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Alex, die Landplage

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In der zweiten Woche meiner Alleinherrschaft im elterlichen Haus kam ein Anruf von einem Betreuer des Feriencamps, an dem mein Bruder teilnahm.

„Frau Müller?“

„Ja“

„Mein Name ist Bohlmann. Ich bin einer der Betreuer des Jugendcamps auf Langeoog. Ihr Sohn Alessandro...?“

„Was hat er denn wieder ausgefressen?“

„Unter anderem hat er letzte Nacht eine Stinkbombe in den Schlaftrakt der Mädchen geworfen. Das ist nicht alles; aber das hat das Fass zum Überlaufen gebracht. Wir können ihn hier nicht länger dulden.“

„Das verstehe ich.“

„Wollen Sie ihn hier abholen?“

Ich überlegte einen Moment, ob ich weiter die Rolle meiner Mutter spielen sollte.

„Nein. Es fehlt noch, dass wir ihn in der Sänfte nach Hause tragen. Bringen Sie ihn zum nächsten Zug! Das Ticket kann er von seinem Taschengeld zahlen.“

„Er hat uns auch noch belogen und hat gesagt, dass seine Eltern nicht zu Hause wären und wir ihn deshalb nicht nach Hause schicken könnten; aber Sie sind ja da.“

Ich hatte bis jetzt nicht direkt gelogen und sah mich nicht verpflichtet, das Missverständnis aufzuklären. Deshalb sagte ich nur kurz:

„Stecken Sie ihn in den nächsten Zug!“

Bis Alex ankam, hatte ich Zeit zu überlegen, was ich tun sollte: Ich konnte meine Eltern in Travemünde anrufen; aber dann wäre es aus gewesen mit dem wunderbaren Alleinsein, und ich hätte mir die nächsten Tage das wilde Geschimpfe über Alex anhören müssen: Dass man sich seinetwegen schämen müsste und dass er sogar seinen Eltern den Urlaub versaut hätte und so weiter. Dazu hatte ich keine Lust.

Ich hatte eine Idee: Da Alex einen Tag früher als meine Eltern aus dem Urlaub zurückkommen sollte, entschloss ich mich, den Vorfall zu verschweigen und selbst für die Bestrafung von Alex zu sorgen.

Als mein lieber Bruder am Nachmittag vom Feriencamp zurückkam, war er so klein, dass es mich nicht gewundert hätte, wenn er aufrecht unter dem Küchentisch hätte durchgehen können.

„Wo ist Mama?“, fragte er gleich an der Haustür, als ich ihn hineinließ.

„In Travemünde.“

„Und Papa?“

„Auch.“

„Der Bohlmann hat zu mir gesagt, dass die zu Hause sind.“

„Hat er?“

„Er hat gesagt, er hat mit Mama gesprochen.“

„Hat er?“

Alex ging ein Licht auf. Er ist zwar eine Landplage, aber nicht doof.

„Du warst das.“

Ich sagte nichts.

“Wann kommen Mama und Papa zurück?“, fragte Alex schließlich.

„In vier Tagen.“

„Hast du ihnen Bescheid gesagt?“

„Noch nicht. Das kannst du selbst machen.“

„Nein, danke!“

Er schaute mich fragend an. Offensichtlich überlegte er, was ich mit ihm vorhatte.

„Wann kommen die zurück?“, fragte er.

„Am Sonntag.“

„Und ich würde eigentlich am Samstag...“

Er beendete den Satz nicht. Dafür warf er seinen Rucksack auf das Sofa.

„Den bringst du mal gleich in dein Zimmer. Tante Gabi kann jederzeit vorbeikommen.“

Tante Gabi war die Schwester meiner Mutter und von ihr beauftragt worden, ab und zu mal vorbeizuschauen und nach dem Rechten zu sehen, was sie bis dahin auch schon zweimal getan hatte.

„Trotzdem danke“, sagte Alex und schnappte seinen Rucksack, um nach oben zu gehen.

„Und niemals ans Telefon, wenn es klingelt! Mama ruft jeden zweiten Tag an. Und Rollläden unten lassen!“

„Ist klar“, sagte Alex, als er schon auf der Treppe war.

Wie gesagt, Alex ist nicht blöd. Er akzeptierte den Stubenarrest, unsichtbar und unhörbar auf seinem Zimmer. Was hab´ ich doch für einen lieben Bruder, wenn er so gut wie nicht da ist! Wenn er etwas zu essen oder zu trinken haben wollte, kam er vorsichtig nach unten. Dass meine Eltern vorzeitig zurückkehren würden, war so gut wie ausgeschlossen. Meine Mutter ist gegen Geldverschwendung: Wenn man für 14 Tage bezahlt hat, bleibt man auch 14 Tage, auch wenn es aus Kübeln regnet. Tante Gabi kam noch einmal vorbei, bemerkte aber nichts. Als sie geklingelt hat, bin ich zuerst einmal kurz nach oben gelaufen, um Alex zu warnen. Es wäre ja gut möglich gewesen, dass er das Klingeln nicht gehört hätte, weil er immer die Kopfhörer aufhatte.

Am Samstag hielt er es kaum noch auf seinem Zimmer aus. Er saß wie auf Kohlen. Dauernd fragte er, ob der Bus mit den Feriencampern schon angekommen sei. Schließlich erlaubte ich ihm, mit meinem Handy seinen Freund Chrissi anzurufen. Der saß noch im Bus, rief aber zurück, als er aus dem Bus ausgestiegen war. Alex wollte gleich los, sah aber ein, dass er noch eine halbe Stunde warten musste. Dann war er verschwunden.

Meine Eltern kamen am nächsten Tag zur Mittagszeit. Ich hatte für ein Uhr ein Essen vorbereitet: Burgunderbraten, Rotkohl, Kartoffeln und Soße. Bürgerlicher geht’s nicht. Meine Eltern waren trotzdem schlechter Stimmung. Es brodelte. Vielleicht sollte man manche Paare nicht allein in den Urlaub schicken. Wenn niemand da ist, an dem sie sich abreagieren können, stellen sie vielleicht fest, dass sie sich nichts mehr zu sagen haben. Mein Vater bemerkte immerhin, dass ihm das Essen gut schmeckte. Mutter fragte Alex, wie es auf Langeoog gewesen sei. „Gut“, war die knappe Antwort. Ansonsten benahm er sich vorbildlich, verschwand aber gleich nach dem Essen. Die Inspektion des Hauses durch meine Mutter erbrachte keine wesentlichen Mängel. Um zwei Uhr musste ich wieder zur Arbeit.

Der Krach begann zwei Tage später. Meine Mutter hatte wieder im Drogeriemarkt an der Kasse gesessen. Als ich vom Supermarkt nach Hause kam, rief sie mich ins Wohnzimmer. Dort saßen meine Eltern wie ein Schwurgericht. Alex war nicht zu sehen.

„Komm mal her!“, sagte meine Mutter.

„Warum?“, fragte ich.

„Stell dir vor, wen ich im Supermarkt getroffen habe!“

Da wären viele in Frage gekommen. Ich ließ mich aber nicht auf ein Ratespielchen ein. Es wurde auch nicht erwartet.

„Da sitze ich an der Kasse und da kommt doch der Bohlmann und sagt zu mir: Sie müssen entschuldigen, Frau Müller; aber es ging nicht anders. Die Mädchen konnten fast die ganze Nacht nicht schlafen. Es hat mindestens zwei Stunden gedauert, bis wir den schlimmsten Gestank aus dem Trakt hinaus hatten. Und ich sitze da, wie der Ochs´ vor´m Berge und gucke ihn blöd an. Ich weiß nicht, wovon Sie reden, Herr Bohlmann, sage ich. Na, davon, dass wir den Alex nach Hause schicken mussten. Die Fuhrmann, die neugierige Tratsche, war gerade beim Regaleinräumen. Die merkte gleich, dass da was zum Tratschen kam. Die hat das Regal Regal sein lassen und sich gleich angeschlichen. Dann kam auch noch der Meyer aus seinem Büro dazu. Und ich sitze da und gucke blöd aus der Wäsche. Ich hab´ doch mit Ihnen gesprochen, sagt der Bohlmann. Mit mir haben Sie nicht gesprochen, sage ich. Ich war in Travemünde. Aber.., stottert der Bohlmann. Ich dachte, das wären Sie. Dann war das Ihre Tochter? Sieht so aus, sage ich. Die Fuhrmann hat sich eins gegrinst und der Meyer ist wieder abgezogen.

„Ich hab´ nicht gesagt, dass ich die Mutter bin“, sagte ich.

„Aha! Er hat also angerufen.“

„Er hat gesagt, dass er Alex nach Hause schicken muss.“

„Aha! Und was hast du gesagt?“

„Dass er ihn in den Zug stecken soll.“

„Das glaubst du entscheiden zu können.“

„Du hättest auch nichts Anderes sagen können.“

„Da hat sie Recht“, mischte sich Papa in das Verhör.

„Du hättest uns sofort anrufen müssen“, machte meine Mutter weiter.

„Ich wollte euch den Urlaub nicht verderben.“

„Wie edel! Dass ich nicht lache! Und warum hast du uns nichts gesagt, als wir nach Hause gekommen sind?“

Ich biss mir auf die Lippen. Was sollte ich sagen? Dass ich meine Mutter noch mehr hasste als meinen Bruder und dass ich mir ihr Geschrei nicht anhören wollte?

Mein Vater eilte zu meiner Rettung: „Sie wollte ihren Bruder nicht verpetzen.“

„Das findest du auch noch gut?“, fuhr ihn meine Mutter an. „Unsere Kinder mauscheln hinter unserem Rücken herum und wir stehen da wie Dummköpfe und wissen von nichts.“

Mein Vater reagierte darauf nicht.

„Was hat er überhaupt gemacht?“, fragte er mich.

„Er hat eine Stinkbombe in die Mädchenzimmer geworfen.“

„So, und das erfahren wir jetzt erst“, konstatierte meine Mutter. „Was hat er dir dafür bezahlt, dass du den Mund hältst?“

„Gar nichts!“ Diese gemeine Unterstellung konnte ich entschieden zurückweisen. Ich gewann Oberwasser. Wenn man mir mit falschen Beschuldigungen kommt, werde ich immer selbstsicher.

„Seit wann ist er eigentlich hier?“, fragte mein Vater.

„Seit Mittwoch.“

„Und was hat er die ganze Zeit gemacht?“

„Er hat auf seinem Zimmer gesessen.“

„Wahrscheinlich noch mit heruntergelassenen Rollläden. Das habt ihr ja schön getrickst. Und Gabi hat auch nichts gemerkt?“, fragte meine Mutter. „Die habt ihr also auch ausgetrickst.“

Ich sagte darauf lieber nichts.

„Der bekommt 14 Tage Ausgehverbot“, entschied meine Mutter. „Und du auch. Ihr bleibt den Rest der Ferien zu Hause, auf euren Zimmern.“

Ich wollte was sagen; aber mein Vater kam mir schon zu Hilfe:

„Sie muss doch arbeiten.“

„Aber danach kommt sie sofort nach Hause!“

So schlimm kam es dann zum Glück nicht. Bekanntlich sind Eltern inkonsequent, besonders wenn sie sich nicht einig sind. Ich jedenfalls bekam keinen Hausarrest. Das wäre auch zu schade gewesen.

Dann hätte ich mich ja nicht mit Christopher treffen können.

Abi und ein paar andere Probleme

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