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2 Anstellungs- und Arbeitsbedingungen in der Tagesschule – Handlungsbedarf und Perspektiven
ОглавлениеChristine Flitner
Die Anstellungs- und Arbeitsbedingungen in der Tagesschule (auch schulergänzende Betreuung, Hort, Tagesstrukturen o.ä. genannt) sind Stiefkinder der Bildungsforschung. Bei der Forschungsarbeit zu den Arbeitsbedingungen werden die Ressourcen und Belastungserfahrungen der Mitarbeitenden mithilfe von Befragungen erkundet. Zudem werden Überlegungen zum Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz angestellt.
Inwiefern sich die Anstellungs- und Arbeitsbedingungen direkt oder indirekt auf die pädagogische Arbeit und damit auf die Qualität der Tagesschulen auswirken, wird hingegen nur unsystematisch behandelt. Die Bildungsforschung hat sich bis anhin nur sporadisch mit den Anstellungs- und Arbeitsbedingungen in der Tagesschule auseinandergesetzt. Ressourcen und Belastungserfahrungen wurden teilweise erforscht. Der Frage, wie sich die Arbeitsbedingungen auf die Qualität der pädagogischen Arbeit auswirken, wurde bislang noch zu wenig Beachtung geschenkt. Unbestritten ist, dass die Qualifikationen des Personals – Länge und Niveau der Ausbildung und regelmässige Weiterbildung – die Qualität der pädagogischen Arbeit direkt beeinflussen. Es liegt auf der Hand, dass qualifiziertes Personal adäquate Rahmenbedingungen benötigt, damit das Fachwissen angewendet werden kann. Anerkennung für die geleistete Arbeit ist ein wichtiger Faktor für Arbeitszufriedenheit und dauerhafte Motivation. Es ist daher notwendig, die Frage der Anstellungs- und Arbeitsbedingungen nicht nur im Rahmen des betrieblichen Gesundheitsschutzes oder von allgemeinen Präventionsüberlegungen anzusehen, sondern die Zusammenhänge zwischen Qualität und Arbeitsbedingungen zu beleuchten und die Erkenntnisse in die Überlegungen zur Qualitätsentwicklung von Tagesschulen in der Schweiz einfliessen zu lassen.
Die Arbeits- und Anstellungsbedingungen des Personals in der schulergänzenden Betreuung der Schweiz sind umfassend geprägt von der Art und Weise ihrer Organisation. Zwar wird die Betreuung kantonal und kommunal unterschiedlich geregelt und finanziert, doch hat sich mit wenigen Ausnahmen in den vergangenen Jahren überall dort, wo es überhaupt Angebote gibt, das sogenannte modulare System durchgesetzt: In Ergänzung zum Schulunterricht werden von der öffentlichen Hand oder von privaten Anbietern Frühmorgen-, Mittags- und Nachmittagsbetreuung angeboten, welche die Eltern modulweise, angepasst an den Stundenplan des Kindes, für ein Semester oder ein komplettes Schuljahr buchen können.1 Die Schule bleibt in ihrem Ablauf und ihrer Organisation davon weitestgehend unberührt – selbst dort, wo die Betreuung unter dem Dach und teilweise auch unter der Leitung der Schule stattfindet (auch wenn an einigen Orten unterdessen engere Kooperationen zwischen Schule und Betreuungsangeboten angestrebt werden).
Mit Ausnahme der Längsschnittstudie von Regula Windlinger (Windlinger & Züger, 2020) gibt es in der Schweiz bisher weder wissenschaftliche Untersuchungen noch nationale Statistiken zu den Arbeits- und Anstellungsbedingungen des Personals in den Betreuungseinrichtungen. Auch der nationale Bildungsbericht gibt keine Auskunft dazu. Das Thema der Tagesstrukturen erhält dort gerade mal eine halbe Seite (SKBF, 2018, S. 47).
Verschiedene Kantone erstellen regelmässig Berichte über ihre Betreuungsangebote, mit Angaben über Plätze, Anzahl betreuter Kinder, Versorgungsgrad, Elterntarife, Finanzierungsmodelle, Gesamtkosten, Finanzierungsanteil der öffentlichen Hand und weitere Kennzahlen. Angaben zum Personal sucht man jedoch vergebens, auch dort, wo die Tagesbetreuung in den letzten Jahren deutlich ausgebaut wurde wie in Basel-Stadt, Bern, Zürich. Luzern oder St. Gallen (vgl. Erziehungsdepartement des Kantons Basel-Stadt, 2018; Erziehungsdirektion des Kantons Bern, 2018; Präsidialdepartement des Kantons Basel-Stadt, 2019; Stern & Schwab Cammarano, 2017). Der Bildungsbericht im Statistischen Jahrbuch der Stadt Zürich (2017, Kapitel 15) weist immerhin eine Zahl fürs Hortpersonal aus (881 zum Ende des Schuljahres 2013/2014), doch fehlen hier ebenfalls Angaben zum Beschäftigungsgrad und zur Ausbildung. Differenzierte Angaben finden sich nur für den Kanton Waadt, wo das statistische Amt detailliert ausweist, wie viele Personen mit welchem Ausbildungsgrad in welcher Funktion beschäftigt sind, allerdings ohne Unterscheidung von vorschulischer und schulergänzender Betreuung.2
Möglicherweise werden solche Zahlen auch in den anderen Kantonen und Gemeinden erhoben, doch werden sie offenbar nicht als wichtige Information angesehen, wenn es um Berichte zur schulergänzenden Tagesbetreuung geht. Dabei sind sie für die Planung, für politische Entscheidungen, aber auch für die Eltern und die öffentliche Diskussion wichtig und sollten daher überall leicht zu finden sein. Kantone und Gemeinden sollten in regelmässigen Abständen Datenerhebungen durchführen und die Bevölkerung darüber informieren, wie viele Personen in der schulergänzenden Betreuung arbeiten, welche Ausbildung sie haben, wie und in welchem Umfang sie angestellt sind und was sie verdienen (Lohnniveau in Relation zu den Funktionen der Gemeinde oder des Kantons).
Auch wenn die Informationsbasis spärlich ausfällt, können zwei grundsätzliche Erkenntnisse zu den Anstellungs- und Arbeitsbedingungen festgehalten werden:
1 «Die Betreuungsperson» gibt es nicht. Vielmehr arbeiten in den Betreuungseinrichtungen eine Vielzahl unterschiedlicher Personen, mit pädagogischer Ausbildung, ohne pädagogische Ausbildung, mit und ohne tertiärem Abschluss, Praktikantinnen und Praktikanten, Auszubildende, Zivildienstleistende, Personen mit festem Vertrag, auf Stundenbasis oder als Vertretung, Haushaltspersonal mit zusätzlichen Aufgaben und andere. Das Personal der Betreuungseinrichtungen ist also (im Gegensatz beispielsweise zur Schule) sehr heterogen zusammengesetzt.
2 Auch die Arbeits- und Anstellungsbedingungen sind äusserst heterogen und reichen von solide geregelten Anstellungsverhältnissen der öffentlichen Hand bis hin zu vertragslosen Handschlag-Vereinbarungen und Regelungen, die in einigen Fällen sogar (wissentlich oder unbeabsichtigt) das Minimum des Obligationenrechts unterlaufen. Die vergleichsweise junge Branche hat bisher keine etablierte sozialpartnerschaftliche Tradition (mit Ausnahme der Orte, wo das Personal als Teil des öffentlichen Dienstes eingebunden ist). Die Mehrheit der privatrechtlichen Verträge bewegt sich daher auf dem arbeitsrechtlichen Minimum.
Die oben erwähnte Längsschnittstudie (Windlinger & Züger, 2020) hat interessante Details zu den Anstellungsbedingungen zutage gebracht. Unter anderem zeigt sich, dass die Teilzeitrate und die Quote der Anstellungen im Stundenlohn bei den Befragten im Vergleich zum Schweizer Durchschnitt auffallend hoch sind. Während im gesamtschweizerischen Durchschnitt über 60 Prozent der Erwerbstätigen eine Vollzeitstelle haben, sind es in den Einrichtungen der schulergänzenden Betreuung nur 9 Prozent bei den Leitungspersonen und 11 Prozent bei den Mitarbeitenden. Dagegen ist die Rate der Mitarbeitenden mit kleinen Pensen (unter 50 Stellenprozenten) ausserordentlich hoch: 70 Prozent der Mitarbeitenden haben Teilzeitpensen unter 50 Prozent, im Vergleich zu 15 Prozent im Schweizer Durchschnitt. Fünf Prozent der Befragten arbeiten ohne festen Arbeitsvertrag. Unregelmässige Arbeitszeiten sind für rund 17 Prozent der Befragten gang und gäbe (Windlinger & Züger, 2020). Alle vier Faktoren (kleine Teilzeitpensen, Arbeit im Stundenlohn, fehlende Formalisierung des Arbeitsvertrags, unregelmässige Arbeitszeiten) sind typische Kennzeichen prekarisierter Arbeit, die gehäuft in Berufen auftreten, die mehrheitlich von Frauen ausgeübt werden.
Auch in den deutschsprachigen Nachbarländern gibt es kaum Untersuchungen zum Personal in der schulergänzenden Betreuung. Ausnahmen bilden die Studien, die der Arbeitswissenschaftler Bernd Rudow im Auftrag und mit Unterstützung der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft und der Max-Traeger-Stiftung erstellt hat (Rudow, 2015, 2017). Sie geben ausführlich Auskunft zu den Belastungserfahrungen und Ressourcen, welche die Arbeit der Erzieherinnen und Erzieher prägen, und zeigen, wo Handlungsbedarf besteht. Eine weitere Quelle für Informationen zu den Arbeitsbedingungen ist die umfangreiche «Studie zur Entwicklung von Ganztagsschulen» (StEG), die in Deutschland seit 2005 viele verschiedene Forschungsvorhaben zur Entwicklung von Ganztagsschulen und -angeboten gefördert hat.3
Die folgenden Überlegungen zu den Anstellungs- und Arbeitsbedingungen des Personals stützen sich auf die Erkenntnisse aus den genannten Untersuchungen sowie auf die Erfahrungen und Rückmeldungen aus der gewerkschaftlichen Beratungspraxis. Generelle Kriterien für die Beurteilung der Arbeitsbedingungen ergeben sich aus den Anforderungen an «gute Arbeit» der ILO:4 Sie darf unter anderem die Gesundheit nicht beeinträchtigen, muss die Arbeitsfähigkeit bis zum Rentenalter erhalten, den Lebensunterhalt und soziale Sicherheit gewährleisten, Weiterentwicklung ermöglichen, Mitsprachemöglichkeiten geben, Anerkennung und Befriedigung verschaffen und auch die Vereinbarkeit von Familie und Erwerbsarbeit ermöglichen.5
Die Herausforderungen in Bezug auf die Arbeits- und Anstellungsbedingungen des Betreuungspersonals stellen sich auf sehr unterschiedlichen Ebenen – entsprechend vielschichtig sind die Lösungen, die dafür gefunden werden müssen. Die wichtigsten Herausforderungen zeigen sich in vier Bereichen, die im Vorausgegangenen schon mehrfach angetippt wurden: 1. Rahmenbedingungen und Infrastruktur, 2. Arbeitsorganisation, 3. Kooperation zwischen Schule und Betreuung, 4. Professionalität, Berufsauftrag und Anerkennung.