Читать книгу "Opa, wann ist Corona vorbei?" - Reiner Brinkmann - Страница 7
001.4 Tony und Berthold
Оглавление„Ich weiß, dass es eine ernste Sache ist. Ich weiß auch, dass es gefährlich ist und sich keiner damit wirklich auskennt und die Lage verlässlich einschätzen kann. Aber ich sehe doch, dass sehr viele, die sich infizieren, genesen. Jeder einzelne Todesfall im Zusammenhang mit dem Virus ist der Zeitung eine Schlagzeile wert. Das ist doch nicht normal. Das hat es nie gegeben. Der Unfall mit dem Schulbus in Bayern, der durch die Raserei auf der Autobahn von einem PKW ausgelöst wurde und sechs Opfer gefordert hat, war nur eine Randnotiz wert. Ich höre immer, es geht darum, Leben zu retten. Warum in aller Welt tun sie sich dann so schwer damit, Tempo 100 auf Autobahnen durchzusetzen? Das rettet auch Leben." Tony spürt, wie ihm das Blut in den Kopf steigt. Er will das nicht. Immer ruhig bleiben, sagt er sich. Aber bei diesem Thema und dem dritten Glas Rotwein fällt es ihm schwer. Berthold sitzt ihm gegenüber. Nickt, schweigt. „Du darfst es heute ja fast nicht mehr sagen", fährt Tony fort, „Kritik an der Politik macht Dich zum Querdenker und damit schon fast zum Rechtsradikalen. Querdenker, Berthold, das war früher eine Auszeichnung. Heiner Geißler, Hoimar von Ditfurth und andere berühmte und ehrbare Leute wurden als Querdenker ausgezeichnet. Frauen nannte man ‘Streitbare‘. Aber jetzt. Was ist nur passiert?" „Sie wollen nur das Beste, Tony. Es ist für alle das erste Mal, dass es so eine Lage gibt, eine Pandemie". Berthold schenkt beiden vom trockenen Rotwein nach. Berthold und Tony kennen sich schon über zwanzig Jahre. Tony ist Abteilungsleiter im Autohaus. Berthold leitet die Werkstatt.
„Was ist noch schlimmer als die Pandemie, Berthold?", Tony blickt seinen Freund auffordernd an. Im Schein der Küchenlampe sitzen sie einander gegenüber. Berthold zuckt mit den Schultern. „Die Angst vor der Pandemie", sagt Tony, nimmt einen Schluck und setzt nach: „und die haben sie gründlich in die Welt gesetzt. Die Laster von Bergamo, Berthold. Jenseits aller Zahlen, aller Einschätzungen und Maßnahmen hat sich bei den Menschen weltweit zu Anfang der Pandemie das Bild der Laster von Bergamo ins Hirn gebrannt. Armeefahrzeuge fahren in Italien Leichen ab, weil die Krematorien überlastet sind. War das nötig? Entspricht das der Realität, wie wir sie bei uns vorfinden? Nein, Berthold. Die Angst war gesät und sie verbreitet sich schneller und ist hartnäckiger als das Virus selbst. Guck doch nur gegenüber, unsere Nachbarn, Willi und Erna. Die Glotze läuft den ganzen Tag. Regierungsfernsehen, wie Ulla immer sagt. Erna geht nicht mehr aus dem Haus, hat ihre Kinder seit Monaten nicht mehr gesehen. Letzte Woche war sie mittags kurz vor der Tür am Briefkasten. Die Haare unfrisiert, im Morgenmantel. Sie hat mich im ersten Moment gar nicht erkannt, glaub ich. Willi sorgt sich schon und glaubt, sie wird zunehmend dement. Berthold, Mensch, die Leute werden irre in der Birne." Schon wieder merkt Tony, wie er sich in Rage redet. Er nimmt das Messer und schneidet sich ein Stück Salami ab, greift in die Schale mit den Oliven und beruhigt sich wieder. „Aber sie tun doch ihr Bestes, Tony. Weißt du eine bessere Strategie?" Berthold schenkt ein Glas Wasser für beide nach. Tony blickt auf seinen Teller. Er tunkt ein Stück Weißbrot in die Reste des Olivenöls. „Die Politiker muten sich zu viel zu, Berthold. Sie meinen, alles regeln zu können und alles besser zu wissen. Sie entmündigen uns und nehmen uns unsere Souveränität. Sperren uns ein. Lassen uns nicht entscheiden, wie viel Risiko wir für uns selbst in Kauf nehmen." „Jetzt redest du schon wie die AfD", fällt Berthold ihm lächelnd ins Wort. „Auch wenn man kein AfD-Wähler ist, muss man nicht alles verteufeln, nur weil es schon mal jemand von der AfD gesagt hat. Du weißt, wie ich denke." Berthold nickt. Tony ist seit Jahren Christdemokrat und Politik war nie sein Hauptthema.
„Seien wir doch mal ehrlich", Tony beugt sich vor, „diejenigen, die jetzt die Verantwortung in dieser schwierigen, undurchsichtigen Lage haben, sind doch ursprünglich nie für so einen Job angetreten. Der Landrat hat die Verwaltung organisiert, Straßen eingeweiht und sich mit den Bürgermeistern über die Haushaltslage abgestimmt. In den Gesundheitsämtern sitzen nun mal gerade nicht die besonders belastbaren Ärzte. Da wurde immer eine ruhige Kugel geschoben und mal ein Stempel unter ein Gutachten gesetzt." „Na, na, Tony", Berthold lehnt sich zurück und setzt nach: „Das ist deine Meinung, aber die Leute da haben jetzt echt enorme Verantwortung und sehr viel zu tun. Ich möchte da jetzt nicht sitzen und die ganzen Kontaktdaten auswerten. Die tun sicher ihr Möglichstes.“ Tony nickt. „Versteh' mich nicht falsch, Berthold. Ich gebe den Leuten nicht die Schuld. Vielleicht hätte sich so mancher Landrat gar nicht aufstellen lassen, wenn er geahnt hätte, was auf ihn zukommt. Ihnen wurde etwas aufgebürdet, was für viele ein oder zwei Nummern zu groß ist. Eigenverantwortlich zu handeln, Risiken abzuwägen, einzugehen, für eigene Entscheidungen geradestehen, mit allem was man hat, ist für die meisten nicht ihr gewohntes Feld. Das ist das Feld der Unternehmer, der Selbstständigen. Hier muss jede Branche aufgerufen werden, Vorschläge und Lösungen zu präsentieren. Hier sitzen die Experten, jeder auf seinem Gebiet. Aber nein, alle sitzen vor der Glotze und erwarten die nächsten Anweisungen aus dem Mini-Corona-Kabinett. Verstehst du, Berthold? Wir haben so viel Potential, das wir verschenken, weil der Politadel den kleinen Bürger ständig bevormundet. So, jetzt ist auch gut", nun ist es Tony, der sich zurücklehnt und einen kräftigen Schluck Wasser trinkt.
Berthold lässt die letzten Worte von Tony nachklingen. Dann sagt er: „Gestern in der Frühstückspause kam die Chefin. Wir haben uns unterhalten über dies und das. Da sagte sie: ‘Eigentlich haben wir ja kaum Einschränkungen. Die Werkstatt ist voll, die Aufträge laufen, nur essen gehen ist nicht mehr drin. Aber da treffen wir uns halt zu Hause mit unseren Freunden. Wir haben Jalousien, die mach ich dann runter‘. ‘Damit es keiner sieht und Sie anzeigt?‘, habe ich gefragt. Sie hat mich nur komisch angeguckt. Wohin sind wir eigentlich gekommen, in so kurzer Zeit. Das ist es, was mir Sorgen macht", sagt Berthold, indem er sich erhebt, Tony einen freundschaftlichen Klaps auf die Schulter gibt und die Küche verlässt.
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