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A EINFÜHRUNG 1. »WIDERSTAND UND ERGEBUNG«

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Die Lektüre des Hiobbuches gleicht einer Reise in die Dunkelheit. Dabei handelt es sich aber nicht um jedes Dunkel schlechthin, sondern um eine ganz bestimmte Finsternis. Man kann sie als Gottesfinsternis bezeichnen, von der Martin Buber gesagt hat, sie sei »in der Tat der Charakter der Weltstunde, in der wir leben«.1 Wer sich auf diese Reise einlässt, kann allerdings die Erfahrung machen, dass ihm dabei ungeahnte Kräfte und ein tiefer Trost widerfahren. Denn das Hiobbuch ist keine Schrift, die ihren Lesern lediglich die sprichwörtlich gewordenen Hiobsbotschaften präsentiert, Botschaften von bösen Schicksalsschlägen und tiefem Leid. Dieses Buch wird sich bei näherem Hinsehen und einer ernsthaften Auseinandersetzung mit ihm auch als ein Trostbuch erweisen, das viele Menschen im Räderwerk des Bösen stärkte. Es ist ein Buch von wahrer und falscher Freundschaft, von tiefer Einsamkeit und dem verzweifelten Ringen um einen letzten Halt, von tabulosen Fragen und vorläufigen Antworten, von Widerstand und Ergebung. Dietrich Bonhoeffer hat in einem Brief aus der Haft an den Freund Eberhard Bethge deutlich gemacht, wie aus beidem ein Ahnen hervorgehen kann, dass menschliches Leben und Leiden mehr ist als ein blindes Schicksal. Er schrieb am 21. Februar 1944:

»Neulich mußte ich einmal anläßlich Hiob cap. 1 daran denken, daß der Satan sich vom Herrn die Erlaubnis holt zu versuchen, mich in dieser Zeit von meinen Freunden zu trennen – und daß ihm das nicht gelingen soll!«2

Für den Häftling in der Militärabteilung des Gefängnisses in Berlin-Tegel wird das Hiobbuch zum Spiegel eigener Erfahrung. Die Haft wird zur Versuchungsgeschichte. Die satanische Prüfung besteht in der Trennung von den Freunden, im Versinken im Abgrund der Einsamkeit. Bonhoeffer ist jedoch gewiss, dass der »Satan« an ihm und den Freunden scheitern wird. Aber diese Gewissheit kommt nicht besserwisserisch und selbstsicher daher. Es ist eine suchende, um den rechten Weg ringende Gewissheit, die Gott nicht für sich und das eigene Leben vereinnahmt. Vielmehr respektiert sie die Freiheit Gottes, sich auch hinter einem undurchschaubaren und nur schwer zu ertragenden Geschick zu verbergen:

»Ich habe mir hier oft Gedanken darüber gemacht, wo die Grenzen zwischen dem notwendigen Widerstand gegen das ›Schicksal‹ und der ebenso notwendigen Ergebung liegen. Der Don Quijote ist das Symbol für die Fortsetzung des Widerstands bis zum Widersinn, ja zum Wahnsinn – ähnlich Michael Kohlhaas, der über die Forderung nach seinem Recht zum Schuldigen wird – […] der Widerstand verliert bei ihm letztlich seinen realen Sinn und verflüchtigt sich ins Theoretisch-Phantastische. […] Ich glaube, wir müssen das Große und Eigene wirklich unternehmen und doch zugleich das selbstverständlich- und allgemein-Notwendige tun, wir müssen dem ›Schicksal‹ – ich finde das ›Neutrum‹ des Begriffes wichtig – ebenso entschlossen entgegentreten wie uns ihm zu gegebener Zeit unterwerfen. Von ›Führung‹ kann man erst jenseits dieses zwiefachen Vorgangs sprechen, Gott begegnet uns nicht nur als Du, sondern auch ›vermummt‹ im ›Es‹, und in meiner Frage geht es also im Grunde darum, wie wir in diesem ›Es‹ (›Schicksal‹) das ›Du‹ finden, oder m. a. W. […] wie aus dem ›Schicksal‹ wirklich ›Führung‹ wird.«3

Das Hiobbuch lotet diese Spannung zwischen Widerstand und Ergebung, die das Leben Hiobs förmlich zu zerreißen droht, bis in eine Tiefe hinein aus, die ihresgleichen in der Literatur der Antike wie auch der Moderne sucht. Es schreit nach dem Du Gottes, der die teilnahmslose Larve des Es trägt. Einerseits widersetzt sich Hiob mit all seiner ihm verbliebenen Kraft dem Geschick, das über ihn wie aus dem Nichts hereingebrochen ist und für das er doch keinen anderen als Gott selbst verantwortlich zu machen wüsste. Er klagt vor Gott und den Menschen (Hi 3), ja, er geht so weit, dass er Gott selbst mit einer Schärfe anklagt, die dem frommen Leser den Atem raubt. Dabei schreckt er nicht davor zurück, Gott als seinen Feind zu brandmarken, der seine giftigen Pfeile auf ihn abgeschossen und seine Nieren gespalten habe (Hi 6,4;16,3). Schlimmer noch! Hiob macht Gott einen geradezu ungeheuerlichen Vorwurf:

Die Erde wurde in die Hand eines Verbrechers (rascha’) gegeben.

Das Angesicht ihrer Richter verhüllt er.

Wenn nicht (er), wer ist es denn sonst? (Hi 9,24)

Gott ein Verbrecher, der die Augen der Richter verhüllt, diejenigen mit Blindheit schlägt, die für Recht und Gerechtigkeit einzustehen haben? Gott ein seelenloses Es, ein Ding, das wie eine gewaltige Kriegsmaschine die Menschen ohne Ansehen der Person in Staub und Asche legt? So hatte noch keiner gewagt, von Gott zu reden. In dieser Freiheit hatte noch keiner dem widerstanden, aus dessen Hand er bisher alles widerstandslos hingenommen hatte, das Gute und das Böse (Hi 2,10).

In Hiob kommt damit zweierlei zum Durchbruch: Das Ende der Geduld, auch der Geduld mit Gott, und die Freiheit des Leidenden Widerstand zu leisten, zu klagen und anzuklagen. Aber nach schmerzhaften Dialogen und Monologen, in denen sich weder Hiob und seine Freunde, noch Gott und Hiob gegenseitig etwas schenken, folgt schließlich auch jenes dem Leser beinahe ärgerlich und kleinlaut scheinende Wort der Ergebung:

Darum verwerfe ich (meine Anklage) und bereue

– auf Staub und Asche! (Hi 42,6)

Ist Hiob mit seinem Widerstand gegen Gott am Ende doch gescheitert? Sind Ergebung und Unterwerfung der Preis, den er zahlen musste, um am Ende schließlich doch gerechtfertigt (42,7) und wieder hergestellt zu werden (42,10–17)? Und war dieser Preis angesichts des abgrundtiefen Leides, das ihm widerfuhr, nicht viel zu hoch? Oder konnte sich Hiob am Ende in sein Geschick ergeben, weil sich ihm die Gottesfinsternis aufgehellt hatte, weil er hinter der undurchsichtigdämonischen Maske des Es, eines blinden Fatums, das Du des lebendigen Gottes entdeckt hatte, eines Gottes, der auch in der Finsternis auf der Seite der Leidenden steht? Ja, konnte er schließlich jenseits von Widerstand und Ergebung und im Abstand dazu so etwas wie Gottes führende Hand in alledem entdecken?

Das Hiobbuch ist ein in hohem Maße riskantes Buch. Einerseits riskiert Gott in ihm die Absage seines treuen Knechtes Hiob. Ja, er riskiert, dass in der himmlischen Wette am Ende der Satan Sieger bleibt. Andererseits riskiert aber auch der anklagende Hiob den Verlust Gottes, des Gottes, der ganz darauf setzt, dass er, der Dulder, die Kraft finden wird, dem Satan zu widerstehen, dass auch das Leid ihn nicht von Gott weg, sondern zu ihm hinführen wird. Was hier riskiert wird, das ist die Gottesbeziehung – die Hiobs zu Gott und die Gottes zu Hiob. Sie wird durch das Leiden einer geradezu erbarmungslosen Prüfung unterzogen. Und dabei ist das Scheitern keineswegs von Anfang an ausgeschlossen. Gibt es nicht genug Hiobsgestalten in der Geschichte des jüdischen Volkes und der Völker, denen ihr Gottvertrauen unwiderruflich zerbrach? Und werden diese leidgeprüften Glaubensstreiter nunmehr in einer undurchdringlichen Gottesfinsternis versinken? Oder ist gar das Scheitern ihres Glaubens ein erster Schritt in die Freiheit, eine Freisetzung der Vernunft, die endgültig darauf verzichtet, Gott als Argument in die Debatte der großen Welt- und Lebensrätsel einzuführen, zu denen das Böse gehört? Ist der Abbruch der Gottesbeziehung also kein Absturz in die Gottesfinsternis, sondern der Mut, sich fortan nur noch vom Licht der eigenen Vernunft leiten zu lassen?

Hiob

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