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Christopher, Teil 1

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Ja, Christopher! Da werde ich ein bisschen sentimental. Also Vorsicht! Aber ich finde, in meinem Alter darf man bei Liebesgeschichten noch sentimental werden – und ausführlich: Ich weiß noch jedes Wort, das zwischen uns gefallen ist.

Es war noch in der ersten Woche meiner Alleinherrschaft im Haus. Da kam Christopher an meine Kasse. Er hatte sich einen Beutel Äpfel und eine Tafel Schokolade gekauft. Ich erkannte ihn, als ich ihm das Wechselgeld herausgab.

„Bist du nicht...?, fragte er und suchte nach dem Namen.

„Yasmine“, sagte ich.

„Richtig, Jassi, ja. Du arbeitest hier?“

„Sieht so aus“, sagte ich.

Eigentlich wollte ich gar nicht so schnippisch sein; aber die Bemerkung ist mir einfach so rausgerutscht.

„Das war ´ne blöde Frage“, stellte Christopher sachlich korrekt fest. „Ich arbeite auch hier, im Lager“, fügte er dann noch hinzu. „Ich bin Christopher Langner. Ich bin der Bruder von Caro aus deinem Jahrgang.“

„Ich weiß“, sagte ich. Ich fand es höflich und bescheiden, dass er es für nötig hielt, sich vorzustellen. Eigentlich hatte ich ja keine Zeit zu antworten, weil Leute hinter ihm standen und schon ungeduldig guckten; aber ich wollte auch höflich sein und sagte: „Du hast letztes Jahr Abi gemacht.“

Bevor er antworten konnte, sagte ich: „Ich muss aber jetzt weitermachen.“

Er nahm seine Sachen, blieb aber dann noch einmal stehen und sagte: „Ich habe dich letztes Jahr beim Theater gesehen. Du warst gut.“

„Danke“, sagte ich noch kurz nach hinten, während ich die Sachen der nächsten Kundin über den Scanner schob.

„Wir sehen uns“, sagte Christopher noch, bevor er verschwand.

„So fängt es an“, sagte die Kundin, die ich gerade bediente. „Viel Glück!“

Ich war ziemlich verdattert. „Danke!“, sagte ich verwirrt und nannte die Endsumme.

So ein Rechner an der Kasse ist was Wunderbares. Der rechnet zuverlässig alles zusammen, was man über den Scanner schiebt. Ich selbst hätte nicht zwei und zwei addieren können. Natürlich war meine Reaktion lächerlich. Da war ein junger Mann von unserer Schule, zwei oder drei Jahre älter als ich, der mich erkannt und begrüßt und höflicherweise ein kleines Kompliment über meine Schauspielerei gemacht hatte. Nichts Besonderes, wenn man eine flüchtig Bekannte an einem Ort trifft, wo man sie nicht erwartet hat.

Aber es war Christopher, der Bruder von Caro, der mich da begrüßt hatte. Um diesen Bruder habe ich Caro immer beneidet. Caro gab gerne mit ihm an. Er hatte bei der Abschiedsfeier einen Preis als bester Mathematiker des Jahrgangs gewonnen. Unmöglich, dass der etwas von mir wollte. Trotzdem ging ich beschwingt nach Hause. Leider dauerte das Beschwingtsein noch an, als ich im Bett lag und schlafen wollte. Ich konnte nicht aufhören zu denken, obwohl ich mir dauernd sagte, dass die Sache nichts zu bedeuten hatte. Er hatte sich immerhin an mich erinnert, auch wenn ihm mein Name nicht gleich eingefallen war. Und dann hatte die Art, wie er mit mir geredet hatte, doch etwas Besonderes an sich. So redet man nicht und so guckt man nicht, wenn man nur einfach mal aus Höflichkeit „Guten Tag“ sagt. Und was meinte er mit „Wir sehen uns“? War das nur eine Floskel? See you later, alligator?

Wir sahen uns aber wieder, und zwar gleich am nächsten Tag. Diesmal kaufte er eine Packung Zigaretten. Das gefiel mir weniger. Ich finde Rauchen blöd und außerdem stinkt es. Ich habe einmal eine Zigarette probiert. Ich habe nur ein paar Züge gemacht. Da wurde mir schon schlecht. Danach habe ich mir fast eine halbe Stunde die Zähne geputzt. Christopher stand an meiner Kasse an, obwohl die Schlange schon lang war. Die Zigaretten holte er aus dem Regal über der Kasse.

„An der Schnellkasse geht es schneller“, sagte ich zu ihm. „Wenn man nur eine Sache hat...“

„Ich habe es nicht so eilig“, sagte er. „Ich wollte dich nämlich fragen, wie viele Wochen du hier noch arbeitest.“

„Drei“, sagte ich.

„Ich auch“, sagte er. „Dann kann ich mir meine Zigaretten immer bei dir holen.“

„Die gibt’s auch an den anderen Kassen.“

„Shit“, sagte er. „Ich sollte besser den Mund halten. Wenn ich nochmal Blödsinn rede, hältst du mich endgültig für blöd.“

„Es käme auf einen Versuch an“, schlug ich vor.

Wir grinsten beide. Es war unverkennbar, dass Chrisopher auch ein bisschen verlegen war; sonst hätte er nicht so viel Verlegenheitsblödsinn geredet. Wenn er gewusst hätte, wie viel Schlaf er mir in der letzten Nacht geraubt hatte, wäre er sicher forscher aufgetreten. Ich fand seine Verlegenheit aber süß, und mir gefiel, dass er sich über sich selbst lustig machte.

Am dritten Tag stand er wieder an meiner Kasse an.

„Ich hätte noch eine Frage“, sagte er. „Wie lange arbeitest du heute?“

„Bis acht.“

„Bis acht!“, sagte er und verschwand.

Um acht wartete er vor der Tür.

„Es ist ein bisschen schwierig, mit dir zu reden, wenn so viele Leute dabei stehen und zuhören“, meinte er. „Hast du Zeit?“

Ich hatte mir die ganze Zeit überlegt, ob er wirklich um acht auf mich warten würde und was ich dann sagen sollte. Wenn man ein rationales Wesen wäre und nicht so ein Gefühlsbündel, würde man fragen „Was willst du?“ Da man aber ein Gefühlsbündel ist, fragt man das nicht und weiß dann am Ende gar nicht, was man fragen oder sagen soll. Was herauskam, war das:

„Ich bin ein bisschen müde.“

„Kann ich dich trotzdem nach Hause bringen?“

„Ich bin mit dem Fahrrad da.“

„Ich auch. Wir könnten die Fahrräder doch schieben.“

Also schoben wir die Fahrräder nebeneinander her. Ich erfuhr, dass er in Göttingen studierte, Mathematik und Physik, und dass er hier für vier Wochen arbeitete, weil seine Eltern mit Caro in Urlaub waren und er das Haus hüten sollte.

„Ich auch“, sagte ich. „Ich bin auch Haushüter. Meine Eltern sind in Travemünde und mein Bruder ist auf Langeoog.“

Dann wollte er was über mich wissen. Ich erzählte ihm, dass ich in Kiel studieren wollte.

„In Kiel?“, fragte er. „Kiel ist hässlich. Komm doch nach Göttingen. Das ist ein schönes Städtchen.

In Kiel ist doch alles im Zweiten Weltkrieg kaputt gebombt worden, weil da die Werften waren, und nach dem Krieg hat man da nur so hässliche Zweckbauten hochgezogen. Kiel ist eine Arbeiterstadt.“

„Aber in Kiel gibt es das Meer, wenn auch kein richtiges.“

„Das stimmt. Die Kieler Förde ist schön. Das ist überhaupt das Schönste an Kiel: die Autobahn die dran vorbeiführt, gleich an die Förde.“

„Jetzt gefällt mir Kiel noch besser“, sagte ich. „Wenn es so hässlich ist mit lauter Zweckbauten, wie du gesagt hast, und eine Arbeiterstadt, da kann man sich besser auf das Studium konzentrieren.“

„Du bist ein komischer Vogel“, sagte er.

Lassen wir das mal mit dem Vogel, obwohl der Ausdruck nicht ganz falsch war. Ich habe zwar nicht mit den Flügeln geflattert, aber mit meinen Nerven. Ihr wollt aber sicher wissen, wie Christopher aussieht. Das will ich auch immer genau wissen, wenn ich einen Roman lese. Und da reicht es nicht, wenn da steht, dass er gut ausgesehen hat. Da stellt sich jeder etwas Anderes drunter vor, außer dass der Typ keine zwei Köpfe und keine krummen Beine hat. Was Christopher angeht, könnte ich auch sagen, dass er gut aussieht; aber ich fühle mich verpflichtet, es etwas genauer zu sagen:

Also denn: Christopher ist ungefähr einsachtzig bis einsfünfundachtzig groß. So genau weiß ich das nicht. Ich kenne mich in solchen Höhen nicht aus, weil ich nur einzweiundsechzig groß bin. Er ist schlank und sieht sportlich aus. Er hat ein schmales Gesicht, blaue Augen und dunkelblonde, fast braune Haare. Auf der Stirn rechts hat er eine Narbe, die von einem Fahrradunfall herrührt. Er trägt Jeans, ein T- oder ein Sweat-Shirt, je nach Wetter, und Turnschuhe. Außerdem hat er eine schwarze Hornbrille auf der Nase. Er hat lange Finger, und das meine ich jetzt nur im wörtlichen Sinn, und eine tiefe, etwas rauchige Stimme. Das kommt vielleicht vom Rauchen. Das sollte er sich aber abgewöhnen, auch wenn das seine Stimme sexy macht. Er grinst gerne, wenn einer von uns etwas Lustiges sagt. Den Rest überlasse ich eurer Phantasie. Ein bisschen Geheimnis muss noch bleiben.

Christopher brachte mich also bis zur Haustür und sagte dann: „Tschüss, bis morgen.“

In Filmen habe ich gesehen, dass der Mann dann immer fragt: „Können wir noch einen Kaffee bei dir trinken?“ Und dann kommt doch der Cognac auf den Tisch und dann geht’s zur Sache. Ich fand das anständig, dass er keinen Kaffee haben wollte.

Ich war kaum im Haus, da rief Mama an. Sie wollte wissen, ob alles in Ordnung sei. Ich sagte „ja“ und war noch kürzer angebunden als sonst. Ich musste unbedingt mit Gesa sprechen. Gesa war bei Nico und fragte, ob das nicht bis zum nächsten Tag Zeit hätte.

„Nein“, sagte ich. „Es muss heute sein.“

„Gut“, sagte sie, „Ich bin in einer Stunde da.“

Es dauerte anderthalb Stunden; aber sie kam.

„Wen?“, fragte sie wie eine schwerhörige Oma, als ich ihr von Christopher erzählte. „Das ist nicht dein Ernst.“

„Glaubst du nicht, dass sich einer für mich interessieren kann?“

„Doch, schon. Sei nicht gleich beleidigt! Aber der Christopher, der Bruder von Caro?“

„Was ist daran denn so komisch?“

„Mensch, Jassi, das ist ein Volltreffer!“

Sie stand auf und umarmte mich. Dann führte sie ein Tänzchen auf wie Petko, die Tennisspielerin, wenn sie ein Spiel gewonnen hat. Gesa ist wirklich ein Schatz. Sie freute sich für mich.

„Mensch, Jassi,“ sagte sie, „du spielst das erste Mal Lotto und knackst gleich den Jackpot.“

„Bist du dir sicher, dass er es ernst meint?“, fragte ich.

„Lass dir das von einer erfahrenen Frau gesagt sein“, scherzte sie, „wenn einer das Fahrrad neben dir herschiebt, meint er es ernst. Aber sei das nächste Mal nicht so blöd, ihn vor der Haustür stehen zu lassen. Du hast doch sturmfreie Bude.“

„Eine Frage an die „erfahrene Frau““, sagte ich zu Gesa, „wäre das nicht zu aufdringlich?“

„Wäre es nicht. Dreimal hat er angeklopft. Da macht man die Tür auf. Aufdringliche Frauen wären beim dritten Mal schon verlobt. Zuviel Zurückhaltung ist auch nicht gut. Man muss das Feuer am Brennen halten und ab und zu ein Scheit nachlegen.“

Am nächsten Tag hatte ich Frühschicht. Christopher musste bis vier arbeiten. War also nichts mit Abholen nach der Arbeit, es sei denn, ich holte ihn ab. Das war mir aber trotz Gesas Ratschlag zu früh. War aber auch nicht nötig. Christopher legte selbst ein Scheit nach, in Form einer Rose.

Er kam während seiner Arbeitszeit aus dem Lager und stand wieder mit einer Tafel Schokolade an meiner Kasse. Er legte die Schokolade auf das Laufband und zog dann eine Rose hinter seinem Rücken hervor und legte sie sorgfältig daneben. Ich scannte die Schokolade ein und sagte dann:

„An der Rose fehlt das Preisschild.“

„Die ist umsonst“, sagte er. Er nahm die Rose vom Band und überreichte sie mir.

„Wie süß!“, sagte die Frau, die hinter ihm stand.

Ich glaube, ich wurde rot wie die Rose, legte sie schnell beiseite und schaute nach Christopher. Er war bereits verschwunden.

„Von so was träumt man ein ganzes Leben lang“, sagte die Frau noch.

Um Viertel nach vier rief Christopher an und fragte, ob ich nicht Lust auf eine kleine Radtour hätte. Hatte ich. Fünf Minuten später stand er vor der Tür. Diesmal schoben wir die Räder nicht, sondern strampelten Richtung Heide. Wir redeten kaum ein Wort, bis Christopher fragte:

„Wollen wir hier bleiben?“

„Ja, hier ist sehr schön. Wollen wir uns unter den Baum legen?“

Es war eine riesige Kastanie, die einsam auf einer Wiese stand. So einladend der Baum aussah, war er gar nicht. Im Film liegen die Pärchen dann immer in sanftem Gras wie auf einem weichen Bett und strahlen sich mit ihren frisch geschminkten Gesichtern an. In Wirklichkeit ist es aber so, dass unter so einem prächtigen Baum kaum Gras wächst, sodass man fast auf der blanken Erde liegt, die ziemlich hart ist. Außerdem ist man nach einer Radtour bei 30 Grad nicht frisch geschminkt, sondern leicht verschwitzt und wird permanent von irgendwelchen kleinen Viechern belästigt, die Schweiß ungeheuer anziehend finden. Es war trotzdem traumhaft schön, wie wir da auf dem Rücken nebeneinander lagen und in den Baum und den Himmel hinaufschauten. Christopher fand auch ein kleines Blümchen, das sich da unter den Baum verirrt hatte, und steckte es mir ins Haar. Mehr geschah nicht, ehrlich, außer dass wir uns über unsere Zukunftsträume unterhielten.

Als wir wieder vor meinem Haus standen, erinnerte ich mich an Gesas Ratschläge und fragte Christopher, ob er nicht noch mit ins Haus wolle. Er sei doch sicher auch durstig. Er meinte aber, er müsse jetzt doch unbedingt nach Hause. Er stotterte irgendeine Entschuldigung zusammen, die ich nicht verstand. Ich wartete auf den Abschiedskuss. Christopher kam auch, sein Fahrrad noch zwischen den Beinen, auf mich zu - auch ich hielt mein Fahrrad noch mit beiden Händen fest - gab mir aber keinen Kuss, sondern strich mir mit einem Finger über die Lippen und steckte ihn mir in den Mund, als ich die Zähne ein wenig öffnete. Ich biss zu, nicht heftig, nur ein bisschen.“Aua“, sagte er, winkte mir zu und verschwand.

Als ich ins Haus ging, war ich ziemlich durcheinander. Es hatte doch alles so richtig kitschig angefangen mit der Rose auf dem Laufband und war auch so weitergegangen mit der Radtour und der Rast unter der Kastanie. Und dann hatte ich auch noch den Ratschlag der „erfahrenen Frau“ befolgt und Christopher ins Haus eingeladen. Und dann diese zusammengestotterte Ausrede und diese komische Fingerei statt eines Kusses. Ich überlegte, was ich falsch gemacht haben könnte. Mir fiel nichts ein, außer vielleicht dass ich von der Radtour verschwitzt war und vielleicht Mückenstiche im Gesicht hatte. Ich ging ins Bad und untersuchte mein Gesicht im Spiegel. Das Blümchen, das Christopher mir gepflückt hatte, war noch in meinen Haaren.Von Mückenstichen war nichts zu sehen und großartig verschwitzt sah ich auch nicht aus. Allenfalls war mein Gesicht leicht gerötet. Das stand mir aber eigentlich gut. Ich wollte schon Gesa anrufen, entschloss mich aber, mir zuerst noch meine eigenen Gedanken zu machen. Ich hatte doch leichte Zweifel an den Ratgeberfähigkeiten der „erfahrenen Frau“ gewonnen.

Zuerst einmal wollte ich duschen. Als ich nackt am Spiegel vorbeikam, unterzog ich meinen Körper einer objektiven Inspektion. Ich sage bewusst objektiv. Ich habe die Fähigkeit, mir selbst distanziert gegenüber zu treten und mich wie eine fremde Person zu beurteilen. Im Spiegel sah ich eine junge Frau mit dunkelbraunen Haaren, die zwar etwas skeptisch schaute und ab und zu blöd grinste, die aber durchaus ansehnlich war. Ehrlicherweise musste ich zugeben, dass meine Mutter nicht ganz Unrecht hatte mit der Bemerkung, dass ich ein paar Pfund zu viel auf den Rippen hätte. Es waren aber höchsten drei oder vier, die im Übrigen nichts daran änderten, dass dieser Körper im Spiegel keineswegs unvorteilhaft proportioniert war.

Heutzutage, wo Religion und Sitte hierzulande keine große Rolle spielen und die Frauen nicht von den Eltern verheiratet werden, sondern selbst einen Mann anlocken müssen, ist ihr Körper ihr größtes Kapital, das man wie jedes Kapital in der freien Marktwirtschaft nach dem Marktwert beurteilen kann. Diese junge Frau im Spiegel hatte zwar keinen Marktwert wie Barbie Teresa, aber genug, um jeden potenten Investor anzulocken. Daran konnte es also nicht liegen, dass Christopher nicht zugegriffen hatte.

Ich rief Gesa an und erzählte ihr von der Rose und der Radtour. Sie schnalzte mit der Zunge bei allen Einzelheiten. Dann aber wollte sie wissen, wie die Sache geendet hatte. Ich konnte ihr den Misserfolg mit der Einladung nicht verschweigen.

„Hm“,sagte sie, „man lernt nie aus.“

„Vielleicht lag es daran, dass ich ein bisschen verschwitzt war“, meinte ich.

„Das hat noch nie einen Mann abgehalten, im Gegenteil“, meinte sie entschieden. „Ich weiß auch nicht. Der kann doch nicht so schüchtern sein. So sieht der doch nicht aus. Vielleicht hat er eine Freundin und will sie vielleicht nicht betrügen, bevor er nicht weiß, dass du die Richtige bist. Manche Männer sind so. Die machen sich ein Gewissen aus so was. Das sind aber die besten. Die andern, die gleich zugreifen, sind es nicht.“

Ich beschäftigte mich die Nacht damit, mir vorzustellen, wie die Freundin von Christopher aussah, wegen der er noch nicht mit mir geschlafen hatte: Mal dachte ich an eine rassige Spanierin, dann an eine blonde Schwedin, dann an eine rothaarige Irin. Es kamen so viele in Frage. All die deutschen Studentinnen in Göttingen hatte ich ja noch gar nicht in Betracht gezogen.

Am nächsten Tag hatte Christopher frei. Deshalb wunderte es mich nicht, dass er nicht zur Kasse kam. Als er aber vor dem Supermarkt auch nicht auf mich wartete, war ich doch ein wenig enttäuscht. Hatte ich ihn vielleicht doch mit meiner Einladung überrumpelt. Als ich zu Hause war, rief ich bei ihm an. Er meldete sich aber nicht. Gesa war mit ihrer Mutter in Lüneburg. Allein ins Schwimmbad zu gehen, hatte ich keine Lust. Ich hörte ein bisschen Musik, Christina Aguilera, konnte sie aber nicht genießen. Ich war einfach zu unruhig. Ich entschloss mich, nach Hamburg zu fahren. Ich brauchte sowieso einen neuen Bikini, und für den Fall, dass Christopher demnächst mit mir schwimmen gehen wollte, brauchte ich erst recht einen. Ich ging zu Karstadt. Die Mönckebergstraße war erstaunlich leer. Besonders erstaunlich war es aber auch wieder nicht: Es war 30 Grad heiß. Wer läuft da schon gerne auf einer Einkaufsstraße herum?

Und richtig: Karstadt war gar nicht so leer, wie man wegen der Leere der Mönckebergstraße hätte vermuten können. Die Leute waren ins gekühlte Kaufhaus geflüchtet. Ich hatte mich gerade für ein bestimmtes Modell entschieden und wollte es in der Umkleidekabine anprobieren, als ich einen Blick zur Herrenbademodenabteilung warf, die an die Damenabteilung angrenzte. Da sah ich ihn, Christopher. Neben ihm ein offensichtlich Schwuler, einer von der harten Sorte, mit Muscle-Shirt und rot-grün-blauer Irokesenfrisur. Sie hielten sich an der Hand, zeigten sich gegenseitig Badeshorts und lachten. Ich stand da wie festgenagelt. Dann gab der Irokese Christopher einen Kuss.

Ich hielt mich an meinem Bikini fest, als wäre er die einzige Stütze, die mich davor bewahrte umzufallen. Als hätte er mich gespürt, drehte sich Christopher um. Bevor er mich aber sehen konnte, bückte ich mich. Ich hängte den Bikini an den nächsten Haken und schlich gebückt aus dem Kaufhaus. Ich fuhr sofort wieder nach Hause. Dort musste ich zuerst meinen Fuß kühlen, den ich mir verletzt hatte, als ich gegen verschiedene Mauern und Gartenzäune getreten hatte.

Als Gesa am Abend anrief, sagte ich ihr nichts von meiner Entdeckung. „Nein“, sagte ich, „ich habe ihn heute nicht gesehen. Er ist zu irgendeinem Verwandtenbesuch verreist. Ich weiß nicht, wohin genau.“ Ich wollte zuerst mit Christopher reden. Er sollte mir zuerst erklären, was für ein mieses Spiel er mit mir trieb.

Abi und ein paar andere Probleme

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