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Er hat mich vergewaltigt (1949)
ОглавлениеDurch das kleine Fenster der Gartenlaube beobachtet Waltraud Tag für Tag die Streife, die ihren Postengang entlang der Telegrafenleitung absolvieren. Sie erinnert sich daran, was man ihnen immer wieder eingebläut hatte, dass das keine Menschen eher sibirische Tiere seien.
Einmal waren es nicht zwei, sondern drei Soldaten gewesen. Waltraud holte aus der Truhe das Fernglas, das einzige Andenken an den Geliebten, der bei Stalingrad gefallen war, und richtete es auf die drei. Zwei trugen keine Kopfbedeckung, hatten das Käppi unter die Schulterklappen geschoben. Ihre kahl geschorenen Schädel glänzten in der Sonne. Der dritte trug eine große runde Uniformmütze, dass sie sein Gesicht kaum erkennen konnte.
Die junge Frau nahm ihren ganzen Mut zusammen, verstaute das Fernglas wieder in der Truhe. Die Hand schon auf der Türklinke, zögerte sie, doch ihre Neugier überwog die Angst.
Die Soldaten sahen Waltraud nicht, als sie vor die Laubentür trat, also rief sie laut „Hallo!“
Der mit der großen Mütze, ein Leutnant, wandte seinen Kopf, blickte zu ihr hin und bedeutete den anderen zu halten. Auf halbem Wege trafen sie sich. Nacheinander blickte sie den drei Soldaten ins Gesicht. Auf den ersten Blick konnte sie darin nichts Tierisches entdecken. Deshalb nahm sie all ihren Mut zusammen, sah dem mit der großen runden Mütze in die Augen, stotterte ein wenig als sie die drei einlud.
Dann saßen sie um den Tisch auf der kleinen Wiese vor der Laube, tranken vom Kaffeeersatz, den man hier Muckefuck nannte, sprachen vom Wetter und sonst Wichtigem. Die beiden Postengänger verstanden kein Deutsch, sodass der Leutnant alles übersetzen musste.
Zuerst blickte Waltraud von einem zum anderen, während sie sprach, bis sie schließlich nur noch dem Leutnant in die Augen schaute. Leicht schräg gestellt, registrierte sie, dass sie ihn fragte, woher er käme. „Kasachstan, genau genommen aus der kasachischen Sowjetrepublik“, seine Antwort und sie weiter fragte, wo er gelernt hatte, so gut Deutsch zu sprechen. Da erzählte er von seinen Eltern, die schon in den 1930 er Jahren von der Wolga in den Osten gezogen waren. Er war zweisprachig aufgewachsen und hatte sich direkt nach dem Überfall der Hitler-Faschisten auf die Sowjetunion freiwillig zum Militär gemeldet.
„Überfall“, ging es Waltraud kurz durch den Kopf, Russlandfeldzug nannte sie es bisher.
„Darf ich fragen, wie sie heißen, gnädiges Fräulein?“
Da musste Waltraud lachen.
„Warum lachen Sie?“
„Gnädiges Fräulein hat mich noch nie jemand genannt. Ich heiße Waltraud und sie?“
„Wladimir Neubauer.“
„Sonst waren es immer nur zwei Soldaten, die hier vorbeikamen?“
„Nun, es hat Sabotagefälle an der Telegrafenleitung gegeben. Da müssen wir nachforschen.“
Einen Moment zögerte Wladimir, bevor er weitersprach.
„Ihnen ist da wohl nichts aufgefallen?“
Was meinte er wohl mit dieser Frage? Dachte er etwa sie oder jemand aus der Siedlung würden da etwas kaputtmachen? Und wenn, sie würde doch keinen Landsmann verraten. Das sagte sie ihm nicht, verneinte lediglich seine Frage.
„Na dann“, sagte Wladimir, bedankte sich für den Muckefuck auch im Namen seiner Kameraden.
Waltraud blickte den dreien hinterher. Ein wenig enttäuscht war sie. Wladimir, ein schöner Name dachte sie.
Tags darauf waren es wieder nur zwei Soldaten, und kurz überlegte Waltraud, sie nach Wladimir zu fragen, verwarf den Gedanken aber gleich wieder.
Dann, drei Tage später, hielt ein Geländewagen vor dem Gartentor. Waltraud saß vor der Laube, hatte eine Pause bei der Gartenarbeit eingelegt. Sie wusste sofort, das konnte nur Wladimir sein. Sie sprang auf, rannte los, beherrschte sich und tat gelassen.
„Holdes Fräulein, darf ich es wagen?“
„Wie bitte?“ Ihre verblüffte Reaktion.
„Das sagt Heinrich zu Gretchen, weil er sie kennenlernen will.“
Eher auf Verdacht reagierte Waltraud: „Goethes Faust, ich vermute?“
Wladimir lachte dieses offene jungenhafte lachen, das sie schon an ihm kannte.
„Im Ernst, ich möchte mich für die Einladung revanchieren und sie nun meinerseits zum Kaffee einladen.“
Waltraud freute sich, dass sie beinahe sofort die Gartentür geöffnet hätte. Doch sie besann sich.
„Ich kann doch so nicht mit ihnen gehen“, sagte sie an sich hinunterblickend.
„Ich kann warten, da sie zugesagt haben.“
Frauen, denkt Wladimir, da Waltraud 10 Minuten später immer noch nicht zurück war. Als sie dann verhaltenen Schrittes den Gartenweg herunterkam, schaute er ungläubig. Waltraud trug ein geblümtes Sommerkleid zu einfachen Sandaletten, an den nackten Füßen. Das Band entfernt, viel ihr das lange braune Haar bis auf die Schultern.
„Verweile doch…“, begann Wladimir.
„Schon gut, Herr Soldat, genug des großen deutschen Dichters. Man sagt ja, dass russische“, sie stockte, „das sowjetische Soldaten einiges an deutscher Kultur kennen.“
Inzwischen waren sie in Karlshorst, dem Sitz der sowjetischen Militäradministration angekommen. Waltraud hatte davon gehört, auch vom „Russen Magazin“, wie der Laden genannt wurde. Schließlich führte Wladimir sie ins Offizierskasino. Bei Kaffee und Kuchen und Gesprächen über ihr bisheriges Leben verging der Nachmittag und es sollte nicht der letzte gewesen sein.
Die nächsten Tage brachten für Waltraud eine derartige Veränderung ihres Lebens, derer sie sich erst viel später bewusst wurde. Ernst, mit dem sie die große Liebe erlebt hatte, war in Russland gefallen, als ein Held, wie es in dem Brief gestanden hatte. Erschossen von einem, der möglicherweise auf Befehl des Leutnant Wladimir Neubauer gehandelt hatte. Sie wusste von den Scharfschützen der Roten Armee, die, wie es hieß, feige aus sicherer Position nur darauf warteten, dass sich ein armer Landser eine Zigarette anzündete, um den Abzug an seinem Scharfschützengewehr durchzuziehen.
Sie erzählte Wladimir davon, der betroffen war, ehrlich ergriffen. Allerdings stelle er ihr die Frage, die sie sein Handeln verstehen ließ. „Wenn dich jemand in deiner Laube überfällt, dich vergewaltigt und deine Kinder tötet, am Ende die Laube anzündet. Was würdest du tun, hättest du ein Gewehr und die Gelegenheit, den Verbrecher zu bestrafen?“
Waltraud musste nicht lange nachdenken, zu sagen, dass sie den Tod ihrer Kinder rächen würde.
„Und genau das, Waltraud, ist vielfach in unserem Land geschehen. Deine Leute haben uns überfallen, haben gemordet, geschändet und vergewaltigt. Wir mussten uns verteidigen, mussten unsererseits Töten.“
„Und haben nicht viele von euch deutsche Frauen vergewaltigt?“
„Ja, das hat es gegeben, aber wurde es bekannt, entgingen die Täter ihrer Strafe nicht.“
Waltraud hörte ihn an, war sich aber nicht sicher, ob sie seinen Worten Glauben schenken sollte. Seiner Liebe jedenfalls konnte sie sich nicht erwehren. Nein, gestand sie sich ein, sie liebte diesen Rotarmisten, und was sie besonders erstaunte, war, dass er sie die Liebe zu Ernst vergessen ließ. Langsam zwar, doch beständig.
Dann, eines Tages, wusste Waltraud Berger, dass sie schwanger war. Nie war sie es gewesen, die bestimmte, wann sie sich treffen konnten.
Das war natürlich von seinem Dienst abhängig. Er kam, wann er konnte. Drei Tage sah sie ihn nicht, da wurde sie unruhig. Jetzt, mit dem Wissen um ihren Zustand, konnte sie es nicht abwarten, fuhr nach Karlshorst, meldete sich bei der Kommandantur.
Zuerst wollte man ihr keine Auskunft geben, doch Waltraud ließ nicht locker, bis man sie zum Büro eines Offiziers brachte, der sie anhörte. Dessen offene und freundliche Art bewirkte, dass es sich Waltraud getraute, die Wahrheit zu sagen.
Als der Mann hörte, dass Waltraud ein Kind von dem Oberleutnant erwartete, änderte sich dessen Gesichtsausdruck.
„Fräulein Wendorf, so leid es mir für sie tut, darf ich keine dienstlichen Angaben über den Mann weitergeben, den sie für den Vater ihres Ungeborenen halten. Ich werde ihre Personalien aufnehmen, man wird sich mit Ihnen in Verbindung setzen.“
Natürlich wusste der Offizier mehr, war darüber informiert, dass Wladimir Neubauer, wegen dieser Affäre, wie man es nannte, in den Norden der sowjetischen Besatzungszone versetzt worden war, mit der strikten Anweisung, jegliche Verbindung zu Waltraud Wendorf abzubrechen. Es herrschten hier strenge Anordnungen, was die Beziehungen zwischen Soldaten der Roten Armee und deutschen Frauen betraf. Auch deshalb, weil es manchmal falsche Anschuldigungen zum Beispiel den Vorwurf der Vergewaltigung gab.
All das konnte Waltraud nicht wissen. Sie sah sich von Wladimir verraten, unterstellte ihm Feigheit und Flucht. All das, was man ihnen in der Hitler Zeit über die Russen eingehämmert hatte, tauchte wieder auf, führte dazu, dass Waltraud zu hassen begann.
Da saß sie nun in ihrer Laube, deren Dach undicht, der Ofen ein Wrack und die Gartenpumpe im Winter eingefroren war. Wie sollte sie unter diesen Umständen ein Baby versorgen? Jetzt war es August, und noch immer hoffte sie auf ein Lebenszeichen von Wladimir. Was sie nicht wissen konnte war, dass der Oberleutnant nichts unversucht gelassen hatte, Kontakt mit Waltraud aufzunehmen. Das allerdings auf dem so genannten Dienstweg, und der war auch bei der Roten Armee oft sehr lang.
Waltrauds Gedanken kreisten fast ausschließlich um den ständig näherrückenden Geburtstermin. Natürlich bemühte sie sich beim Wohnungsamt im sowjetischen Sektor Berlins um eine geeignete Unterkunft. Doch das konnte unter den Umständen die in den vierziger Jahren herrschten, kaum gelingen. So folgte sie schließlich dem Rat einer Freundin, der es nach der einseitigen Währungsreform in Westberlin materiell nicht so schlecht ging und meldete sich bei der entsprechenden Stelle dort als Flüchtling aus der sowjetischen Besatzungszone. Als Grund für ihre Flucht gab sie an: „Ich bin von einem russischen Soldaten vergewaltigt worden und nun schwanger.“
Das verschaffte ihr Öffentlichkeit und Zuwendungen. Damit war ihr Fall ein gefundenes Fressen für die Presse im Westen der Stadt.
Zur Sache
Viele alliierte Soldaten vergewaltigten und missbrauchten deutsche Frauen nach Kriegsende und in der Besatzungszeit. Zu den Gräueltaten kam es nicht nur im Osten.
Nach den Niederlagen der Wehrmacht im Osten und im Westen stieg die Angst der Deutschen vor allem in den Ostgebieten vor der Vergeltung durch sowjetische Truppen. Einen großen Teil dazu trug die Propaganda der NS-Führung bei, die nicht müde wurde, vor den „animalischen“ Soldaten aus der Sowjetunion zu warnen. Bekannt war das Bild, das die Faschisten von dem Sowjetsoldaten zeichneten, einem Plakat, auf dem ein Menschenaffe in der Uniform der Roten Armee mit gezogenem Dolch abgebildet war.
„Lass uns ein bisschen Spaß haben“, befahl der Offizier der japanischen Armee
dem Mädchen, „du siehst hübsch aus.“ Dann zeigte er ihm sein Geschlecht.
‚Ich fürchtete mich so. Er nötigte mich, mich auf den Boden zu legen, und verletzte
mich mit seinem Bajonett. Er zog mir die Hose aus und vergewaltigte mich, bis ich blutete.‘ Die Szene, die die Koreanerin Kim Young Suk im Dezember 2000 vor einem inoffiziellen Kriegsverbrechertribunal in Tokio schilderte, könnte sich so oder so ähnlich auch in Weißrussland abgespielt haben. Oder in Frankreich. Oder in Deutschland. Niemals seit dem Dreißigjährigen Krieg wurden in einem Kampf so viele Frauen und Mädchen vergewaltigt wie im Zweiten Weltkrieg. Millionen mussten ‚bekennen‘, wie deutsche Frauen damals verschämt sagten. Zehntausende starben an den Folgen, wurden umgebracht oder begingen Selbstmord. (…) Oft waren die Opfer noch Kinder wie Kim Young Suk. Bis zu 40 Freier hatte die damals Zwölfjährige täglich zu ertragen. Einer brach ihr dabei den Arm. Während über die Gräueltaten der Russen und der Japaner erste Untersuchungen vorliegen, gibt es zu den Übergriffen der westlichen Alliierten bisher wenig wissenschaftliches Material. Nur 487 Vergewaltigungsprozesse zwischen März und April 1945 sind bei den 1,6 Millionen US-Soldaten in Deutschland aktenkundig. Über Belästigungen von Frauen durch die Briten liegen keine Berichte vor. Den schlechtesten Ruf unter den Westalliierten erwarben sich die Franzosen. Bei der Einnahme von Stuttgart und Pforzheim etwa kam es zu Massenvergewaltigungen. Im württembergischen Freudenstadt missbrauchten französische Besatzungssoldaten Bewohnerinnen des Ortes tagelang. Und die Landser der Wehrmacht? Wie hielten sie es mit der von ihnen geforderten „Manneszucht“? Dass Angehörige der SS Frauen nicht verschonten, ist bekannt. Die Wehrmacht dagegen galt lange Zeit als ‚sauber‘. Eine neue Studie der Historikerin Birgit Beck weist jetzt nach, dass Soldaten der Wehrmacht an Verbrechen gegen Frauen beteiligt waren. Zwar berücksichtigte die Wehrmachtsführung die sexuellen Bedürfnisse ihrer Soldaten, etwa indem sie ihnen – anders als die Rote Armee – regelmäßig Fronturlaub gab. Auch ließ die deutsche Armee in allen besetzten Gebieten Bordelle einrichten. Doch bis heute ist nicht erforscht, wie viele der Frauen, die in den rund 500 Wehrmachtsbordellen arbeiteten, dazu von den Deutschen gezwungen wurden. Augenzeugen berichteten in dem Dokumentarfilm „Frauen als Beute“, dass Russinnen und Jüdinnen, etwa aus Konzentrationslagern, aber auch von der Straße weg in die Soldatenpuffs im Osten verschleppt wurden. Auch auf dem westlichen Kriegsschauplatz ist Zwangsprostitution nachweisbar. So wurden Französinnen aus Internierungslagern in Wehrmachtsbordelle gebracht und zur Prostitution gezwungen. Für Beck ist dies ein Beleg dafür, dass sexuelle Gewalt bei der deutschen Armee institutionalisiert war. Für ihre Studie hat die Wissenschaftlerin Prozessakten der Militärgerichte ausgewertet. Danach kam es in allen besetzten Ländern zu Vergewaltigungen. In Polen, in der Sowjetunion, aber auch in Frankreich oder Italien. Aktenkundig sind Einzel- sowie Gruppenvergewaltigungen. Die Opfer wurden mit Waffen bedroht, geschlagen, getreten. Morde sind hingegen kaum dokumentiert. In nur zwei der von Beck untersuchten Verfahren ging es um Sexualdelikte mit anschließendem Mord. Unklar sei aber, so Beck, ob es tatsächlich nur so wenige waren. Verdächtig ist die vergleichsweise kleine Zahl an Verurteilungen: Von den über 17 Millionen Wehrmachtssoldaten wurden bis 1944 gerade mal 5349 wegen ‚Sittlichkeitsverbrechen‘ bestraft. Insgesamt aber wurden Militärurteile gegen rund 1,5 Millionen Wehrmachtsangehörige gefällt – etwa wegen Fahnenflucht oder Selbstverstümmelung. Beck nimmt an, dass die geringe Zahl der geahndeten Sexualdelikte wenig über deren tatsächliches Ausmaß aussagt. Vielmehr sei Notzucht entweder gar nicht angezeigt worden, oder sie habe in den Augen der Militärrichter nur eine ‚untergeordnete Rolle‘ gespielt, vermutet die Historikerin.
Dass Übergriffe gegen Frauen im Besatzungsalltag häufiger vorkamen, als die
Aktenlage suggeriert, legen Indizien nahe. (…) Ein wesentlicher Faktor für die geringe Zahl der Verurteilungen dürfte der ‚Gerichtsbarkeitserlass Barbarossa‘ gewesen sein. Auf Anordnung Hitlers herrschte seit dem 13. Mai 1941 kein Verfolgungszwang mehr für ‚Handlungen, die Angehörige der Wehrmacht gegen feindliche Zivilpersonen begehen‘. Der Erlass erklärte alle Zivilisten für vogelfrei.
Wie wenig die Militärjustiz gewillt war, Gewalt gegen Frauen hart zu ahnden, zeigt der Prozess gegen einen Obergefreiten, der wegen Vergewaltigung einer jungen Russin angeklagt war. Der Richter verurteilte den Mann wegen ‚Notzucht‘ zu 18 Monaten Gefängnis. Eine schärfere Strafe sei nicht nötig, da keine ‚besondere Schädigung des Ansehens der deutschen Wehrmacht‘ vorliege. Die Milde war verordnet. Schon 1940 befahl der Oberbefehlshaber des Heeres, General Walther von Brauchitsch, Soldaten, die bei der Vergewaltigung eine Waffe benutzt hatten, seien nicht als Gewaltverbrecher zu bestrafen. (…) Entschuldigend führte der General aus: ‚Das Leben unter völlig veränderten Bedingungen, starke seelische Eindrücke und zuweilen auch übermäßiger Alkoholgenuss
führen zu gelegentlichem Wegfall von sonst vorhandenen Hemmungen bei bisher bewährten und einwandfreien Soldaten.‘ Wie bei allen Armeen kam es auch bei den Deutschen zu Gruppenvergewaltigungen. (…) Viele Soldaten gaben auch schlicht dem Gruppenzwang bei den Vergewaltigungen nach. ‚Ich habe das Mädchen deswegen gebraucht‘, führte ein Soldat vor dem Militärrichter zu seiner Entschuldigung an, weil die anderen zu mir sagten: wenn wir sie schon gebrauchen, dann wollen wir sie auch alle gebrauchen.‘ In dem Film ‚Befreier und Befreite‘ von Helke Sander und Barbara Johr berichtet die Ärztin Renate Lutz über die Vergewaltigungen in Freudenstadt. Insgesamt 128-mal, so Lutz, sei eine ihrer Patientinnen in einer Nacht missbraucht worden. Die Angabe stammte von Familienangehörigen – das Opfer selbst war nach dem 15. Mal bewusstlos geworden. Auf die Qual der Vergewaltigung folgte für diese Freudenstädterin das Leiden an einer lebenslangen Ausgrenzung. Medizinerin Lutz: ‚Sie war sehr schlecht angesehen im ganzen Dorf.‘ Ein Schicksal, das Frauen in aller Welt teilen: Ob in Korea, in Russland oder Deutschland, eine vergewaltigte Frau gilt als ‚geschändet‘ und ‚entehrt‘. Nicht selten verließen Männer ihre missbrauchten Frauen, Väter töteten ihre Töchter. Dies lag im Kalkül der Täter: Mit den Vergewaltigungen sollten auch die Männer getroffen werden. Die (…) französischen Soldaten, die sich in Freudenstadt tagelang an den Frauen vergingen, sollten damit die Vernichtung des Ortes Oradour vergelten. In dem französischen Dorf hatten Angehörige der Waffen-SS 642 Bewohner, darunter viele Kinder, im Juni 1944 ermordet. Auch anderswo war Rache ein wichtiges Motiv für besonders brutale Vergewaltigungsexzesse. So missbrauchten Wehrmachtangehörige im Juli 1944 im Departement Ain in Südfrankreich massenhaft Frauen, um für französische Partisanenübergriffe Vergeltung zu üben. Und viele russische Soldaten, die in Ostpreußen, Pommern oder Berlin deutsche Frauen und Mädchen vergewaltigten, trieb der Wunsch nach Rache für die Verbrechen der Deutschen in der Sowjetunion an.“3