrbaren Besitzer ausgeliefert zu sein. Wie oft waren mir einfach die Hände gebunden, und ich konnte nichts für das Tier unternehmen, weil der Besitzer einfach zu ignorant war. Doch ob es mir nun gut ging oder nicht, das war Zwille gleichgültig. Obgleich mein Kopf zum Zerplatzen voll war, wollte Zwille mir seinen Gedankenkram um jeden Preis dennoch aufdrängen. Manchmal tat er mir dann aber auch leid, erzählte er mir in einigen Gesprächen doch immer öfter unterschwellig davon, dass es bei ihm in der Ehe gerade etwas kriselte. Dieses Thema war mir aber oft etwas unangenehm, immerhin kannten wir uns dahingehend nicht besonders gut, wenngleich er nahezu täglich da war. Er berichtete mir davon, dass seine Frau ihm immer wieder fremdgegangen sei und er nicht mal wisse, ob der Junge überhaupt von ihm sei. Zwille hatte einen bereits fast erwachsenen Sohn, der ihm in der Tat nicht sehr ähnlich sah. Solch persönliche Dinge wollte ich nicht wirklich wissen. Was geht mich sein Privatleben an? Doch wie verhält man sich nun, wenn jemand sein Herz derart ausschüttet? Eigentlich wollte ich damit nichts zu tun haben, aber vielleicht war Zwille auch wirklich so verzweifelt, dass er sich von unseren Gesprächen einen weiblichen Rat erhoffte. Ganz gleich wie wütend ich manchmal auf ihn auch war, aber so wollte ich ihn nicht einfach stehen lassen. Da ich seine Frau jedoch kaum kannte, nur von kurzweiligem Sehen her, wusste ich leider keinen wirklich guten Ratschlag für Zwille. Weder wusste ich, was sie mag, noch wusste ich von ihren Wünschen. Selbst in den Gesprächen zwischen Zwille und mir erwähnte Zwille sie nur sehr selten und wenn, dann eher beiläufig. Unter diesen Umständen blieb es also bei allgemeinen Ratschlägen wie man sie auch aus Zeitschriften kennt. Blumen, Pralinen, Komplimente, gemeinsam Ausgehen und sich gemeinsam an der Zeit festhalten, die man im Guten bereits gemeistert hatte. Wozu soll man auch sonst raten als zu solchen Dingen? Wie gesagt, ich kannte seine Madame ja kaum. Seine Frau schien auch eher die „robuste Landfrau“ ohne viel Sinn für Romantik zu sein. Ihr Äußeres wirkte eher etwas maskulin und forsch, sie war sehr üppig untersetzt. Ihre kurzen, dunklen Haare fielen glatt in einem „Prinz-Eisenherz-Topfhaarschnitt“. Ich werde nie vergessen, wie sie einmal Zwille begleitete, als er am Wochenende auf dem Feld gegenüber ausnahmsweise tatsächlich Arbeit zu verrichten schien. Sie trug ein langes, armfreies Shirt, was wie ein Nachthemd aussah. Vielleicht dachte sie, es sei ein Kleid, aber ich bin der festen Überzeugung, dass es ein Nachthemd war. Was auch immer es war, für sie war es jedenfalls sehr ungünstig geschnitten und für Feldarbeit, insbesondere wenn sie sich bückte, vielleicht etwas schlecht ausgewählt. Sie schien sich aber damit sehr wohl zu fühlen, und es soll letztlich jeder das tragen, was er möchte. Ohne es böse zu meinen kann ich sagen, dass sie auch bezogen auf ihr geistiges Niveau gut zu Zwille passte. So war es meine ehrliche Überzeugung, die ich Zwille bestärkend mit auf den Weg gab, als ich ihm sagte, dass sie zwei doch gut zusammenpassen. Meine Gedanken, warum dies so ist, verschluckte ich aber lieber. Zwille lenkte plötzlich rasch ab, und die Eheprobleme schienen verflogen. Seine Gesichtszüge erhellten sich mit einem Mal, und er strahlte über das ganze Gesicht, als er mir von einer Unterhaltung mit seinen Kumpels erzählte. Scheinbar erzählte er seinen Freunden recht viel von mir, denn lachend berichtete er mir, wie einer seiner „Kumpels“ mit ihm kürzlich genörgelt hatte: „Ramona, Ramona und Ramona! Die Ramona is wohl deine Jeliebte, wa?“ Zwille fand diesen Spruch scheinbar witzig und antwortete dem Kumpel daraufhin prahlend: „Een richtiger Mann muss ne Frau UND ne Jeliebte habn!“ Während Zwille noch stolz grinsend vor mir stand, fiel mir alles aus Mark und Bein. Jetzt schlug es aber Alarm! Da bekam ich nicht nur große Augen, sondern auch wirklich sofort wieder Wut. Tat er mir eben noch leid, war ich nun echt beleidigt und wütend. Es war doch unfassbar, wie er das schaffte, mich von einem Moment zum nächsten auf die Palme zu bringen. Fassungslos fragte ich aber nochmal nach, ob er das tatsächlich gesagt hat und ob er nicht mal darüber nachgedacht habe, dass manch einer das vielleicht nicht als Witz verstehen würde? Zum einen fände ich es nicht sonderlich spaßig, dass er solche Dummheiten von sich gibt, wenn er mich da mit hineinzieht, und zum anderen sei ich mir auch sicher, dass seine Frau das gewiss auch nicht witzig fände, wenn sie sowas hören würde! Wie würde sie es wohl finden, wenn demnächst einer seiner „Kumpels“, wie er sie immer nannte, sowas gegenüber seiner Frau erzählen würde? Besonders jetzt, wo es doch so zwischen den beiden kriselte. Seine Miene wurde plötzlich wieder ernst und sogar etwas blass. Genau das meinte ich, da wäre der Spaß dann nämlich sicherlich vorbei. Zudem würde ich es nicht gutheißen, dass er solche Witze über mich macht, da ich keine Lust darauf hätte, irgendwann als „Schlampe des Dorfes“ zu gelten! Völlig verständnislos dachte ich darüber nach, warum Männer solche Witze machen. Dass Zwille in irgendeiner Weise solche Andeutung mit ernstem Hintergrund meinen könnte, ging mir völlig ab. In meiner Vergangenheit gab es hierzu auch nicht viele Erfahrungen, die mich etwas anderes hätten lehren können. Versunken in tiefe Selbstzweifel war ich meiner Empfindung nach auch nie das, was man vielleicht einen „Steilen Zahn“ nennen würde. In der Mädchenclique war ich früher irgendwie sowas wie der „Spätzünder“ und ich glaube, dass ich auch nie wirklich interessant für Jungs gewesen bin. Man könnte eher sagen, dass ich mein Leben lang immer sowas wie das "graue Mäuslein“ und ein Mitläufer am Rande war, während die beliebten Mädchen umschwärmt wurden. Dass ich als Mitläufer in der Clique überhaupt dabei sein durfte, fand ich schon klasse. Vielleicht lag es an meiner „netten“ Art. Ich war halt immer die „Nette“, die, mit der man befreundet ist. So war ich auch mit den Jungs immer gut befreundet, weil ich halt „nett“ war.

Da stand ich mit meinen Gummistiefeln und der stallverschmutzten Hose, einer fleckigen und viel zu weiten Stalljacke, ungeschminkt und mit zerzaustem Zopf, weil die Tauben sich gerne mal auf meinen Kopf setzten und mit ihren Füßen meine Haare durcheinander brachten, währen ich die Futternäpfe füllte. Mal ganz im Ernst, das Bild einer für Männer attraktiven Frau stelle sicherlich nicht nur ich mir irgendwie anders vor. Nein, es waren keine Komplexe, es war ein realistisches Selbstbild, mit dem ich auch gut leben konnte. Aber genau dieses Bild und meine Lebenserfahrung, dass ich immer nur die „Nette" war, verschafften mir eine ungesunde Beruhigung, dass ich auf ein ungutes Bauchgefühl nicht hören müsste.

Die erdrückende Stimmung zwischen Zwille und mir wurde für mich unerträglich. Es war mittlerweile so schlimm, dass ich nicht mal mehr ein schlechtes Gewissen bekam, wenn er mir wieder Geschenke am Zaun hinterließ. Auf dem Heimweg von einem Arbeitstermin beschäftigte mich bereits gedanklich das Zwille-Thema, ohne dass ich es bewusst hätte steuern können. Als ich linksseitig den Waldrand hinter mir ließ und der Blick auf unsere Einfahrt vor dem Haus frei wurde, sah ich bereits von Weitem etwas Rotes an unserem Briefkasten heften. Ich stellte mein Auto unter das Carport und sah einen Pralinenkasten mit einer großen, roten Schleife umwickelt an unserem Briefkasten heften. Kein Brief, kein Zettel, nur der Pralinenkasten mit der leuchtend roten Schleife. Die Pralinen drehte ich herum und schaute auch auf die Rückseite nach einem Hinweis, von wem der Kasten hier abgelegt worden sein könnte. In dem Moment, als das weiß vergitterte Eingangstor hinter mir ins Schloss fiel, klingelte mein Telefon. Die Hände voll mit Handtasche und Pralinen jonglierte ich alles etwas aufwendig umher, bis ich mein Telefon in der Tasche zu greifen bekam. Ich drückte rasch, ohne weiter auf die Nummer des Anrufers zu achten, auf „Gespräch annehmen“. „Hast de mein Geschenk jefunden?“ Ich war nicht mal zur Haustür rein, und schon war er wieder präsent. Während ich das Handy zwischen Schulter und Ohr klemmte, steckte ich zirkusgleich die Haustürschlüssel ins Schloss und versuchte zeitgleich, meine Tasche und die Pralinen nicht fallen zu lassen. Zu spät, beides rutschte mir auf die Fußmatte. „Sind die Pralinen von Dir, Zwille?“ „Ja, aber die sind nur für dir! Ick meene, nich für Frederik, nur für dir!“ Die Haustür öffnete sich, und die Hunde stürmten mir freudig entgegen. Umringt von immerhin sechs Hunden glich das nun wirklich einem Zirkusakt, meine Tasche vom Boden wieder aufzuheben, während sich eine kleine Hundemeute freudig über mich hermachte. Die Pralinen waren zwischenzeitig mit dem einzigen großen Hund der Meute im Garten verschwunden, und die Schlüssel steckten noch klimpernd in der Haustür. Das mit den Pralinen hatte sich vielleicht schon erledigt, Frederik würde sicherlich keine mehr davon bekommen. „Du, Zwille, ich muss Schluss machen, einer der Hunde hat gerade die Pralinen geklaut.“ Es ging mir nicht darum, die Pralinen zu retten, sondern darum, dass meinem Hund nichts geschieht, denn Schokolade ist für Hunde bekanntlich giftig und wenn ein verspielter, junger Hund im Gestrüpp einen kompletten Pralinenkasten verdrückt, könnte das recht ungesund werden. Die guten Pralinen, die doch NUR für mich gedacht waren. Jetzt hatte sie der Hund, samt Schleife. Nach einer kleinen Ehrenrunde im Garten hatte Etana sie unversehrt zu mir zurückgebracht. Wenn man beherzigt, dass Etana ein Rhodesian Ridgeback war, ist dies nicht unbedingt selbstverständlich. Sie war rassetypisch in vielen Dingen ziemlich eigensinnig und wirklich sehr verfressen. Unbemerkt klaute sie uns mal drei Tennissocken vom Wäscheständer und schluckte sie gierig herunter. Dass sie die Socken überhaupt verschluckt hatte, bekamen wir erst mit, als sie diese mit viel Würgen glücklicherweise wieder ausspuckte. Aber das hätte schlimm ausgehen können. Jedenfalls waren die Pralinen auch wieder da und der Hund blieb schokoladenfrei. Hatte Zwille mich beobachtet? Immerhin kam der Anruf umgehend, noch während ich die Pralinen auf dem Weg ins Haus begutachtet hatte. Hatte er meinen Tipp, Pralinen zu verschenken missverstanden? Er sollte seiner Frau Pralinen schenken, nicht mir! Mit einer kräftigen Handbewegung feuerte ich diese blöde Pralinenschachtel auf die Küchenablage, sodass die vermutlich mühsam angebrachte rote Schleife abfiel. Gut, nach Etanas Ehrenrunde im Garten hatte sie ohnehin nicht mehr viel Halt an der Verpackung. Meine immer noch fröhlich um mich herumspringenden Hunde guckten kurz zu den Pralinen, die in die Ecke flogen und schauten mich mit großen Augen an, stellten auch kurz das aufgeregte Tänzeln ein. „Wollen wir jetzt in den Garten, ein bisschen spielen?“, fragte ich aufmunternd, um ihnen den Schrecken wieder zu nehmen. Natürlich wollten sie spielen und das Hopsen begann von Neuen. Ich schnappte mir die kleine Meute und ging mit ihnen auf die Wiese, damit sie sich austoben konnten und ich einen klaren Kopf an der frischen Luft bekam.

Wir hatten zu dieser Zeit sechs Hunde: Etana, die Rhodesian Ridgebackhündin, und vier kleine, schwarz-weiß gefleckte Hunde. Unser Rudel bestand aus zwei Rüden, Wabbe und Horst und den Mädchen Neele, Sassy und Suse. Wabbe und Neele waren meine ersten beiden Hunde, welche ich bereits in die Beziehung mitbrachte. Horst war ein Sohn der beiden, und Frederik suchte sich Horst als seinen ersten eigenen Hund aus. Sassy und Suse übernahmen wir aus schlechter Haltung, einer Massenvermehrung. Als wir sie in den Arm nahmen, war der Geruch kaum zu ertragen. Sie wurden aus einem Verschlag genommen, der nur mit Zeitungspapier ausgelegt worden war. In den alten, rostigen Gittern, welche die Hunde voneinander abtrennten, klebten verschmierte Kotreste. In dem Verschlag gab es keine saubere Stelle mehr. Selbst das völlig zerfressene Plastikkörbchen war vollkommen verdreckt. Zunächst war nicht auszumachen, welcher Farbfleck im eigentlich weißen Fell echt war und welcher nicht. Das Weiß war aber auch kein Weiß, es war durch Kot und Urin derart gelblich verfärbt, dass es sich nicht sauber waschen ließ. Auch nach mehreren Bädern blieb das Gelb einfach Gelb und musste mit dem Fellwechsel im Laufe der Zeit einfach rauswachsen. Die beiden waren so ängstlich, dass wir sie zunächst nicht weitervermitteln konnten, so blieben sie erstmal bei uns. Etana kauften wir bewusst bei einer Züchterin, damit wir für das Grundstück einen großen, beschützenden Hund hatten. Natürlich schlief Etana ebenso im Haus wie die kleinen, aber es war schon ein besseres Gefühl, einen großen Hund im Haus zu haben als nur die kleinen, drolligen und immer freundlichen Hunde, die sich über jeden Besucher mächtig freuten. Sie waren alle wachsam und meldeten mit Gebell, wenn etwas nicht normal war, aber ein kleiner Hund hat halt nicht so viele Möglichkeiten, wenn es darum geht, einen tatsächlichen Schutz darzustellen. Eine ernst guckende Etana würde man nicht so rasch ignorieren. So war zumindest der Gedanke bei der Anschaffung. Aus zwei kleinen Hunden wuchs also das Rudel zu einer Meute, und ehe man sich versah, saßen halt nun sechs Hunde abends mit uns auf dem Sofa.

10 Jahre Stalking - Nur weil Du ihn nicht siehst, heißt es nicht, dass er nicht da ist!

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