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Prolog
ОглавлениеWanderer kommst du nach B (1945)
Ein wenig schwerfällig, denn er war in die Jahre gekommen, bewegte sich Wasja durch die Straßen der zerstörten Stadt, dem Ziel seiner Reise. Lange hatte seine Kindheit nicht gedauert, da musste er schon die Heimat verlassen.
Eiskalt war es im Wald, im Osten des riesigen Landes, wo er aufgewachsen war. Und das meist draußen auf eisigem Boden. Seine Mutter, Soja, war eigentlich noch viel zu jung für diese Aufgabe gewesen. Doch danach hatte keiner gefragt.
Bald nachdem sie ein letztes Mal Hand an ihn gelegt hatte, war sie den anderen in die Wälder gefolgt, um seinesgleichen, die auf Schienen hierhergebracht werden sollten, zu vernichten.
Weil sie nicht wusste, wohin es ihn verschlagen würde, hatte sie ihm eine Nachricht beigelegt. „Sorge dafür unbekannter Genosse“, hatte sie geschrieben, „dass Wasja überlebt.“
Lang und entbehrungsreich war sein Weg gewesen, und nun war Wasja in die Jahre gekommen. Mühsam bewegte er sich jetzt auf der Straße, die einmal den Namen Stalinallee tragen sollte. Gähnende Ruinen rechts und links, das Feuer erloschen, der Gestank nach Verbranntem erhalten geblieben.
Manchmal wirkten die Restfassaden wie eine Theaterkulisse: ein Schlafzimmer, das Ehebett und darüber an der Wand das Bild mit den pausbackigen Engelchen, eine Küche, von der die Ecke mit dem Kochherd stehen geblieben war oder ein Wohnzimmerrest mit Sofagarnitur und darüber das Bild des Führers.
Doch Wasja war nicht allein, eine ebenso alte Genossin folgte ihm in gemessenem Abstand. In der Steppe hatten sie sich kennen gelernt. Nina und er sollten am Ziel zusammenbleiben, wenn auch wiederum auf Abstand. Stolz und Achtung gebietend, würden sie einer erneut feindlichen Umwelt trotzen.
Sie erreichten die Straße, von der der Fackelspuk ausgegangen war. Respektvoll umfuhren sie das Tor, durch das 45 Jahre später ein neuer Herr, ebenso gemessenen Schrittes gehend, der immerhin von Befreiung sprechen würde. Und genau deshalb hatten Nina und Wasja die Strapazen auf sich genommen.
Bald dröhnten und schepperten die beiden hintereinander her – die letzten Meter – bis sie schließlich nebeneinander zum Stehen kamen, darauf wartend, den letzten Schritt zu tun, damit sie endlich Ruhe finden konnten.
So entbehrungsreich ihr Weg auch gewesen war, erinnerten sich beide gerne daran, wie sie die Banditen das Fürchten gelehrt hatten. Natürlich nicht alleine, viele waren sie gewesen, die unter dem Kommando des Marschalls am 8. Mai 1945 Berlin befreiten.
Und Wanderer, wenn du nach Berlin kommst, vergiss nicht, den beiden Panzern vom Typ T34/76 im Tiergarten, denen man die Namen Nina und Wasja hätte geben können, einen Besuch abzustatten. Gedenke ihrer Kommandanten, Iwan und Pawel, der Fahrer Viktor und Boris, der Ladeschützen Oleg und Dimitrij, der MG-Schützen Andrej und Artjom und der Funker Michail und Igor.
Und bitte, lass dich nicht abermals dazu verführen, dieses riesige Land im Osten erneut erobern zu wollen! Denke an das Schicksal deiner Vorväter, die bei Stalingrad und anderswo in die Flucht geschlagen wurden, unter anderem von Nina, Wasja und seiner Mutter Soja, der Partisanin und Dreherin.
An Ereignisse im vierten Lebensjahr, so sagt man, erinnert sich in der Regel ein erwachsener Mensch. Das war im April 1945. Meine Mutter, den Kinderwagen, in dem das Notwendigste verpackt war, vor sich herschiebend, mich an der Hand, auf dem Weg in die Prinz-Adalbert-Straße von Berlin-Karlshorst.
Daran erinnere ich mich heute. Aus einem Fenster des vierstöckigen Hauses schlugen Flammen, ein unauslöschbares Bild.
„Das war dein Kinderzimmer“, sagte meine Mutter. Eine der berüchtigten Phosphorbrandbomben, in der Form einem Bleistift ähnlich, war vom Dach bis in den Keller geschlagen und hatte unterwegs alles verbrannt.
Über das danach berichtete meine Mutter später: „Deine Tante Edith und ich, wir hielten im Krieg und danach vor allen Dingen in der Sorge um dich, zusammen. Während ich meinem Dienst bei der Stadtverwaltung nachkam, kümmerte sich Edith vorwiegend um dich. Du bist für sie immer wie ein Sohn gewesen, was mich oft eifersüchtig machte, doch mein Glaube an den Endsieg ließ mich bis zuletzt meiner Dienstpflicht nachkommen. Oftmals lief ich auf dem Weg zu meiner Dienststelle oder nach Hause durch brennende Straßen, rettete mich ständig in Sekundenbruchteilen vor herabstürzenden Häuserwänden. Und dann, Ende April 45, wurde auch das Dienstgebäude ein Opfer der Brandbomben und ich war meiner Verantwortung entbunden.
Edith und ich begaben uns mit dir auf die Suche nach einer Unterkunft. Abwechselnd schoben wir den Kinderwagen, den du zum Glück kaum noch brauchtest, vor uns her. In ihm hatten wir unsere ganze Habe, zum Beispiel die uns damals noch wichtig erscheinenden Papiere und Dokumente untergebracht.
Gähnende Ruinen rechts und links der Frankfurter Allee, das Feuer erloschen, der Gestank nach Verbranntem erhalten geblieben.
Manchmal wirkten die Restfassaden wie eine Theaterkulisse: ein Schlafzimmer, das Ehebett und darüber an der Wand das Bild mit den pausbackigen Engelchen, eine Küche, von der die Ecke mit dem Kochherd stehen geblieben war oder ein Wohnzimmerrest mit Sofagarnitur und darüber das Bild des Führers.
Bald erkannten wir die Nutzlosigkeit dieser Wohnungssuche, wollten dir weitere solcher Bilder ersparen und traten den Rückweg nach Karlshorst an.“
Das zweite, mir in Erinnerung gebliebene Bild: eine Leiche im abgesoffenen U-Bahn-Schacht.
Erst viel später erfuhr ich die Ursache: Auf dem Grund eines Spreekanals hatten sie die Ladung explodieren lassen, die ein Loch in die U-Bahn-Schachtdecke riss, durch das Millionen Kubikmeter Wasser in die Tunnel stürzten und die dort vor den Fliegerbomben Schutzsuchenden tötete.
Nein, das waren keine bolschewistischen Untermenschen gewesen, es waren die Ehre-Treue-Herrenmenschen, die in fanatischer Mordlust dem letzten Befehl ihres Führers „nach mir die Sintflut“ gefolgt waren, die Eigenen also.
Weiter berichtete meine Mutter: „Damals auf der Frankfurter Allee hätte sich keine von uns beiden vorstellen können, dass Edith dereinst in dieser Straße, die dann den Namen Stalins trug, eine schöne Wohnung beziehen sollte.
Jetzt erst einmal blieb uns nur noch die Gartenlaube als Zufluchtsort. Am Abend auf dem Weg dorthin, das Siegesfeuerwerk der Roten Armee am Himmel, haben wir beide bitterlich um Deutschland geweint, ob der Bolschewisten Sieg.“
Zur Sache
Der zweite Weltkrieg stellt ein Warnungszeichen an die gesamte Menschheit dar, den Weg des hemmungslosen Machtkampfs und der schrankenlosen Zerstörung zu beenden. Auf drei Kontinenten wurde von 1939 bis 1945 mit bis dahin nicht erlebter Rücksichtslosigkeit gegenüber jedem menschlichen Leben vom deutschen Faschismus und seinen Verbündeten ein Eroberungskrieg geführt, dessen Ziel die Ausrottung und Unterwerfung anderer Nationen und rassistisch ausgegrenzter Menschengruppen war.
Über 50 Millionen Menschen verloren ihr Leben – zum Ende zeigten die Atombombenexplosionen in Hiroshima und Nagasaki, dass nun die Mittel zur völligen Vernichtung der Menschheit den westlichen Militärmächten zur Verfügung standen. Wer aus seiner Geschichte nicht lernt, ist verurteilt, solche Verbrechen und die selbst verschuldeten, ungeheuren Katastrophen erneut zu erleben.
Es gilt, die denkwürdige Klarstellung des ehemaligen Bundespräsidenten Richard von Weizsäcker, der am 8. Mai 1985 sagte: „Der Blick ging zurück in einen dunklen Abgrund der Vergangenheit und nach vorn in eine ungewisse dunkle Zukunft. Und dennoch wurde von Tag zu Tag klarer, was es heute für uns alle gemeinsam zu sagen gilt: Der 8. Mai war ein Tag der Befreiung. Er hat uns alle befreit von dem menschenverachtenden System der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft.“
Und Weizsäcker weiter: „Es ist ein historisches Faktum: Ohne die Übertragung der Macht an die Hitler-Clique 1933 durch die damals in Deutschland herrschenden Kreise hätte es kein 1939 gegeben. Ohne diesen Pakt von Kapital und Konzernen, von Antikommunisten und Antisemiten hätte es weder Krieg noch Völkermord und Holocaust gegeben. Und darum hätten 1945 nicht die Völker über Deutschland zu Gericht sitzen müssen. Sie taten es - zwangsläufig. Wenn wir also über Ursache und Folgen reden, müssen wir sehr früh beginnen.
In Jalta entschieden im Februar 1945 die drei Hauptmächte der Antihitlerkoalition über die Bildung von Besatzungszonen. Stalin, so ist überliefert, wollte auf diese Weise verhindern, dass der Plan des US-Finanzministers Henry M. Morgenthau verwirklicht würde. Dieser sah die vollständige Deindustrialisierung vor. Deutschland sollte binnen zwanzig Jahren in ein Agrarland verwandelt werden. Der Morgenthau-Plan favorisierte ferner die Bildung eines Norddeutschen Staates, eines Süddeutschen Staates und einer Internationalen Zone im Ruhrgebiet. Die Sowjetunion wollte — trotz der Bildung von Besatzungszonen — Deutschland als Ganzes erhalten.“2
Nachdem die Sowjetarmee und polnische Truppen im März 1945 die Oder-Neiße-Linie erreicht und die anglo-amerikanischen Streitkräfte den Rhein überschritten hatten, begann die letzte Phase des zweiten Weltkrieges in Europa. Das faschistische Oberkommando konzentrierte seine stärksten Divisionen im Raum von Berlin (1 Mill. Mann). Am 16.4.1945 traten die sowjetischen Armeen an Oder und Neiße zur Berliner Operation an. Sie stellten am 25.4.1945 die Verbindung mit den amerikanischen Truppen bei Torgau an der Elbe her, kesselten Berlin ein und zwangen es am 8.Mai 1945 zur Kapitulation. Am 30. 4. 1945 hatte sich Hitler im Bunker der Reichskanzlei durch Selbstmord seiner Verantwortung entzogen. In vielen Orten Deutschlands verhinderten Antifaschisten und andere mutige Patrioten, dass faschistische Offiziere und SS-Einheiten den Widerstand fortsetzten bzw. sinnlose Zerstörungen anrichteten. Die Häftlinge der Konzentrationslager Buchenwald und Mauthausen zum wesentlichen Teil sich selbst befreiten.
Am 8. Mai 1945 kapitulierte Hitlerdeutschland in Berlin-Karlshorst vor den Mächten der Antihitlerkoalition. Die von deutscher Seite durch Generalfeldmarschall Keitel und Vertreter der Luftwaffe und der Marine unterzeichnete Kapitulationsurkunde bestimmte die Feuereinstellung aller faschistischen Streitkräfte ab 8. Mai 1945, 23.01 Uhr, und die bedingungslose Übergabe.
Der T-34 (von russisch танк für Panzer) war ein mittlerer Panzer aus sowjetischer Produktion. Er wurde von 1940 bis 1958 gebaut und von der Roten Armee hauptsächlich im Großen Vaterländischen Krieg eingesetzt. Er gilt als bekanntester sowjetischer Panzer des Krieges. Seine einfache Bauweise ermöglichte eine hohe Massenproduktion unter zum Teil schwierigsten Bedingungen, auch außerhalb von Fabrikgebäuden in Sibirien. Er war mit über 50.000 Exemplaren der meistgebaute Panzer des Zweiten Weltkrieges und mit insgesamt über 80.000 einer der meistgebauten Panzer überhaupt. Der T-34 war zur Zeit des deutschen Überfalls 1941 allen deutschen Panzern klar überlegen. Durch seine enorme Überzahl trug er maßgeblich zum Sieg der Roten Armee bei.
Sowjetische Ehrenmale in Berlin
Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs wurden im Stadtgebiet von Berlin vier sowjetische Ehrenmale angelegt. Sie sollten an die getöteten Rotarmisten erinnern, insbesondere an die etwa 80.000 Soldaten, die bei der Schlacht um Berlin gefallen waren. Diese Ehrenmale sind nicht nur Denkmale an den Sieg. Sie sind gleichzeitig auch Gedenkstätten, in Verbund mit Soldatenfriedhöfen und somit sowjetische Kriegsgräberstätten in Deutschland. Das zentrale Ehrenmal ist die große Anlage im Treptower Park. Daneben entstanden die Ehrenmale im Großen Tiergarten, in der Schönholzer Heide und das Ehrenmal im Bucher Schlosspark (Stadtbezirk Berlin-Buch). Die beiden letztgenannten befinden sich im Bezirk Pankow.
Das Ehrenmal im Tiergarten wurde auf Grund eines Beschlusses des Kriegsrats der 1. Weißrussischen Front von den Bildhauern Lew Kerbel und Wladimir Zigal gemeinsam mit dem Architekten Nikolai Sergijewski entworfen und an der damaligen Charlottenburger Chaussee errichtet. Dieses Ehrenmal ist das letzte auf dem Kampfweg der 1. Weißrussischen Front von Küstrin über Seelow bis Berlin. Am 11. November 1945 wurde es mit einer Parade der alliierten Truppen eingeweiht.