Читать книгу Die Ethologie der Hunde - Raymond Coppinger - Страница 9
ОглавлениеIn diesem Buch geht es um das Verhalten von Tieren, insbesondere darum, was Hunde und andere Caniden (wie Wölfe oder Kojoten) in ihren Bewegungen und Handlungen „antreibt“, was ein Lebewesen wie der Hund eigentlich tut und wie und warum er das tut, was er tut. Wir wollen die Kräfte und Mechanismen verstehen, die einen Hund zu seinen Bewegungen und Handlungen in der Welt antreiben, die ihn „ticken“ lassen: Warum Border Collies hinter Schafen herjagen, Herdenschutzhunde dies jedoch nicht tun; warum Greyhounds gute Rennhunde werden, Dackel aber nicht; warum sich ein neugeborener Welpe anders benimmt als ein erwachsener Hund.
Für uns als Ethologen – Wissenschaftler, die die biologischen Grundlagen des Verhaltens systematisch untersuchen – ist die Vorstellung eines „angetriebenen“ oder ähnlich einem Uhrwerk „tickenden“ Lebewesens mehr als nur eine clevere Metapher. Eine Maschine funktioniert, indem sie Energie in Bewegung umsetzt. Auch das Verhalten eines Hundes resultiert, wie bei jeder Maschine, aus der Umwandlung von Energie in Bewegungsmuster (und im Falle von Lebewesen letztendlich in Nachkommen). Die Bauart einer Maschine, die Form und Anordnung ihrer Einzelteile und wie sie zu der Energie kommt, die sie zum Funktionieren benötigt - all das bestimmt, was sie tun wird und setzt ihren Fähigkeiten Grenzen. In diesem Buch möchten wir Sie auffordern, einmal aus einem ähnlichen Blickwinkel über Hunde und andere Tiere nachzudenken.
Vielleicht entgegnen Sie nun sofort und wildentschlossen, dass ein Hund nun wirklich kein Aufziehspielzeug sei. Sicherlich sind viele von uns davon überzeugt, dass Hunde Persönlichkeiten und Wünsche besitzen, die man niemals einer Maschine zuschreiben würde. Es stimmt wahrscheinlich sogar tatsächlich, dass Hunde und andere Tiere einen „Verstand“ haben, der dem unseren zumindest ähnelt. Dies ist eine spannende Perspektive - beliebt bei den Medien und das Kernthema eines als „Kognitive Ethologie“ bekannt gewordenen neuen Forschungsgebiets. Wir werden uns einige dieser Arbeiten in einem späteren Kapitel näher anschauen, werden aber in diesem Buch nicht oft auf kognitive Erklärungsansätze zurückgreifen. Unser Ziel ist vielmehr, zu schauen, wie viel wir vom Standpunkt der „traditionellen“ Ethologie aus vom Warum und Wie des tierischen Verhaltens verstehen können: Indem wir überlegen, wie die Körper von Lebewesen aufgebaut sind und wie die Form dieser lebendigen Maschinerie die in ihrem Leben so wichtigen Bewegungs- und Aktivitätsmuster bestimmt.
Seit der Darwinschen Revolution haben praktisch alle Biologen – und die meisten nachdenkenden Menschen – verstanden, dass alles Leben auf der Erde über ein evolutionäres Netz miteinander verbunden ist, das sich über Millionen von Jahren erstreckt. Die unzähligen Eigenschaften der „biologischen Maschinen“ – die Zellen, Gewebe und Körperteile und die Prozesse, die sie zusammenhalten – sind das Ergebnis evolutionärer Kräfte, die diejenigen genetischen Funktionsweisen gestaltet und umgestaltet haben, die letztendlich dafür verantwortlich sind, Energie in gezielte Aktivität umzuwandeln. Darwins großartiger Gedanke war es, dass die Evolution durch natürliche Auslese, die vorteilhafte Spielarten begünstigt, zu Anpassungen führt, die ein Tier befähigen, mittels Fressen Energie zu gewinnen, Katastrophen (wie gefressen zu werden) zu vermeiden und sich fortzupflanzen. Die zentrale Erkenntnis der Ethologie ist, dass das Verhalten eines Tieres genau wie die organischen Bestandteile, welche die körperliche Form einer biologischen „Maschine“ ausmachen, selbst ein Produkt der Anpassung an diese evolutionären Kräfte ist.
Auch wenn Tiere in gewisser Hinsicht tatsächlich wie Maschinen sein mögen, so versteht es sich doch von selbst, dass sie keine einfachen mechanischen Geräte sind. Sicherlich ist zum Beispiel das Gehirn ein entscheidender Bestandteil der Biomaschine, das bei höheren Lebewesen wie Hunden (und uns) Verhaltensweisen bewirkt und vermutlich gehört das Gehirn von Wirbeltieren zu den wohl komplexesten Dingen auf Erden, wenn nicht gar im ganzen Universum. Es gibt vierhundert Milliarden Sterne in der Milchstraße – und sechzig Billionen Nervenverbindungen in einem menschlichen Gehirn. Das Gehirn eines Hundes ist nicht ganz so galaktisch groß, aber es ist trotzdem ein beeindruckend komplexes Organ – und es ist bloß ein Teil einer kompliziert aufgebauten Biomaschine. Ohne Knochen und Eingeweide, Haut und Muskeln, Augen und Ohren und andere Organsysteme – alles Produkte der tierischen Gene, geformt durch die Evolution – kann ein Tier wie ein Hund Energie nicht gezielt in effiziente Bewegung umwandeln. Somit muss das Verhalten eine Konsequenz aus der gesamten tierischen Erscheinungsform sein, der komplexen Gesamtheit im Zusammenspiel genbestimmter Mechanismen.
Trotzdem hat die Ansicht, Tiere seien nur so etwas wie einfache Maschinen, eine lange Tradition in der Geistesgeschichte. Vor einigen Jahrhunderten stellte der Philosoph René Descartes seine berühmte These des Dualismus auf: Er argumentierte, dass „Körper“ und „Geist“ zwei voneinander verschiedene Dinge seien, von denen keines auf das andere reduzierbar sei. In seinen Augen besaß der Mensch beide Eigenschaften. Nichtmenschliche Lebewesen dagegen, beharrte Descartes, seien im Prinzip wie geschickt konstruierte Uhrwerke, die nur einen mechanischen Aufbau besäßen und keinerlei „Seelenmaterie“. Wir werden diese seit Jahrhunderten geführte und bis heute andauernde philosophische Debatte über das Verhältnis zwischen Körper und Geist hier nicht weiter verfolgen. Aber es ist lehrreich, sich darüber Gedanken zu machen, wie Descartes dazu kam, Tiere durch die metaphorische Brille eines tickenden Uhrwerks zu betrachten und wie diese Sichtweise uns vielleicht dabei helfen kann, Verhalten besser zu verstehen.
Uhren sind Maschinen, die Zeit anzeigen, wozu erfinderische Menschen eine unglaubliche Menge von Wegen gefunden haben. Sonnenuhren zeigen den Verlauf der Zeit mittels eines Schattens an, der im Verhältnis zum Stande der Sonne am Himmel steht. Kerzenuhren, Wasseruhren oder Sanduhren tun dies über den Verbrauch verschiedener Materialien in vorhersehbarer Rate. Diejenigen mechanischen Uhren, die im Mittelalter aufgekommen und zu Descartes Zeit deutlich verfeinert worden waren, arbeiteten nach einem anderen Prinzip: Diese Geräte übertrugen mechanische Bewegung (das Schwingen eines Pendels oder die Verformung einer Feder, die ein Schwungrad antrieb) in Fortbewegung. Darüber hinaus entdeckten frühe Uhrmacher und andere Tüftler bald, dass deren komplizierter Mechanismus noch zu viel mehr in der Lage war, als nur die Zeit anzuzeigen – er konnte weitere komplexe Bewegungen auf vielfältige Weise auslösen. Erfinder des achtzehnten Jahrhunderts stellten demzufolge mit Vergnügen erstaunliche Automaten her, maschinelle Uhrwerke, die wie realistische Modelle von Menschen oder Tieren anmuteten und welche nachahmen konnten, wie Liebende sich küssten, wie Soldaten Waffen abfeuerten, oder wie Hunde ihren eigenen Schwanz jagten. Ihre Maschinen konnten scheinbar auf unheimliche Weise, jedoch in wundersam wiederkennbarer Art agieren – und bestanden doch nur aus Zahnrädern, die andere Zahnräder bewegten, aus Drähten, die Teile an ihren Platz zogen und schwingenden Pendeln, die sie wieder fortbewegten. Die Tradition – nun verbessert durch hochentwickelte digitale Rechengeräte – setzt sich heute in den animatronischen Robotern fort, wie man sie in Vergnügungsparks auf der ganzen Welt findet. Über die Jahrhunderte hinweg haben zahllose Zuschauer über diese verblüffenden, sich selbst bewegenden Maschinen gestaunt: „Wie lebensecht sie sind!“ Einige dieser Roboter lassen sich jedenfalls auf den ersten Blick kaum vom echten Vorbild unterscheiden. Aber Tatsache ist, dass sogar einem ganz einfachen mechanischen Aufziehspielzeug etwas vom Verhalten eines echten Organismus anhaften kann (siehe z.B. Abb. 1).
Zwei Dinge lassen diese künstlichen Maschinen und Geräte wirken, als seien sie (fast) lebendig: Sie haben die grobe äußere Körperform von Tieren (oder Menschen) und sie bewegen sich wie diese. Im Prinzip sehen wir in diesen mechanischen Spielzeugen, in diesen Automaten, die grundlegenden Eigenschaften des tierischen Verhaltens, das wir als „die Gestalt eines Organismus, der sich in Zeit und Raum bewegt“ definieren. Dies mag Ihnen wie eine übermäßig vereinfachte Definition erscheinen. Wir meinen aber, dass dies der richtige Weg ist, um zu charakterisieren, was ein natürlicher Organismus tut, wenn wir sagen, dass er sich „verhält“. Behält man diese Definition im Hinterkopf, ist es absolut sinnvoll, zu behaupten, dass eine Maschine – und sei sie auch nur menschengemacht – Verhalten zeigt.
Abb. 1: Ein mechanisch aufziehbarer, „tickender“ Spielzeughund. Zeichnung von Carol Gomez Feinstein
Wie sie sich verhält, hängt davon ab, wie sie aufgebaut ist und wie ihre Form sich verändert, während sie mit ihrer Umwelt interagiert. Wenn eine mechanische Kuckucksuhr über sich bewegende Zahnräder, die von einer Spiralfeder angetrieben werden, die Zeit anzeigt, verhält sie sich nach der gleichen Definition, die das Benehmen eines biologischen Organismus ausmacht. Die Form ihrer Zahnradmechanismen, das Verhältnis des Abstands der Zahnräder sowie ihrer Zähne zueinander verändert sich mit der Zeit, wenn die Zahnräder sich drehen und andere dabei mitnehmen. Bei einer bestimmten Konstellation der Zahnräder wird die Uhr vier Mal schlagen. Außerdem könnte eine kleine Figur mit Tirolerhut herausspringen, sich drehen und vier Mal verbeugen, weil eine Rolle und ein Hebel über das Gebilde der Zahnräder und durch deren Position und Bewegung im Raum bewegt wurden. Im Laufe der Zeit überträgt die Feder Energie auf die Zahnräder und das Innenleben der Uhr verändert sich - und damit auch ihr Zeitanzeigeverhalten.
Die Ähnlichkeit zwischen menschengemachten „tickenden Maschinen“ und echten Tieren kann recht frappierend sein. Genau wie eine Kuckucksuhr, die exakt zur vollen Stunde schlägt, und zwar nur zur vollen Stunde, zeigen viele Vögel ein Balzverhalten, bei dem die Männchen stereotype (ritualisierte) Bewegungen ausführen, um ein Weibchen anzulocken – zum Beispiel eine bestimmte und festgelegte Anzahl von Ruckelbewegungen des Kopfes – und die sie nur zu einer bestimmten Zeit im Jahr ausführen. Wölfe haben nur ein einziges Mal im Jahr Paarungszeit, nämlich im Winter. Ihre Fortpflanzungsaktivität ist immer gleich getaktet, egal in welchem Jahr oder welchem Gebiet, und all ihre Welpen werden genau zur selben Zeit nach einer durchschnittlichen Tragezeit von dreiundsechzig Tagen im frühen Frühjahr geboren. Ebenso wie eine Schlagwerksuhr zwischen den Stunden nicht schlägt, so ruht auch das stereotype Paarungsverhalten des Wolfes in den dazwischenliegenden Jahreszeiten.
Wir müssen nochmals betonen, dass echte Tiere – natürlich! – erstaunlich kompliziert und viel feiner konstruiert sind als jede Kuckucksuhr und als jeder noch so clever entworfene mechanische Spielzeughund. Echte biologische Organismen bestehen aus ganz anderen Materialien. Sie besitzen bemerkenswerte Teile, mit denen sie empfinden und auf Aspekte ihrer Umgebung reagieren können (obwohl man heutzutage auch schon künstliche Automaten mit dieser Fähigkeit herstellen kann). Ein Uhrwerkshund bezieht seine Energie aus einer von Menschenhand aufgezogenen Feder oder vielleicht aus einer Batterie; echte Hunde gewinnen ihre Energie aus Nahrung, die ihnen Menschen zur Verfügung stellen. Wilde Tiere müssen im Wettbewerb mit unzähligen anderen in der Welt draußen ihre eigenen Energiequellen finden. Auch verändern sich echte Tiere mit der Zeit: Ein Huhn schlüpft aus dem Ei. Ein neugeborener Welpe und ein erwachsener Hund haben sehr unterschiedliche Gestalten. Künstliche Geräte dagegen formen sich nicht selbst zu etwas neuem um. Und, was vielleicht am wichtigsten ist: Tiere können sich selbstständig fortpflanzen. Das ist etwas, was (noch) keine menschengemachte Maschine zu leisten vermag. Die Fortpflanzung ist ein hochwichtiger Teil in der Geschichte der Biologie. Sie ist auch ein grundlegendes Element der Evolution und spielt eine ausschlaggebende Rolle im tierischen Verhalten.
Es versteht sich, so hoffen wir, von selbst, dass Tiere nicht von einem cleveren Erfinder entworfen wurden, der Teile einfach und logisch zusammenfügt. Vielmehr sind die Gestalten von Lebewesen und deren Fähigkeiten, sich zu bewegen, komplexe Ergebnisse natürlicher Selektionskräfte und anderer Evolutions- sowie Entwicklungsprozesse. Diese führen zu einer Riesenvielfalt an Antworten auf die Herausforderungen des Lebens – wie und warum diese Lösungen überhaupt funktionieren, ist oftmals verblüffend. Im Gegensatz dazu ist das Verständnis um die Funktionalität einer Uhr oder eines Automaten eine ziemlich einfache Aufgabe: Man kann sie geduldig auseinanderbauen, ihre Einzelteile genau bestimmen und herausfinden, wie sie zusammenwirken. Biomaschinen sind erheblich schwerer zu durchschauen. „Ein Tier zu zerlegen“, sei es anatomisch, physiologisch oder verhaltenstechnisch, ist ein gewaltiges Unterfangen. Leider ist es oft unklar, welches tatsächlich die einzelnen Bestandteile sind, wozu sie dienen und wie sie zusammenpassen. Biologische Systeme können sich, von Zellmechanismen bis hin zum Nervenaufbau, als sehr kompliziert erweisen und viele Generationen von unterschiedlichsten Wissenschaftlern haben es sich zur Lebensaufgabe gemacht, dieselben zu ergründen.
Gene und das Verhalten von Biomaschinen
Wenn wir heute etwas mit Sicherheit verstehen, dann die Tatsache, dass die Gene - die in der DNA verschlüsselten, vererbbaren chemischen Bauanleitungen - unverzichtbare Grundbestandteile der Maschinerie sind. Sie sind die Basis für ihre Fähigkeit zur Fortpflanzung. Die genetische Information eines Tieres hat bei der Festlegung des ursprünglichen Apparate-Basisplans eine Schlüsselfunktion (oft in enger Interaktion mit der Umgebung, in der die Gene operieren). Über die gesamte Lebenszeit hinweg, aber auch tagtäglich bauen und erneuern die Gene den Organismus, bestimmen den Charakter und die Grenzen seiner Körpergestalt sowie seine Fähigkeit, sich zu jeder beliebigen Zeit bewegen zu können.
Von diesem Standpunkt aus betrachtet ist das Verhalten eines Tieres notwendigerweise und immer durch die seine Konstruktion beherrschenden Gene geprägt. Ein Hund benimmt sich wie ein Hund, weil er Hundegene besitzt – weil er gebaut ist wie ein Hund und nicht wie etwas anderes. Insofern ist jegliches Verhalten genetisch vorherbestimmt. Wie ein Tier von seiner Umwelt beeinflusst wird, bis zu welchem Grad sein Verhalten durch Training und Lernen veränderlich sein mag, sogar die Art, wie es Informationen darzustellen und sich zunutze zu machen vermag (sein „Verstand“, wenn man es so nennen möchte) – all jene Dinge sind grundlegend eingeschränkt durch artspezifische genetische Charakteristika, und dies ist das Kernthema der Ethologie.
Wir müssen allerdings sehr vorsichtig und präzise vorgehen, wenn wir sagen, alles Verhalten sei genetisch bedingt. Die tatsächlichen Bewegungsmuster, die ein Tier zeigt, sind niemals exakt in der Sprache der DNA selbst „niedergeschrieben“; sie sind nicht im Zellcode eines einzelnen Gens hinterlegt. Was die Gene tun, ist nicht mehr (und auch nicht weniger), als Zellmechanismen anzustoßen, welche Proteine entstehen lassen, die den Körper „bauen“ und die Körperprozesse steuern, welche wiederum das Lebewesen befähigen, sich zu bewegen und auf bestimmte Weise zu handeln. So gesehen hat jedes Verhalten in der Tat eine genetische Grundlage – und muss es auch haben. Aber paradoxerweise ist es gleichzeitig auch korrekt zu sagen, dass es keine „Verhaltensgene“ gibt. Was wir damit sagen möchten, ist, dass es kein einzelnes Gen für die Partnerwahl gibt und keines, das einzig und alleine das komplizierte Bewegungsmuster des Beutefangverhaltens (Prädation) steuert. Es gibt nur vollständige Körper (und Gehirne), die aus der Gesamtheit der Ausdrucksform der Gene bestimmt sind und die wiederum bestimmtes Verhalten möglich machen.
Wenn wir nun also beobachten, dass Greyhounds schneller laufen als Dackel, bedeutet dies dann, dass wir es mit einer genetischen Eigenschaft der Rasse zu tun haben? Die Antwort hierauf lautet in einem ganz wichtigen Sinne ja. Sie resultiert aus der Tatsache, dass ein Greyhound ein Genom besitzt, aus dem ein Tier mit der Größe, Knochenstruktur, Muskulatur und dem Nervensystem eines Greyhounds entsteht, was insgesamt zu einer Erscheinungsform führt, die schnelles Rennen ermöglicht. Dackel unterscheiden sich nun nicht vom Greyhound, weil sie unterschiedliche „Geschwindigkeitsgene“ haben, sondern weil Dackelgene einen unterschiedlichen Körper mit einer abweichenden Bewegungsfähigkeit hervorbringen.
Wenn Sie auf eine Hunderennbahn gehen, werden Sie außerdem feststellen, dass manche Greyhounds eindeutig schneller sind als andere. Ein unterernährter oder schlecht trainierter Hund wird in einem Rennen selbst dann zurückliegen, wenn sein Zwilling, der identische Gensequenzen besitzt, der Sieger wäre.
Gene können eine tiefgreifende Auswirkung auf die Form des Tieres und sein daraus resultierendes Verhalten haben, während sie in einer variablen Umgebung interagieren. Gleichwohl kann sich zwar die sich entwickelnde Erscheinungsform eines Greyhounds im Laufe ihres Lebens auf vielfältige Weise verändern, sie wird jedoch nie zu etwas werden, das wie ein Dackel aussieht. Und kein Dackel wird je so schnell rennen wie ein Greyhound, ganz egal, wie sehr man auch seine Entwicklung und Fitness zu steigern versucht oder ihn trainiert.
Letztendlich sind es die genetisch vorherbestimmten Gesamtprofile, die einen Greyhound wie einen Greyhound oder einen Dackel wie einen Dackel ticken lassen. Was Ethologen verstehen möchten, ist, wie diese Form mit seiner sie umspannenden Biomaschine im Laufe der Evolution entstanden ist, wie sie sich über die Lebenszeit hinweg zu entwickeln vermag und wie sie die adaptiven Bewegungsmuster ermöglicht, aus denen Verhalten besteht.
Was Hunde nicht antreibt: Ein paar mahnende Worte zur Vorsicht
Für Ethologen, die wissenschaftliche Hypothesen über die Natur des Verhaltens formulieren und testen möchten, sind Hunde großartige Versuchstiere. Sie sind allgegenwärtig, leicht zu beobachten und die Arbeit mit ihnen macht meist Spaß. Wir finden aber, dass sie uns darüber hinaus auch noch eine Reihe von Beispielen dafür liefern, wie man eben nicht an das Thema herangehen sollte. Ehe wir uns eingehender damit befassen, wie man Verhalten - was ein Tier zum Ticken bringt - beschreiben und erklären kann, ist es sicherlich hilfreich, wenn wir einen Schritt zurückgehen und einige gängige Vorstellungen (man könnte sie auch Mythen nennen) über Hunde untersuchen, insbesondere solche, die uns in die Irre führen könnten.
Der beste Freund des Menschen?
Viele Menschen begnügen sich damit, den Charakter und das Verhalten von Hunden damit zusammenfassen, dass sie sich auf den alten, abgenutzten und wahrscheinlich irreführenden Aphorismus berufen, Hunde seien des Menschen bester Freund – sie hätten eine starke, spezielle Bindung zum Menschen und ihr eigentliches Wesen mache sie treu und ergeben. (Natürlich sind es nicht nur „Hundemenschen“, die den Anspruch auf des Menschen besten Freund erheben: Pferdeliebhaber glauben zweifellos, das Pferd verdiene diesen Titel).
Dieses Bild wird durch unsere Alltagskultur und in den Massenmedien ständig bestätigt. Wir alle kennen Beispiele, die das Image des Hundes als geliebter, menschenähnlicher Freund bedienen. Die meisten von uns schrecken entsetzt bei der Vorstellung zurück, unsere Hundefreunde als Nahrungsquelle zu nutzen (obwohl einige Kulturen Hundefleisch essen, und andere auch Pferdefleisch toll finden). Vielmehr wenden wir jedes Jahr Milliarden an Dollar auf, um diese in Hundefutter anzulegen. Eine Menge Hunde scheint mit den Menschen so komfortabel und glücklich zu leben, dass es nicht verwundert, wenn wir sie als beste Freunde betrachten.
Wir geben allerdings zu bedenken, dass diese sentimentale Betrachtungsweise der hündischen Verhaltensnatur ziemliche Schwachstellen aufweist und uns im Verständnis, warum Hunde sich tatsächlich so verhalten, wie sie es tun, nicht weiterhilft. Tatsächlich ist das Verhältnis von Mensch zu Hund nicht immer nur ein Zuckerschlecken. Es gibt zahllose Problem-hunde, die alles andere als gute Freunde des Menschen sind. Es hat sich ein immenser, aus Hundetrainern und -psychologen bestehender Wirtschaftszweig entwickelt: Diese versuchen, unerwünschtes Verhalten und Wesensmerkmale zu beheben, indem sie eine Fülle an modernen Techniken und Arzneimitteln zur Verhaltensänderung einsetzen. Zu dieser „Neuen Revolution“ in der Hundeerziehung sind eine Menge Bücher erschienen. Was aber den fünf Millionen Hunden nicht geholfen hat, die jedes Jahr in Tierheimen enden oder eingeschläfert werden, weil sie nicht erzogen werden können oder als gefährlich eingestuft werden. Es lässt auch nichts von den 17 Prozent der Hunde ahnen, die von Tierärzten wegen mitunter schwerwiegender Verhaltensprobleme behandelt werden. Tatsächlich sind Hundebisse quasi zu einer Epidemie geworden – wir sind versucht, sie als eine weltweite Pandemie zu bezeichnen. Alleine in den Vereinigten Staaten ist die Bissrate auf 536 Bisse pro Stunde gestiegen – etwa 4,7 Millionen Hundebisse im Jahr. Etwa achthunderttausend der gebissenen Menschen benötigen medizinische Versorgung und sechstausend müssen stationär aufgenommen werden: Mitunter heißt es, Hundebisse seien die Volkskrankheit Nummer zwei in diesem Land (den USA).
Von der mutmaßlich fast einer Milliarde an Hunden auf der Welt ist zudem nicht einmal ein Viertel tatsächlich das, was die Weltgesundheitsorganisation als „vom Menschen abhängig und in ihrer Bewegungsfreiheit eingeschränkt“ bezeichnen würde. Mehr als 750 Millionen weitere Hunde leben auf Straßen und Müllhalden und ernähren sich von menschlichen Exkrementen - und gelegentlich auch einem Leichnam. Diese freilaufenden Hunde, die unabhängig von einem Besitzer (oder „besten Freund“) auf den Straßen der Großstädte und am Rande ländlicher Ortschaften leben und sich fortpflanzen, sind der Hauptgrund der weltweit um die fünfundsiebzigtausend tollwutbedingten Todesfälle im Jahr. Noch während wir dies schreiben, ist eine neue Tollwutepidemie in der Republik Kongo ausgebrochen. Des Menschen bester Freund – in der Tat!
Anthropomorphismus (Vermenschlichung)
Warum hält sich diese sentimentale Vorstellung bloß so hartnäckig? Zum Teil wohl deshalb, weil wir Menschen einen unglaublich starken Hang dazu haben, uns die Welt zu erklären (oder zu glauben, dass wir sie uns erklären können), indem wir unsere menschliche Sichtweise auf so gut wie alles anwenden. Wir neigen stark dazu, Tieren und deren Verhalten, Naturereignissen wie Stürmen oder gar unbelebten Objekten wie Autos menschenähnliche Eigenschaften zu unterstellen. Das ist purer Anthropomorphismus, der Drang, allen Dingen (worauf der griechische Wortursprung hindeutet) eine menschliche Gestalt zu geben. Es ist eine beharrliche und mächtige Weltanschauung, die zutiefst in unserer Psyche verwurzelt zu sein scheint. Für ein kleines Kind kann eine Stoffpuppe oder eine Action-figur aus Kunststoff genauso real und menschenähnlich erscheinen wie seine echten menschlichen Freunde. Sie zu bewegen und sprechen zu lassen erscheint Kindern absolut einleuchtend. Auch Erwachsene sind dagegen nicht gefeit. Sind wir nach einer langen und anstrengenden Autofahrt durch einen Schneesturm sicher zu Hause angekommen, klopfen wir dem Auto auf die Motorhaube und sagen zu ihm: „Gut gemacht!“ Wenn Computer oder Küchengeräte ihren Dienst versagen, verfluchen wir sie, treten nach ihnen und beschwören sie, sich anständig zu verhalten. Im weitesten Sinne ist das auch der Grund, weshalb wir Uhrwerksautomaten als für so lebensecht befinden können.
Wenn man uns auf den Zahn fühlt, werden wir natürlich zugeben, dass diese Art von Maschinen nicht wirklich auf unser Tun reagiert. Wir wissen, dass sie uns nicht wirklich verstehen (oder lieben), auch nicht, wenn wir sie weiterhin so behandeln, als ob dem so wäre. Da ist natürlich wenig an einem Auto oder einem Computer, das wirklich „wie wir“ wäre, aber es fällt uns sehr schwer, nicht zu glauben, sie könnten vielleicht doch so sein. Manche glauben, dieser Impuls stamme aus einem tiefen psychischen Bedürfnis in uns, das Wertschätzung und Vertrautheit auf Dinge projiziert, die wichtig für uns sind. Was auch immer die Erklärung sein mag: Anthropomorphismus ist vorwissenschaftliches, mythologisches Denken – etwa von der Art, das Frühmenschen dazu brachte, sich einen Vulkanausbruch zu erklären, indem sie seinen Ausbruch als Zorn eines personifizierten Gottes deuteten.
Besonders leicht fällt es, Tiere zu vermenschlichen, die uns in gewisser Hinsicht tatsächlich ähneln. Es geht wohl etwas zu weit, ein Spiegelbild unser selbst in einer Tarantel oder einer Meeresschnecke sehen zu wollen. Aber gar nicht so weit hergeholt scheint es, einen Säuger wie einen Hund mit Körperteilen (Haaren, vier Gliedern und Brustwarzen) und Prozessen (Geburt, die Aufzucht von Nachkommen), welche unseren eigenen ziemlich ähneln, mit „Menschengestalt“ zu belegen. Besonders leicht scheint es, Tiere zu vermenschlichen, die in einer besonders engen Beziehung zu uns leben. Daher geben wir unseren Hunden (und Katzen und Sittichen und Pferden – jenen anderen Anwärtern für „bester Freund des Menschen“) menschenähnliche Namen, reden mit ihnen, als würden wir echte Unterhaltungen mit ihnen führen und stricken ihnen Pullover. Wir wollen glauben, Tiere hätten so etwas wie menschliche Gedanken und Gefühle. Wir lieben den Gedanken, dass ein Hund tatsächlich, wie Darwin selbst es einmal ausgedrückt hat, so etwas wie „starke Freundschaft“ empfinden möge, sei es für uns oder auch für andere Tiere wie Schafe. Wir haben Freunde, also können Hunde auch welche haben, und sie müssen uns gegenüber irgendwie dasselbe empfinden wie wir für sie. Aber wir müssen mit derartiger Denk- und Ausdrucksweise betreffs Hunden oder anderen Tieren extrem vorsichtig sein. Tiere von einem menschlichen Standpunkt aus zu betrachten, mag der Entwicklung interessanter Hypothesen dienlich sein (Mutmaßungen, die dennoch sorgfältiger wissenschaftlicher Untersuchung bedürfen), doch es kann oftmals dazu führen, Verhalten auf eine Weise zu betrachten, die glattweg falsch sein könnte.
Ein Paradebeispiel dafür ist die oft zitierte britische Geschichte von Greyfriar’s Bobby. Der Überlieferung nach war Bobby ein Skye Terrier, der im viktorianischen Schottland Mitte des neunzehnten Jahrhunderts einem Nachtwächter gehörte.
Die übliche Variante der Geschichte lautet, dass Bobby, nachdem sein Herrchen gestorben und auf dem Friedhof der Greyfriar’s Church begraben worden war, vierzehn Jahre lang treuergeben an dessen Grab gesessen habe. Nach dem eigenen Tod des Hundes errichtete man Statuen zu Ehren der Treue und Liebe zu seinem Herrn.
Bobbys Geschichte hat die Herzen der britischen Hundeliebhaber eineinhalb Jahrhunderte lang erwärmt und brachte Filme, Bücher sowie einen lebhaften (und lukrativen) Tourismus hervor. Es gibt jedoch zunehmend Anhaltspunkte dafür, dass diese sentimentale Geschichte über ein grenzenlos loyales Tier, einen Freund bis über den Tod hinaus, wirklich nur ein Mythos ist. Jan Bondeson, ein Historiker der Cardiff University, kam zu dem Schluss (wie die Londoner Zeitung Telegraph 2011 berichtete), der ursprüngliche Bobby sei wahrscheinlich nur „einer von um die 60 viktorianischen Friedhofshunden“ gewesen, „die an den Gräbern auf Futter warteten und so gut behandelt wurden, dass sie dort blieben, um ein unabhängiges und bequemes Leben zu führen.“ Über die Jahre hinweg haben ortsansässige Kaufleute tatsächlich eine Reihe verschiedener, Bobby ähnelnder Tiere angeheuert, um diese Rolle aufrechtzuerhalten – und um den Tourismus zu fördern. Tatsächlich findet man weltweit freilaufende Hunde ohne einen Besitzer, den sie „lieben“, oftmals in der Nähe frisch begrabener Leichen vor (siehe Tafel rechts). Unter Umständen werden sie von Friedhofsbesuchern oder Totengräbern gefüttert; nicht selten verzehren sie menschliche Überreste.
Wölfe in unserer Mitte
Ebenso auf dem Holzweg sind wir, wenn wir der Vorstellung anhängen, Hunde seien wirklich nur Wölfe, die irgendwie dahin gelangt sind, unter uns leben zu können. Vielleicht entstammt dieser Gedanke einer modernen menschlichen Sehnsucht nach einer engeren Verbindung mit der Natur, aber auch das ist nur ein weiterer Mythos. Es stimmt, dass es einem beim Anblick von Hunden (oder zumindest einigen davon) so vorkommt, als sei da eine offensichtliche äußere Ähnlichkeit mit Wölfen. Und fragt man jemanden, woher Hunde kommen, wird man beinahe mit Sicherheit zur Antwort bekommen: „Sie stammen natürlich von Wölfen ab.“ Lesen Sie irgendeinen beliebigen Bericht zu diesem Thema, und Sie werden sofort zu hören bekommen, dass auch die meisten Wissenschaftler glauben, der Hund stamme vom Wolf ab. Wölfe und Hunde sind stammesgeschichtlich sicher nahe Verwandte - neben Kojoten, Schakalen, Äthiopischen Wölfen und Dingos. Sie können sich untereinander fortpflanzen und dabei lebensfähigen und fruchtbaren Nachwuchs hervorbringen. Aber es gibt tatsächlich kaum Beweise dafür, dass Hunde direkte Nachfahren der legendären großen Grauwölfe in Nordkanada oder Russland wären – jedenfalls nicht aus Population der heute vorkommenden wilden Wölfe.
Aber vor allem verhalten sich moderne Hunde schlicht und einfach nicht wie moderne Wölfe. Bekannte Hunde“experten“ wie Cesar Millan mögen Ihnen erzählen, dass ein guter Hundebesitzer die Rolle des Alpha-wolfes, des dominanten Rudelführers einnehmen müsse. Aber tatsächlich leben Hunde gar nicht in hierarchisch aufgebauten Rudeln. Es ist sogar anzuzweifeln, dass die meisten Wölfe so leben. Hunde unterscheiden sich noch in zahllosen anderen Belangen von Wölfen und anderen wilden Canidenarten. Erwachsene Hunde lassen sich bereitwillig dazu abrichten, menschlichen Befehlen zu folgen und unzählige Aufgaben für uns zu erledigen – nicht jedoch Wölfe. Wölfe können großartige Talente im Problemlösen sein und sind genau wie Kojoten vollendete Ausbruchskünstler, sollten sie vom Menschen eingesperrt worden sein. Hunde dagegen lassen sich leicht in Käfige sperren. Betrachten wir auch einmal, wie die verschiedenen Spezies ihre Elternrolle erfüllen und sich um den Nachwuchs kümmern. Männliche und weibliche Wölfe gehen Paarbindungen ein, leben zusammen, paaren sich miteinander und verteidigen währenddessen ihr Futterrevier, oftmals auf Lebenszeit (typischerweise für weniger als drei Reproduktionsjahre). Hunde tun das nie. Die Männchen all dieser wilden Arten sorgen für Nahrung und beschützen ihre Gefährten, während die Weibchen die Welpen säugen. Nicht so Hunde. Mütter der wilden Arten würgen regelmäßig Futter für ihren Nachwuchs hervor; das tun auch die Väter (die ebenso Futter für ihre Jungen von der Jagd heimbringen): Hunde regurgitieren nicht häufig genug, um ihre Welpen ausschließlich mit dieser Art von Ernährung durchzubringen. Und Hundeväter haben nicht das Geringste mit der Aufzucht der Welpen zu tun.
Abb. 2: Statue von Greyfriar’s Bobby in Edinburgh. „Des Menschen bester Freund“ ist gut fürs Geschäft. Foto: Evie Johnstone
Es ist ganz einfach Tatsache, dass domestizierte Hunde und Wölfe unterschiedliche Tiere sind und dass der eine nicht (besonders gut) in der Nische des anderen leben kann. Wölfe sind vollkommene Prädatoren, aber man wird kaum einen Hund finden, der einen Elch zu Nahrungszwecken zur Strecke bringen und töten kann. Hunde werden Rotwild aufspüren oder hinter Wildschweinen herjagen, wenn sie Menschen auf der Jagd begleiten, aber es ist höchst zweifelhaft, dass sie von selbständiger Jagd jemals leben könnten. Wölfe dagegen werden für ihren Teil kaum zahm genug werden, um in der häuslichen Welt der Hunde am Herd und im Heim des Menschen zurechtzukommen. Sie mögen gelegentlich alleine in oder in der Nähe menschlicher Behausungen leben, sind jedoch üblicherweise eher nicht in der Lage, in der Gegenwart von Menschen zu fressen. Wohingegen freilebende Hunde, die auf Müllhalden oder auch nur außerhalb der Stadt aufgewachsen sind, durchaus in menschlicher Gesellschaft zu fressen fähig sind.
Ja, es existieren einige zahme Wölfe, Kojoten und Schakale. Allerdings ist es zumindest nach unserer Erfahrung eine Herkulesaufgabe, einen Wolf dahin zu bringen, dass er sich zu einem angenehmen Weggenossen des Menschen entwickelt. Bei einem Hund ist es schwierig, ihn nicht zu zähmen. Es bedarf lediglich ein paar Stunden an Arbeit pro Woche während der fünften, sechsten und siebten Lebenswoche der Hundewelpen (selbst wenn die Mutter sie noch säugt) – das reicht völlig aus, um sie am Menschen zu orientieren und zu sozialisieren. Sie werden uns für den Rest ihres Lebens unterwürfig um die Beine streichen.
Abb. 4: Hunde auf der Mülldeponie von Mexico City. Ein großer Unterschied zwischen Hunden und den meisten anderen Caniden ist die Tatsache, dass sie in der Lage sind, entspannt im Beisein von Menschen zu fressen.
Wölfe zu zähmen ist etwas ganz anderes. Man muss sie von Hand aufziehen – die Wolfswelpen müssen mit der Flasche ernährt werden – und mit der Sozialisierung am zehnten Lebenstag beginnen, noch ehe sie die Augen öffnen. Niemals nach der dritten Woche. Wenn man derart spät anfängt, mag ein Wolf wohl den engen Kontakt zum Menschen bis zu einem gewissen Grad tolerieren können, aber er wird keine soziale Bindung aufbauen. Er mag weniger scheu sein, aber er wird niemals einen Menschen begrüßen oder um seine Aufmerksamkeit werben, nicht einmal bei ihm vertrauten Personen. Wenn man am zehnten Lebenstag beginnt, muss man vierundzwanzig Stunden am Tag mit den Wölfen zubringen, jeden Tag, durchgehend bis zu ihrer vierten oder gar sechsten Lebenswoche – oder so lange, „bis man nicht mehr bei ihnen schlafen kann, weil sie einen beißen, sobald sie aufwachen,“ wie sich Kathryn Lord beklagt – eine unserer ehemaligen Studentinnen, die inzwischen eine Ethologin und erfahrene Wolfsbändigerin geworden ist. Noch viele Wochen danach muss man all seine Wachzeit mit ihnen verbringen, so um die achtzehn Stunden täglich. Das Zähmen eines Wolfes kann viele tausend Stunden dauern, wenn man es zu einem Ergebnis bringen möchte, das man mit einem Hund schon früher, leichter und ganz natürlich erreicht. Der Romantiker in uns mag von der Idee angetan sein, unser friedfertiges Haustier sei wirklich nur einen Schritt entfernt vom wilden Tier. Das ist ebenso mythologisches Denken wie der Wunsch, Hunde als des Menschen besten Freund anzusehen. Wir brauchen eine bessere, systematischere und weniger sentimentale Art des Verständnisses davon, wie Hunde – und Tiere im Allgemeinen – wirklich sind.