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3. UNDE MALUM – WOHER DAS BÖSE? I

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In diesen beiden Worten – »Unde malum – Woher das Böse?« – hat Tertullian im 2. Jh. n. Chr. zusammengefasst, was den Menschen seit jeher bewegt.13 Die Vernunft sucht nach Gründen. Sie deutet die Phänomene, die ihr begegnen, indem sie nach ihrem Woher, ihren Ursachen und Wirkungen fragt. Stellen sich Schmerzen ein und wird der Arzt konsultiert, dann interpretiert er diese als Wirkung, die eine Ursache haben muss. Er stellt eine Diagnose, die es ihm ermöglichen soll, die Ursachen der Schmerzen zu beseitigen und auf diese Weise ihre leidvollen Wirkungen zu unterbinden. Dieses Kausalitätsdenken, das einen Nexus zwischen Ursache und Wirkung herstellt, gehört offensichtlich zu den Grundformen und Grundnormen geistiger Arbeit. Bereits die antiken Mythen sind vom ätiologischen Denken geprägt. Erscheinungen in der Natur, Gegebenheiten des Lebens, aber auch Sitten und Bräuche der Völker werden durch Erzählungen von Göttern und Menschen erklärt, die den Grund dafür angeben, wie es zu alledem gekommen sei. Und unsere moderne Wissenschaftskultur bedient sich mit dem Regelwerk ihrer eigenen Logik nach wie vor in erster Linie der Frage nach den causae auf ihrer Entdeckungsreise durch die Welt. Welche Ursachen liegen den Erscheinungen zugrunde?

Ohne Zweifel hat das Kausalitätsdenken die Geistesgeschichte in hohem Maße geprägt und eine beeindruckende Erfolgsgeschichte aufzuweisen. Ja, zuweilen ist es so erfolgreich gewesen, dass manche – einen ungebrochenen Wissenschaftspositivismus pflegende – Zeitgenossen meinen, mit dem Kausaldenken den Generalschlüssel für die Interpretation der Wirklichkeit, auch der des Bösen, in den Händen zu halten. Für ihren Fortschrittsoptimismus ist letztlich alles nur eine Frage der Zeit, bis die Wissenschaft die heute noch verborgenen Ursachen für die großen Welträtsel und die Geheimnisse des Lebens aufgedeckt hat.

Manch einer verspricht sich die Lösung des Rätsels von der Entdeckung der Weltformel, die dazu in der Lage sein müsste, die Letztursache für das Werden unseres Universums zu benennen. Friedrich Dürrenmatt hat in seiner Komödie »Die Physiker« mit feinem Humor und tiefem Ernst gezeigt, vor welche wissenschaftsethischen Probleme der Mensch auf der Jagd nach der Weltformel gestellt wird. Und die seriöse Wissenschaft ist sich ohnehin darin einig, dass – wenn es eines Tages gelänge eine solche Weltformel zu erstellen – diese wohl nur für den Bereich messbarer physikalischer Größen Gültigkeit beanspruchen könnte. Eine Erweiterung des Geltungsbereiches auf die Geistes-, Lebens- und Sozialwissenschaften, die Politik, die Ethik und Ästhetik, die Psychologie, Philosophie, Theologie und Kunst sei weder intendiert noch wirklich sinnvoll. Die komplexen Probleme, die in diesen Lebens- und Wirklichkeitsbereichen herrschen, sind ganz anderer Natur und lassen monokausale Erklärungen sowie ihre reduktionistische Rückführung auf eine Letztursache kaum als sinnvoll erscheinen.

Das bedeutet allerdings nicht, dass das Kausaldenken auf diesen Feldern des geistigen, wissenschaftlichen und künstlerischen Arbeitens sinnlos ist. Im Gegenteil! Auch in diesen Wirklichkeitsbereichen und ihrer wissenschaftlichen Erforschung hat es einen festen Platz und stellt ein unentbehrliches Instrument dar. Aber in der Begegnung mit den Phänomenen, die hier zu bedenken sind, stößt der aufmerksame Beobachter immer wieder auf die Grenzen derjenigen Erklärungsmuster, die sich in der Abfolge von Ursache und Wirkung bewegen.

Das Nachdenken über Ursachen, Wirkungen und Verantwortung führt immer wieder zu der Einsicht, dass es Probleme gibt, die – selbst wenn wir die Gründe und Verursacher kennen – sich hartnäckig einer wirklich befriedigenden Erklärung verweigern. Hat man zum Beispiel einen Menschen als Verursacher des Bösen ausgemacht, dann tut sich dahinter eine neue Warum-Frage auf: Warum hat er das getan? Hat man herausgefunden, dass der Täter in sozialen Verhältnissen aufgewachsen ist, die ihn in seine Untat getrieben haben, dann stellt sich die Frage: Wie konnte es zu solchen Verhältnissen kommen? Wurden die Verhältnisse eingehend analysiert, dann kann gefragt werden, warum bei gleichen Lebensverhältnissen die einen zu Tätern des Bösen werden und andere nicht. Hat man hirnphysiologische Ursachen für ein gewaltbereites Verhalten ausfindig gemacht, dann wirft dies die Frage auf, warum diese Disposition ausgerechnet bei dem einen gegeben ist und bei anderen nicht. Hat man die Ursachen für eine Naturkatastrophe, eine Krankheit herausgefunden, dann stellt sich die Frage: Warum gerade jetzt und an diesem Ort? Das Warum-Fragen will kein Ende nehmen, weil sich hinter ihm häufig eine viel tiefere Frage auftut: Die Sinnfrage! Welchen Sinn macht es, dass Mensch und Welt so sind, wie sie sind?

Zu diesen Sinnfragen gehört in ganz prominenter Weise die nach dem sogenannten Bösen. Selbst wenn wir seine Ursachen kennen, bleibt die Frage: Welchen Sinn macht das Böse, oder ist es nicht das Widersinnige, Absurde schlechthin, das sich all unseren Denkbemühungen erfolgreich entzieht? Und ist es daher nicht sinnlos, überhaupt nach einem Sinn des Bösen zu fragen? Selbstverständlich lassen sich auch die Erfahrungen des Bösen kategorisieren und systematisieren. Aber lässt sich ihnen damit ein Sinn abgewinnen? Gottfried Wilhelm Leibniz hat in seiner Schrift über die Theodizee drei Gestalten des Bösen voneinander unterschieden: Das malum morale, das moralische Übel, im religiösen Bereich als Sünde bezeichnet, lässt sich auf die Untaten von Menschen als seine Verursacher zurückführen, die dafür auch die Verantwortung tragen. Das malum physicum oder naturale, das physische oder auch natürliche Übel, eine Krankheit oder eine Naturkatastrophe, erklärt sich aus natürlichen, biologischen oder auch physikalischen Gegebenheiten heraus. Eine Verantwortungszuschreibung fällt hier schon schwerer. Auch wenn wir heute wissen, dass eine Vielzahl von Zivilisationskrankheiten oder Umweltkatastrophen ebenfalls auf menschliches Fehlverhalten zurückgehen, bleiben immer noch eine Fülle von Übeln, deren natürliche Ursachen wir zwar kennen, die aber nicht dem Menschen zugerechnet werden können. Noch schwieriger ist es hingegen mit dem malum metaphysicum. Für dieses lässt sich keine innerweltliche Größe verantwortlich machen. Mit ihm kommt vielmehr die unvermeidliche Unvollkommenheit der Schöpfung als solche zur Sprache. Da es neben Gott als dem Absoluten schlechthin kein zweites Absolutes geben kann, muss die Schöpfung, die sich vom Schöpfer wesensmäßig unterscheidet, eben ein malum haben, ein Defizit, etwas Unvollkommenes, das vor allem in der Endlichkeit ihrer Geschöpfe, in Leid und Tod zum Ausdruck kommt.14 Damit gründen aber letztlich auch das malum morale sowie das malum physicum im malum metaphysicum, also darin, dass die Schöpfung unvollkommen und endlich ist, ja, letztlich so sein muss, weil nur der Schöpfer absolut, das heißt vollkommen und ewig sein kann. Könnte das Geschaffene ebenfalls den Rang des Absoluten und Ewigen für sich beanspruchen, dann stünde es auf einer Stufe mit dem Schöpfer. Gott bekäme einen Nebengott, der seine Macht und Möglichkeiten begrenzte. Und da der Absolute dann absolut nicht mehr absolut wäre, könnte er auch nicht mehr Gott sein. Wen also will man für das malum metaphysicum verantwortlich machen, wenn nicht einmal mehr Gott dafür zur Rechenschaft gezogen werden kann? Wen, wenn Gott um seiner Gottheit willen, das heißt um seiner Vollkommenheit und Absolutheit willen gerechtfertigt ist, die eben kein zweites Absolutes und Vollkommenes neben sich zulassen kann? Wie aber kann Gott absolut und vollkommen sein, wenn er doch unter einem solchen Zwang steht, das Unvollkommene, Defizitäre, Böse nicht nur zuzulassen, sondern sogar zu schaffen? Ist und bleibt damit nicht jede Theodizee, jeder Versuch, Gott zu rechtfertigen, zum Scheitern verurteilt? Wäre es nicht die einzige Möglichkeit des Schöpfers gewesen, sich diesem Zwang zu entziehen, auf die notwendigerweise unvollkommene Schöpfung als sein Gegenüber zu verzichten? Klingt demnach die Frage unde malum? nicht in unauflösbaren Paradoxien aus, im Nichtwissen und im Schweigen?

Polytheistische oder dualistische Gotteskonzeptionen hatten und haben es leichter, auf diese Frage eine Antwort zu finden. Sie vermochten gut und böse unterschiedlichen Figuren, kosmischen und chaotischen Mächten im Pantheon zuzuweisen, die sich gegen seitig bekämpften. Das Hiobbuch selbst ringt noch mit derartigen Welt- und Gotteskonzepten, wenn es mit Leviatan (Hi 3,8;40,25–41,26) und Behemot (Hi 40,15–24) die mythischen Bilder der im Alten Orient bekannten und bedrohlichen numinosen Chaoswesen aufruft, oder mit der Gestalt des Satans (Hi 1,6–12;2,1–7) einen Gegenspieler Gottes einführt. Wie sich allerdings zeigen wird, werden diese Konzepte durch die Autoren des Hiobbuches letztlich dekonstruiert. Mit ihrem »Helden« Hiob bleiben sie konsequente Verfechter des Monotheismus und setzen sich der schier unlösbaren Aufgabe aus, Gott, den Schöpfer der Welt, sowie gut und böse nicht auseinanderfallen zu lassen, sondern zusammenzudenken (vgl. Hi 1,21;2,10). Wie nahe sie dabei dem unerlegbaren »Löwen des Bösen« kommen, und worin der Gewinn bestehen könnte, den einen, einzigen Gott des Monotheismus nicht aus der Verantwortung für die menschlichen Erfahrungen des Bösen zu entlassen, das soll in der nun folgenden Darstellung des Hiobbuches ausgelotet werden.

Hiob

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