Читать книгу Seele auf Eis - Reiner Laux - Страница 9

2.Haftprozedere und Freiheitsliebe − korrupte Anwälte, psychisch gestörte Gutachter, feige Entscheider

Оглавление

Nach 4 1/3 Monaten Auslieferungshaft in Portugal, 4 ¼ Jahren deutscher Untersuchungshaft und 3 Prozessen wurde ich in der ersten Februarhälfte 2000 in die zentrale nordrheinwestfälische Auswahlanstalt Hagen verlegt. Dort wird entschieden, in welcher nordrhein-westfälischen Justizvollzugsanstalt der Gefangene schließlich die verbleibende Strafhaft zu verbüßen hat.

Im Gegensatz zu den vielen anderen Einweisungshäftlingen, die in dieser großen, sechsstöckigen Auswahlanstalt zehn bis achtzehn Monate ausharren und eine Reihe psychologischer Gespräche und Tests absolvieren mussten, musste ich mich dem nicht unterziehen, sondern wurde nach nur einem Gespräch in das finale Strafhaftgefängnis weitergeschickt. Dieses eine Gespräch führte ich mit dem Vorsitzenden der Hagener Spruchkammer, dem Psychologen Schmidt. Er versuchte zu ergründen warum ich mich nach „einer überschaubaren, gesunden Phase der Rebellion und Sinnsuche“ im Lauf der Jahre „nicht abgeschliffen“ und – „bei aller sensiblen Radikalität“ – nicht angepasst hatte, wie man es von einem Mann meiner Herkunft und meines Intellekts erwarten könnte. „Auch Joschka Fischer war ein Rebell, hat sich aber nach Jahren der Irrungen und Wirrungen eingefunden und ist heute Außenminister. Warum haben Sie die Kurve nicht bekommen?“

„Weil ich ihre und Joschkas Kurve nicht bekommen und weder Regierungsdirektor noch Außenminister werden wollte“, lächelte ich freundlich.

In seinem Gutachten kam Herr Regierungsdirektor Schmidt zu der Einschätzung einer „allgemeinen Sozialentwicklung, die von (jugendtümlicher) Unruhe, Experimentierfreudigkeit und Suche nach alternativen Möglichkeiten einer bohemienhaften Lebensgestaltung gekennzeichnet war – Gestaltungen des Lebens, die insgesamt ungewöhnlich sind, weil sie selten vorkommen und ein höheres Maß an Neugier und Unbeständigkeit zum Ausdruck bringen.“ (Psychologisches Gutachten)

Ich hatte 4 1/2 Jahre, also länger als die Hälfte der zu verbüßenden Strafzeit, in Untersuchungshaft verbracht, und ich war nicht vorbestraft, womit ich nach dem üblichen Prozedere in den offenen Vollzug überstellt werden musste. Erwartungsgemäß entschied der Psychologe demgemäß, mich als Nichtvorbestraften in den offenen Vollzug zu schicken. Als er aber nochmals im Computer die Daten kontrollierte, stellte er fest, dass eine falsche Strafzeitberechnung vorgenommen worden war: Die gut dreizehn Monate hessischer Untersuchungshaft waren nicht angerechnet worden. Irritiert rief er bei der für die Strafzeitberechnung verantwortliche Rechtspflegerin in Köln an, um sich über den Sachverhalt aufklären zu lassen. Das Ergebnis: Mein erster Anwalt, der schon während des Prozesses gravierende Fehler begangen hatte und die entscheidende Revision sechs Tage zu spät einreichte, hatte – mit einer alten Vollmacht von mir ausgestattet – noch vor Ende des ersten Kölner Prozesses die Entschädigung für die erlittene Gießener Untersuchungshaft (20 DM pro Tag) eingefordert und erhalten, womit die dreizehn Monate Gießener U-Haft nach Aussage der zuständigen Rechtspflegerin abgegolten waren und von mir ein zweites Mal abgesessen werden musste.

Der Herr Psychologe und Regierungsdirektor stellte daraufhin bedauernd fest, dass „angesichts des jetzigen Vollstreckungsstandes die Einweisung in den offenen Vollzug verfrüht“ sei, und überwies mich, bis zur „Klärung der endgültigen Strafzeitberechnung“ in den geschlossenen Vollzug nach Remscheid. Natürlich hätte der Herr Regierungsdirektor mich trotz der von mir nicht verursachten Unklarheiten in den Offenen Vollzug schicken können.

Am Nachmittag nach dem Entscheidungsgespräch erschien der Vorsitzende der Spruchkammer überraschend mit dem Rechtsexperten der Anstalt in meiner Zelle. Beide wiesen mich nochmals gemeinsam auf das „mandantenschädigende, allein auf den eigenen Vorteil bedachte geldgierige Verhalten“ und „ungeheuerliche Verantwortungsversäumnis“ meines damaligen Anwalts Feiner hin und rieten mir dringend, den Anwalt zu verklagen. Abgesehen davon, dass ich fast so viele Schulden habe wie Griechenland, war mir natürlich klar, dass es einfacher ist, mit nackten Händen einen Aal in trübem Brackwasser zu fassen, als einen Rechtsverdreher erfolgreich vor Gericht zu bringen. Mein erster Rechtsanwalt Feiner, dessen Auftrag es naturgemäß war, meine Gefängniszeit so kurz als möglich zu gestalten, hatte sie, objektiv wie subjektiv, erheblich verlängert.

„Wissen Sie, Herr Laux“, hatte mir Feiner einst bei unserer ersten Begegnung vor vielen Jahren anvertraut, „80 % aller Anwälte sind korrupt und orientieren sich ausschließlich an ihrem eigenen Wohl, statt an dem ihrer Mandanten. Sie versäumen wichtige Termine, reichen Schriftstücke zu spät ein, beraten ihre Mandanten irreführend, und verlängern künstlich sinnlos gewordene Verfahren, nur um noch mehr Geld aus den Mandanten zu schlagen.“ − Als ich damals mit ungläubigen Augen gelauscht hatte, war ich davon überzeugt gewesen, er selbst würde sich nicht zu diesen 80 % Prozent zählen.

Eine andere sich harmonisch ins Bild dieses „Rechtsanwalts“ fügende Begebenheit: Als ich, noch während des laufenden Verfahrens, über meinen zweiten Anwalt eine Anzeige wegen uneidlicher Falschaussage gegen den Denunzianten Gaumeier gestellt hatte, ließ sich Gaumeier in dieser Sache durch die Anwaltskanzlei Feiner vertreten. Wie ich der Akte entnehmen konnte, hatte „mein Anwalt“ Feiner einen Schriftverkehr, in Vertretung, sogar eigenhändig abgezeichnet, bevor ihn mein ermittelnder Kriminalbeamter Nachtigall auf eine anwaltliche Interessenskollision hinwies und Feiners Kanzlei darauf das Mandat niederlegte.

Mein Kölner Rechtsanwalt Fuchs, − der letztlich mein einziger Anwalt war, der diesen Namen verdient −, war hingegen, im krassen Gegensatz zu Feiner, ein aufrichtig kämpferischer Alt-68er-Anwalt, der sein ehrliches, oftmals selbstloses Engagement in einen desillusionierten, knorrigen Sarkasmus hüllte. Er arbeitete seit dem Ende des Prozessverfahrens 1999 unentgeltlich für mich, da es für ihn „eine Frage der Ehre“ war, gegen die fortwährenden Ungerechtigkeiten der staatlichen Organe gegen mich vorzugehen.

Statt bei einer rechtzeitig erfolgten, korrekten Strafzeitberechnung, die mein Anwalt Feiner aus niederen egoistischen Motiven verhinderte, im Februar 2000 von der Einweisungsanstalt Hagen direkt in den offenen Vollzug verbracht zu werden, von wo aus ich nach spätestens drei Monaten in die Freiheit entlassen worden wäre, musste ich nun, da ich mich mittlerweile im geschlossenen Vollzug befand, durch das Prozedere des geschlossenen Vollzugs gehen, das erneute psychologische Begutachtung nötig machte und, im Falle einer positiven Bewertung, zunächst nur Wochenendurlaube vorsah und erst dann die Verlegung in den offenen Vollzug. Daran änderte auch nichts, dass meine Beschwerde gegen die Strafzeitberechnung nach einer Ablehnung durch das Landgericht Wuppertal in der letzten Instanz vom Oberlandesgericht Düsseldorf nach Monaten anerkannt und die über dreizehnmonatige Gießener Untersuchungshaft angerechnet wurde, unter der Voraussetzung, dass ich die von meinem früheren Anwalt eingeforderte Entschädigung zurückzahlte.

Ich kam in den sogenannten Lockerungsvorgang und die Anstaltsleitung versicherte mir, dass ich noch vor dem 2/3-Entlassungszeitpunkt des 9. 4. 2001 in den offenen Vollzug verbracht würde, um meine 2/3-Entlassung sicherzustellen – falls das psychologische Gutachten positiv ausfallen würde.

Zur Information: Als sogenannter Ersttäter, also jemand der nicht vorbestraft war, erhielt ein Gefangener, wenn er sich denn nichts Gravierendes während der Haft zu Schulden kommen ließ, automatisch die sogenannte 2/3-Entlassung, das heißt, er wird nach Verbüßung von 2/3 der abzugeltenden Strafzeit entlassen. Ausnahmen sind Prominente wie Uli Hoeneß, der nicht nach zwei Dritteln, sondern schon nach der Hälfte der zu verbüßenden Strafe in die Freiheit entlassen wurde, nachdem man ihm zuvor ohnehin einen beschützten Komfortvollzug angedeihen ließ, der mit der wahren Gefängnishölle, und damit der eigentlichen Bestrafung, nichts zu tun hat.

In der ersten Januarwoche 2001 ging ich an drei aufeinander folgenden Tagen in die sogenannten psychologischen Diagnosegespräche mit der Anstaltspsychologin Kachel. Ich hatte mir vorgenommen, offen und unvoreingenommen in die Gespräche zu gehen, obwohl mir die Warnungen verschiedenster Anstaltsoffizieller doch zu denken gaben („Eine Persönlichkeit wie Sie und Fräulein Strohkopf, vergessen Sie`s“, „Die müsste man aus dem Verkehr ziehen, da hat man den Bock zum Gärtner gemacht“, „Die sitzt in der Kantine immer allein und verkrampft in der Ecke, qualmt eine nach der anderen und kann keinem in die Augen sehen“, „Die ist doch völlig krank, die klebt die abgefallenen, trockenen Blätter von ihren verwelkten Blumen mit Tesafilm wieder an die Stängel“. O-Ton Sozialarbeiter: „Mir hat sie mal erzählt, ,Mit 18 hat mein Liebesleben aufgehört zu existieren. Ich verabscheue Männer, denn Männer sind eklig …’“.

Die Psychologin Kachel antwortete bei unserer Begegnung weder auf meinen Gruß, noch konnte sie mir in die Augen schauen. Fräulein Kachel schien undefinierbar zwischen 40 und 60 Jahre alt zu sein. Alles an ihr war grau und abgestorben, ein Eindruck, der durch den modrigen Geruch abgestandenen Zigarettenrauchs, den sie ausströmte, noch verstärkt wurde. Sie wirkte bewusst geschlechtslos.

Während der Gespräche, die mir völlig surreal erschienen, hatte ich das Gefühl, einer grauen, kalt lauernden Spinne gegenüberzusitzen, die in ihrem eigenen modrigen Netz gefangen war. Von Beginn der Gespräche an fühlte ich Fräulein Kachels abwehrende Spannung, die in manchen Gesprächssituationen in unverhohlene Abscheu umschlug. Gleich anfangs überlegte ich, das Gespräch abzubrechen, da ich seine Ausweglosigkeit ebenso wie sein Ende ahnte, doch wusste ich, dass ich zu den Gesprächen mit dieser „Psychologin“ gezwungen war, da ich mir den Diagnosepsychologen nicht aussuchen konnte, der den Gefangenen nach dem Namensanfangsbuchstaben zugeordnet wird.

Das Grundproblem in diesem ohnehin abgeschlossenen Mikrokosmos Gefängnis ist, dass der Gefangene der Willkür eines einzigen Psychologen ausgeliefert ist und kein kontrollierendes, absicherndes Alternativgutachten von einem zweiten Gutachter möglich ist.

„Was unterscheidet den normalen Bürger, der keine Banken überfällt, von Ihnen?“, stellte die „Gutachterin“ ihre erste Frage.

„Der fehlende Mut“, lächelte ich sie ironisch an. An ihrem sich noch mehr verdüsternden Gesicht musste ich erkennen, dass sie offensichtlich keinen Funken Humor hatte, unabhängig von dem Wahrheitsgehalt meiner Aussage.

Ich führte die Gespräche dennoch fort, blieb die gesamte Zeit über gedanklich ruhig und besonnen, öffnete mich soweit es mir möglich war, ließ mich weder provozieren, noch ging ich auf ihre eingestreuten Zynismen und Gehässigkeiten ein, sondern versuchte, erhobenen Hauptes, so differenziert und offen als möglich, meine Situation zu schildern.

Immer wieder unterbrach mich Fräulein Kachel, um mir vorzuwerfen, dass ich mich ihr „überlegen fühlen“ würde, worauf ich sie freundlich darauf verwies, dass das offensichtlich ein Problem ihrerseits wäre und nicht meines.

Die von der Psychologin Kachel abgestrahlte abwehrende Spannung, die den Raum durchzog wie ein zähes Geflecht, verdichtete sich. Als ich auf ihre Frage nach meiner Idee von Liebe, in schwärmerischem Überschwang und glühenden Farben, eine wild romantische Landschaft leidenschaftlicher, hingebungsvoller, befreiender Emotionalität, Erotik und Sexualität in wechselseitiger Achtung in den verspannten Raum malte, zog sich das in verkrampfter Abwehr eingerichtete Gesicht des Fräulein Kachel zu offenem Abscheu zusammen, dass mir diese von Lebens- und Männerängsten gepeinigte lebensunfrohe Frau fast leidtat.

Immer klarer die Ausweglosigkeit, das kommende Ende und die Auswirkungen dieser „Diagnosegespräche“ sehend, begann ich langsam die Situation zu kippen und problematisierte zunächst die absolutistische, von keiner Kontrollinstanz einsehbare Machtposition der Psychologin, die es ihr ermögliche, eine entscheidende Stellungnahme so zu formulieren, wie immer es ihr gefiele.

Die Explorationssituation völlig drehend thematisierte ich nun ihre tief verstörte Persönlichkeit und ihre von Lebensund Menschenfurcht getriebenen, mehr oder minder latenten Macht- und Zerstörungswünsche. Fräulein Kachel schien die Zitrone im Hals stecken zu bleiben, während sie verzweifelt nach Luft schnappte.

Ich teilte ihr mit, dass ich davon ausginge, dass sie eine negative Stellungnahme schreiben würde, die Anstaltsleitung die Zusammenhänge jedoch erkennen würde und so souverän wäre, dennoch eine positive Beurteilung für meine Lockerung in den offenen Vollzug und die 2/3-Entlassung zu fixieren. Damit diktierte ich der Psychologin Kachel faktisch ihre negative Stellungnahme in die Feder, die sie letztlich, nur um vieles grotesker und haarsträubender, auch so formulierte. Am Ende brach sie das Gespräch mitten in meinem letzten Satz ab.

Nachdem das psychologische „Gutachten“ der Psychologin Kachel geschrieben war, wurde eine Konferenz mit der entscheidenden stellvertretenden Anstaltsleiterin Preter einberufen, von der ich ausgeschlossen war, und auf der das Fräulein Kachel ihre „Exploration“ vortrug. Die stellvertretende Anstaltsleiterin nahm die Beurteilung wider naiven Erwartens an und verweigerte mir aufgrund der psychologischen Stellungnahme den Urlaub und die Verlegung in den offenen Vollzug.

Ich ließ vom Anwalt die mir verweigerten Kopien des Konferenzbeschlusses und des psychologischen Gutachtens einfordern, und führte ein anderthalbstündiges Gespräch mit dem Anstaltsleiter, in dem er mir gegenüber versicherte, er würde mich, im Gegensatz zur Psychologin Kachel, als „ganz und gar nicht arrogant“ empfinden, und er sähe bei mir „ebenso wenig die“ – im psychologischen Gutachten behauptete – „Fluchtgefahr, wie die Notwendigkeit für therapeutische Gespräche“, die das Fräulein Kachel in ihrer Beurteilung für ein Jahr gefordert hatte, bevor man mich erneut bewerten sollte. Er stellte fest, dass es augenscheinlich wäre, dass „die Psychologin und Sie sich ja offensichtlich überhaupt nicht verstanden und grün gewesen“ wären. Dennoch hatte er nicht die Courage, die Konsequenz zu ziehen und den von der Schmähschrift der Dame Kachel bestimmten negativen Konferenzbeschluss außer Kraft zu setzen.

Nach einer heftigen Auseinandersetzung mit der stellvertretenden Anstaltsleiterin Preter erhielt ich von ihr eine ausschließlich auf dem psychologischen Gutachten der Psychologin Kachel basierende negative Bewertung zur vorzeitigen Freilassung, auf die sich infolge die über die 2/3-Entlassung entscheidende Strafvollstreckungskammer Wuppertal alleinig berief und meine 2/3-Entlassung ablehnte. Die Kammer stützte sich dabei ausschließlich auf das auch für jeden Laien erkennbare Verunglimpfungsgutachten und ließ die Bewertungen der Arbeits- und Vollzugsbeamten aus dem vielmonatlichen Vollzugsalltag völlig außer Acht, die mich einhellig als „zurückhaltend, freundlich, höflich, hilfsbereit und korrekt“ beurteilt hatten.

Während der wenige Minuten währenden 2/3-Anhörung hätte ich auch gegen eine Mauer reden oder mich mit meiner Klobürste unterhalten können, da das Ergebnis von vorneherein feststand, wie auch die Anstaltsleitung wusste.

Der Anstaltsleiter verweigerte mir infolge ein Gespräch über eine weitere, sogenannte Vollzugsplanung mit dem Hinweis, „Ich kann für Sie keine Perspektive entwickeln, für die es sich lohnen würde ,bei der Stange zu bleiben’, statt sich über Vollzugslockerungen der Strafverbüßung zu entziehen, die Sie seit Erreichen des 2/3-Zeitpunktes für völlig ungerechtfertigt halten.“ (Schriftliche Eröffnung Anstaltsleiter)

Die Anstaltsleitung formulierte hiermit in zynischer Machtarroganz, dass man mir jede Lockerung, Perspektive, Aussicht auf Freiheit und sogar Ansprechpartner verwehren und mich auf Jahre über den 2/3-Entlassungszeitpunkt hinaus einmauern würde, da ich die von Seiten der Anstalt gegen jede Wahrheit, Gerechtigkeit und Folgerichtigkeit zerstörte 2/3-Entlassung nicht als gerechtfertigt ansehen würde. Somit folgte eine Ungerechtigkeit aus der vorausgegangenen und deckte und rechtfertigte sie; ein Kausalitätszug, der sich verselbstständigte und mich in seiner Eigendynamik, die kein Verantwortlicher zu durchbrechen die Courage hatte, auf ein Abstellgleis schob, auf dem ich auf Jahre, ohne Freiheitsaussicht, festgeklemmt war.

Natürlich hätte ich wissen müssen, dass die drei ausschlaggebenden Entscheidungsträger – Anstaltsleiter, Stellvertretende Anstaltsleiterin, Psychologin – sich gerade im Zweifelsfall gegen einen Gefangenen gegenseitig decken und zu einer einzigen gemeinsamen Abwehrmauer verdichten würden, so sehr sie auch im Einzelnen entgegengesetzter Meinung sein mochten, wie mir der Anstaltsleiter ja offen demonstriert hatte. Um das System im Gesamten zu schützen, mussten Wahrheit und Wahrhaftigkeit dann eben gebrochen werden.

Ich war mit meinem Anwalt beim Vollzugsamt gegen die Lockerungsverweigerung in die Beschwerde gegangen und begann Fachliteratur zur Praxis der Kriminalprognose zu studieren und die Erkenntnisse in die Beschwerde einzubringen.

Auch nach den minimalsten Maßstäben der Praxis der Kriminalprognose erfüllte das Gutachten des Fräulein Kachel weder die grundsätzlichen Voraussetzungen noch eines der vorgegebenen Kriterien eines prognostischen Gutachtens, sondern trug alle Züge eines „emotionalisierten Verunglimpfungsgutachtens“, dessen unappetitliche Einzelheiten ich dem geneigten Leser hier ersparen möchte.

Obwohl die Gutachterin Kachel die Frage, warum sie in ihrem Gutachten weder die Voraussetzungen noch die Kriterien eines psychologischen Diagnosegutachtens erfüllte, in einer sie selbst entlarvenden Weise beantwortete, konnte sie mich dennoch, aus niederen Motiven, mit einem solchen Verunglimpfungsgutachten auf Jahre, gegen alle Wahrheit und Gerechtigkeit, in Gefangenschaft halten. Die Gutachterin in ihrer unangreifbaren Allmachtposition selbst wurde nicht zur Verantwortung gezogen und konnte weiterhin unbehelligt die Psychologie und ihre Funktionalisierung, als Diagnostikerin, missbrauchen, weil man ihr im Gefängnis unverantwortlicherweise einen unkontrollierten Freiraum gegeben hatte, in dem sie marodierend ihre Verstörungen ausleben konnte.

Umgekehrt wird eine solche Gutachterin wirklich lockerungsungeeignete Gefangene in ihrer Gefahr ebenso wenig erkennen und sie verantwortungslos in die Lockerung und Freiheit entlassen, solange sie sich ihr nur in heuchlerischer Verstellung unterwerfen, ihren leicht durchschaubaren Erwartungen nachkommen und ihr verwüstetes Ego hofieren.

Das Problem bei psychologischen Begutachtungen ist: Die einzelne Gewichtung und das Wechselspiel von natürlicher Veranlagung, sozialen Einflüssen und dem Ermessensspielraum des individuellen Willens sind viel zu vielschichtig, um Ursachen für Delinquenz klar benennen, bewerten und bearbeiten zu können. Dementsprechend schwer lassen sich die Wirkungen von absolvierten Therapien auf den Gefangenen beurteilen. Das lässt die Gutachter im Nebel stochern, und wenn sie noch von schweren eigenen Persönlichkeitsstörungen, von Aversion und Hass, getrieben zu werden scheinen, wie meine psychologische Gutachterin, wird das ganze zum Desaster.

Der Gefangene, der der Maschinerie Gefängnis ohnehin total ausgeliefert ist, findet sich bei seiner „Begutachtung“ gleich zwischen mehrere unentrinnbare Mühlsteine gequetscht: Zum einen ist er auf Gedeih und Verderb einem einzigen „Sachverständigen“-Individuum, mit seinen ganz eigenen Stärken, Schwächen, Vorlieben, Aversionen und möglicherweise Verstörungen ausgeliefert. Zum anderen ist er dem Nebel einer als Wissenschaft daherkommenden Spekulation ausgesetzt, gegen die er sich nicht wehren kann. Darüber hinaus wird er fast immer (Ich war da mit Sicherheit eine naive Ausnahme) versuchen, der Erwartungshaltung seines Gutachters bezüglich einer positiven Prognose zu entsprechen und sich demgemäß unterwerfen und verstellen. Der Gefangene wird sich im Vollzug wie bei Therapie- und abschließenden Begutachtungsgesprächen immer mit einer neutralen, unauffälligen Maske zu bewegen versuchen, in dem Wissen, dass jedes Verhalten gegen ihn ausgelegt werden kann: Sagt er z. B., dass er nicht oft an seine Straftat denke, wird ihm vorgeworfen, er verdränge seine Tat und habe sich nicht ausreichend mit ihr und seiner Schuld auseinandergesetzt – Lockerung abgelehnt. Sagt er, er denke täglich an seine Tat, wird ihm vorgeworfen, er hätte sie und seine Ursachen noch nicht ausreichend bearbeitet – Lockerung abgelehnt. Die Sache ist, dass man bei solch einer unscharfen Spekulationswissenschaft wie der Psychologie immer etwas findet, wenn man denn will.

Ein über 30 Mal vorbestrafter Mitgefangener, der von meinem Kampf gegen die Psychologin Kachel und die Anstaltsleitung gehört hatte, sprach mich einmal in der Freistunde an.

„Sach ma, Zorro, warum macht es sich ein cleverer Bursche wie du so schwer? Ich hab’ bei der Vogelscheuche (Psychologin Kachel) ’n bisschen geschleimt und ihr gesagt, was sie hören wollte. Das gleiche bei der Preter (Die stellvertretende Anstaltsleiterin) und schon hatt` ich meine positive Prognose und geh in` Urlaub. Meinst du, die glauben deswegen wirklich ich hör’ mit der Shore (Heroin) und den Brüchen auf?! – Du dagegen bist wahrscheinlich der Einzige hier, der nicht wieder einfährt. – Das ist doch alles Scheiße, Alter!“

Ich versuchte nochmals mit der stellvertretenden Anstaltsleiterin zu sprechen. Als ich das Gutachten in bedachter Weise problematisierte, stellte sie sich mit dem schlichten Satz vor die Dame Kachel, dass meine kritische Einstellung und meine Beschwerde die Einschätzung meiner Persönlichkeit durch die Gutachterin nur bestätigen würde und es keine Gesprächsbasis und Perspektive für mich gäbe.

Während ich auf das Ergebnis der Beschwerde wartete, bemühte ich mich um psychologische Einzelgespräche, um mich für kommende Vollzugsentscheidungen abzusichern. Ich führte aus diesem Anlass mit mehreren Psychologen Informationsgespräche. Der Leiter des psychologischen Dienstes war in unserer ersten Unterhaltung psychologischen Einzelgesprächen mit mir nicht abgeneigt. Dieser Oberpsychologe der Anstalt war ein gemütliches Schwergewicht, immer unrasiert und in ausgelatschten Birkenstock-Sandalen herumschlurfend, der in seinen Diagnosen bekanntermaßen jedem eine erste faire Chance gab. Im zweiten Gespräch war dieser Oberdruide völlig verwandelt. Er verhielt sich distanziert und nervös und beteuerte plötzlich, dass er Einzelgespräche nur in Verbindung mit Gruppengesprächen führen würde, wohl wissend, dass ich gleich eingangs unserer ersten Unterhaltung Gruppengespräche grundsätzlich abgelehnt hatte (Ich hatte kein Interesse, mich mit Kinderschändern und sadistischen Frauenmördern zu einer Palaverrunde in einen Kreis zu setzen).

„Erst bei drei Personen fängt die Wahrheit an“, baute der Oberpsychologe seine Abwehrstrategie auf.

„Genau“, lächelte ich ihn an, „damit bestätigen sie mich und führen die hier in dieser Anstalt stattfindenden Diagnosegespräche mit nur einem einzigen Psychologen ad absurdum.“

Der Seelenforscher schien die Fassung zu verlieren. Er stand wortlos auf, wühlte gehetzt und entnervt in seinen Papieren auf dem Schreibtisch und begann mich, mir den Rücken zugewandt, langsam hinauszukomplimentieren, indem er mir empfahl, mich mit einem anderen Psychologen der Anstalt auseinanderzusetzen.

Meine Anklage besteht darin, dass die verantwortlichen Entscheider im Strafvollzugssystem, denen der Gefangene auf Gedeih und Verderb ausgeliefert ist, unkontrollierte Einzelindividuen sind. Naturgemäß können diese „(un)heimlichen Richter“, wie sie der Buchtitel eines bekannten deutschen Gutachters bezeichnet, nicht objektiv sein. Ihre unkontrollierte Allmacht und Unantastbarkeit bergen immer die Gefahr, dass sie sich von Sympathien/Antipathien, von selbstgefälligen Eitelkeiten oder gar Größenwahn leiten lassen, wenn sie nicht schlicht unfähig, gefährlich gestört oder gar komplett geisteskrank sind. (Welche Verbrechen unter den Kutten von Geistlichen und Pädagogen stattfinden, die ihre unkontrollierte Fürsorge- und Verantwortungspflicht missbrauchen, dringt selten genug ans Licht, was an Vergehen gegen die Fürsorge- und Verantwortungspflicht hinter den dunklen Gemäuern der Knäste stattfindet, bleibt gewöhnlich auch immer dort). Wo keine Kontrolle ist herrscht Willkür. Unschuldige Menschen werden für Jahre einer zerstörerischen Haft ausgesetzt oder in der zerstörerischen Gefangenschaft geschlossener Psychiatrien lebendig begraben. Gefährliche Gefangene, die die anfälligen Egos der Entscheider zu umgarnen vermögen, werden viel zu früh in die Freiheit entlassen, während aufrechte Gefangene gegen jede Wahrheit und Notwendigkeit Ewigkeiten über die Zeit in Knastgefangenschaft gehalten werden.

Man sollte jedem Gutachten, sei es psychologischer, anthropologischer oder den physischen Gesundheitszustand betreffender Natur sein, zur Kontrolle mindestens ein zweites unabhängiges Gutachten zur Seite bzw. gegenüberstellen. Und man sollte die allmächtigen Entscheider regelmäßig auf ihre fachliche Kompetenz und geistige Zurechnungsfähigkeit hin begutachten. Dann würden bedeutend weniger haarsträubende und kriminell gefährliche Fehlentscheidungen getroffen werden, die ganz Menschenleben zerstören, wie nicht nur das folgende Beispiel eines meiner Gutachter belegt:

Auf einem Videokamerabild von einem zweimaligen Volksbank-Überfall, dessen ich angeklagt war, war die Zorromaske des Täters ein wenig verrutscht, und man konnte einen winzigen Teil des Gesichts und damit möglicherweise anthropologische Merkmale erkennen. So hatte man mich im Gießener Knast zwecks eines anthropologischen Gesichtsgutachten, angeleitet von dem bekannten Gesichtsanthropologen Dr. Schaff, aus allen möglichen Perspektiven photographiert.

Im Gießener Prozess hatte nun der Humanbiologe Dr. Schaff seinen Auftritt. Dieser forsche, braungebrannte, vor pfauenhafter Selbstgefälligkeit strotzende junge Gutachter schien geradezu überzuquellen vor positiver Energie und innovativem Aktionismus. Nachdem er, Beifall heischend und mit einem selbstverliebten Blitzen in den stahlgrauen Augen, längere und nicht nachvollziehbare Ausführungen in den Gerichtssaal geschleudert hatte, trompetete er triumphierend, dass ich mit „hoher Wahrscheinlichkeit“ der Täter sei. „So habe sich bei einem Vergleich mit Aufnahmen des Angeklagten, die von dem Sachverständigen selbst mit entsprechendem Blickwinkel und gleichen Lichtverhältnissen gefertigt worden sind, eine große Ähnlichkeit bei insgesamt 12 feststellbaren Merkmalen ergeben.“

Der gemütliche, weißhaarige alte Fuchs von Richter, der sich die Ausführungen des Humanbiologen Schaff in aller Ruhe angehört hatte, während er in seinen Akten blätterte, sprach Schaff darauf an, dass „der Sachverständige Dr. Schaff bereits im Rahmen des Ermittlungsverfahrens gegen den Angeklagten im Juli 1994 von der Polizei kontaktiert worden und unter Vorlage einer Bildauswahl u. a. auch zu den Möglichkeiten der Erstellung eines anthropologischen Vergleichsgutachtens bezüglich des Überfalls auf die Volksbank vom 10. 6. ’94 befragt worden (war). In seinem Antwortschreiben vom 10. 9. ’94 erklärte er damals, kein Gutachten erstellen zu können, da auf dem ihm übersandten Lichtbildmaterial keine verwertbaren Merkmale zu erkennen seien.“ (Urteilsbegründung)

Der eingangs so dynamische und vor Selbstverliebtheit funkelnde junge Sachverständige schrumpfte sichtlich unter den Ausführungen des Richters. Der Richter fragte Schaff, warum er zu dem Zeitpunkt, als noch kein Bildmaterial von mir vorlag, auf dem Videokamerabildmaterial keine verwertbaren Merkmale erkennen konnte, er jedoch in dem Moment auf demselben Videokamerabildmaterial verwertbare Merkmale erkennen konnte, als nachträglich im Gefängnis aufgenommenes Bildmaterial von mir als dem angeklagten, vermeintlichen Täter vorlag.

Der Sachverständige Schaff blätterte hektisch in seinen Unterlagen, suchte nach Worten und konnte sich die für ihn doch etwas peinliche Situation nicht erklären. Er ward entlassen.

Auch im Kölner Prozess, in dem Schaff gehört wurde, wurde der Humanbiologie und Schwiegermuttertraum erwischt und von Gericht und Verteidigung abgekanzelt wie ein ertappter Schuljunge. Meine Anwälte hatten zusätzlich einen „Focus“-Artikel als Beweisantrag eingebracht, in dem ausführlich dargestellt wurde, wie Herr Dr. C. Schaff in einem Gerichtsverfahren den Halter eines Fahrzeugs anhand eines Blitzbildes einer Straßenüberwachungskamera der erheblichen Geschwindigkeitsüberschreitung „überführt“ hatte. Schaff hatte den Halter des Fahrzeugs mit „100%iger Sicherheit“ anhand der „100%igen“ Übereinstimmung“ aller „17“ auf dem Überwachungsfoto erkennbaren anthropologischen Merkmale als den Fahrer des Wagens, und damit als unentrinnbaren Täter identifiziert, bevor dessen 16 Jahre jüngerer Stiefsohn, der als nichtleiblicher Sohn natürlich auch keine genetische Ähnlichkeit aufweisen konnte, sich als Fahrer und Motiv des Überwachungsbildes offenbart hatte.

Es hatte für Schaff „in einer völlig zweifelsfreien Zone“ gelegen, dass der 38-jährige Angeklagte und nicht sein 22-jähriger Stiefsohn der Fahrer des Fahrzeugs gewesen war.

„Dabei hätte gesunder Menschenverstand genügt, um zu erkennen, dass da ein junger Bursche abgebildet ist“, hatte sich der angeklagte Fahrzeughalter gewundert. „Man muss wohl Spezialist sein, um Äpfel und Birnen nicht unterscheiden zu können.“

„Ausdrücklich verteidigte (die in dem Verfahren zuständige) Richterin den vielgefragten – wenngleich umstrittenen – Gutachter Schaff, ‚dessen Vorgehensweise durch das Oberlandesgericht Frankfurt regelmäßig nicht beanstandet wird.‘“ (Zitat „Focus“)

Im Jahre 2002 sollte ich im Remscheider Knast in der WDR-Reihe „Menschen hautnah“ die Geschichte eines Mannes sehen, der 1991 in Nürnberg − aufgrund einer 100%igen wissenschaftlichen Identifikation durch den Sachverständigen Dr. C. Schaff − wegen Bankraubs mit Geiselnahme zu 8 Jahren Haft verurteilt worden war. Nachdem der Mann 8 Jahre unschuldig in der Zelle gesessen hatte (Er wurde nicht vorzeitig entlassen, da er nicht gestand, was er nicht getan hatte), stellte sich erst nach seiner Freilassung heraus, dass er nicht der Täter gewesen war.

Eine ähnliche Situation wie mit dem Gutachter Schaff erlebte ich in meinem Verfahren mit dem Gutachter Schalmer: Das Kölner Gericht, das sich in Beweisnot sah, beschloss ein weiteres Größengutachten einzuholen, und zwar durch den Sachverständigen Professor Dr. Schalmer, der Professor für experimentelle Rechtsmedizin an der Uni Bonn war. Schalmer betrieb außerdem ein privates anthropologisches Institut, in dessen Rahmen er regelmäßig Gerichtsgutachten erstellte. Prof. Dr. Schalmer hatte ein kompliziertes Computersimulationsverfahren entwickelt, für das er einerseits die überfallenen Banken aufsuchte und dort seine aufwendige Simulation durchführte. Andererseits mussten erneut Aufnahmen von mir mit Foto- und Videokamera aufgenommen werden. Was im zentralen Kölner Polizeipräsidium unter strenger Bewachung durchgeführt wurde.

Zum Ende des Jahres 1997 hatte der Sachverständige Schalmer sein von der Kammer sehnlichst erwartetes Größengutachten abgeschlossen. Er schickte es dem Gericht, meinen Anwälten und mir zu. Gleich zu Beginn des neuen Jahres 1998 trug Prof. Dr. Schalmer das umfangreiche Gutachten vor und versuchte es zu erläutern. Er tat es stockend, hölzern, sich im Reich der Worte sichtlich unwohl fühlend, die mit seinem verkomplizierenden Übereifer nicht Schritt halten konnten. Richter Schalter und seine beiden beisitzenden Richter versuchten den Ausführungen zu folgen, während die vier Amateurrichter schon nach den ersten Sätzen das Handtuch warfen und sich desorientiert im Gerichtssaal umschauten. Mein Staatsanwalt drehte sich immer mal wieder mit der Belustigung zu dem Gutachter an seiner Seite um, mit der ein Fachidiot einen anderen Fachidioten so wenig verstehen kann, wie er ihn verstehen will.

Meinen vom Fokus seines Siegeswillens offensichtlich geblendeten Vorsitzenden Richter Schalter schienen die Ausführungen des Prof. Dr. Schalmer, der mich anhand seiner komplizierten Computersimulation überführt sah, zu überzeugen. Er nickte befriedigt, während meine Verteidiger und ich amüsiert das Schalmersche Gestotter verfolgten. Wir hatten in der Analyse des ausführlichen schriftlichen Textes erkannt, dass das gesamte Gutachten auf Sand, sprich auf Unbekannten aufgebaut war und die auf Annahmen fußenden „empirischen“ Daten letztlich Scharlatanerie und problemlos zu zerpflücken waren.

Es folgte eine Meisterleistung des Kreuzverhörs durch meinen Anwalt Fuchs, der den Sachverständigen Schalmer behutsam ironisch durch sein Gutachtengebäude bis auf die Basisebene zu den Grundpfeilern führte, um vor unser aller Augen die gesamte Expertise über Schalmer langsam zusammenstürzen zu lassen. Schalmer stammelte auf die Fragen nach den Ausgangsdaten schlussendlich nur noch „Ich ging davon aus“, „Ich habe angenommen“, „Das war meine Annahme“, sodass selbst der gelangweilte Staatsanwalt nur noch belustigt den Kopf schüttelte.

Der Richter unterstützte nun erwartungsgemäß die von den Anwälten aufgeworfenen Fragen, und als der nun gänzlich in sich zusammengesunkene Gutachter Professor Doktor Schalmer, der schon so viele Angeklagte mit seinem berauschenden Verfahren überführt hatte, aus dem Gerichtssaal schlich, war das Gutachten ein verbranntes Beweismittel.

Auch dieser Fall zeigt, wie gefährlich in all seinen Konsequenzen ein unkontrolliertes Gutachten sein kann. In den Gerichtsverfahren, in denen das Schalmersche Gutachten zu einer Verurteilung geführt hatte, waren die verteidigenden Anwälte (und auch die Angeklagten) offensichtlich nicht in der Lage, die analytische Sorgfalt und Akribie aufzuwenden, um die Scharlatanerie des Schalmerschen Verfahrens entlarven zu können. Ich hatte bei meinem einmaligen Rendezvous mit der deutschen Justiz das Pech (wie das Glück), gleich mehreren gefährlich unfähigen Gutachtern ausgeliefert zu sein. Doch auch verantwortungsvolle, sorgfältig bemühte Gutachter, die hoffentlich in der Überzahl sind, sind nur Menschen, die Fehler machen können. Der gutachterlichen Entscheidungsmacht sollte grundsätzlich ein kontrollierendes Korrektiv zur Seite gestellt werden.

Das würde natürlich auch nur zu einer Chancenverbesserung führen, womit aber schon viel erreicht wäre. Bei der ganzen Begutachtung geht es immer nur um einen Wahrscheinlichkeitswert, wobei dem Rechtsprinzip der Verhältnismäßigkeit zu folgen ist. Wenn ein Delinquent zu 95 % als rückfallresistent gilt, so wird er aus der Haft entlassen werden, da das Verhältnismäßigkeitsprinzip zu gelten hat und es keine 100%ige Sicherheit geben kann. Wird der Entlassene doch wieder straffällig, kann sich auch der Gutachter auf die herausgestellten 5 % berufen. Natürlich ist das nicht befriedigend, doch wenn man dem Verhältnismäßigkeitsgebot nicht folgt und sich auf ein einziges vages Verunglimpfungsgutachten beziehen kann, kommt es nicht nur zu Fällen wie meinem, sondern werden noch skandalösere Fehlentscheidungen wie im Fall des Gustl Mollath möglich, der entrechtet und völlig ungerechtfertigt für 7 ½ Jahre in der geschlossenen Psychiatrie verschwand.

Gerade bei psychologischen Gutachten ist der persönliche Ermessensspielraum so grenzenlos wie unüberprüfbar. Das zeigt sich auch daran, dass in den Fällen in denen zwei Gutachten von zwei voneinander unabhängigen Sachverständigen eingeholt wurden, jene manchmal zu völlig entgegengesetzten Ergebnissen kamen, sodass ein drittes Gutachten eingefordert werden musste, welches wiederum zu einem nochmals anderen Ergebnis kam („Drei Gutachter, vier Meinungen“). Häufig also ein Lotteriespiel, wie auch ein erfahrener deutscher Gefängnisdirektor feststellte, der formulierte, dass „die wissenschaftliche Forschung zur Aussagekraft der Gefährlichkeitsprognosen (…) darauf hindeuten, dass oft eine höhere Trefferquote erzielt werden könnte, wenn einfach eine Münze geworfen würde.“ (Thomas Galli, Die Schwere der Schuld) Der bekannte Kriminalprognostiker, Professor Rudolf Egg, erklärt dazu, dass die Wettervorhersage mehr Wahrscheinlichkeit aufweist als eine Kriminalprognose.

Warum wird dieses ganze im ehrwürdigen Mantel der Wissenschaftlichkeit daherkommende absurde Theater des Gutachterwesens der Gesellschaft als seriös verkauft? Zum einen hat der Staat ein Interesse an der Gutachterindustrie, da die Justiz sich in schwierigen Entscheidungen auf die Sachverständigenbewertung berufen und ihre Hände in Unschuld waschen kann, wenn sich eine Prognose letztlich als falsch erweist. Andererseits – wir leben in einer kapitalistischen Verwertungsgesellschaft und der Rubel muss rollen − hat sich mit der Gutachterindustrie ein lukrativer Geschäftszweig entwickelt, der dem Sachverständigenheer goldene Pfründe garantiert (Ein einziges Gutachten bringt dem „Sachverständigen“ Tausende von Euro ein. Das Schalmersche Gutachten in meinem Verfahren kostete 20.000 DM, die man mir, obwohl wir es als unwissenschaftliche Scharlatanerie entlarvt hatten, nach Abschluss des Prozesses in Rechnung stellte). Der Öffentlichkeit wiederum wird mit der Flut an fragwürdigen Therapievorgaben im Knast und den abschließenden Gutachterbewertungen eine Scheinsicherheit vorgegaukelt, die regelmäßig entlarvt wird, wenn ein angeblich erfolgreich therapierter vormaliger Straftäter im gleichen Segment wieder straffällig wird.

Gerade in der Kriminalitätssparte, die Experten und Öffentlichkeit besonders beschäftigt, bin ich äußerst skeptisch. Zum einen glaube ich (Wie auch so mancher Gutachter, dem natürlich genauso viele andere Gutachter wiedersprechen werden), dass im Bereich der menschenzerstörerischen Schwerkriminalität eine mörderisch sadistische Sexualität oder eine Pädosexualität (ausgelebte Pädophilie) ebenso wenig therapierbar und auflösbar sind wie eine Heterosexualität oder eine Homosexualität. Zum anderen, wie soll ein allgemeiner Gewalttäter, ein Pädosexueller oder ein chronischer Vergewaltiger mittels unfreiwilliger Therapie zu einem befriedeten Selbstverständnis und einer einvernehmlichen Erwachsenensexualität gerade im repressiven Lebensraum Knast hingeführt werden, in dem er einer höchst ungesunden Mischung aus Sexualitätsunterdrückung, Homophobie, Knastschwulsein und sexueller und täglicher allgemeiner Gewalt ausgesetzt ist?!

Ich hatte einen Psychologen gefunden. Der Psychologe Besser schien wach, intelligent und aufgeschlossen zu sein und war mir vom ersten Moment an sympathisch gewesen. Er bereitete mich auf eine Wartezeit von mindestens einem Jahr vor, bevor die Gespräche beginnen konnten.

Zur Erläuterung: Man unterscheidet im Strafvollzug zwischen Therapiegesprächen und Explorationsgesprächen, zu denen sich Strafgefangene und Psychologen jeweils zu Vieraugengesprächen treffen. Bei den Therapiegesprächen soll die verurteilte Straftat aufgearbeitet werden, wobei eine Schweigepflicht des Therapeuten vorherrscht (solange ihm keine geplanten Straftaten anvertraut werden), sodass der Gefangene sich unbelastet öffnen kann. Bei den Explorationsgesprächen (mit einem anderen Psychologen) hingegen wird festgestellt ob der Gefangene seine Tat(en) aufgearbeitet hat und wie groß die Gefahr ist, dass er wieder straffällig wird. Hier gibt es keine Schweigepflicht des Psychologen – im Gegenteil, alle Äußerungen des Gefangenen werden für die zu erstellende Kriminalprognose verwertet.

Ich wartete auf das Ergebnis meiner Beschwerde und hatte zudem eine Beschwerde an den Kontrollausschuss für die nordrhein-westfälischen Gefängnisse im Düsseldorfer Landtag geschrieben, die an den Petitionsausschuss weitergeleitet wurde.

Die Monate vergingen. Ich arbeitete in meinem Gefängnisjob als Kammerarbeiter, machte Sport, schrieb − immer in erstickender Spannung unterdrückter unbändiger Wut.

Der Gefangene, der in eine Beschwerde gegen die Anstalt geht, muss sich damit zunächst an das Vollzugsamt wenden. Erst nach dem Erhalt des gewöhnlich negativen Bescheids kann er in den rechtlichen Beschwerdegang gehen. Da das Vollzugsamt, obwohl als Kontrollinstanz gedacht, in Absprache mit den Anstalten, fast immer gegen den Gefangenen entscheidet und die Entscheidung der Anstalt bestätigt, ist diese langmonatige Wartezeit auf die Negativentscheidung des Vollzugsamtes praktisch ein Zustand der Rechtlosigkeit, in dem dem Gefangenen die Hände gebunden sind und er noch mehr Zeit verliert.

Da ich nach einem halben Jahr, bis zum Jahresbeginn 2002, immer noch keine Entscheidung vom Vollzugsamt erhalten hatte und mittlerweile ein Jahr seit der Lockerungsverweigerung vergangen war, beantragte ich eine erneute Lockerungsprüfung, über die in einer wenige Minuten währenden Konferenz – in meiner Abwesenheit − entschieden wurde („Dauer der Konferenz: 10 Minuten“ laut Protokoll).

Die stellvertretende Anstaltsleiterin Preter hatte sich, wie mir der Sozialarbeiter vertraulich mitteilte, vor der Konferenz telefonisch von der Vorsitzenden des Vollzugsamtes, die niemand anderes war als die vormalige, für mich zuständige stellvertretende Anstaltsleiterin der JVA Köln, mit der ich in Köln einen mehrjährigen Kampf als Gefangenensprecher geführt hatte, die Bestätigung eines negativen Beschwerdebescheids eingeholt. Darauf lehnte sie eine Vollzugslockerung, ein Jahr nach der ersten Ablehnung, mit der folgenden Begründung wieder ab:

„Der Gefangene hat sich gegen die negative Vollzugsentscheidung wiederholt beschwert … Gründe, die es rechtfertigen könnten den psychologischen Dienst erneut zu beteiligen, sind nicht erkennbar. An den äußeren Bedingungen hat sich nichts geändert. Hiesige (therapeutische) Behandlungsangebote nimmt der Gefangene nicht wahr. Erneute Wiedervorlage in einem Jahr.“

Dass die Wahrnehmung des Rechts auf Beschwerde gegen negative Vollzugsentscheidungen unverblümt als Begründung einer erneuten negativen Vollzugsentscheidung herangezogen wird, spricht für den Geist und den Charakter dieser Anstalt und seiner Protagonisten. Was den anderen Ablehnungsgrund anbetraf – ich würde die hiesigen Behandlungsangebote nicht wahrnehmen – hatte ich mich bereits acht Monate zuvor, sofort nach der von der Anstalt bewirkten Ablehnung der 2/3-Entlassung, wohlweislich um die Führung psychologischer Gespräche bemüht und auf die Warteliste setzen lassen. Dass ein Gefangener mindestens ein Jahr warten muss, bevor ein Psychologe frei wird, ist nicht zynischerweise dem Gefangenen zur Last zu legen, sondern der unzulänglichen Organisation der Anstalt.

Mein Anwalt hatte bei der Vollzugsamtsvorsitzenden Lüdenscheid die längst bekannte schriftliche Negativentscheidung über meine Beschwerde bis zum 17. 1. 2002 angemahnt. Am 17. 1. 2002 rief die Juristin Lüdenscheid bei meinem Anwalt an, mit der Zusicherung, noch am gleichen Tag den negativen Bescheid zu übersenden, auf den ich dringend wartete, um endlich in den rechtlichen Beschwerdegang gehen zu können. Um in diesen Beschwerdegang zu gehen, reichte es nicht von der Entscheidung zu wissen, sondern er muss dem Gefangenen schriftlich vorliegen. Andererseits reichte der Anstalt das Wissen um eine Negativentscheidung, um selbst einmauernde Negativentscheidungen zu treffen, zumal wenn die Kontrollinstanz eine ehemalige stellvertretende Anstaltsleiterin und damit eine vormalige Kollegin ist, mit der man sich unter der Hand austauscht, wie hier geschehen. – Die Wochen und Monate vergingen, ohne dass uns ein Bescheid erreichte.

Im Februar 2002 kam der Petitionsausschuss des Landtages in die Anstalt. Man ließ mich unverblümt widerrechtlich und gegen alle meine Proteste nicht vor, sondern schloss mich in meiner Zelle ein. Ich wurde auch nicht vom Petitionsausschuss abgerufen, dem mein Fall hätte bekannt sein müssen. Wie mir Mitgefangene am nächsten Tag erzählten, hatte sich der Ausschuss geduldig Beschwerden von Gefangenen angehört, die einen zusätzlichen Blumentopf auf ihrer Zelle wünschten, oder eine besondere Kondommarke, die es im offiziellen Gefängniseinkauf nicht zu erstehen gab.

Ich hatte seit Monaten auf diesen Ausschuss gewartet, in der Hoffnung, die Situation im Angesicht und in der offenen Auseinandersetzung mit dem mich hier einmauernden Dreigestirn – Anstaltsleiter, Psychologin, stellv. Anstaltsleiterin – erläutern zu können, das zu feige war, sich mir einzeln oder gemeinsam zu stellen, und von dem die Dame Kachel mittlerweile weggebrochen war, da sie sich sicherheitshalber in die JVA Rheinbach hatte versetzen lassen.

Die stellv. Anstaltsleiterin Preter, die im März 2002 die Anstalt verließ, um an anderer Stelle ihre Karriere fortzusetzen, empfing mich am letzten Tag vor ihrem Weggang zu dem Gespräch, um das ich sie seit Monaten ersucht hatte.

Das Gespräch wurde ein Monolog meinerseits. Ich erklärte der Dame Preter, wie ich den Geist und Charakter dieser Anstalt und sie sehen würde:

„Sie unterstützen und belohnen Heuchelei, Unterwürfigkeit und Denunziation, sind jedoch nicht in der Lage, sich offen mit einem kritischen Gefangenen auseinanderzusetzen, der sich diesem Geist widersetzt, und den Sie darob, aus niederen Revanche- und Disziplinierungsgelüsten, über unsachgemäße und vernichtend negative Vollzugsentscheidungen, über alle Zeit und gegen jede Wahrheit und Gerechtigkeit, einmauern. Andererseits entlassen Sie Gefangene vorzeitig in die Freiheit, deren Lockerungsqualifizierung einzig darin besteht, den Unterwerfungserwartungen der Schließerschaft und Anstaltsleitung hinterherzukriechen und sich für Spitzeldienste anzudienen. Damit verstoßen Sie gegen Ihre Sorgfaltspflicht sowie gegen die elementarsten Prognoseprinzipien, was sich auch darin äußert, dass viele dieser vorzeitig entlassenen Gefangenen, besonders bei Sexualstraftätern, Betrügern und Junkies auffällig, bald wieder rückfällig werden und in Ihre empfänglichen Arme zurückkehren.“

Das Gesicht der Dame Prater verfinsterte sich während meiner Ausführungen kontinuierlich. Sie presste zwischenzeitlich immer mal wieder ein lahmes „Das sehen Sie so“/ „Das ist Ihre Sicht“ heraus, sodass ich enttäuscht war, nicht einmal einen Gegner vor mir zu haben, der sich einer offenen Auseinandersetzung stellte. Am Ende kam nur noch das von allen kontrollierenden Mächten so gern verwandte wie lächerlich bedrohliche „Wir werden ein Auge auf Sie werfen“, worauf ich lächelte:

„Endlich sind wir einmal in der gleichen Lage. Ich habe ein Auge auf den Arsch von Emmanuelle Béart geworfen und werde ihn auch nicht bekommen.“

Weit über ein Jahr nachdem ich sie angefragt hatte, begann ich mit den Therapiegesprächen. Der Psychologe Besser, ein schlaksiger, freundlicher Mann von Anfang fünfzig, war souverän, friedlich, von einem lebensbejahenden Humor und selbstironischer, kritischer Offenheit, der sich bei all den menschlichen Abgründen, all dem Elend und Grauen, dem er sich täglich aussetzen musste, eine kindlich unschuldige Lebensfreude bewahrt hatte. Er war von fachlicher Kompetenz, die sich über einen scharfen Verstand, differenziertes Wissen und eine sensible Zurückgenommenheit ausdrückte.

Nach meiner Entlassung trafen der Psychologe Besser und ich uns manchmal zufällig in der Kölner Stadtbibliothek. Wir setzten uns dann auf einen Cappuccino ins Bibliothekscafé und plauderten für eine Weile wie alte Bekannte, die sich lange nicht mehr gesehen hatten.

Es lag nur in der Logik und Dynamik meiner ganzen Situation, dass die Vorsitzende des Vollzugsamtes, die ja bereits Anfang des Jahres 2002 der stellv. Anstaltsleiterin Preter den negativen Bescheid bestätigt hatte, die für den rechtlichen Vorgang notwendige schriftliche Aushändigung noch auf Monate verschleppte. Eine erneute Mahnung blieb ohne Antwort. Erst nachdem ich mit meinem Anwalt Beschwerde wegen Verschleppung beim Landgericht Köln eingereicht hatte, erhielt ich unter diesem Druck den schriftlichen Negativbescheid am 30. 7. 2002, weit über ein Jahr nach Beschwerdeeingabe und weit über ein halbes Jahr nachdem die negative Entscheidung bereits der Anstalt mitgeteilt worden war, zudem über ein halbes Jahr nachdem Fräulein Lüdenscheid meinem Anwalt versichert hatte, den Bescheid sofort zu übersenden. In dem Bescheid wurde in nichts auf meine Ausführungen eingegangen, sondern der Widerspruch nur formal, ohne jedwede Erläuterung, in einem Satz abgelehnt.

Im Nachhinein weiß ich, dass meine Hoffnung auf eine faire, unabhängige Behandlung so blauäugig war, wie ich es bin. Was nichts daran ändert, dass das Verhalten der eigentlichen Kontrollinstanzen (Vollzugamt/Petitionsausschuss) skandalös und für mich vorher nicht vorstellbar war. Es war eine Situation, wie ich sie mir in einem totalitären System vorstellte, in dem eine staatliche Kontrollinstanz, die offiziell für Beschwerden gegen Mängel, Ungerechtigkeit und Machtmissbrauch einer anderen staatlichen Organisation zuständig ist, diese Beschwerden und Hilferufe mit der beanstandeten Behörde klüngelhaft verhandelt und von vorneherein abschlägig bescheidet, worauf der Druck auf den ausgelieferten Beschwerdeführer noch erhöht wird; eine Kontrollinstanz, die nicht nur grundsätzlich die beanstandete Behörde in ihrer Entscheidung, und damit in ihrem Handeln gegen den Gefangenen bestätigt, sondern sie auch noch durch vielmonatige Verschleppung der Entscheidung unterstützt, während der Zeit der Beschwerdeführer rechtlich gelähmt ist und nicht die gerichtlichen Beschwerdeinstanzen anrufen kann.

Ich verstehe, dass ein Gefängnis ein demokratiefreier Raum ist und auch sein muss – und damit auch ein Tummelplatz defizitärer Entscheidungsträger, die im Gefängnis Macht gegenüber ihnen Ausgelieferten ungestört missbrauchen und ihre persönlichen Eitelkeiten pflegen können –, doch glaubte ich, dass, wenn dieser demokratiefreie Raum auch zu einem wahrheits- und rechtsfreien Raum wird, es, anders als in einem totalitären System, eine demokratische Kontrolle dieses Raumes gäbe.

Diese Annahme war eine naive Fehleinschätzung. Sieht man allerdings, dass all diese Entscheidungsträger all dieser staatlichen Einrichtungen hochdotierte, bis zum letzten Atemzug abgesicherte und gedeckte Staatsbeamte sind, die zudem zwischen den verschiedenen Institutionen wie Schmetterlinge hin und her wechseln, um im Gesamtapparat Staat Karriere zu machen, wird augenscheinlich wie naiv und lächerlich meine Hoffnung auf eine faire Behandlung war. Zumal man sich vorstellen kann, dass all diese Herrschaften – Richter, Staatsanwälte und Rechtsanwälte eingeschlossen – einmal als Studenten dieselben Kneipen und Betten frequentiert und sich alle gegenseitig begattet hatten.

Sehe ich diesen ganzen Rechtsraum insgesamt, so komme ich zu dem Ergebnis: Nirgends habe ich weniger Recht und Gerechtigkeit gesehen als dort, wo sie eigentlich zu Hause sein sollten.

Ich befand mich in einem schwelenden Zustand ohnmächtiger, tief unterdrückter Wut darüber, wie die zynische Machtarroganz dieser Anstalt mich hier über alle Zeit fesselte, während ich in Freiheit meine Liebste in Lissabon und mein eigentliches Leben verlor.

Zu sehen, wie vielfach Vorbestrafte noch vor dem Halbstrafenzeitpunkt in den Urlaub und offenen Vollzug, und bald vollständig in die Freiheit gingen (und ich sie als Kammergefangener auch noch abzufertigen hatte), während man mich aus jämmerlichen Macht- und Revanchegelüsten Jahre über den eigentlichen 2/3-Entlassungszeitpunkt vermauerte, verstärkte noch meine düstere hilflose Wut, ebenso wie meinen rebellischen Stolz.

„Sie haben sie herausgefordert und ihr ganzes System in Frage gestellt“, sagte mir ein hochrangiger Anstaltsbeamter, „und das auch noch in spöttischer Herablassung. Jetzt lassen sie Sie dafür bluten und am langen Arm verhungern. Mit solchen Entscheidungen werden normalerweise Abdreher geschaffen, aber bei Ihnen wissen die natürlich, dass Sie sich keine Blöße geben werden, so sehr sie eigentlich darauf lauern. Geben Sie sich wider Erwarten doch eine, haben sie es dann schon immer gewusst.“

In dem Wissen, dass man mir als Gefangenem alles nehmen konnte, nur nicht meine Würde, hatte ich all die Jahre der Gefangenschaft zu leben und handeln versucht. Hier in der Remscheider Strafhaftanstalt, in diesem miefigen Sumpf aus klebriger Heuchelei, gegenseitiger Bespitzelung und Einforderung von Konformismus tat ich es umso bewusster und mit einem Ausdruck grenzenloser Verachtung im Gesicht. Wie sagte der sowjetische Dissident Kusnezow: „Das Gefängnis ist die Schule der Freiheitsliebe, sofern sie dich darin nicht zerbrechen oder dir den Geist des Konformismus einimpfen.“ (Kusnezow, „Archipel des Grauens“)

Faktisch wurden in der Remscheider Anstalt die gerichtlichen Urteile aufgehoben und neu geschrieben. Mein urteilender Richter Prinz verkündete in der mündlichen Urteilsbegründung für das Strafmaß im Februar 1999, das er an einer 2/3-Entlassung orientiert hatte, wie sie bei einem sogenannten Ersttäter üblich ist: „Sie als Erstbestrafter werden ja auf jeden Fall die 2/3-Entlassung bekommen. Es sind also noch knapp zwei Jahre die Sie vor sich haben …“ − Erst über vier Jahre nach dieser Aussage öffneten sich für mich die Tore in die Freiheit.

Es findet im Gefängnis eine Neuschreibung der Gerichtsurteile statt, bei der sich die Anstalt häufig nicht an kriminologischen und vollzugstechnischen Kriterien orientiert, sondern am Maß der Willfährigkeit, Heuchelei und kritiklosen Unterwerfung unter die gefräßigen Egos der entscheidenden Beamtenschaft.

Im Remscheider Knast habe ich einige Beispiele erlebt, wie sich unterwürfig verstellende und oftmals vielfach vorbestrafte Berufsgefangene hier noch vor dem Halbstrafenzeitpunkt (noch bevor die Hälfte der Strafe abgegolten ist) in den offenen Vollzug geschickt wurden, wo sie zur 2/3-Strafe entlassen wurden.

Ich habe mich gefragt wie jene, die unter Verrat und Selbstaufgabe früher die Freiheit erlangen, in Freiheit leben können, da doch ein Leben ohne Selbstachtung ein Leben ohne Freiheitsliebe ist. Offensichtlich können die meisten jener Heuchler, Kriecher und Denunzianten die Freiheit gar nicht ertragen, denn fast alle kommen wieder ins Gefängnis zurück. Dort werden sie, wie in einen vertrauten Mutterschoß, wieder aufgenommen und im Verhältnis zu Neulingen auch noch bevorzugt behandelt, wobei sich häufig zwischen Berufskriminellen und Langzeitbeamten eine unausgesprochene, fast familiär freundschaftliche Beziehung entwickelt. Manche vielfach Vorbestrafte habe ich auf der Kammer mehrmals wieder empfangen und eingekleidet; Gefangene die in Freiheit waren und sie achtlos verwarfen, und deren eigentlicher Endstrafenzeitpunkt (der Zeitpunkt, an dem das vom Gericht ausgesprochene Strafmaß endet) hinter meinem lag.

Seele auf Eis

Подняться наверх