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Kapitel 3

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Raketenbau

„Die V2 funktionierte perfekt, nur leider landete sie auf dem falschen Planeten.“

(Wernher Magnus Maximilian Freiherr von Braun33)

Die theoretische Grundlage des Raketenflugs wurde weder von einem Nobelpreisträger in den heiligen Hallen von Cambridge oder der Eidgenössischen Technischen Hochschule Zürich erforscht noch in einem geheimen Labor in irgendeinem militärischen Sperrgebiet ausgetüftelt. Diese Ehre kam einem russischen Autodidakten zu, der schon in jungen Jahren eine Leidenschaft für Mathematik, Physik und die Science-Fiction-Bücher von Jules Verne entwickelte. Seine berufliche Laufbahn beendete Konstantin Ziolkowski als Mathematiklehrer in der russischen Provinzstadt Kaluga, zirka 200 Kilometer südwestlich von Moskau. In seiner Freizeit aber entwickelte er die sogenannte Raketengrundgleichung – bis heute Grundlage jedes Raketenfluges – und darüber hinaus Konzepte wie zum Beispiel für Raketenmotoren, Raumstationen, Luftkissenboote und Zeppeline34. Die Raketengrundgleichung hat der Autodidakt 1897 ausgearbeitet. Und damit zu einem Zeitpunkt, als das Haupttransportmittel der Menschheit noch die Pferdekutsche war! Ziolkowski schlug schon damals vor, dass Menschen mit Hilfe einer mehrstufigen Rakete mit flüssigem Treibstoff in den Weltraum fliegen könnten – sechs Jahrzehnte später, lange nach seinem Tod, wurde sein Traum Realität.

Wieso brauchen wir überhaupt Raketen, um in den Weltraum zu fliegen? Sowohl Raketen als auch Flugzeuge beschleunigen in eine Richtung, indem sie eine Kraft in die entgegengesetzte Richtung erzeugen. Das folgt dem Prinzip von Actio und Reactio, auch bekannt als Gegenwirkungsprinzip oder Drittes Newtonsches Gesetz des englischen Physikers Sir Isaac Newton. Flugzeuge erzeugen diese Kraft dadurch, dass ihre Triebwerke Luft aufnehmen, mit dieser Kerosin (also Flugbenzin) verbrennen und die Abgase nach hinten ausstoßen und dadurch Schub nach vorne bekommen. Flugzeuge können aber den Weltraum nicht erreichen, weil die Luft in der oberen Atmosphäre zu dünn wird und weder zum Verbrennen zu nutzen ist noch Auftrieb für die Flügel erzeugt. Raketen, zumindest die heutigen sogenannten chemischen Raketen, bewegen sich auch nach vorne, indem sie Treibstoff verbrennen und die Abgase ausstoßen. Da eine Verbrennung aber Sauerstoff benötigt und dieser ab einer gewissen Höhe über der Erde nicht mehr ausreichend vorhanden ist, müssen Raketen im Gegensatz zu Flugzeugen ihren eigenen Sauerstoff mitbringen. Die meisten Raketen machen bis heute genau das und führen neben Treibstoff auch flüssigen Sauerstoff mit. Die notwendige Technologie, um Sauerstoff zu verflüssigen, wurde 1895 von Carl von Linde patentiert (gleichzeitig und davon unabhängig auch durch den Briten William Hampson), also erstaunlicherweise fast genau zu dem Zeitpunkt, als Ziolkowski seine Raketengleichung entwickelte. Sauerstoff muss auf fast 200 Grad minus gekühlt werden, bis sich das Gas verflüssigt – deswegen sieht man auch Raketen dampfen, sobald sie kurz vor dem Start betankt werden, nicht etwa, weil sie heiß sind.

Man muss übrigens gar nicht unbedingt Sauerstoff verbrennen, um eine chemische Reaktion zu erzeugen, die eine Rakete antreiben kann. Es gibt eine Vielzahl von Stoffen, welche man mischen kann, um die notwendige Energie in einer solchen Reaktion freizulassen. Sie alle aufzulisten und zu erklären würde den Rahmen der Übersicht in diesem Buch allerdings sprengen. Eines aber ist wichtig: Die Antriebsstoffe müssen nicht flüssig, sondern können auch in fester Phase sein. Solche Feststoffraketen waren die ersten Raketen überhaupt, erfunden und für kriegerische Zwecke von den Chinesen im dreizehnten Jahrhundert35 verwendet. Modernere Beispiele für solche Raketen sind die zwei riesigen Feststoffraketen des Space Shuttles und auch jedes Silvesterfeuerwerk.

In der neueren Geschichte der Raumfahrt haben sich Raketen mit Flüssigtreibstoff aber schnell gegen solche mit Feststoffantrieb durchsetzen können. Der erste erfolgreiche Flug einer Flüssigkeitsrakete, zwar nur bis zu einer Höhe von zwölfeinhalb Metern, wurde von dem amerikanischen Professor Robert Goddard im Jahr 1926 durchgeführt. In den Zwanzigerjahren wuchs das Interesse an Raketen vielerorts, auch in Deutschland. Nach dem Ersten Weltkrieg war Deutschland durch den Vertrag von Versailles die Entwicklung jeglicher Waffen eigentlich untersagt – aber Raketen schienen damals wohl noch so futuristisch, dass niemand daran dachte, ihre Entwicklung in den Vertrag aufzunehmen und zu verbieten. 1927 gründete eine Gruppe von Raketenfans in Breslau den Verein für Raumschifffahrt (VfR)36, teilweise inspiriert durch Fritz Langs UFA-Film Frau im Mond. Der VfR zog 1929 nach Berlin, wo seine Mitglieder auf dem Raketenflugplatz Berlin ihre Raketen testeten und Flüge bis zu vier Kilometern Höhe durchführten. Eines der Mitglieder des VfR, auch einer der ersten Vorsitzenden, war der Physiker Hermann Oberth, der 1923 eines der ersten Bücher zur Weltraumfahrt, Die Rakete zu den Planetenräumen, veröffentlicht hat. Ein anderes Mitglied wurde der junge Student Wernher von Braun. Er leitete später im Testzentrum Peenemünde an der deutschen Ostseeküste die Entwicklung der A4-Rakete, die vierzehn Meter hoch war und durch Alkohol und Flüssigsauerstoff angetrieben wurde. Sie war im Juni 1944 das erste von Menschen geschaffene Objekt, das den Weltraum (eine Höhe von über 100 Kilometer) erreichte. Deutlich bekannter ist die A4 allerdings unter ihrem Namen V2, kurz für Vergeltungswaffe 2. Der VfR hatte Anfang der Dreißigerjahre angefangen, Kontakt zur Reichswehr aufzubauen. Die Nazis erkannten bald das militärische Potenzial der Raketen. Als V2 wurde die Rakete dann durch KZ-Zwangsarbeiter massengefertigt, unter unmenschlichen Arbeitsbedingungen und mit hohen Verlusten an Menschenleben. Zum Einsatz kamen die Raketen dann hauptsächlich zur Bombardierung von London und Antwerpen, wobei weitere Tausende von Menschen starben – daher auch das Zitat von Brauns zu Beginn dieses Kapitels. Als der Zweite Weltkrieg zu Ende ging, waren sich damit natürlich auch die Alliierten Mächte des militärischen Potenzials der Raketen bewusst. Die Rote Armee nahm das Testzentrum Peenemünde im Mai 1945 ein, inklusive einer kompletten V2. Die Amerikaner kamen aber schneller an der Hauptproduktionsstätte der V2 an, der Mittelwerk GmbH im Harz. Dort waren Häftlinge aus dem Buchenwalder Arbeitslager Dora, dem späteren KZ Mittelbau, eingesetzt worden, um deren tägliches Leid mit oft tödlichen Folgen Wernher von Braun nachweislich wusste. Obwohl dieses Gebiet in der sowjetischen Zone lag und die Amerikaner es auch wenig später der Roten Armee überließen, hatten sie zu diesem Zeitpunkt schon Hunderte von V2-Raketen und V2-Teilen mitgenommen. Wernher von Braun hatte sich bereits den Amerikanern gestellt und wurde noch 1945 im Rahmen der sogenannten Operation Paper Clip zusammen mit anderen deutschen Raketeningenieuren in die USA gebracht. Die Sowjets nahmen 1946 bei ihrer Aktion Ossawakim 160 deutsche Wissenschaftler in die Sowjetunion mit. Danach erfolgten die meisten A4/V2-Starts in Alabama, Florida und Kapustin Jar, an der Grenze zwischen Russland und Kasachstan.

Sowohl das amerikanische als auch das sowjetische Raumfahrtprogramm entwickelte sich damit auf Basis der A4 und die Raumfahrt wurde die starke Assoziation mit dem Militärischen nie wieder so ganz los. Gagarin, der erste Mensch im Weltall, startete 1961 auf einer Rakete, die im Grunde eine modifizierte Interkontinentalrakete war. Sie hätte statt Gagarin in seiner Kapsel normalerweise Atombomben an Bord gehabt. Die Amerikaner entwickelten zur gleichen Zeit die Mercury-Atomrakete, die aber auch die ersten amerikanischen Astronauten Alan Shepard und John Glenn ins All brachte. Die amerikanische Raketenentwicklung, unter Leitung von Brauns, fand in den Sechzigerjahren in der Saturn-V-Mondrakete ihren vorläufigen Höhepunkt. Diese dreistufige Rakete, angetrieben durch Kerosin und Flüssigsauerstoff, war gigantisch: Sie war mit 111 Metern fast acht Mal so hoch wie die V2 und alleine die fünf gigantischen F-1-Triebwerke ihrer ersten Stufe erzeugten weit über 100 Mal so viel Schub wie die V2. Noch während der Nutzungsphase der Saturn V begann man mit der Entwicklung des Space Shuttles, des ersten teilweise wiederbenutzbaren Raumschiffes.

Auch andere Länder entwickelten über die Jahre Raketen, z. B. China, England, Frankreich, Indien, Japan und mit der Ariane auch die Europäische Weltraumorganisation ESA, welche in ihrer Form als Ariane 1 zum ersten Mal am Heiligabend 1979 flog. Sie startete vom Europäischen Weltraumbahnhof in Kourou in Französisch-Guyana, nahe des Äquators37. Nur drei Jahre später, im September 1982, flog die erste (suborbitale) Rakete, welche nicht durch öffentliche Gelder, sondern privat finanziert wurde, die Conestoga I von Space Services38. In Deutschland gab es auch den Versuch, eine private Rakete zu bauen, durch den Raumfahrtingenieur Lutz Kayser und seine Firma ORTRAG39. Dieser Versuch schlug aber am Ende fehl und die Achtziger- und Neunzigerjahre und sogar noch das erste Jahrzehnt des neuen Millenniums waren im Raketenbau von traditionellen Luft- und Raumfahrtunternehmen dominiert.

Die heutzutage bekanntesten neuen Weltraumunternehmen standen zu Beginn des neuen Jahrtausends in den Startblöcken: Blue Origin wurde im September 2000 und SpaceX im Mai 2002 gegründet. Interessanterweise litt die Weltwirtschaft zu dieser Zeit noch unter den Folgen der geplatzten Internetblase – die Gründer von Blue Origin und SpaceX hatten aber genau während dieser Blase ihr erstes großes Geld verdient (Jeff Bezos mit Amazon und Elon Musk mit PayPal), das ihnen das risikoreiche Engagement im Weltraum überhaupt erst ermöglichte. Auch der Ansari X-Prize, ein mit zehn Millionen Dollar Preisgeld dotierter Wettbewerb, bei dem private Unternehmen um den ersten bemannten Weltraumflug konkurrierten, endete – erfolgreich – 2004 in dieser Zeit (gestartet war er 1996). Der Gewinner lizensierte die Technologie an das neue Unternehmen Virgin Galactic, von dem im Kapitel über den Weltraumtourismus noch die Rede sein wird. Während das amerikanische Shuttle und die bewährten russischen Sojus-Raketen weiter ihre regelmäßigen Missionen flogen, begannen SpaceX und Blue Origin mit der Entwicklung ihrer privaten Raketen.

SpaceX wurde anfangs von Elon Musk privat finanziert, mit geschätzt bis zu hundert Millionen Dollar. Wie schon erwähnt, nahm SpaceX aber im August 2008 zwanzig Millionen Wagniskapital an, von Founders Fund, einem bekannten Wagniskapitalfonds, den frühere Kollegen Musks bei PayPal gegründet hatten. Der erste orbitale Flug von Musks Falcon 1 (benannt nach dem Millennium Falcon Raumschiff vom Krieg der Sterne) sollte ursprünglich bis Ende 2003 stattfinden. Der viel zitierte Satz „space is hard“ (der Weltraum ist schwierig) sollte sich aber auch hier wieder bewahrheiten und so brauchte es drei fehlgeschlagene Versuche, bis es beim vierten Mal, am 28. September 2008, klappte: Die Falcon 1 erreichte als erste privat finanzierte Rakete eine Erdumlaufbahn. Musk hat später oft betont, dass ein vierter fehlgeschlagener Versuch das Aus für SpaceX bedeutet hätte.

Blue Origin schlug einen anderen Weg ein als SpaceX und konzentrierte sich zunächst auf die Entwicklung von verschiedenen grundlegenden Technologien (z. B. für die autonome Führung und Kontrolle der Raketen), anstatt sich schnellstmöglich an Weltraumflügen zu versuchen. Da Blue Origin mit dem Gründer Jeff Bezos (schon damals einer der reichsten Menschen der Welt) einen verlässlichen und potenten Kapitalgeber hat, konnte man sich einen solchen Ansatz erlauben. Die suborbitale New Shepard-Rakete flog im November 2015 auf über 100 Kilometer Höhe und damit in den Bereich, der offiziell als Weltraum anerkannt ist. Man schaffte es bei diesem Flug sogar, die erste Stufe der New Shepard wieder vertikal zu landen – zum ersten Mal in der Geschichte des Raketenbaus. In den Orbit ist Blue Origin aber bis heute nicht geflogen, trotz vieler weiterer suborbitaler Testflüge der New Shepard.

SpaceX flog zu diesem Zeitpunkt schon regelmäßig in den Orbit und im Auftrag der NASA sogar zur ISS, um diese mit Nachschub zu versorgen. Einen Monat nach der ersten Landung von Blue Origins Rakete New Shepard und nach einigen missglückten eigenen Versuchen gelang es dann SpaceX, die erste Stufe der Falcon-9-Rakete zu landen. Seitdem wurden Starts und Landungen der Falcon 9 immer mehr zur Routine für SpaceX – eine sehr lukrative Routine für das Unternehmen, obwohl die Preise deutlich unter denen der Konkurrenz wie der amerikanischen ULA oder der europäischen Arianespace liegen.

Dieser offensichtliche ökonomische Erfolg beflügelte (buchstäblich) die Fantasie von zahlreichen Weltraumunternehmern und heutzutage gibt es weltweit (zumindest auf dem Papier) über 100 Raketenbauunternehmen. Diese Unternehmen repräsentieren eine große Vielfalt möglicher technischer Lösungen für den Raketenbau und für Raketenstarts. Die meisten dieser Raketen starten vertikal von den Starttürmen, die man beim Abheben immer sieht. Aber es gibt auch Vorschläge für Raketen, die z. B. horizontal wie Flugzeuge abheben oder von Rampen oder aus Flugzeugen ausgeklinkt, die die Raketen auf eine gewisse Höhe fliegen, starten. Die exotischste Startform – welche bislang nur in der Theorie existiert – ist das Modell von SpinLaunch: Das Unternehmen will eine Art von Hochgeschwindigkeitszentrifuge benutzen, um eine Nutzlast in den Weltraum zu schleudern. Aufgrund der extrem hohen Fliehkräfte wäre diese Methode allerdings nicht für Flüge mit Menschen geeignet. Die verschiedenen Unternehmen benutzen ganz verschiedene Antriebsstoffe, vom traditionellen RP-1 (ein kerosinähnlicher Kohlenwasserstoff) bis hin zu Wasserstoffperoxid. Die meisten von ihnen bieten nur Gütertransportflüge ins All an – der Flug mit Menschen ist ein weitaus schwierigeres Geschäftsfeld. Von der Größe her sind diese Raketen alle kleiner als die Falcon 9 von SpaceX oder die geplante New Glenn-Rakete von Blue Origin. Während eine Falcon 9 theoretisch bis zu dreiundzwanzig Tonnen Nutzlast in eine niedrige Umlaufbahn mitnehmen kann, sind viele der anderen Raketen für Nutzlasten von nur einigen Hundert Kilogramm konzipiert – das ist das Gewicht eines einzelnen kleinen Satelliten. Mit solchen kleineren Raketen, die eventuell nur für einen einzelnen Satelliten eingesetzt werden, hat man eine Marktsegmentierung, bei der man eine Falcon 9 von SpaceX mit einem Jumbo Jet und eine Electron-Rakete von Rocket Lab mit einem Privatjet vergleichen kann: Während eine Electron pro Kilogramm zwar viel teurer ist als eine Falcon 9, kann sie den Satelliten des Kunden aber genau in der gewünschten Umlaufbahn platzieren und flexibel abheben, beinahe wann der Kunde es wünscht, da man nicht vom Zeitplan anderer Nutzer der gleichen Rakete abhängig ist.

Diese Raketenunternehmen gibt es mittlerweile rund um den Globus. Natürlich sind viele in den USA angesiedelt, aber es gibt auch Start-ups zum Beispiel in China, Indien, Großbritannien, Frankreich und vielen anderen Ländern. Deutschland ist mit mindestens zwei Unternehmen vertreten: Die Rocket Factory Augsburg wird unter anderem von der traditionsreichen Bremer Technologiegruppe OHB unterstützt, die Münchner Isar Aerospace schaffte es Ende 2019, fünfzehn Millionen Euro Finanzierung zu erhalten, unter anderen vom Wagniskapitalarm der Airbus.

Eine anderer Aspekt, unter dem man die vielen Start-ups im Raketenbau betrachten kann, ist natürlich der jeweilige Status ihrer Entwicklungsarbeit (welcher stark vom Status der Finanzierung abhängt, was nicht weiter überraschend ist). Von den über hundert Unternehmen, die wir im Blick haben, hat zumindest zum Zeitpunkt der Veröffentlichung dieses Buches außer SpaceX nur das neuseeländisch-amerikanische Unternehmen Rocket Lab den Orbit erreicht. Was sie machen, machen sie gut: Seit dem Jungfernflug im Mai 2017 hat Rocket Lab insgesamt schon zwölf erfolgreiche Missionen in den Orbit geflogen und sich damit einen Ruf als verlässliches Unternehmen aufgebaut, was in der Weltraumfahrt sehr wichtig ist. 2020 sollen zum Beispiel die texanische Firefly und die kalifornische Virgin Orbit (deren Rakete von der Unterseite eines 747 Jumbo Jets startet) zum exklusiven Klub der privaten Firmen, deren Raketen einen Orbit erreichten, dazukommen. Leider musste der Teststart von Virgin Orbit im Mai 2020 aber nach nur einigen Sekunden Flug aufgrund der Fehlfunktion einer Treibstoffleitung abgebrochen werden. Investoren haben auch Hunderte von Millionen in einige andere Raketenunternehmen investiert, die bis jetzt noch keinen Start vorweisen können. Dazu gehört zum Beispiel die amerikanische Astra, die eigentlich im Frühjahr 2020 vom Raketenstartplatz Kodiak in Alaska gleich zweimal innerhalb einiger Tage den Erdorbit erreichen sollte, um ein Förderungsgeld von zwölf Millionen Dollar des amerikanischen Militärs zu erhalten. Der Start musste allerdings in letzter Minute wegen eines Systemfehlers abgebrochen werden40. Relativity Space, auch aus den USA, erhielt in seiner letzten Finanzierungsrunde Ende 2019 140 Millionen Dollar. Investoren gefallen die Pläne der Firma, ihre Raketen weitgehend mit der Hilfe von 3D-Druck zu produzieren. Das erlaubt zum Beispiel, den Durchmesser der Raketen schnell und flexibel zu verändern, was bei normalen Produktionsvorgängen schwierig ist.

Was alle Raketenfirmen verständlicherweise gemeinsam haben – wie auch immer sie technologisch ihr Ziel verfolgen – ist, dass sie sich auf bereits vorhandene oder potenzielle Kundengruppen fokussieren. Das sind hauptsächlich Satellitenkommunikations- oder Erdbeobachtungsfirmen, staatliche Kunden (einschließlich Raumfahrtagenturen und Militär) sowie einige Weltraumtourismus-Firmen. Wenn wir in der Zukunft wirklich den Mars besiedeln, wären viel schnellere Raketen wünschenswert, zum Beispiel mit nuklearthermischen oder noch exotischeren Antriebsformen. Diese Nachfrage liegt aber so weit in der Zukunft, dass sich im Moment noch keine Firma darauf spezialisiert. Die Entwicklung dieser neuen Technologien wird wahrscheinlich staatlichen Institutionen überlassen bleiben.

Das Raketenstartgeschäft ist trotz bestehender Nachfrage nicht einfach und verspricht alles andere als sichere Gewinne. Schon jetzt gibt es eine Reihe von fehlgeschlagenen Unternehmen, wie zum Beispiel Vector oder Xcor in den USA. Vector hatte sogar den hochrenommierten Silicon-Valley-Wagniskapitalfonds Sequoia als Hauptinvestor – aber auch hier zeigt sich, dass niemand unfehlbar und das Weltraumgeschäft hochspezialisiert und schwierig ist. Jetzt kommt eine weitere Herausforderung auf die zahlreichen neuen Raketenstartfirmen zu, die für manch eine zur Existenzbedrohung werden kann. SpaceX hat angefangen, einen Rideshare-(Mitfahr-)Service anzubieten, der kleinere Satelliten gleich mehrerer Kunden mitnehmen kann (für die allein sich eine große Trägerrakete wie die Falcon 9 nicht lohnt). Dass man den Transport für kleinere Kunden mit dem größerer Hauptkunden zusammen fliegt, ist heute schon gängig. Der Nachteil für die kleineren Kunden lag bislang darin, dass sie von den Zeitplänen und teilweise auch dem Zielorbit des Hauptkunden abhängig waren. Mit dem neuen Rideshare-Programm bietet SpaceX jedoch einen regelmäßigen Fahrplan an, sodass Kunden genau wissen, wann eine Startmöglichkeit besteht. Dadurch wird das Hauptverkaufsargument der Kleinraketenfirmen ausgehebelt, die dem Kunden exklusive Flexibilität angeboten haben Für einige Kleinraketen wird es auch weiterhin eine Daseinsberechtigung geben, da manche Kunden auf den zeitnahen Flug in einen spezifischen Orbit nicht verzichten können – zeitkritische Militärmissionen zum Beispiel oder die schnelle Ersetzung von ausgefallenen wichtigen Satelliten. Denkbar ist überdies, dass einige Länder aus strategischen Gründen auf einer einheimischen Raketenkapazität bestehen, statt sich auf ausländische Firmen zu verlassen. Der gesamte Markt für die alternativen Kleinraketenfirmen wird aber mit Sicherheit viel deutlicher schrumpfen, als man es früher für möglich gehalten hätte. Von den über hundert Start-up-Firmen wird womöglich nur eine Handvoll überleben.

Wer es aber schafft, erfolgreich eine eigene Raketenfirma aufzubauen, der arbeitet vielleicht in einem der coolsten Wirtschaftszweige, die es gibt – wer würde nicht gerne aus dem Fenster schauen und sein Produkt in Richtung Weltraum fliegen sehen?

33 https://www.welt.de/wissenschaft/article1617774/Himmelfahrt-mit-den-Herrschern-der-Hoelle.html

34 https://de.wikipedia.org/wiki/Konstantin_Eduardowitsch_Ziolkowski

35 https://www.grc.nasa.gov/WWW/K-12/TRC/Rockets/history_of_rockets.html

36 https://de.wikipedia.org/wiki/Verein_f%C3%BCr_Raumschiffahrt

37 https://en.wikipedia.org/wiki/Ariane_1

38 https://en.wikipedia.org/wiki/Private_spaceflight

39 https://de.wikipedia.org/wiki/OTRAG

40 https://spaceflightnow.com/2020/03/03/after-last-minute-abort-darpa-launch-challenge-ends-without-a-winner/

Hoch Hinaus

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