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Druschba (1950)

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Klaus Weber, mein Großvater, sah sich selbst eher als einen unpolitischen Menschen. Von den Nazis hatte er sich eine Verbesserung seiner Lebensumstände erhofft. Als es seiner Familie dann tatsächlich besser gegangen war, hatte der Krieg begonnen und er wurde eingezogen.

Ostfront, zum Glück nicht Stalingrad, sagte er, wenn er von diesem Krieg erzählte.

Schon vorher, aber dann erst recht während des Rückzuges, sei das kein herkömmlicher Krieg gewesen, nur noch Mord und Totschlag.

Einmal, auf dem Rückzug, seien sie in ein Dorf gekommen, völlig ausgelaugt, übernächtigt und hungrig. Die Öfen in den Häusern noch warm, doch von den Dorfbewohnern keine Spur.

Am dritten Tag, sie hatten sich inzwischen häuslich eingerichtet, hätten sie am nahen Waldrand Bewegungen beobachtet, nach den Gewehren gegriffen und seien in Stellung gegangen. Es wären Kinder gewesen, die sich nun zögernd dem Dorf näherten.

Der Leutnant hatte Posten eingeteilt, denn man wisse ja nie, hätte er gesagt, die Bolschewiken würden nicht davor zurückschrecken, Kinder als Schutzschild zu benutzen.

Doch die waren nähergekommen, und es hatte den Anschein gehabt, als würden sie ihr Spiel fortsetzen, das sie vor ihrer Flucht aus dem Dorf begonnen hatten.

Sie erschraken, als sie das Haus betraten und die fremden Soldaten erblickten. Dann seien sie doch näher gekommen und hätten Fragen gestellt. Zuerst hätten die Landser sie nicht verstanden, sagte mein Opa, doch dann, mit Händen und Füßen, wie er sich ausdrückte, „erkannten wir, dass sie Hunger und Durst hatten.

Wir gaben ihnen von den Vorräten, die wir im Keller gefunden hatten, und bald verloren sie ihre Scheu.“

Der Leutnant habe befohlen, die Kinder nach dem Aufenthaltsort ihrer Eltern zu befragen.

Die Kinder hätten aber zunächst nichts sagen wollen.

Mit einem Jungen, etwa fünfzehn Jahre alt, hatte sich mein Großvater etwas angefreundet. Der habe schließlich doch von seinen Eltern gesprochen, die im Wald, in einer Erdhöhle versteckt, darauf warteten, dass die „Deutschen“ verschwänden.

Bald sei der Artilleriedonner näher gekommen und der Leutnant habe zum weiteren Rückzug geblasen, weil die versprochene Verstärkung nicht eingetroffen war und ihm deshalb der Ausbau von Stellungen sinnlos erschien.

Alles Gerät war verpackt worden, und als sie das Dorf verlassen wollten, hätte der Leutnant befohlen, in allen Häusern, Ställen und Scheunen Sprengladungen anzubringen.

„Und, Susanne, wir haben den Befehl ausgeführt, obwohl ich an Igor denken musste, der dann keine Bleibe mehr haben würde.“

Etwa zweihundert Meter vom Dorf entfernt, in einem Wald, im dichten Unterholz, hielten sie an, um von dort aus die Sprengung vorzunehmen.

Da wären sie aus dem Wald gekommen, zuerst die Kinder, dann die Erwachsenen. Die Kinder seien völlig unbefangen zu den Häusern gerannt, hätten dort auf ihre Eltern gewartet. Die waren vor den Häusern stehen geblieben und hatten zuerst, wie sichernd, in alle Richtungen geblickt.

„Ich dachte noch, hoffentlich entdecken sie die Kabel und flüchten zurück, woher sie gekommen waren. Doch es schneite und bald waren die Drähte wohl im Schnee versunken. Ich sah allen voran die Kinder in die Häuser verschwinden.

Da gab der Leutnant den Befehl – und, Susanne, ich habe nicht gewagt zu protestieren.

In der Nacht fand ich keinen Schlaf. Immer wieder sah ich Igor vor mir, der mir vertraut hatte. Ich begann zu hassen: den verdammten Krieg, die Offiziersclique, deren Befehlen ich bisher widerspruchslos gefolgt war, und den Verbrecher, der diesen Befehl, genannt Verbrannte Erde, erteilt hatte, auf den ich einen heiligen Eid geschworen hatte.

Jetzt erst erinnerte ich mich an den Wahlkampf, als die Kommunisten die Parole ausgegeben hatten: Wer Hindenburg wählt, wählt Hitler, und wer Hitler wählt, wählt den Krieg. Das hatten wir damals nicht geglaubt. Keiner von uns, auch später nicht, dachte an ein solches Massensterben. Nun war ich selbst zum Kriegsverbrecher geworden. Da fasste ich einen Entschluss.

Am Morgen brachen wir auf. Noch einmal schaute ich zurück auf die rauchenden Trümmer des Dorfes. Der Artilleriedonner war nähergekommen. Versprengte Truppenteile stießen zu uns, in denen der Leutnant die ersehnte Verstärkung zu sehen glaubte. Er ließ uns antreten, hielt eine Rede vom heroischen Kampf gegen die bolschewistischen Untermenschen, die wie Tiere über uns herfielen, würden sie unser habhaft. Aber nun, da wir gestärkt seien, würden wir eine neue Front aufbauen. ‚Wühlen wir uns in die Erde‘, schrie er, ‚und sollten die Russenpanzer uns überrollen, kleben wir ihnen unsere Haftminen unter ihren verdammten Arsch.‘

Wir buddelten. In der Nacht steckte ich mein weißes Unterhemd in die Hosentasche. Auch am nächsten Tag gruben wir weiter. Hundemüde schliefen wir dann ein. In einiger Entfernung von mir hatte sich der Leutnant hingelegt und bald hörte ich sein Schnarchen. Die beiden Wachposten dösten am klein gehaltenen Feuer. Gegen drei Uhr, am Morgen, schlich ich mich davon, in die Richtung, aus der tagsüber der Kanonendonner zu hören gewesen war.

Ich fand einen entsprechend langen Stock, an dem ich mein Unterhemd befestigte. Stunden später erreichte ich, meine Fahne schwenkend, die sowjetischen Linien.

Ich wurde angerufen und antwortete mit einem Wort, das ich von Igor gelernt hatte, „Druschba.“

Meine Abscheu über unsere feige Mordtat war derart, dass der sowjetische Offizier, der mich verhörte, mich nicht auffordern musste, mein Wissen über die Lage an der deutschen Front, so gut ich die kannte, kundzutun.

Und ich sage dir, Susanne, als ein Verräter fühlte ich mich dabei nicht.

Tags darauf wurde ich in ein Gefangenenlager transportiert. Harte Arbeit, wenig Brot.

Wir waren über einhundert Kriegsgefangene. Abends saßen wir zusammen. Man schwärmte von den guten alten Zeiten, prahlte mit seinen Heldentaten. Wenn man ihnen so zuhört, dachte ich, glaubt man kaum, dass sie den Krieg verlieren würden. Ich hielt mich aus solchen Gesprächen heraus.

Einmal sprachen sie auch über die Deserteure, diese Feiglinge, die an den nächsten Baum gehörten. Ich war froh, dass niemand wusste, dass ich ein solcher war.

Ein sowjetischer Offizier stellte mich dann drei anderen Gefangenen vor, die in derselben Lage waren wie ich. Mit ihnen traf ich mich oft nach der Arbeit. Wir sprachen über die Zeit nach dem Ende des Krieges und wir hofften darauf, dass es bald kommen würde. Manchmal kam auch der sowjetische Offizier dazu und informierte uns über die Lage an ihrer Westfront. Dann das Ende des Krieges, die Befreiung auch des deutschen Volkes vom Faschismus Ich ging dorthin, wo das Wort Stalins galt: „Die Hitler kommen und gehen, das deutsche Volk aber, der deutsche Staat bleiben bestehen.“

Einen von den Gleichgesinnten von damals traf ich wieder. Das muss 1952 gewesen sein. Der „Rote Leutnant“, so nannten wir ihn, wenn keiner von den anderen in der Nähe war, erzählte, wir saßen im Stadtcafé, dass er nach seiner Rückkehr in die sowjetische Besatzungszone, zuerst Bürgermeister seiner Heimatstadt und nach dem Studium der Germanistik Schriftsteller geworden sei. Über den Krieg habe er geschrieben und auch meine Geschichte erzählt, die er „Druschba“ genannt habe.

Zur Sache

Einen sehr guten Beleg dafür, wie mit den Tätern und Mitläufern des deutschen Faschismus nach der Befreiung verfahren wurde, fand ich im jüngsten Buch von Michael Kubi, „Zur Geschichte der Sowjetunion, Bodenfelde 2019“. Den Text habe ich im Original übernommen und die Anmerkungen direkt in ihn eingefügt.

"Den russischen Kommunismus mit dem Nazifaschismus auf die gleiche moralische Stufe zu stellen, weil beide totalitär seien, ist bestenfalls Oberflächlichkeit, im schlimmeren Falle ist es — Faschismus. Wer auf dieser Gleichstellung beharrt, mag sich als Demokrat vorkommen, in Wahrheit und im Herzensgrund ist er damit bereits Faschist und wird mit Sicherheit den Faschismus nur unaufrichtig und zum Schein, mit vollem Hass aber allein den Kommunismus bekämpfen." (Mann, T. (1986) in: Essays, Hg. von H.Kurzke, Frankfurt, Bd. 2, S. 311 ' Zitiert in Hartmann (2007), S. 13)

Während des Kalten Krieges wurde die Totalitarismus-Doktrin, also die unwissenschaftliche Gleichsetzung von Faschismus und Kommunismus, zum Paradigma für die Geschichtswissenschaft. Unter einem Paradigma versteht man die grundsätzliche Denkweise, Lehrmeinung oder Ideologie, die vorherrschend ist. Seitdem dient die Totalitarismus-Doktrin als das Paradebeispiel der Geschichtsschreibung über die Sowjetunion, Stalin und den Sozialismus (und damit auch anderer sozialistischer Staaten wie die DDR) allgemein.

Vorherrschend in der BRD ist das Bild der zwei deutschen Diktaturen - des Dritten Reichs und der DDR. Welches die schlimmere Diktatur sei, darüber streiten sich die Herrschenden. Doch es mehren sich Stimmen, dass die DDR mindestens genauso schlimm, wenn nicht gar schlimmer war als der Faschismus. So sagte der BRD-Kanzler Adenauer 1950: "Ich wollte, die Bewohner der Ostzonen-Republik könnten einmal offen schildern, wie es bei ihnen aussieht. Unsere Leute würden hören, dass der Druck, den der Nationalsozialismus durch Gestapo, durch Konzentrationslager, durch Verurteilungen ausgeübt hat, mäßig war gegenüber dem, was jetzt in der Ostzone geschieht." (Mann, T. (1986) in: Essays, Hg. von H. Kurzke, Frankfurt, Bd. 2, S. 311 ' Zitiert in Hartmann (2007), S. 13)

Jahre später verfasste der ehemalige FDP-Außenminister unter BRD-Kanzler Helmut Kohl, Klaus Kinkel, folgende Worte: "Ich baue auf die deutsche Justiz. Es muss gelingen, das SED-System zu delegitimieren, das bis zum bitteren Ende seine Rechtfertigung aus antifaschistischer Gesinnung, angeblich höheren Werten und behaupteter absoluter Humanität hergeleitet hat, während es unter dem Deckmantel des Marxismus-Leninismus einen Staat aufbaute, der in weiten Bereichen genauso unmenschlich und schrecklich war wie das faschistische Deutschland." (Hartmann, R. (2007): Die DDR unterm Lügenberg. Hannover: Ossietzky, S. 14)

Diese Aussagen Adenauers und Kinkels zur Gleichsetzung des Hitler-Faschismus mit der DDR wirken grotesk, wenn man bedenkt, dass die BRD im Wesentlichen von jenen herrschenden Teilen errichtet und geführt wurde, welche schon unter Hitler bedeutende Posten hatten: So war Adenauers persönlicher Berater, Hans Globke, aktives Mitglied der Nazi-Partei NSDAP und Berater im Innenministerium für jüdische Fragen, welches für die logistische Administration des Holocausts verantwortlich war. Außerdem war Globke Verfasser diverser antijüdischer Gesetze. Wirtschaftsminister unter Adenauer und zweiter Bundeskanzler war Ludwig Erhard, welcher propagandistisch vom BRD-Regime als Vater des Wirtschaftswunders in Deutschland gefeiert wird. Gerne wird dabei vertuscht, dass Erhard Mitglied der Reichsgruppe Industrie und des Instituts für Industrieforschung war, welche vom Monopol IG-Farben finanziert wurde. Dieses Unternehmen ist dafür bekannt, das Gas Zyklon-B produziert zu haben. Kurt Georg Kiesinger, der dritte Bundeskanzler der BRD und lange Zeit CDU-Chef, war seit 1933 Mitglied der NSDAP und ab 1940 im Außenministerium des Deutschen Reichs tätig und von 1943-45 Verbindungsbeamter mit dem Propagandaministerium unter Joseph Goebbels. Altbundespräsident Heinrich Lübcke war mit dem Bau von Konzentrationslagern beauftragt. Hans Speidel, von 1957 bis 1963 Oberbefehlshaber der alliierten Landstreitkräfte in Mitteleuropa bei der NATO, war im Zweiten Weltkrieg Chef des Stabes der Heeresgruppe B. Reinhard Gehlen, Präsident des Bundesnachrichtendienstes BND bis 1968, war Generalmajor der Wehrmacht und dort Leiter der Abteilung Fremde Heere Ost. Auch in anderen Bereichen der BRD hatten führende Nazikader hohe leitende Funktionen, so z. B. der Psychologe Carl Schneider, der in den Euthanasie-Programmen der Nazis involviert war und in der BRD Präsident der psychiatrischen Klinik der Heidelberger Universität wurde.( De la motte & green (2015): Stasi State or Socialist Paradise? The German Democratic Republic and what became of it. London: Rüssel Press, S. 19-21)

Insgesamt waren bis in die 1960er Jahre Staat, Justiz und Wirtschaft von hohen Nazi-Kadern geführt: der Bundespräsident, 20 Angehörige des Bundeskabinetts und Staatssekretäre, 189 Generale, Admirale und Offiziere in der Bundeswehr oder in den NATO-Führungsstäben sowie Beamte im Kriegsministerium, 1118 hohe Justizbeamte, Staatsanwälte und Richter, 244 leitende Beamte des Auswärtigen Amtes, der Bonner Botschaften und Konsulate, 300 Beamte der Polizei und des Verfassungsschutzes sowie anderer Bundesministerien. (Autorenkollektiv (1968): Braunbuch, dritte Auflage, S. 10 http://www.kpd-ml.org/doc/partei/braunbuch.pdf)

In der DDR hingegen wurde umfassend "Entnazifiziert": Mit Otto Grotewohl, Walter Ulbricht, Wilhelm Pieck, Albert Norden, Herman Axen, Hilde Benjamin und vielen anderen wurde die Regierung der DDR von Leuten gebildet, die entweder von den Nazis inhaftiert waren oder im Exil lebten. (DE LA MOTTE&GREEN(2015), S. 17-18)

Nun neigen einige Verteidiger der BRD dazu, zu behaupten, dass ja auch in der DDR Nazis Karriere machen konnten. So behauptet der "Berliner Kurier", dass über ein Drittel der ZK-Mitglieder der SED frühere Nazis gewesen seien.

(Berliner kurier 2.10.2017: http://www.berliner-kurier.de/berlin/kiez— stadt/forschungsprqjekt-wie-alt-nazis-in-der-ddr-karriere-machten-28523826?dmcid=sm_fb_p 182 joseph (2002), S. 102f.)

Der "Berliner Kurier" nennt zwar keine Namen, doch ist es durchaus so gewesen, dass es ehemalige NSDAP-Mitglieder in der DDR gab, die Staatsfunktionen ausübten. Doch im Vergleich zur BRD gab es wesentliche Unterschiede. Während in der BRD führende Nazikader und Nazi-Kriegsverbrecher ohne jegliche juristische Überprüfung in hohe Ämter befördert wurden, wurden in der DDR ehemalige NSDAP-Mitglieder genauestens auf ihre Schuld geprüft bzw. mussten sich antifaschistisch engagieren. Führende Posten zum Beispiel in der SED, NVA, FDGB und MfS wurden von Antifaschisten geleitet. In einem Beschluss vom 20. Juni 1946 erklärte der Parteivorstand der SED, dass: "(...) auch die nominellen Mitglieder der NSDAP auf Grund ihrer Mitgliedschaft zur Nazipartei einen Teil Schuld und Mitverantwortung für die verbrecherische Hitlerbande auf sich geladen [haben]. In den verflossenen Jahren haben aber zahlreiche ehemalige einfache Mitglieder der Hitlerpartei (...) loyal beim demokratischen Wiederaufbau mitgearbeitet. Sie haben damit bekundet, dass ihre frühere Einstellung falsch war, andere sind auf dem Wege anzuerkennen, dass sie nur durch die Eingliederung in die demokratische Ordnung und durch eine praktische Mitarbeit wiedergutmachen können, was sie an der Vergangenheit an Schuld auf sich geladen haben. (...) Alle früheren einfachen Mitglieder der Nazipartei, die nicht besonders belastet sind und sich als aktive Mithelfer an der neuen demokratischen Ordnung betätigen, sollen als Staatsbürger anerkannt und behandelt werden."

(Joseph (2002), S. 102f)

"Alliierte Kontrolldirektive Nr. 38 vom 12. Oktober 1946 (...) In Artikel IV wurde definiert, wer minderbelastet sei: 'Wer nach dem 1. Januar 1919 geboren ist, nicht zur Gruppe der Hauptschuldigen gehört, jedoch als Belasteter erscheint, ohne aber ein verwerfliches oder brutales Verhalten gezeigt zu haben und nach seiner Persönlichkeit eine Bewährung erwarten lässt.' (...) Die Sowjetische Militäradministration erließ am 16. August 1947 den Befehl Nr. 201. Nach der Feststellung, dass in der SBZ Umfassendes zur Säuberung der öffentlichen Behörden, staatlichen und wichtigen Privatunternehmen von ehemaligen aktiven Faschisten, Militaristen und Kriegsverbrechern geleistet wurde, sei es nun an der Zeit, entsprechend den Bestimmungen der 4. Sitzung der (alliierten) Außenminister in Moskau einen Unterschied zu machen zwischen ehemaligen Nazi- und Kriegsverbrechern einerseits und andererseits den 'nominellen, nicht aktiven Faschisten, die wirklich fähig sind, mit der faschistischen Ideologie zu brechen und zusammen mit den demokratischen Schichten des deutschen Volkes den allgemeinen Bemühungen zur Wiederherstellung eines friedlichen demokratischen Deutschlands teilzunehmen'. Dieser Befehl stellte die nominellen Nazis mit den übrigen Bürgern rechtlich gleich, indem er die 'Beschränkung der politischen und bürgerlichen Rechte' aufhob und insbesondere das passive und aktive Wahlrecht gewährte. (...)

Das Fragwürdige begann dort, wo Nazi- und Kriegsverbrecher nicht zur Verantwortung gezogen wurden und trotz (oder wegen?) ihrer nazistischen Belastung in die politische Führung integriert wurden. In der SBZ/DDR passierte das nicht. Zwischen 1945 und 1948 wurden in der Sowjetischen Besatzungszone insgesamt 520.000 Nazis aus der öffentlichen Verwaltung und der Industrie entfernt. (...) Von 39.348 Lehrerinnen und Lehrern gehörten 28.179 der NSDAP an, das waren 71,1 Prozent. 28.835 Lehrerinnen und Lehrer wurden als belastet entlassen. (...) Bis zum Frühjahr 1946 waren alle belasteten Richter und Staatsanwälte aus den Ämtern entlassen." (Joseph (2002), S. 137-138)

Horst Schneider schreibt: "Während in der BRD von 38 Gründungsgenerälen 31 ihre Meriten in der Hitlerwehrmacht erworben hatten (keiner war Antifaschist), wirkten beim Aufbau der NVA vier Offiziere aus den Reihen der Wehrmacht mit, die drei 1943 bei Stalingrad in Kriegsgefangenschaft geratenen Generalmajore Otto Korfes, Arno von Lenski und Hans Wulz sowie Generalleutnant Vincenz Müller, der 1944 in Belorussland die Sinnlosigkeit weiteren Kampfes einsah und mit Gruppen des von ihm geführten Armeekorps kapitulierte. Diese vier hatten sich schon während des Krieges der Bewegung 'Freies Deutschland' angeschlossen. Hinzu kamen in der NVA-Gründergeneralität sechs weitere Wehrmachtsoffiziere (...). Sie waren allesamt aus sowjetischer Kriegsgefangenschaft mit anderen als den von den Nazis indoktrinierten Anschauungen heimgekehrt, zum Teil mit Erfahrungen im Fronteinsatz für das Nationalkomitee 'Freies Deutschland'." (Schneider (2007), S. 137-138)

"In der Zeit von Mai 1945 bis Ende 1967 wurden in der sowjetischen Besatzungszone und in der DDR insgesamt 16583 Personen wegen Beteiligung an Verbrechen gegen den Frieden und die Menschlichkeit und wegen Kriegsverbrechen angeklagt. Davon wurden 12818 verurteilt, 1578 freigesprochen. Die Verfahren gegen 2187 Angeklagte wurden in Abwesenheit, Tod oder auf Grund des von der Sowjetischen Militär Administration erlassenen Amnestiebefehls Nr. 43/48 vom 18. März 1948 eingestellt, da keine höhere Freiheitsstrafe als ein Jahr zu erwarten war. Von den 12807 gerichtlich zur Verantwortung gezogenen Personen wurden 119 zum Tode, 239 zu lebenslangem Zuchthaus und 5090 zu einer höheren Freiheitsstrafe als 3 Jahre verurteilt. (...) Obwohl nach 1945 der weitaus größte Teil der Kriegs- und Naziverbrecher in die westlichen Besatzungszonen flüchtete, wurden in der westdeutschen Bundesrepublik, deren Bevölkerungszahl dreimal so groß ist wie die der DDR, bis zum 1. Januar 1964 nur 12457 Personen angeklagt. Bis März 1965 wurden von den Gerichten der Bundesrepublik nur 5234 Personen rechtskräftig verurteilt, in über 7000 Fällen erging Freispruch, wurde das Verfahren eingestellt oder die Hauptverhandlung gar nicht erst eröffnet. In den Fällen aber, in denen eine Verurteilung erfolgte, standen die Urteile in der Regel in keinem Verhältnis zur Straftat. Von 5234 verurteilten Naziverbrechern und Massenmördern wurden nur 80 zur Höchststrafe (9 zum Tode, 71 zu lebenslangem Zuchthaus) verurteilt! (...) Wenn in den letzten Jahren - nach langer Pause - in der Bundesrepublik wieder einige Verfahren gegen Nazi-Massenmörder stattfinden, so muss dazu festgestellt werden: Erstens erfolgen sie unter dem Druck der Enthüllungen durch die DDR und nur in solchen Fällen, in denen die internationale Empörung der westdeutschen Justiz keine andere Möglichkeit lässt. Zweitens richten sie sich fast ausschließlich gegen die untersten Chargen der SS- und KZ-Mörder, während die in exponierten Stellungen tätig gewesenen Schreibtischmörder und Hintermänner verschont bleiben. Drittens schließlich ergehen in diesen Verfahren haarsträubend milde Urteile, so dass sogar Eichmann-Mitarbeiter, wie die SS-Führer Hunsche und Krumey, die an der Deportation und Ermordung von Hunderttausenden ungarischer Juden mitwirkten, 1964 in Frankfurt a. M. freigesprochen beziehungsweise mit Bagatellstrafen belegt wurden. Diese Verfahren ändern nichts daran, dass Westdeutschland heute ein Paradies für Nazi- und Kriegsverbrecher ist". (Autorenkollektiv (1968): Braunbuch, dritte Auflage, S. 10 http://www.kpd-ml.org/doc/partei/braunbuch.pdf)

Aus diesen Tatsachen wird ersichtlich, dass, wenn "Alt-Nazis" in der DDR "Karriere" machten, so wie es der "Berliner Kurier" verkündet, es einfache, oft junge Mitglieder waren, die keinerlei Verbrechen schuldig waren, keine führenden Positionen im Nazi-Staat oder in der Nazi-Wirtschaft inne hatten und sich bereit erklärten, Antifaschisten zu werden. Hinzu kamen aktive Deserteure der Wehrmacht, die sich im Nationalkomitee Freies Deutschland beteiligten, einem Zusammenschluss deutscher Kriegsgefangener mit kommunistischen deutschen Emigranten, die den Hitler-Faschismus bekämpften und ein anderes, antifaschistisch-demokratisches Deutschland wollten. Es waren, will man es mit heute vergleichen, Aussteiger aus der Nazi-Szene.

Die BRD hingegen wurde, wie oben gezeigt, von den höchsten Nazi-Kadern und Nazi-Verbrechern errichtet! Es wurde eben nicht zwischen Nazi-Kriegsverbrechern

und einfachen Mitläufern unterschieden. So gab es tatsächlich nicht nur eine personelle, sondern auch eine politische Kontinuität. Wies das "Braunbuch" die personelle Kontinuität mit Nazi-Deutschland nach, so wurden im 1967 erschienen "Graubuch" die Kontinuität bundesdeutscher und faschistischer Politik an ihren Zielen und Methoden nachgewiesen.

(Vergl. Schneider, H. (2007) Hysterische Historiker. Böklund, S. 82)

Will man, um der Argumentation willen, festhalten, dass die DDR nicht die Perfektion eines demokratischen Staates war, so war das die BRD definitiv nicht. Um es mit den Worten des Dichters Peter Hacks zu umschreiben: Die DDR war vielleicht ein saurer Apfel, die BRD ist ein fauler. Eigentlich sehen wir hier eher eine Kontinuität zwischen der BRD und dem Hitler-Faschismus als eine behauptete Gleichsetzung von DDR und Drittem Reich.

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