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Resveratrol

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In epidemiologischen Studien (= Vergleiche zwischen verschiedenen Bevölkerungsgruppen) taucht seit Jahrzehnten immer wieder ein ebenso merkwürdiger wie heiß diskutierter Befund auf: Rotweintrinker scheinen älter zu werden und im Alter gesünder zu sein als Menschen mit anderen Trinkgewohnheiten oder Nichtalkoholiker.

Nun ist es mit Vergleichen zu Trink- und Essgewohnheiten so eine Sache. Entsprechende Studien bergen immer das Risiko nicht beachteter Fehlerquellen, worauf auch eiligst alle die hinwiesen, die über die Ergebnisse weniger erfreut waren: Abstinenzler, Regierungen skandinavischer Länder mit ihrer rigiden Drogenpolitik und nicht zuletzt die Bierlobby.

Doch die Diskussion ist entschieden. Zunächst konnte schon vor einigen Jahren die Substanz identifiziert werden, der die beobachteten Effekte zugeordnet werden können: Es ist das in den Schalen roter Trauben enthaltene Resveratrol, ein sogenanntes Stilben, das zur Gruppe der pflanzlichen Polyphenole gehört. (Anmerkung: Resveratrol ist unter anderem auch in Blaubeeren, bestimmten Pinienarten und der asiatischen Heilpflanze Polygonum cuspidatum enthalten; andere gesundheitlich wirksamen Polyphenole finden sich zum Beispiel in grünem Tee, Olivenöl, Orangenschalen oder im Kakao.)

Im nächsten Schritt versuchten Wissenschaftler, den genauen Mechanismus aufzuklären, der für die offensichtlichen Gesundheitswirkungen verantwortlich ist. Und dabei gab es gleich zwei Überraschungen. Resveratrol zeigte nicht nur gesundheitliche Wirkungen, sondern scheint tatsächlich den Ablauf der Alterung beeinflussen zu können. Und: Resveratrol greift über einen chemischen Schlüssel auf Zellebene direkt in die Steuerung eines Alterungsgens ein.

Welche Brisanz in dem letzten Befund steckt, können Sie aus dem Umstand ersehen, dass die an dieser Forschung beteiligten Wissenschaftler nach ihrer Entdeckung ein eigenes Biotech-Unternehmen gründeten, um sich ganz diesem Forschungsbereich und nicht zuletzt der praktischen Nutzung und Vermarktung entsprechender Produkte widmen zu können. Doch zur Vermarktung kam es erst gar nicht. Der Pharmakonzern Glaxo kaufte 2008 kurzerhand das ganze Unternehmen samt seiner Forscher und vor allem sämtlicher Rechte. Und während unsere Gesundheitsbehörden nicht müde wurden, uns Verbrauchern das ewige Lied von der Wirkungslosigkeit von Resveratrol und anderen Nahrungsergänzungen zu singen, waren Glaxo die Rechte rund um einen schlichten Traubenextrakt einiges wert. Sie legten eine dreiviertel Milliarde Dollar auf den Tisch.

Böse Zungen mutmaßten, die Pharmaindustrie wolle eigentlich nur verhindern, dass ihre Kunden durch die freie Verfügbarkeit einer Resveratrol-Pille zu gesund und damit zum Gewinnrisiko würden. Nun, in jedem Fall arbeitet der Konzern an abgewandelten und damit patentierbaren synthetischen Resveratrol-Analogen unter anderem für eine Zulassung als Diabetesmedikament. Hat Glaxo damit Erfolg, wartet ein immer schneller wachsendes Heer von Diabetikern. Die Rechnung dürfte also so oder so aufgehen. (In dem seit den 80er-Jahren drastisch zugunsten der Industrie veränderten Medizinsystem geht die Rechnung für die Pharmaindustrie immer auf. Aber wir schweifen ab.)

Resveratrol wirkt als Aktivator für sogenannte Sirtuine, einer Proteinfamilie mit verschiedenen Aufgaben rund um die genetische Zellsteuerung. Eine entscheidende Auswirkung einer solchen Aktivierung ist eine Verlangsamung der Zellalterung auf genetischer Ebene. Den ersten Praxisstudien mit Hefepilzen (30 Prozent Lebensverlängerung) folgten Untersuchungen bei immer komplexeren Organismen: Würmern, Insekten und Fischen – überall mit ähnlichem Resultat (50 bis 59 Prozent Lebensverlängerung). Studien mit Mäusen laufen bereits und könnten schon sehr bald weitere Bestätigungen liefern.

Interessant ist übrigens, dass der genetische Mechanismus einer Sirtuin-Aktivierung auch bei Nahrungseinschränkung zur Verlangsamung der Alterung beiträgt (s. Kap. II.12). Vermutungen, dass das sogar die alleinige Ursache für den Alternsbeeinflussung bei kalorischer Restriktion sei, konnten allerdings jüngst widerlegt werden.

Handbuch Anti-Aging und Prävention

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