Читать книгу Der Lockruf des Weißen Adlers - Rebecca Netzel - Страница 8
Der dornige Pfad der Versöhnung
ОглавлениеRasch tippte ich die Kurzwahl-Nummer ein, ehe ich es mir wieder anders überlegen konnte. Ein Wunder, dass ich die Nummer noch nicht gelöscht hatte! War es aus purer Nachlässigkeit geschehen, oder hatte ich im Winkel meines Herzens schon geahnt, dass ich den Schlussstrich bereuen würde, den ich damals unter unsere Beziehung gezogen hatte …?
Plötzlich war ich ganz aufgeregt. Würde sie an ihr Handy gehen? Was sollte ich überhaupt sagen? „Du – es tut mir leid?“ Klingt blöde, ist es auch. Die Natives sagen, man kann nie ein Wort zurücknehmen, das man einmal ausgesprochen hat – Worte sind mit Energie geladen, positiver oder negativer, und dadurch wirken sie wie Medizin oder Zauberkraft, ebenfalls im Guten oder Bösen.
Je länger ich am Handy wartete und nervös mit der anderen Hand Rhythmen in die leere Luft trommelte, desto mehr fühlte ich mich wie elektrisch aufgeladen. Würde sie?
„Ja?“
„Ähm –“
„Ja, hallo?“
„Also, ich –“
Gerade wollte sie offenbar das Gespräch wegdrücken, da erkannte sie meine Stimme. „Jochen – du???“
„Also, ja – sorry, ich wollte nur …“
Was ich genau wollte, konnte ich nicht in Worte fassen, schon gar nicht in wenige wohlformulierte. Sehnsüchtig hoffte ich, die Situation würde mir helfen, Illona würde rasch begreifen, mir goldene Brücken bauen …
Doch sie baute mir keine goldenen Brücken. Sie war offenbar so überrascht, so verblüfft, mich nach dem Ende unserer Beziehung – das ja von mir ausgegangen war – wieder am Apparat zu hören, dass ihr zunächst einmal gar nichts dazu einfiel.
Das Schweigen zwischen uns wurde mit jeder Sekunde unerträglicher. In die dröhnende Stille hinein, in der ich nur meinen eigenen angespannten Atem hörte, sagte ich beherzt: „Also – ich wollte mich entschuldigen. Für alles. Es war kompletter Blödsinn, was ich damals zu dir gesagt hab!“
So – nun war es raus.
Sie schwieg weiter, verwirrt. Jetzt hörte ich auch ihren Atem, offenbar überlegte sie sich gerade, was sie mir am passendsten auf mein großartiges Eingeständnis erwidern könnte.
„Ach ja – einfach so?“, sagte sie schließlich. Irrte ich mich, oder klang es gereizt, nicht nur durchs Handy verzerrt.
„Ja“, sagte ich lahm, „wie denn sonst? Es tut mir leid – ehrlich! Ich – ich hab viel über dich nachgedacht – über uns beide! Ich vermisse dich! Ich hab dich die ganze Zeit vermisst!“
„Ach ja, jetzt auf einmal?“
„Wieso denn, auf einmal?“
„Na, damals klangst du aber anders!“
„Vergiss den ganzen Schmarrn, den ich zu dir gesagt hab! Vergiss es einfach! Lass uns … also, wenn wir noch einmal, ganz einfach … “
„Ganz einfach so? Als ob nichts gewesen wäre?“
Ich nickte automatisch, ohne zu bedenken, dass wir ja nicht skypten und sie mich nicht sehen konnte. „Ja“, beeilte ich mich zu sagen.
„Hm. Das ist aber gar nicht so einfach, weißt du …?“
Ich begann zu schwitzen. „Ähm – also … wenn du inzwischen schon ‘nen andren hast, also … das würd ich natürlich …“ Ich begann zu faseln.
„Nein – hab ich nicht.“ Und dann, etwas verletzt: „Ich hab die Zwischenzeit genutzt und eine Ausbildung zur Erzieherin angefangen!“
„Erzieherin?“
„Ein altmodischeres Wort dafür ist Kindergärtnerin!“
„Ah ja?“
Jetzt nur keinen Fehler machen. Das Reizwort „Kinder“ stand wieder im Raum … damals für mich ja der Hinderungsgrund, unsere Beziehung fortzusetzen: ihr Kinderwunsch, ihre ganze kinderliebe Art … sie war der reinste Kindernarr, ich damals hingegen nicht. Inzwischen sah ich vieles anders, war bereit, auf sie zuzugehen.
„Ja – das ist doch toll – ich weiß ja, wie sehr du – wie viel das Thema für dich bedeutet … “
Sie wirkte ratlos am anderen Ende der Leitung, konnte ja nicht wissen, ob das nur reine Lippenbekenntnisse waren oder ich inzwischen meine Einstellung zu dem Thema geändert hatte. Meine Einstellung zum Leben selbst. Als Ausweich-Reaktion, wie mir schien, fragte sie daher, ehe die Pause am Hörer peinlich lang wurde: „Und du? Was hast du so gemacht?“
Es klang nur mäßig interessiert, eher als Höflichkeitsfloskel.
„Ich – ich hatte ‘nen Unfall – also, schon ‘nen schweren Autounfall, weißt du? Wär‘ fast dabei draufgegangen – aber jetzt ist alles wieder soweit okay …!“, beeilte ich mich hinzuzufügen. Denn ich hörte jäh aufflammendes echtes Interesse bei ihr heraus, da sie einen kleinen Aufschrei nur mühsam unterdrückte.
Rasch erzählte ich ihr von meiner Reise in die USA und meinem Mietwagen in New York und dem Unfall, den ich nur knapp und glimpflich überlebt hatte.
„Na – dann hattest du ja echt ‘nen Schutzengel bei dir!“, sagte sie nachdenklich. Ihre Stimme klang jetzt ganz verändert.
„Einen? Vermutlich mehrere …!“, sagte ich aufrichtig. Was ich ihr verschwieg, war, dass es jener schwere Unfall war, der mir als Flashback sogar eine Rückführung in mein voriges und auch noch vorvoriges Leben gebracht und mir somit überraschende Einblicke in mein früheres Leben als Indianer und davor auch als Adler gewährt hatte. Ich fand, zu viel auf einmal sollte ich ihr auch nicht zumuten.
Nachdem ihre aufrichtige Sorge, die ich aus ihrem Tonfall heraushörte, das Eis bei uns gebrochen hatte, fühlte ich mich zum nächsten Vorstoß ermutigt. Ich sagte, so ganz leichthin, als läge für mich gar nicht so viel Entscheidendes in diesem Vorschlag: „Ich finde, wir könnten uns doch einfach mal wieder treffen … meinst du nicht?“
„J-ja …“, stimmte sie zu.
Ihr kurzes Zögern entging mir nicht. Aber sie hatte „ja“ gesagt. Mein Puls begann zu rasen. Ich würde den angerichteten Schaden wiedergutmachen, mich nicht mehr aufführen wie der Elefant im Porzellanladen – und ich hatte viel emotionales Porzellan bei ihr zerschlagen, sie zutiefst verletzt, das fühlte ich nun und spürte auch aufrichtiges Bedauern. Gedankenlos hatte ich dahingelebt, die Freundin an meiner Seite war nichts als Kurzweil gewesen, eine nette Begleiterin für die Disco und andere Freizeit-Aktivitäten. Nun begann ich, sie ernsthaft als eigenständige Person wahrzunehmen, als mögliche Partnerin. Und ich beschloss, mich diesmal der Verantwortung für einen Weg zu zweit zu stellen.
Doch nach diesem ersten Anruf hörte ich zunächst einmal – gar nichts. Das Gespräch war doch geglückt – oder? Hatte ich mir da zu viel eingebildet? Oder hatte sie es sich inzwischen wieder anders überlegt? Wollte sie sich vielleicht doch nicht auf eine erneute Beziehung mit mir einlassen?
Darüber zerbrach ich mir tage- und besonders nächtelang den Kopf. Ruhelos wälzte ich mich im Bett umher und die Gedanken kreisten in meinem Kopf. Vielleicht erschien ich ihr ja zu opportunistisch, zu unzuverlässig? Einmal Beziehungskrise – immer kriselnd? Es war immerhin ein schwerer Affront gewesen, als ich damals einfach mit ihr Schluss gemacht hatte, ohne dass sie sich etwas hätte zuschulden kommen lassen … ich hatte sie ja einfach fallen lassen wie eine heiße Kartoffel …
Die Tage der Unsicherheit und des quälenden Zweifels schlichen dahin wie auf lautlosen Katzenpfoten. Den Mut, nochmals bei ihr anzurufen, brachte ich nicht auf. Wenn sie es nicht von sich aus tat – wie könnte ich da nachhelfen …? Mit jedem Tag wurde ich niedergeschlagener.
Dann – an einem Donnerstag – kam der erlösende Anruf. Ich erkannte ihre Nummer auf dem Display und brach in Jubelrufe aus, allein schon, weil sie sich meldete – doch die Jubelrufe blieben mir im Hals stecken: Ich wusste ja noch gar nicht, was sie mir genau mitteilen würde!
Bange nahm ich das Gespräch entgegen. Der zarte Faden zwischen uns durfte jetzt nicht reißen!
Mir rasten Schauer von Eisnadeln durchs Blut, mein Magen verkrampfte sich und fühlte sich an wie eine Schlangengrube.
„Hallo – Jochen?“
„Ja, hallo Illona! Freut mich, dass du anrufst – echt!“
Meine aufrichtige Freude musste sie einfach heraushören. Ich vernahm ein kleines Lachen.
„Ich wollte dich nur mal fragen, ob wir uns halt mal wieder treffen. Ich hab drüber nachgedacht, du. Wir probieren es einfach nochmal. Aber, ich warne dich –“, und mir gefror das Blut in den Adern –, „kein kitschiges teures Candle light-Dinner oder sonstiger Pomp! Dann sind wir sofort geschiedene Leute!“
Wir machten eine Uhrzeit aus, und sie legte auf. Ich drückte das Gespräch weg und stieß eine Faust in die Luft. „Jippiiiiie!“
Natürlich hatte ich jetzt große Angst, unser Wiedersehen könne zum Fiasko werden. Nur jetzt ja nichts verpatzen! Doch ich wollte mir meine innere Anspannung nicht anmerken lassen. Ich gab mich betont locker, als ich sie um die Straßenecke biegen sah. Wir hatten einen Treff in der Fußgängerzone in der Altstadt ausgemacht, in einem kleinen Café einer amerikanischen Kette, und danach wollten wir am Fluss entlangbummeln – wie ich hoffte, Hand in Hand oder sogar Arm in Arm …
Ich lud sie ein, klar, und sie lehnte das ebenso klar ab. Na gut – ich zuckte die Achseln. Konnte ja noch kommen. Nur ja jetzt keinen Druck machen. Vielleicht behielt sie sich die letzte Entscheidung noch vor … Mochte sie also ihren ersten Kaffee und Cupcake noch selber zahlen …
Fast kam ich mir vor wie jemand, der wegen guter Führung Freigang hat – jederzeit konnte ich von ihr in das Gefängnis meiner Einsamkeit zurückgeschickt werden … diesmal lag der Spielball in unserer Beziehung eindeutig in ihrem Feld, und das wusste sie.
Sie wirkte unbefangener als ich – vermutlich, weil sie ja die innere Freiheit hatte, zwischen mir und nicht mir zu wählen – während ich von ihrer Wahl innerlich abhängig war und um ihr Urteil über mich bangte.
Herzhaft biss sie ein Stück von ihrem Blueberry-Muffin ab – ich wusste, sie hatte eine Schwäche für Blaubeeren. Wie sie in dem weichen, saftigen Muffin schwelgte, wirkte sie fast, als würde sie ihn küssen, so wie bei den blödsinnigen Werbespots, wo schöne Frauen mit sinnlicher Geste irgendwelche Pralinen oder Eistüten vernaschen. Mir wurde heiß.
Als Ausweichreaktion trank ich dann von meiner eisgekühlten Cola light.
Wie es dann kam, weiß ich nicht mehr – manchmal ergeben sich große Sachen ganz klein, ganz unauffällig. Als wir das Café verließen und durch ein krummes Altstadtgässchen in Richtung Fluss hinunterschlenderten, bei sommerlich-warmem Wetter, das einen an Italien oder Spanien erinnerte, machten wir auf dem schmalen gepflasterten Gehsteig einem älteren Herrn mit seinem Hund Platz, einem lustigen grauen Schnauzer. Illona lächelte dem Herrn freundlich zu, während sie Hund und Herrchen auswich, um sie durchzulassen, damit sie nicht auf die Straße ausweichen mussten, auf der gerade ein Lieferwagen entlang rumpelte. Ich blieb hinter Illona stehen, um sie nicht umzurennen, und reflexartig legte ich ihr eine Hand auf den Rücken. Irgendwie ließ ich meine Hand dann dort.
Da sie nicht protestierte, wurde ich mutiger, und so gingen wir nach einer Weile in der Tat Arm in Arm an der Uferpromenade entlang – tatsächlich Arm in Arm, so wie früher … probeweise.
Der erste Kuss folgte erst später, bei unserem nächsten Treffen. Es war mir, als wollte sie Schritt für Schritt, Kuss für Kuss wiedererobert werden … ich durfte ihr nicht mal rote Rosen mitbringen. Unsere Küsse hatten noch etwas Flüchtiges, Spontanes und irgendwie Unverbindliches.
Doch mit der Zeit entspannte sie sich, sie schien mir zunehmend zu vertrauen, und ich freute mich ehrlich darüber. Es war, als ob ich damals ein süßes kleines Kätzchen vor die Tür gesetzt hätte und es nun wieder einließ und es zauderte und sich überlegte, ob ich mich nun wirklich erbarmte oder es nur so eine Laune von mir war oder gar Berechnung. Aber ich war so gar kein berechnender Typ, das wusste sie ja eigentlich – gerade darum, weil ich so geradlinig war, hatte ich ja damals so viel Porzellan zerschlagen.
Wir trafen uns inzwischen regelmäßig. Unsere Gespräche verliefen jetzt wieder ganz entspannt, in lockerem Plauderton und mit ehrlichem Interesse, und nur dann von längeren Pausen unterbrochen, wenn wir uns küssten. Und das taten wir nun ausgiebig – wir hatten ja auch einiges nachzuholen.
„Was macht dein VWL-Studium?“
„Naja, nach dem Unfall damals musste ich ja erstmal zur Reha – ein Wunder, dass keine Folgeschäden nachgeblieben sind! Und das hatte mich natürlich erst mal um ein Semester zurückgeworfen. Aber inzwischen steh ich im Abschluss-Examen, und danach will ich mich sofort bewerben …“
Eigentlich war so ein Examen ein Beziehungskiller. Aber unsere Beziehung war mir jetzt so kostbar geworden, dass ich sie um keinen Preis mehr aufs Spiel setzen wollte, weder durch Examensstress noch durch unbedachte Worte oder sonst was.
Und so langsam wurde es ernst zwischen uns. Noch immer hatte sie sich nicht entschieden, blieb bei unseren Treffen etwas Unverbindliches – fast so, als hätten wir nur eine Ferienromanze. Doch sie spürte auch meine unausgesprochene Frage, die zwischen uns im Raum stand – und auch, dass nun langsam der Zeitpunkt gekommen war, sich ihr zu stellen.
Wir saßen grad an einem sonnigen Nachmittag auf einer Parkbank, unter dem grünen Laub-Baldachin einer ausladenden Kastanie, im lichtgesprenkelten Schatten, und blickten auf den Fluss hinaus. Das silberne Flimmern der vorbeiziehenden sanften Wellen hatte etwas Hypnotisches, und lange Zeit schwiegen wir einfach.
Dann sagte sie plötzlich und unvermittelt:
„Hast du dich so verändert?“
„Hm – ich glaub‘ schon! Und ich hoffe: zum Besseren!“
Sie lachte leise. „Es wär‘ echt schön, wenn du tatsächlich – also, ich würd‘ es ja gern glauben – “
„Dann gib unserer Beziehung doch ‘ne zweite Chance!“
Sie schwieg. Aber sie nickte.
Über meine früheren Leben könnte ich erst mit ihr reden, nachdem unsere Beziehung schon etwas belastbarer wäre, das spürte ich. Und „belastbarer“, das hieß vor allem, dass wir zuvor gemeinsam unsere Beziehung wieder vollständig aufleben ließen. Ganz und gar und hautnah.
Die Gelegenheit dazu ergab sich nicht so schnell, wie ich mir wünschte. Es vergingen quälend-lange Wochen. Ich wusste: Sie spielte nicht mit mir, sie überlegte sich einfach, ob sie es nochmals wagen sollte, sich wirklich mit mir einzulassen. Es war verständlich: Sie wollte keinen zweiten Reinfall erleben, und deshalb zügelte ich meine Gefühle und übte mich in Geduld. Sie schien es zu spüren und dankbar dafür zu sein, dass ich die Dinge reifen ließ und keinen Druck auf sie ausübte.
Dann, endlich, hatte ich sie so weit, dass ich sie abends nach Hause bringen durfte: die klassische Gelegenheit, um sich nicht brav an der Haustür verabschieden zu müssen, sondern noch hineingebeten zu werden, Platz zu nehmen, ihre vertraute Nähe genießen zu dürfen und noch mehr …
Und erstaunt stellten wir fest, dass unsere erloschen geglaubte Liebe wieder aufloderte, und der Rest an Vorbehalten und Bedenken verglühte in den aufflammenden Emotionen zu Asche …
Es war wie ein Dammbruch. Die Emotionen schwappten bei uns beiden über. Nachdem sie sich erst einmal aus ihrem Schneckenhäuschen wieder herausgetraut hatte, sprühte sie vor Unternehmungslust und Initiativen, gemeinsam die Zeit zu verbringen. Offenbar hatte auch sie das Bedürfnis, viel Entgangenes nachzuholen – obwohl sie ja nicht auf mich gewartet hatte.
Wir machten zusammen Radtouren, gingen joggen und italienisch essen, alles mit einer wiedergewonnenen Leichtigkeit, doch auch mit einer neuen Behutsamkeit. Ich wurde zurückhaltender in meiner Sichtweise, setzte nicht mehr spontan einfach die Ego-Brille auf, sondern begann auch, ihren Standpunkt zu hinterfragen, mich in sie hineinzuversetzen, zumindest versuchsweise – für mich eine recht ungewohnte mentale Übung. Doch es war auch spannend, eröffnete mir ganz neue Sichtweisen und somit letztlich auch für mich eine neue Perspektive. Allmählich kam eine ganz neue Offenheit und Vertrautheit zwischen uns auf, die es vorher, damals, nicht gegeben hatte.
Dann kam der Tag, an dem ich ihr meine Aufzeichnungen anvertraute, meine protokollartigen „Bücher“ über meine Flashbacks: Meine früheren Leben als Native American, bei den Western Sioux, den Lakota, und davor als Weißkopf-Seeadler.
Sollte sie mich jetzt für verrückt halten, dann würde ich es als wohlverdiente Strafe dafür ansehen, was ich ihr durch meine vorschnelle Trennung angetan hatte. Ich spürte, wie ich rot wurde.
Zunächst gab ich ihr die Protokolle ganz einfach zu lesen, ohne Kommentar, um ihre Reaktion abzuwarten. Sie hielt das Ganze für eine therapeutische Methode, mein Unfalltrauma zu verarbeiten. Doch je länger sie las, desto mehr las sie sich fest, ließ sich vom Inhalt fesseln, und ihre Augen wurden immer größer.
Schließlich sah sie auf und mich an. „Und … und das alles da glaubst du? Du hältst die Erinnerungen für echt?“
Jetzt kam der Augenblick der Wahrheit. „Ja“, sagte ich schlicht.
Und fügte hinzu, um dieses Ja mit etwas Humor abzufedern: „Wie du siehst, ist der Unfall meinem armen Hirn schlecht bekommen …!“
Doch sie ließ sich von diesem humorvollen Ablenkungsmanöver nicht beirren. Sie spürte: Es war mir ernst mit meinen Aufzeichnungen. Ich glaubte jedes Wort. Und dann spürte ich: Sie glaubte es auch. Rasch durchblätterte sie meine Aufzeichnungen, las hier und da stichprobenartig und verkündete dann: „Du – das muss ich mir alles mal in Ruhe zu Gemüte führen …! Das ist ja ganz schön starker Tobak!“
Und nach einem Augenblick des Nachdenkens: „So viele Details kann man gar nicht darüber wissen, wenn man nicht wirklich dabei war und das nicht alles selber erlebt hat!“