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Kapitel 1

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Der Weltraum wird günstiger

„Es ist der Unterschied zwischen Flugzeugen, die man nach jedem Flug weggeworfen hat, und solchen, die man viele Male wiederbenutzt.“

(Elon Musk11)

Was ist das Teuerste, das man sich als gelangweilter Milliardär theoretisch kaufen könnte? Eine Superyacht? Die meisten kosten nicht mehr als ein paar Hundert Millionen Dollar. Ein Privatjet? Selbst der als „fliegender Palast“ umgebaute Airbus A380 vom saudischen Prinzen Walid bin Talal kostet angeblich nicht mehr als 500 Millionen12. Aber was, wenn man nun gerade mindestens zwei Milliarden Dollar auf den Kopf hauen wollte? Das sind die geschätzten Kosten einer einzigen Nutzung der neuen schweren Trägerrakete SLS (Space Launch System) der NASA, laut einem Brief vom Weißen Haus an den US-Senat im November 201913. Die NASA hat diesen Betrag weder bestätigt noch dementiert. Zu dieser Summe allein für die Rakete fallen Kosten für die zugehörige Orion-Kapsel an, in welcher sie die Astronauten zum Beispiel zum Mond bringen soll. Die Mittel, die für die Entwicklung benötigt werden, lassen sich schon jetzt mit einem weiteren zweistelligen Milliardenbetrag veranschlagen14. Zum Glück war und ist die NASA – und fairerweise muss man sagen: Weltraumagenturen überall – in der Lage, in diesen finanziellen Dimensionen zu operieren. Das Apollo-Programm der Sechzigerjahre würde heute (inflationsbereinigt) über 150 Milliarden Dollar kosten15. Forschungssonden-Missionen wie der neue Mars-Rover Perseverance oder der geplante Europa Clipper (zum Jupiter-Mond Europa) kosten beide schätzungsweise jeweils um die drei Milliarden Dollar16. Selbst ein einzelner Start der europäischen Ariane-5-Rakete, unbemannt und nicht weiter als in eine niedrige Erdumlaufbahn, kann über 200 Millionen Euro kosten17. Warum nur ist der Weltraum derart teuer?

Das obige Zitat von Elon Musk gibt einen wichtigen Hinweis: In der Vergangenheit wurden die allermeisten Raketen nur ein einziges Mal benutzt. Die ersten Stufen der Raketen fielen zurück zur Erde, kamen zum Beispiel als Bruchlandungen in den Weiten Kasachstans und Russlands nach Starts vom Weltraumbahnhof in Baikonur runter, oder sie versanken im Atlantischen Ozean nach Starts vom Cape Canaveral in Florida. In den Tiefen des Atlantiks liegen zum Beispiel bis heute noch alle ersten Stufen der gigantischen ­Saturn-Raketen – bis auf einige Teile der Apollo-11-Raketenmotoren, welche ein Team in einer geheim gehaltenen Bergungsaktion, ausgedacht und finanziert vom amerikanischen Milliardär Jeff Bezos, zurück an die Oberfläche brachte18. Die oberen Stufen der Raketen wurden, und werden bis heute, auch nicht wieder eingesetzt. Wenn ihre letzte Umlaufbahn niedrig genug ist, werden sie zurück Richtung Erdatmosphäre gesteuert, wo sie verglühen. Waren die Raketen auf höheren Umlaufbahnen, dann werden sie heutzutage in sogenannte Friedhofsumlaufbahnen (Graveyard ­Orbit) manövriert, wo sie (hoffentlich) keine Kollisionsgefahr darstellen. In der früheren Weltraumfahrt kümmerte man sich weniger um den Verbleib der oberen Raketenstufen und ließ sie einfach dort, wo immer sie sich am Ende ihrer Mission befanden. Deswegen sind solche alten oberen Raketenstufen heute potenziell gefährlicher Weltraummüll – ein Thema, dem ich in diesem Buch ein eigenes Kapitel widme. Bei der Frage nach dem Kostentreiber bleibt vor allem aber festzuhalten, dass in der Vergangenheit – und in den meisten Fällen noch heute – kein einziges Teil von Trägerraketen wiederverwendet wurde. Die einzigen Ausnahmen sind die Raumkapseln – aber ohne die kämen die Astronautinnen und Astronauten ja auch nicht zurück zur Erde.

Während der Apollo-Jahre dachte man offenbar in den USA (genauso wenig wie in der damaligen Sowjetunion) daran, wiederverwendbare Raketen zu konstruieren. Wiederverwendbarkeit bedeutet höheren technologischen Aufwand und zusätzliches Gewicht für die notwendigen Systeme, zum Beispiel für zusätzlichen Treibstoff oder für Fallschirme. Dieses Gewicht kann dann nicht für die Nutzlast verwendet werden, für die die Rakete ja im Einsatz ist und für die im Normalfall trotzdem nur ein paar Prozent des Gesamtgewichts der Rakete zur Verfügung stehen (der Rest ist Treibstoff). Die zusätzlichen Entwicklungskosten für die Wiederverwendbarkeit sind auch nur dann zu rechtfertigen, wenn sie sich über viele Raketenflüge amortisieren (das war bei Apollo, mit zwanzig geplanten Missionen, von vornherein nicht der Fall19). Damit geriet man schnell in eine Zwickmühle: Auf der einen Seite war die Entwicklung wiederverwendbarer Raketen nur mit der Aussicht auf Nachfrage nach vielen Flügen sinnvoll, auf der anderen Seite würde eine solche Nachfrage, zumindest von kommerziellen Kunden, wahrscheinlich nur durch wesentlich billigere Raketen entstehen. Jemand musste den ersten Schritt wagen, und das war, wie meist bei gewagten Projekten in der Weltraumgeschichte, der Staat. Anfang der Siebzigerjahre erhielt die amerikanische Raumfahrtagentur NASA die Bewilligung des US-Kongresses, ein wiederverwendbares Raumschiff zu entwickeln, das Space Shuttle.

Das Shuttle war tatsächlich weitgehend wiederverwendbar. Allein der optische Eindruck war schon vollkommen anders als bei den vorherigen Raketen, obwohl es immer noch genauso senkrecht startete. Auf der Startrampe sah das Shuttle wie ein dickes Flugzeug aus, an das links und rechts zwei mächtige, traditionelle Feststoffraketen geschnallt waren sowie ein riesiger orangefarbener Tank unter dem Bauch, der Treibstoff für die Haupttriebwerke enthielt. Die Feststoffraketen halfen mit erheblichem Schub in der ersten Flugphase, wurden dann vom Shuttle abgestoßen und landeten mit Fallschirmen. Das Space Shuttle selbst landete am Ende jeder Mission horizontal gleitend wie ein Flugzeug – dazu hatte es seine kleinen Flügel, die im Vakuum des Weltraums vollkommen nutzlos sind. Der einzige Teil des Shuttles, der bei jedem Flug verloren ging, war der große orangefarbene Tank.

Die Pläne für das Space Shuttle waren ehrgeizig20. Anfang der Siebziger dachte man, der Preis könnte eventuell bis auf fünf Millionen Dollar pro Flug zu drücken sein. In heutigen Dollar (also inflationsbereinigt) sind das ungefähr dreißig Millionen. Aber bei einer Nutzlast von fast 30.000 Kilo hätte das trotzdem nur einen Preis von tausend Dollar pro Kilogramm Nutzlast bedeutet – was selbst heutzutage noch weit unter jeglichem Raketenpreis läge. Der kritische Punkt war aber, dass man zwischen hundert und hundertfünfzig Space-Shuttle-Flüge pro Jahr durchführen müsste, um auf diesen Preis zu kommen. Man sah viele potenzielle Einsatzmöglichkeiten für das Shuttle, zum Beispiel für Satellitenstarts, schnelle Militäreinsätze, Weltraumtourismus und sogar für die Entsorgung von Atommüll. Am Ende flog die gesamte Flotte von fünf Space Shuttles zwischen 1981 und 2011 aber nur insgesamt 135 Mal. Damit befand man sich gleich wieder im Teufelskreis von niedriger Nachfrage und damit höheren Kosten pro Flug. Darüber hinaus waren zudem einige Kosten des Space Shuttles ohnehin viel höher als erwartet, da die Technologie am Ende nicht so simpel war, wie man es sich am Anfang vorgestellt hatte. Die besten Beispiele dafür sind die Haupttriebwerke des Shuttles und der Hitzeschild, welcher das Raumschiff vor den hohen Temperaturen beim Wiedereintritt in die Atmosphäre schützt. Die mächtigen Triebwerke waren damals (und sind es vielleicht noch heute) die kompliziertesten, die jemals gebaut worden waren. Eigentlich war beabsichtigt, dass das Shuttle sehr schnell wieder einsetzbar war, mit einer nur kurzen Inspektion zwischen den Flügen – ähnlich wie bei Flugzeugen. Deswegen wollte man die Triebwerke definitiv nicht nach jedem Flug auseinandernehmen – aber genau das musste man am Ende aus Sicherheitsgründen immer machen, unter erheblichem Zeit-, Arbeits- und Kostenaufwand. Ähnliches galt für die 3.000 Keramikkacheln des Hitzeschilds, die man zwischen Flügen genauestens inspizieren musste. Am Ende lag der Preis eines Shuttle Starts im Schnitt eher um die 500 Millionen Dollar. Eine solche Summe war vielleicht für kompliziertere Missionen wie das Hubble-Weltraum-Teleskop und den Zusammenbau der Internationalen Raumstation (ISS) zu rechtfertigen, aber nicht für die Platzierung von normalen Satelliten in Erdumlaufbahnen – hierfür reichten billigere und bewährte Einweg-Raketen aus. Einen neuen Versuch mit tatsächlich wiederverwertbaren Raketen sollten wir erst wieder in der Mitte des zweiten Jahrzehnts des neuen Millenniums sehen.

Ein weiterer Grund für hohe Kosten im Raketenbau lag in den niedrigen Stückzahlen. Wie bereits erwähnt, wurden jemals nur fünf Space Shuttles gebaut. Die amerikanische Delta IV flog insgesamt nur vierzig Mal zwischen 2002 und 201921. Die ebenfalls amerikanische Atlas V hatte bis heute, seit 2002, dreiundachtzig Missionen. Die europäische Ariane 5 startete, in verschiedenen Versionen, 108 Mal zwischen 2002 und 2018. Selbst die am meisten verwendete Rakete der Welt, die russische Sojus, wurde auf ihrem Zenit in den Achtzigerjahren angeblich sechzig Mal pro Jahr produziert22. Zum Vergleich: Airbus produziert seinen Airbus-320-Jet sechzig Mal pro Monat23. All die obigen Raketen sind, nebenbei gesagt, in keiner Form wiederverwendbar. Das gilt selbst für die Sojus-Raumkapseln, die ja zumindest zur Erde zurückkommen – nach der einmaligen Nutzung werden sie aber in großen Lagern irgendwo in Russland oder Kasachstan zur ewigen Ruhe gebettet. Das Problem mit den niedrigen Stückzahlen gibt es nicht nur bei Raketen, sondern auch bei Satelliten. Diese wurden in der Vergangenheit, mit wenigen Ausnahmen, zumeist nur ein einziges Mal „nach Maß“ für eine spezifische Mission entwickelt und gefertigt. Mit solch niedrigen Produktionszahlen lassen sich natürlich keine Skaleneffekte erreichen – Autos wurden ja auch erst deutlich billiger, als Henry Ford sein Modell T am Fließband massenproduzierte.

Ein weiterer Grund für die hohen Produktionskosten liegt sicher in der Art und Weise, wie Regierungsaufträge an die Privatwirtschaft oft strukturiert waren. Bei sogenannten Cost-Plus-Verträgen (Kosten plus) garantierte der Regierungskunde eine Gewinnmarge oberhalb der ausgewiesenen Kosten – theoretisch unabhängig von ihrer Höhe. Da diese Gewinnmarge als Prozentsatz festgelegt wird, entstand eine Art umgekehrte Incentivierung: Zehn Prozent garantierter Gewinn auf Kosten von einer Milliarde (hundert Millionen) sind ja deutlich mehr als zehn Prozent auf 500 Millionen (fünfzig Millionen). Mit anderen Worten: Je mehr Kosten der Regierungsauftragnehmer ausweisen kann, desto besser für ihn (aber leider nicht für den Steuerzahler).

Der letzte oft genannte Grund für hohe Kosten in der Weltraumfahrt ist ein Teufelskreis aus hohen Raketenkosten und hohen Satellitenkosten. Dieser Grund scheint intuitiv plausibel, manche lassen ihn dennoch nicht gelten. Wenn ein Raketenstart sehr teuer ist, dann hat der Kunde einen Anreiz, so viel Wert wie möglich in seinen Satelliten zu packen und mehrere Starts zu vermeiden. Wenn ein Kunde nicht häufig fliegt und die Nutzlast (der Satellit) sehr teuer ist – und ein möglicher Verlust damit auch –, dann hat der Raketenbetreiber ein Incentive auf seiner Seite, die Startkosten hoch zu halten.

So viel zur Ausgangslage. Um die Jahrtausendwende herum änderte sich die Situation langsam, aber sicher, wenn auch konkrete Effekte erst seit Kurzem spürbar sind. Zwischen 1998 und 2004 wurden in den USA mehrere Gesetze verabschiedet mit dem Ziel, den Aufbau eines privaten Weltraumsektors anzuregen und damit unter anderem mehr Optionen für Raketenstarts und die Versorgung der ISS zu entwickeln24. Die Vertragsstruktur zwischen Regierung und Privatsektor wechselte zumindest teilweise vom geradezu absurden „Kosten Plus“-Modell zu den in der Privatwirtschaft normalen Fix-Preisen. Jeff Bezos gründete um diese Zeit Blue Origin und Elon Musk sein Unternehmen SpaceX. Zur gleichen Zeit fand der X-Prize-Wettbewerb statt, bei dem privat finanzierte Teams versuchten, als Erste eine bemannte Rakete zweimal in den Weltraum zu fliegen. Blue Origin, SpaceX und einige andere – heutzutage weniger bekannte und teilweise fehlgeschlagene – Firmen fingen bald an, gezielt wiederverwendbare Raketen zu entwickeln. Es sollte aber noch bis 2015 dauern, bis die beiden großen neuen Weltraumunternehmen in kurzem Zeitabstand aus dem Weltraum zurückkehrende erste Raketenstufen erfolgreich landeten. Während Blue Origin seine Raketen intern weiterentwickelte und testete, flog (und landete) SpaceX seine teilweise wiederverwertbare Falcon-9-Rakete immer häufiger, und das sowohl für Regierungs- wie für Privatwirtschaftskunden. 2018 starteten Falcon-9-Raketen zwanzig Mal, und elf dieser Raketen hatten erste Stufen, die schon einmal geflogen und gelandet waren25. Die zweite Raketenstufe blieb weiterhin nicht wiederverwertbar und war deshalb bei jedem Flug neu. Das bedeutete, dass auch die Produktionszahlen bei SpaceX anstiegen und damit die positiven Skaleneffekte in der Produktion.

Heutzutage zahlt man für einen unbemannten Nutzlast-Flug in eine niedrige Erdumlaufbahn (Low Earth Orbit oder LEO) auf einer Falcon 9 von SpaceX zwischen fünfzig und sechzig Millionen Dollar. Da die Rakete maximal dreiundzwanzig Tonnen Nutzlastkapazität hat (aber meistens weniger mitnimmt, unter anderem, da man zusätzlichen Treibstoff braucht, um die erste Stufe wieder zu landen), liegt der Preis pro Kilogramm Nutzlast bei weniger als 3.000 Dollar. Vergleichbare andere Raketen, zum Beispiel die amerikanische Atlas V, die europäische Ariane 5, die japanische H-II und die indische LVM3 kommen mit Kosten von etwa sieben- bis zehntausend Dollar pro Kilogramm Nutzlast. Die einzige andere Rakete, die preislich der Falcon 9 nahekommt, ist die bewährte russische Proton, die nicht wiederverwendbar ist. Allerdings ist nicht jeder bereit, eine russische Rakete zu benutzen – für amerikanische Aufklärungssatelliten ist sie als Startoption natürlich ausgeschlossen. Obwohl SpaceX keine Zahlen hinsichtlich der eigenen Kosten veröffentlicht, kann man anhand verschiedener Daten abschätzen, dass die Falcon-9-Rakete wahrscheinlich weniger als die Hälfte von dem kostet, was die SpaceX-Endkunden zahlen. Da SpaceX zumindest im Moment mit solchen Kosten absolut konkurrenzlos ist, scheint es plausibel, dass sich das Unternehmen in der Preisgestaltung für die Falcon 9 einfach am billigsten Konkurrenzprodukt – der Proton – orientiert hat.

Ähnlich verhält es sich bei Flügen mit Besatzung. Die Zahlen im letzten Paragraphen gelten für Flüge mit reiner Nutzlast (meist Satelliten). Flüge mit Menschen sind komplizierter, da man unter anderem ein Lebenserhaltungssystem braucht und die Menschen wieder zur Erde zurückbringen muss. Die letzte amerikanische Option für bemannte Flüge war das Space Shuttle und wie wir schon gesehen haben, hat ein Flug im Schnitt 500 Millionen Dollar gekostet. Nachdem das Shuttle 2011 in den Ruhestand ging, hatten die USA keine eigene Transportkapazität mehr für ihre Astronauten. Die große Weltraummacht musste deshalb, peinlicherweise, ihre Astronauten auf russischen Sojus-Raketen zur Internationalen Raumstation (ISS) fliegen, für einen Preis von sechsundachtzig Millionen Dollar pro Astronaut. In Zukunft werden amerikanische Astronauten wieder in einer amerikanischen Raumkapsel, der Crew Dragon, an der Spitze einer amerikanischen Rakete, der Falcon 9, fliegen, und das deutlich günstiger für fünfundfünfzig Millionen Dollar. Der erste Start der Crew Dragon, mit zwei NASA-Astronauten an Bord, wurde Ende Mai 2020 erfolgreich durchgeführt. Die Landung erfolgte Anfang August auf dem Wasser im Golf von Mexiko.

Bald indes könnten Flüge in den Weltraum noch deutlich günstiger werden. SpaceX arbeitet im Moment bereits intensiv an der Entwicklung des nächsten Raumschiffs, dem gigantischen Starship, das zusammen mit der noch gigantischeren ersten Stufe Super Heavy bis zu hundert Tonnen in eine niedrige Umlaufbahn (LEO) fliegen könnte (und weniger Gewicht noch viel weiter, zum Beispiel zum Mond oder Mars). Das Starship ist so konzipiert, dass, vom verbrauchten Treibstoff abgesehen, einhundert Prozent wiederverwertbar sein sollen – wie bei einem normalen Flugzeug. Die Kosten für den Transport pro Kilo in eine niedrige Umlaufbahn könnten eventuell auf einige Hundert Dollar sinken. Gleichzeitig arbeitet Blue Origin an seiner großen Schwerlast-Trägerrakete New Glenn und hat die noch größere New-Armstrong-Rakete in der Pipeline. Bei den Blue-Origin-Raketen ist noch nichts über die Kosten und die angestrebten Preise durchgesickert, aber alle sollen wiederverwendbar sein. Wenn wir uns vor Augen halten, dass der Preis für den Transport von einem Kilogramm Nutzlast in eine niedrige Umlaufbahn noch vor wenigen Jahren bei 10.000 Dollar lag und mit Raketen der nächsten Generation für Endkunden womöglich weniger als 1.000 Dollar betragen könnte, dann wäre das ein Preisverfall von neunzig Prozent oder sogar noch mehr. Das fällt stärker ins Gewicht als der geschätzte Preisverfall bei den Transportkosten in den amerikanischen Westen, als die Eisenbahn die Pferdekutsche ersetzte.

Parallel zu diesen Entwicklungen bei den Raketen gibt es ganz ähnliche Trends bei Satelliten und deren Komponenten, die man nicht aus den Augen verlieren sollte. Da viele Komponenten von Satelliten Hochtechnologie-Teile sind, profitieren sie von denselben Entwicklungen wie der Technologie-Sektor im Allgemeinen, inklusive immer günstigerer und kleinerer Bauteile26. Dass die Teile günstiger werden ist für sich genommen schon gut, aber der zweite Trend – die zunehmende Miniaturisierung der Teile – ist in der Weltraumfahrt von enormer Bedeutung. Kleinere Teile bedeuten normalerweise niedrigeres Gewicht und niedrigeres Gewicht bedeutet niedrigere Raketenstartkosten. Im Jahr 1999 fingen die Professoren Jordi Puig-Suari an der California Polytechnic State University und Bob Twiggs in Stanford27 mit Hilfe der viel kleineren Teile an, den sogenannten CubeSat (Würfelsatellit) zu entwickeln. Bei CubeSats handelt es sich um Würfel mit einer Kantenlänge von zehn Zentimetern und einem Gewicht von meist ein bis zwei Kilo, die aber voll funktionsfähige Satelliten darstellen. Ein CubeSat-Satellit kann aus einem solchen Würfel bestehen („1U“) oder mehreren zusammengesetzten Würfeln (zum Beispiel 2U, 3U, 6U, 12U). Ein wichtiger Nebeneffekt dieser standardisierten Größe war die Entwicklung und Fertigung von auf CubeSat-Größe standardisierten Satellitenkomponenten. Dieser „Ökosystem-Effekt“ machte den Bau von CubeSats noch einfacher und günstiger. Obwohl CubeSats ursprünglich für Lehrzwecke an Universitäten entwickelt worden waren, gab es durch diese Effekte bald immer mehr neue Weltraum-Unternehmen, die Konstellationen von CubeSats zur Basis ihres Geschäftsmodells machten, zum Beispiel die Erdbeobachtungsunternehmen Planet und Spire. Heutzutage kann man einen 1U-CubeSat für weniger als 100.000 Dollar kaufen, inklusive Raketenflug in eine niedrige Umlaufbahn.

Neben den günstigeren Komponenten und der Standardisierung gibt es auch in der Satellitenproduktion mittlerweile Skaleneffekte. Früher waren Satelliten oft einzelne Sonderanfertigungen, nach Maß geschneidert für eine Mission und für einen Kunden. Die aktuellen Pläne von SpaceX und anderen für große Satellitenkommunikations- und Erdbeobachtungs-Konstellationen machen die Fertigung von Tausenden identischen Satelliten nötig – praktisch eine Produktion am Fließband. SpaceX lanciert zum Beispiel schon heute fast jeden Monat sechzig seiner Starlink-Kommunikationssatelliten im All und die Firma sagt, sie produziert 120 dieser Satelliten im Monat.

Die niedrigeren Satellitenkosten führen unter anderem dazu, dass immer mehr Geschäftsmodelle im Weltraum Gewinn versprechen. Das regt Unternehmer an, sich am Aufbau solcher Modelle zu versuchen. Die Neuunternehmer mit ihrem Bedarf an Satellitenkonstellationen steigern ihrerseits die Nachfrage nach Raketenstarts, was wiederum einerseits zur Gründung immer neuer Raketenunternehmen motiviert, andererseits zu Skaleneffekten beim Raketenbau führt. Letzteres lässt die Raketenstartkosten weiter fallen, was zusätzlichen Weltraumunternehmen eine Chance gibt – und auf einmal kommt etwas in Gang, das der Weltraumwirtschaft immer weiteren Auftrieb verschafft!

Wie sich alles in den nächsten Jahren weiterentwickelt, wird spannend sein. Eines scheint aber jetzt schon klar zu sein: Die Eisenbahn in den Weltraum haben wir gebaut, und immer mehr Leute wollen mit ihr fahren.

11 https://www.vox.com/2017/3/30/15131514/spacex-space-history-success-reusing-rocket-elon-musk

12 https://www.jetsetmag.com/travel/aviation/most-expensive-private-jets/

13 https://arstechnica.com/science/2019/11/nasa-does-not-deny-the-over-2-billion-cost-of-a-single-sls-launch/

14 https://spacenews.com/sls-cost-growth-exceeds-threshold-for-formal-review/

15 https://www.forbes.com/sites/alexknapp/2019/07/20/apollo-11-facts-figures-business/#2ba04c473377

16 https://www.planetary.org/get-involved/be-a-space-advocate/become-an-expert/planetary-exploration-budget-dataset.html

17 https://en.wikipedia.org/wiki/Ariane_5

18 https://www.space.com/22044-apollo-rocket-engines-bezos.html

19 https://nssdc.gsfc.nasa.gov/planetary/lunar/apollo_18_20.html

20 https://www.edx.org/course/engineering-the-space-shuttle

21 https://en.wikipedia.org/wiki/Delta_IV

22 https://en.wikipedia.org/wiki/Soyuz_(rocket_family)

23 https://simpleflying.com/airbus-a320-production-rate/In

24 https://www.thespacereview.com/article/2166/1

25 https://www.spacexstats.xyz/#launchhistory

26 Außerdem werden heutzutage viele Satelliten auf nur ein paar Jahre, statt Jahrzehnte, Lebenszeit konzipiert – auch aus diesem Grund kann man billigere Teile verwenden.

27 https://en.wikipedia.org/wiki/CubeSat

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