Читать книгу Destruction (Erotik Thriller) - Rebecca C. Parker - Страница 6
Kapitel 2
ОглавлениеDer Spendengalaabend im Washington State Convention Center ist der erste Termin des Jahres, den ich öffentlich wahrnehme. Normalerweise hasse ich diese Art von Veranstaltungen und schicke meine Mitarbeiter, um sich zu amüsieren und mit anderen Geschäftspartnern zu networken. Neben der Tatsache, dass ich in den letzten Jahren zu einer der wichtigsten Persönlichkeiten Seattles zähle, ist für mich heute Abend nur eines wichtig. Eric! Er weiß nicht, wer ich bin. Warum auch? Für ihn war ich damals das pummelige, kleine Mädchen mit einer dicken Hornbrille, wilden Locken, die mir vom Kopf abgestanden hatten und billigen Klamotten an. Vermutlich hatte er schon damals nicht mal meinen Namen gewusst. Aber ich wusste immer seinen. Und, wenn er mich wieder einmal gehänselt hat und ich abends in meinem Bett gelegen hatte, habe ich davon geträumt, wie es wäre, so schön wie Kathlyn zu sein, mit der er immer abhing. Wie es wohl wäre, an ihrer Stelle zu sein und wie es wohl wäre, wenn er mich irgendwann mal geküsst hätte. Ich kann mich erinnern, dass ich mit meinem riesigen Teddy im Arm Küssen nachgespielt habe.
Heute, knapp sechzehn Jahre später, stehe ich in meinem riesigen Ankleidezimmer, von Spiegeln umgeben und betrachte meinen festen, sportlichen Körper. Meine langen, dunkelbraunen Haare, die wellig über den Rücken fallen. Ich werde sie hochstecken. Offene Haare lassen ein niedliches Mädchen vermuten. Aber ich bin eine harte Geschäftsfrau, die auch als solche angesehen werden will. Ich nehme mir einen grauen Einteiler. Das Kleid endet über den Knien. Die Strumpfhose ist dünn, aber nicht zu dünn. Dann schlüpfe ich in schwarze Valentino Pumps und suche mir eine kleine Handtasche von Vuitton. Die Pumps sind nicht zu hoch. Ich will ja nicht nuttig aussehen. Um meinen Hals trage ich eine schlichte Perlenkette, die zu meinen Ohrringen passt. Zuletzt stecke ich mir die Haare hoch und finde mich sehr elegant, aber nicht zu aufdringlich. Noch ein Spritzer Parfum und ich bin fertig.
Ich wohne am Lake Washington in Seattle am Madrona Creek. Mein Haus liegt hinter den Bäumen am See, und wenn ich im ersten Stock meiner Bauhaus Villa stehe, habe ich einen wunderschönen Ausblick auf das glänzende Wasser. Im Winter liegt der See dunkel und mit Nebelschwaden überzogen - was aussieht wie durchsichtiger Zuckerguss - vor mir. Im Sommer fahren darauf Motorboote, Segler und Kite Surfer.
Charly Teranza wartet bereits auf mich. Charly ist mein Fahrer. Ich habe ihn vor fünf Jahren über eine Agentur kennengelernt, die sich darauf spezialisiert hat, vermögende und »very important people« durch die Gegend zu kutschieren. Ich hatte mich früher immer gefragt, wozu man einen eigenen Fahrer braucht. Konnten die Leute nicht selbst Autofahren? Aber als mein Geschäft, das sich hauptsächlich mit Aufkaufen von IT Startups beschäftigt, sowie Lizenzverkauf für die ganz großen, wie Microsoft oder Apple, plötzlich durch die Decke ging, wurde mir klar warum: Zeit ist Geld. Und selbst wenn man von Termin zu Termin fuhr, war jede Sekunde kostbar, die man nutzen kann, wenn jemand anders am Steuer sitzt. So kam ich zu Charly und Charly zu mir. Ich habe noch nie in meinem Leben einen so loyalen Menschen kennengelernt. Es war klar, dass ich ihn bald von der Agentur abwarb und seitdem arbeitet er für mich. In all den Jahren wurde unser Geschäftsverhältnis zwar vertrauter, aber es gibt immer noch die gewisse Grenze, die uns privat voneinander trennt. Ohnehin fällt es Charly sehr schwer zu sprechen, da er eine Hasenscharte hat. Weshalb ich ihn aber nie verurteilen würde, denn Charly ist, und so schrecklich sich das auch anhört, mein einziger Freund, auch wenn er dafür bezahlt wird. Er nickt mir zu, wie immer, und, wie immer, nicke ich zurück und steige ein. Charly schließt die Tür hinter mir, ich schnalle mich an und sehe aus dem Fenster. Der Wagen setzt sich in Bewegung und ich beobachte, wie Seattle an mir vorbeizieht.
Bis zum Convention Center brauchen wir eine Stunde, da wir durch den Feierabendverkehr müssen. In der Zeit, bearbeite ich meine E-Mails, tätige ein paar Telefonate und sehe mir einen neuen Lizenzvertrag an. Mit einem Stift im Mund, dem Laptop auf einer Halterung, die am Vordersitz befestigt ist und einem Marker in der rechten Hand, beginne ich, Absätze zu markieren, die mir noch zu schwammig beschrieben sind. Der Vertrag wird morgen verhandelt. Ich treffe mich mit einigen Geschäftsführern in Silicon Valley, wo ich mit meinem Privatjet hingeflogen werde. Ja, ich bin reich. Und ich weiß nicht, wie viele Männer mich deshalb schon ins Bett kriegen wollten oder mir ihre ewige Liebe geschworen haben. Mich interessiert aber nur ein Mann. Ein einziger und diesen habe ich nun in mein Netz gelassen. Er weiß es nur noch nicht, denn das Netz ist für ihn nicht zu sehen. Aber ich weiß es. Und ich spiele mit ihm, wie mit einer Figur auf dem Schachbrett.
»Wir sind da, Miss Devine.« Charly hält direkt vor dem Gebäude und steigt aus. Ich klappe lediglich den Laptop zu, denn er bleibt hier im Wagen, lege die Unterlagen darauf und steige mit meinem Täschchen aus.
»Bleiben Sie auf Abruf in der Nähe, Charly«, sage ich und wende mich der Eingangstreppe zu, wo einige Geschäftsleute rauchen und sich unterhalten. Sie tragen alle ein violettes Badge um den Hals. Ich kenne sie alle. Sie sind erfolgreich und Idioten. Sabbernde Idioten. Ich spüre ihre Blicke auf meinem Rücken und auf meinen Beinen. Ohne auf sie zu achten, betrete ich die Vorhalle der Convention Halle, begebe mich zum Empfang, wo junge Frauen – natürlich sehr gut aussehend – die Gäste registrieren. Es geht schnell voran, die Organisation ist hervorragend. Während ich in der Schlange stehe, kommt ein Mann vom Orgateam auf mich zu und ich drücke ihm einen Umschlag in die Hand.
»Immer wieder gerne, Miss Devine.« Wir lächeln uns zu und er verschwindet in der Menge. Nachdem ich mir meine Zugangskarte um den Hals lege, drehe ich mich um und gehe in die Halle, wo später gefeiert wird. Die Vorträge interessieren mich nicht. Die Halle besteht aus einer Bühne, auf der im Moment mehrere Männer stehen, die die Mikrophone richten und noch die letzten Vorbereitungen tätigen. Die Leinwand ist riesig, wie in einem Kino. Darauf wird das Logo der Stiftung gezeigt. Die Spenden sollen an die Kinderkrebshilfe gestiftet werden. Dass nicht jeder, den ich heute Abend hier treffen werde, sich für krebskranke Kinder interessiert, ist mir leider zu bewusst. Es gilt bei einer solchen Veranstaltung: Sehen und gesehen werden. Und natürlich: Wie viel spendet man. Kann ich es mir leisten, zwanzigtausend Dollar zu spenden? Hey, dann komm her, dann bist du mein nächster Geschäftsfreund. Es ist ekelhaft. Seit ich die Gala besuche – mein erstes Mal ist fünf Jahre her - habe ich insgesamt mehrere Hunderttausend gespendet, ein Kinderhospiz mit aufgebaut und Forschungsgelder zur Verfügung gestellt. Aber niemals habe ich mit einem von diesen verlogenen Drecksäcken Geschäfte gemacht. Warum bin ich dann hier? Weil es leider zu meinem Business gehört. Und weil heute Eric Montgommery hier sein wird.
Die Halle ist vollgestellt mit Tischen, die mit weißen Tischdecken eingedeckt sind. Auf jedem Tisch steht ein Getränkekühler, ein großer Kerzenständer mit fünf schmalen Kerzen, die noch nicht angezündet sind und einer Glasvase mit einer roten Rose darin. Auf kleinen Schildchen stehen Nummern. An jedem Tisch stehen fünf Stühle mit cremefarbenen Hussen und auf den Plätzen davor, jeweils ein großer silberner Teller, sowie ein kleiner und ausreichend Besteck. Ich greife nach einer Karte, die mit einem goldenen Band in der Mitte abgetrennt ist.
Gala Dinner
Steht in goldenen Lettern auf der Vorderseite. Ich klappe die Karte auf.
Beginn nach dem Vortrag um 20 Uhr
Auf der linken Seite sind die Getränke aufgelistet. Edelste Weine und Cognac und auf der rechten Seite steht das Menü, das in fünf Gängen gereicht werden soll.
»Möchten Sie schon ein Glas Champagner?«, werde ich von einer Bedienung gefragt. Ich drehe mich um, nehme mir ein Glas von dem Tablett, lächele sie an und sage: »Vielen Dank.«
»Sehr gerne. Einen schönen Abend wünsche ich Ihnen heute.« Ich nicke ihr zu und sie geht zum nächsten Gast. Mit demselben Lächeln auf den Lippen, wie zuvor. Unauffällig blicke ich auf meine Uhr. Es ist kurz vor acht. Dann sehe ich auf mein Badge. Auf meinem Ticket steht Tisch 34. Ich gehe zu meinem Tisch, suche mir einen Platz und lege mein Täschchen auf den Schoß. Das Glas halte ich immer noch in der Hand und nippe ab und zu daran. Normalerweise liebe ich Champagner, aber dieser ist zu sauer. Langsam füllt sich die Halle mit Menschen. Es wird lauter, jeder versucht den anderen zu übertönen. Auch an meinem Tisch sammeln sich die Teilnehmer. Neben mir sitzt der Projektmanager eines Cargounternehmens. Ich kenne ihn. Philipp Schneiders heißt er. Er schiebt einen dicken Bauch vor sich her, hat wenig Haare und wischt sich mit seinem Taschentuch den Schweiß von der Stirn. Seine Frau setzt sich neben ihn und grüßt mich freundlich. Sie trägt ein buntes Kleid, das ihre üppigen Kurven nicht gut bedeckt. Ihre Haare sind kurz und hochtoupiert. Wie eine Oma, denke ich. Wenig später setzt sich ein Mittvierziger auf die andere Seite. Den kenne ich auch. Er ist Leiter einer sehr gut gehenden Marketingagentur, die sich auf Lebensmittelmarketing spezialisiert haben. Bruce Shellow, soweit mein Gedächtnis mich nicht trübt. Er trägt eine große Brille, ist sehr schlaksig und groß und begrüßt mich mit einem freundlichen »Guten Abend, Miss Devine.« Ich proste ihm zu. Er hebt die Schultern zur Entschuldigung, dass er nicht anstoßen kann, weil er noch nichts zu trinken hat. Neben Miss Schneiders setzt sich Ulrike Meyers. Eine Unternehmerin aus Deutschland, die mir seit letztem Jahr bekannt ist. Sie sitzt im Vorstand eines großen deutschen IT Unternehmens und ist grottenhässlich, finde ich. Sie hat sich in dem letzten Jahr auch immer noch nicht weiter zu ihren Gunsten entwickelt. Ihre Kleidung ist eine Katastrophe. Eine schwarze Anzughose und darüber trägt sie einen weißen Blazer. Um den Hals gewickelt ein bunter Schal. Ihr Haar ist ebenfalls kurz geschnitten, so dass ihr Rattenhaftes Gesicht noch deutlicher zu sehen ist. Ich glaube, Frauen denken, sie müssten in einer Führungsrolle so aussehen, damit ihr Sexappeal ihnen keine Vorteile verschafft. Bullshit. Man kann sich durchsetzen, auch wenn man sexy ist. Einer fehlt noch an unserem Tisch. Ich muss mich zusammen reißen, nicht um mich zu sehen, ob ich ihn entdecken kann. Es hat mich nicht viel gekostet, das Orgateam zu bestechen. Ein Anruf und den vereinbarten Geldbetrag bei der Registrierung zustecken, das war’s. Wie ich sehen kann, haben die meisten Gäste Platz genommen. Bedienungen wuseln mit jeweils zwei Flaschen – Rot oder Weißwein - umher und schenken den gewünschten Wein aus. Das Licht wird gedämmt, die Kerzen werden angezündet. Ich werde nervös, aber immer noch halte ich mich konzentriert aufrecht, lasse mir Weißwein eingießen und trinke zwischendurch ein Glas Wasser, um den sauren Geschmack des Champagners weg zu spülen. Schalen mit verschiedenen Brotsorten und Butter werden serviert. Dazu gibt es eine rötliche Creme, die mit einer Petersilie garniert ist.
»Das ist hoffentlich nicht alles für heute«, lacht Philipp neben mir.
»Brot sind Kohlenhydrate, Darling. Lass es einfach weg und dann kannst du heute Abend schlemmen«, sagt seine Frau altklug. Ich spucke fast den Wein über den Tisch über die groteske Unterhaltung zweier übergewichtiger.
»Wir brauchen Kohlenhydrate«, fängt sich jetzt auch noch Bruce an einzumischen.
Doch dann knistert das Mikro. »Einen wunderschönen guten Abend, verehrte Damen und Herren. Wir freuen uns sehr, Sie alle heute begrüßen zu dürfen und werden Sie zwischen den Gängen immer wieder ein bisschen unterhalten. Die Spendenaktion läuft über den gesamten Abend und wir werden Sie natürlich über die aktuellen Zahlen informiert halten. Für alle, die dieses Event noch nicht kennen …«
Ich schalte ab, weil sich fast geräuschlos Eric vor mich gesetzt hat. Er fängt meinen Blick auf und lächelt schließlich überrascht. Er sieht wieder sehr gepflegt aus mit seinem schwarzen Smoking. Zu lange schaue ich ihn nicht an, sondern folge dem Sprecher der Stiftung, Arthur Draken. Ein älterer Mann, der mehr Lebenserfahrung hinter sich hat, als vermutlich der halbe Saal.
» … dann bleibt mir nur noch eins zu sagen: guten Appetit mit dem ersten Gang.«
Die Bedienungen schwirren durch die Gänge mit riesigen Tabletts, die sie über ihren Köpfen tragen. Erster Gang: Schaumspargelcremesuppe mit Trüffelstreuseln und Goldlöckchen
»Ich freu mich schon auf das Steak, das ist wenigstens Nahrung«, dröhnt Philipp und erntet damit ein paar Lacher von unserem Tisch. Dabei hat er sich bereits aus dem Brotschälchen von mir bedient, denke ich augenrollend und lege die Serviette auf meinen Schoss über mein Täschchen. Ich bemerke aus den Augenwinkeln, dass Eric mich immer wieder mustert. Er überlegt sich vermutlich, wie er ein unverfängliches Gespräch anfangen kann. Oder, ob er etwas tun kann, um meine Meinung zu ändern. Ich tue so, als würde ich es nicht bemerken und rieche unauffällig an der Suppe. Sie riecht köstlich, ist heiß und der Dampf weht mir um die Nase.
»Lasst es euch schmecken. Auf einen schönen inspirierenden Abend zusammen«, sagt die Deutsche und hebt ihr Glas an. Jeder tut es ihr gleich und trinkt einen Schluck. Einige Minuten essen wir schweigend, dann ergreift Bruce das Wort. »Ich bin gespannt, wie viel Geld wir in diesem Jahr sammeln werden. Letztes Jahr hat es ja nicht ganz zu den zwei Millionen gereicht.«
»Zwei Millionen? Das ist ja unglaublich«, sagt die Frau von Philipp. Sie war letztes Jahr nicht dabei gewesen.
»Und immer noch zu wenig. Leider«, meint Philipp und steckt sich eins von meinen Broten in den Mund.
»Ich bin das erste Mal dabei. Habe mich über die Einladung sehr gewundert, aber bin gerne bereit, ein großes Sümmchen zu spenden«, sagt Eric und sieht mich an. Warum? Was will er damit bezwecken? Dass er ein wohltätiger Kerl ist? Dass ihm die Kinder leidtun? Oder hofft er, dass ich ihm Beifall klatsche und erneut zu mir ins Büro einlade. Ich löffele schweigend die Suppe leer. Schließlich ist der erste Gang vorbei und die Schalen werden abgeräumt. Philipp bestellt noch etwas Brot, woraufhin er sich einen bösen Blick seiner Frau einfängt. Bruce ist aufgestanden. Er hat eine Zigarre hoch gehalten und gefragt, wer ihn begleiten möchte. Niemand hat genickt. Die Schneiders unterhalten sich mit Ulrike und ich lasse mir noch etwas Wein nachschenken. Eric beugt sich vor und prostet mir mit seinem Glas zu.
Ich lächele. »Nun, Mister Montgommery. Haben Sie bereits einen neuen Partner für Ihre Software gefunden?« Er trinkt einen Schluck, stellt das Glas ab und setzt sich neben mich auf den freien Platz, da Bruce nicht da ist.
»Sagen Sie doch bitte Eric zu mir, Miss Devine.«
Hoppla, der traut sich was. »Ich wüsste nicht, warum ich das tun sollte, Mister Montgommery.« Ich betone seinen Nachnamen und er lacht.
»Nein, ich habe noch niemanden gefunden. Wir hatten unseren Termin erst gestern. Sie erinnern sich?«
»Wie könnte ich das vergessen.« Mein Blick ruht auf seinem Mund und wandert zu seinen Händen, die weich aussehen und sich sicher gut auf meiner Haut anfühlen würden. Wenn …
»Verraten Sie mir etwas, Miss Devine?«
»Kommt darauf an.«
»Was habe ich falsch gemacht?« Ich muss lachen, trinke von meinem Wein und genieße den leichten Pfirsich Geschmack auf meiner Zunge.
»Ich bin nicht Ihre Lehrerin, Mister Montgommery.« Diesmal betone ich das Wort »Lehrerin« und sehe ihn durchdringend an. Etwas verwundert lehnt er sich zurück. Er sieht aus, als will er noch etwas sagen, aber er schweigt und geht an seinen Platz zurück. Ich grinse in mich hinein.
Erneut kratzt das Mikrofon und Arthurs Frau, eine sehr elegante alte Dame, Ruth, tritt auf die Bühne. »Auch von mir ein herzliches Willkommen heute Abend. Ich freue mich sehr, dass wir wieder so viele Namenhafte Menschen für unser Projekt begeistern konnten.« Wir klatschen. Ruth wartet lächelnd, bis der Beifall erlischt. »Ich möchte Ihnen kurz erläutern, was wir mit den Geldern aus dem letzten Jahr angestellt haben. Begleitet werde ich von Rickley Steward am Klavier. Anschließend wird die Vorspeise serviert und danach gibt es noch eine ganz besondere Sängerin, die wir für heute verpflichten konnten, ohne Gage aufzutreten.« Wir klatschen erneut und auf der Leinwand erscheint ein Video, das sie mit Worten untermauert. Den Bericht kenne ich bereits, also beobachte ich Eric erneut aus den Augenwinkeln, der gespannt zuhört. Er ist so unglaublich sexy und männlich geworden. In dem einst kindlichen Gesicht, hat sich in den letzten Jahren ein sehr anregender Zug gebildet. Sei es der Schwung seiner Oberlippe, der zum Küssen einlädt, oder die stahlgrauen Augen, die mich verständnislos anblicken, weil er mich nicht einordnen kann. Sein Haar ist kurz geschnitten und etwas dunkler als ich in Erinnerung habe. Jede andere Frau könnte sich vermutlich nicht so gut erinnern, aber ich werde Eric und jedes Stück Haut an ihm nie vergessen. Warum er mich nicht erkennt? Nun, ich war früher dick, sehr dick, trug eine Hornbrille und hatte krauses, wild abstehendes Haar. Außerdem hatte ich mich immer sehr linkisch bewegt, so als wüsste ich nicht, wie ich mit meinen Armen und Beinen umgehen sollte. Warum sollte sich Eric an mich erinnern? Ich war nie wirklich existent für ihn. Nur zum Hänseln und mobben war ich gut genug, aber selbst dafür bin ich keine Erinnerung wert. Erst als ich aufs College kam, habe ich mich verändert. Ich machte Ballett und Karate. Ballett, um einen schwungvollen Gang zu lernen und Karate, um meine eigene Mitte zu finden. Ich hatte mehrere Jobs und sparte mein Geld, um meine Augen Lasern zu lassen. Zum Schluss fand ich einen Friseur, der meine Haare bändigte, ausdünnte und zu Stufen schnitt, damit sie nicht mehr abstanden. Für meine Haut und für mich begann ich mich Sport. Erst war es nur laufen. Dann ging ich ins Studio und kräftigte meine Muskeln. Nach dem College begann ich, mich mit Startup Firmen zu beschäftigen und habe sie beraten. Die ersten Erfolge gaben mir Recht und so konnte ich schnell mein eigenes Unternehmen gründen, das mit Stand heute, mehrere Millionen Dollar umfasst. Dafür habe ich fünf lange Jahre sehr hart gearbeitet. Ich habe immer mehr gearbeitet als andere, denn mir flog niemals etwas zu. Meine Familie war immer sehr arm gewesen. Meine Mutter zutiefst Depressiv, so dass mein Vater uns sehr früh verlassen hatte. Dann hat meine Mom Selbstmord gemacht. Kurz, nachdem ich auf dem College war. Sie hatte nicht viel zu ihrem Abschied geschrieben. Nur: Es tut mir leid, dass ich meine Tochter nicht glücklich machen konnte. Mit diesem abgerissenen Zettel von einem Notizblock fiel ich auf die Knie und weinte. Weinte all meinen Frust heraus, schimpfte auf meinen Dad. Schimpfte auf alle. Besonders aber schimpfte ich auf Eric, der mir meine Jugend kaputt gemacht hat.
Der zweite Gang, die Vorspeise wird gereicht. Carpaccio mit einer scharfen Meerrettich Sauce und einem Nest aus Gemüse. Dazu ein Medaillon aus Kartoffeln. Bruce sitzt noch nicht an seinem Platz. Aber wir beginnen ohne ihn. Das dünne Fleisch berührt meine Zunge und stimuliert meine Geschmacksrezeptoren. Es schmeckt himmlisch. Die Küche ist einfach ausgezeichnet. Das Gemüse knackig, die Kartoffeln fest und gut gewürzt.
»Darling, das ist göttlich«, schwärmt Philipps Frau, der nur brummt. Er braucht nicht lange und sein Teller ist wie leer gefegt. Selbst die Kräuter zur Dekoration hat er aufgegessen. Ich höre, wie sein Magen knurrt, und grinse.
»Ob wir einen Nachschlag bekommen?«, fragt er. Seine Frau legt ihm ihre Hand auf seine. »Darling. Das gehört sich nicht.«
»Ist mir egal, was sich gehört. Ich bin ein Mann und ich brauche feste Nahrung, sonst werde ich zum Stier.« Er winkt einer Bedienung zu und fragt nach. Sie sieht etwas konsterniert aus, aber nickt dann lächelnd. Wenige Minuten später bekommt Philipp einen zweiten Teller und ein weiteres Schälchen Brot. Bruce ist wieder da und bringt eine Rauchwolke mit. Ich verziehe den Mund. »Es tut mir leid, ich war extra länger draußen, um auszulüften«, entschuldigt er sich und macht sich über seine Vorspeise her. »Was tun Sie so, Mister …«, wendet sich Bruce an Eric und schiebt sich eine Gabel voll in den Mund.
»Montgommery«, antwortet Eric.
»Verzeihung. Ich bin Bruce Shellows.«
»Doch nicht etwa der Bruce Shellows?«, ruft Eric auf und piekst in eine Kartoffel. »Doch, das bin ich«, lacht er und man erkennt relativ schnell, dass Bruce aus Texas kommt. Er ist laut und er ist fröhlich.
»Das ist mir eine Ehre, mit Ihnen am Tisch zu sitzen, Mister Shellows.«
»Sagen Sie doch bitte Bruce zu mir.«
Ich knirsche lautlos mit den Zähnen.
»Nun, Mister Montgommery?«
»Eric.«
»Eric.« Bruce lacht wieder das polternde Lachen und mir wird langsam schlecht.
»Ich bin Besitzer eines Softwareunternehmens im Start-up«, erzählt Eric und schiebt sich die Gabel mit der Kartoffel in den Mund. Innerlich rolle ich wieder mit den Augen, weil der Trick so mies und abgedroschen ist, andere neugierig zu machen, indem man einfach nur die einen Teil seiner Geschichte erzählt. Wie in einem Buch, wenn es mit einem Cliffhanger endet und auf der nächsten Seite etwas völlig anderes passiert.
»Oh wie interessant. Was für eine Software? Was kann sie genau?« Eric erzählt Bruce das Gleiche wie mir, schmückt es aber etwas genauer aus. Ab und an blickt er in meine Richtung und ich bemerke, dass ihm alle am Tisch zuhören.
»Sie haben Glück, Eric. Hier am Tisch sitzt Isabell Devine. Sie ist eine Koryphäe auf dem Gebiet Lizenzen zu verkaufen oder Start-ups reich zu machen, indem sie die richtigen Investoren sucht.« Bruce wendet sich mir zu und lächelt aufmunternd, so als hätte er gerade das tollste Networking betrieben, das es gibt. Ich schiebe den Teller von mir. »Ich weiß, Bruce.« Eric blickt mich an und ich blicke ihn an. Finster, so als würde ich ihn in den Boden rammen wollen. Wozu ich auch durchaus in der Lage bin. Ich tupfe mir mit der Serviette den Mund ab, nehme einen Schluck Wein und proste den beiden Männern zu.
»Ich kenne Mister Montgommery bereits, Bruce. Und ich habe an seiner Software nicht das geringste Interesse.« Damit blicke ich Eric tief in die Augen. Aber an dir habe ich Interesse. Er wendet den Kopf von mir fort, wieder Bruce zu, die sich über Marketingthemen unterhalten. Das ist für mich das Zeichen, die Toilette aufzusuchen. Ich brauche eine Pause. Dringend.
Als ich aus der Kabine raus komme, steht Eric in dem Flur. Er lehnt sich an die Wand, hat die Arme vor der Brust verschränkt und sieht mich einfach nur an.
»Haben Sie auf mich oder eine freie Toilette gewartet? Letzteres muss ich Sie enttäuschen. Die Männertoiletten sind einen Gang weiter.« Er stößt sich mit einem Fuß von der Wand ab und kommt auf mich zu. Viel Platz ist zwischen uns nicht, der Gang ist recht eng. Doch dann kommt er mir zu nah. Nimmt mein Gesicht in seine Hände und zieht mich an sich. Ich muss meinen Kopf nur leicht in den Nacken legen, dann kann er mich küssen. Er mich! Eric Montgommery. Ein Kuss, auf den ich so lange gewartet habe. Mein Herz klopft, als seine Lippen näher kommen. Sein Atem riecht leicht nach Wein, aber es ist nicht unangenehm. Ich möchte ihn spüren, ihn schmecken, ihn verschlingen mit Haut und Haaren. Aber ich habe andere Pläne. Deshalb stoße ich ihn von mir. Sehr hart. Er knallt gegen die gegenüberliegende Wand. Sein Blick völlig überrascht.
»Was haben Sie gedacht, Mister Montgommery? Dass Sie sich einfach die Lady nehmen müssen und dann würde Ihr kleines Geschäftchen schon klappen?« Ich gehe auf ihn zu, umgreife seinen Hals mit meiner Hand. »Sie haben falsch gedacht. Die Regeln bestimme ich. Seien Sie morgen früh um sechs Uhr am Flugplatz. Die Security ist informiert.«
Ich lasse seinen Hals los und gehe den Flur hinaus in die Eingangshalle zurück zu meinem Tisch. Ganz ohne Eile.