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Das öffentliche Eintreten von Hanns Heinz Ewers für die Belange der Kinematographie in den Jahren 1907 bis 1913

Hanns Heinz Ewers – der in seinen Büchern eine Vorliebe für alles Grausige, Groteske und Exotische entwickelte und der deshalb häufig von der Kritik als E.A. Poe-Epigone klassifiziert, im negativen Sinne als Phantast und Erotiker abgestempelt wurde – trat publizistisch schon im ersten Jahrzehnt des letzten Jahrhunderts für das damals neue Medium Film ein, zu einer Zeit, als die Mehrzahl seiner Schriftstellerkollegen der Kinematographie noch ablehnend gegenüberstand. In der offiziellen Literatur- und Kulturkritik blieb ‚der‘ Kino unbeachtet. „Damals galt es für jeden Schriftsteller, der auf sich hielt, als Sünde wider alle Geistigkeit, sich mit dem Film zu befassen.“ (1) Der Film hatte immer noch seinen Platz vorwiegend auf den Jahrmärkten, im Varieté und in den Ladenkinos der Vorstädte.

Im Jahre 1907 publizierte der „enthusiastische Verehrer des Kinematographen“ (2) Hanns Heinz Ewers, seit Anfang des Jahrhunderts immer wieder – auch auf seinen Reisen – Besucher der unterschiedlichsten Kinematographen-Theater, sein erstes Bekenntnis zum Kino als Kunstform ausgerechnet in einer ‚Morgen‘ betitelten ‚Wochenschrift für deutsche Kultur‘, die damals u.a. von solchen Autoritäten des Kunstlebens wie Werner Sombart (1863-1941), Richard Strauss (1864-1949), Georg Brandes (1842-1927), Richard Muther (1860-1909) und Hugo von Hofmannsthal (1874-1929) herausgegeben wurde. Ewers, „... der König der Bohème mit seiner Residenz im alten Café des Westens neben Schickele, Else Lasker-Schüler und Reinhardt“ (3), war eines Tages bei einem der Mitherausgeber des ‚Morgen‘, Dr. Artur Landsberger (1876-1933), erschienen und hatte diesem dargelegt, „daß es Pflicht eines Blattes sei, das, wie der Titel ‚Morgen‘ beweise, in die Zukunft weise und sich Zeitschrift für deutsche Kultur nenne, sich des Films anzunehmen – und zwar nicht nur gelegentlich und so nebenbei, sondern mit Ernst und Hingabe.“ (4) Es gelang ihm mit Hilfe von Artur Landsberger, den er wohl für sein Anliegen interessiert hatte und mit dem er bis ca. Mitte der 1920er Jahre sehr freundschaftlich verbunden blieb, im Oktober 1907 seinen Artikel, der die Überschrift ‚Der Kientopp‘ trug, in der Wochenschrift unterzubringen. Dieser rief, wie nicht anders zu erwarten, einen ziemlichen Sturm der Entrüstung hervor, hatte Ewers es doch u.a. auch gewagt, sich Gedanken über die Verfilmung von Stücken Shakespeares zu machen – „die damals wie eine Blasphemie und Schändung des Allerheiligsten klangen“ (5) – und die ‚Preßleute‘ der Blindheit zu zeihen:

„Ja, sind denn alle diese Preßleute blind? Und wissen sie nicht, daß der Kientopp ein Kulturfaktor ist, so erstrangig, so durchschlagend, wie nicht einer der andern? Daß er der Gutenbergischen Erfindung, der wir Bücherschreiber unser Leben verdanken, getrost an die Seite zu stellen ist? Ich bitte: ein Vitalitätskoeffizient.“ (6)

Wären die deutschen Schriftsteller schon in diesem Jahr dem Aufruf von Ewers gefolgt, „Kientoppstücke“ (7) zu schreiben, „hätten sich Dichter wie Bierbaum, Hartleben, Scheerbarth, Wedekind, Hauptmann, Eulenberg, Björnson nicht zu gut gedünkt“ (8), die Entwicklung des deutschen Films hätte sicherlich einen anderen Verlauf genommen – so blieb vorläufig alles beim Alten. In den Zeitschriften der sogenannten Hochkultur, z.B. im ‚Kunstwart‘, lamentierte man weiterhin über die Entwicklung des Kinos und schalt die Geschmacklosigkeit, Rohheit und Albernheit der vorgeführten ‚Films‘, die vorwiegend französischen und amerikanischen Ursprungs waren – zuweilen sah man auch, neben ein paar deutschen, dänische, italienische und englische Streifen.

Lediglich Hanns Heinz Ewers trat weiterhin und mit einer bemerkenswerten Entschiedenheit für die Belange des ‚Rollfilms‘ ein. Ob es bereits 1908, als Ewers im Juni/Juli in Frankreich weilte, sogar seinerseits zu einer ersten praktischen Filmarbeit kam, Skript und/oder Inszenierung, lässt sich nicht mehr feststellen. 1914 ließ er aber in einer Zeitschrift durch seinen Anwalt Anspruch darauf erheben, dass er bereits vor sechs Jahren in Gemeinschaft mit zwei anderen Autoren den so genannten Dirigenten- und Komponistenfilm erfunden habe. (9)

In Deutschland machte er sich 1909 Gedanken über die Möglichkeiten des Films für den Unterricht, die erst Jahrzehnte später realisiert werden sollten: er träumte u.a. davon, dass die Enkel mit dem Kinematographen quasi durch Indien und China reisen, Grönland und Zentralafrika entdecken könnten – es sei dann ein Vergnügen, in die Schule zu gehen. (10) 1910 gelang es ihm sogar, in der neugegründeten ‚Deutsche Montags-Zeitung‘ (11) eine ständige Kino-Rubrik einzurichten. Das Engagement der Zeitung für ‚den‘ Kino lag möglicherweise an deren Interesse an neuen und zugkräftigen Themenbereichen, außerdem gehörte Ewers, zumindest bis zum Oktober 1911 und neben Artur Landsberger, zu den ‚Machern‘ der Zeitung. Vom Dezember 1910 bis zum Juli 1911 brachte die Zeitung „... in lockerer Folge eine durchnumerierte Serie von Artikeln verschiedener Autoren (...), die, meist mit ‚Kino-Revue‘ überschrieben, von den unterschiedlichsten Kinothemen handelten: Zensur, Militärfilm, Kinder im Film, Naturfilm, Tonfilmaufnahmen in der Schule, Wissenschaftsfilm, Filmideen – Wettbewerb, Kino und Theater etc. Mit Filmkritik hatte die Kinorubrik der ‚DMZ‘ also nichts zu tun.“ (12) Nur die Folge 14 – der insgesamt 15 Folgen – ist mit dem Namen von H. H. Ewers gezeichnet, „aus dem Inhalt der mit ‚H.E.‘ unterschriebenen Beiträge (Nr.1 und 4) ergibt sich jedoch, daß auch diese von ihm stammen. Weitere Folgen sind anonym oder von ‚Lupus‘, ‚Spectator‘, Arthur Silbergleit, P.A. Wolff. ‚Lupus‘ und ‚Spectator‘ sind möglicherweise auch Ewers-Pseudonyme, denn Ewers schrieb in der D.M.Z. wiederum öfter unter Pseudonym, …“ (13)

Ewers benutzte sein neues Forum in der ‚DMZ‘, die auch seinen 1907 im ‚Morgen‘ erschienenen Artikel noch einmal abgedruckt hatte (14), sogleich u.a. dazu, die seiner Meinung nach in Deutschland rigoros gehandhabte Zensur und den mangelnden Kunstwert der deutschen ‚Films‘ zu kritisieren; den Film-Gesellschaften, die mit einem Auge auf die Schere des Zensors und mit dem anderen auf den Geschmack des Publikums schielen würden, sprach er jeglichen Mut zum Experiment und zum Risiko ab, obwohl doch diese in technischer Beziehung dem Ausland stark überlegen seien. (15) In einem anderen Artikel mit der Überschrift ‚Vom Kinema‘, den sowohl ‚Der Kinematograph‘ in Düsseldorf und die in Berlin erscheinende Filmzeitschrift ‚Lichtbild-Bühne‘ 1910 veröffentlichten (16), pries er noch einmal die Vorteile der ‚Kinemas‘: Jeder ‚Kintopp‘ (17) sei wertvoller als sämtliche Berliner Bühnen, die mit Operetten, Schwänken und albernen Possen das Publikum belästigten. Die Masse der Zuschauer wolle in ihrem Kinematographen-Theater Romantisches sehen und nicht, wie auf der Bühne, die Idealphrasen der Klassiker oder die naturalistischen Alltagsreden. Ewers gestand in diesem Beitrag allerdings ein, dass er sowieso nicht nur um der Bildung willen ‚Kinemas‘ besuche, sondern der Anlass sei oft ein ganz anderer:

„Ja, das ist es: man vergisst alles. Man sitzt im dunklen stillen Saale und sieht eine fremde geheimnisvolle Welt. Auf der Bühne des Theaters reden die Menschen, zwingen mich, achtzugeben auf das, was sie sagen, ihren Gedanken zu folgen. Im Kinema aber kann ich träumen. Ich lebe in der Welt des Wunderbaren, und diese Welt ist doch nur lebendig durch meine Träume.“ (18)

Diese von ihm gewünschte kompensatorische Funktion hatte ‚der‘ Kino gemeinsam mit einem Teil der Literatur der Zeit, beide boten fiktive Alternativen zur eingeschränkten Handlungsfähigkeit und zur sinnlichen Depravierung breiter Schichten. ‚Der‘ Kino zog Profit – auch ökonomischen Profit – aus den Sehnsüchten des vergesellschafteten Großstadtmenschen, sich den Folgen der Industrialisierung zu entziehen, obgleich das Vehikel der Flucht selbst ein Produkt dieser technischen Welt war. Film als Realitätsersatz nahm in dem Maße an Wichtigkeit zu, in dem die Entfremdung von der Realität wuchs. (19)

H. H. Ewers Forderung von 1907, dass Künstler speziell für den Film schaffen sollten, sah er – sich vermutlich hinter dem Pseudonym P. A. Wolff verbergend – in einem weiteren ‚Kino-Revue‘-Artikel Mitte 1911 durch die Filme von Walter Schmidthäßler realisiert, die von der ‚Vitascope‘-Film-Gesellschaft produziert wurden. (20) Walter Schmidthäßler war in Personalunion Autor, Regisseur und Hauptdarsteller seiner Filme, deshalb tauchte in dem Artikel auch zum ersten Mal das Wort ‚Kunstfilms‘ auf, „das seinerzeit synonym mit den Begriffen ‚Künstlerfilm‘ und ‚Autorenfilms‘ verwendet wird.“ (21)

Ewers ließ zu dieser Zeit neben seinen Artikeln für die ‚DMZ‘ keine Gelegenheit ungenutzt, auf „... die unbegrenzten Möglichkeiten des Rollfilm auf allen nur möglichen Gebieten“ (22) hinzuweisen. Als die ‚Lichtspiele‘ – ein Lichtspielhaus am Berliner Nollendorfplatz – zum Jahreswechsel 1910 ihr Publikum in den ‚Mozartsaal‘ luden, hielt er einen Vortrag über ‚Die Wunder des Rollfilms‘ und äußerte sich wenig später, im März 1911, bei einer Umfrage – die die in Berlin erscheinende ‚Erste Internationale Film-Zeitung‘ veranstaltete – über die Programmfrage. Erstaunlich ist sein Weitblick: So wies er in seinem Vortrag (23) nicht nur auf die zukünftige Rolle des Films in der medizinischen Wissenschaft, in der Industrie und als Werbemittel vielfältigster Art hin, er sprach auch schon vom Tonfilm und dessen Möglichkeiten, z.B. bedeutende Theaterinszenierungen aufzuzeichnen, um diese dann in der Provinz gegen geringes Entgelt vorzuführen. Von den um diese Zeit in den Kinematographen-Theatern grassierenden Tonbildern, diesen „... unendlich geschmacklosen Szenen aus Opern und Operetten, wozu irgendein scheusäliger Phonograph seine gräßlichen Laute von sich gibt“ (24), hielt er dagegen nichts, ebensolches trifft auf die Aufnahmen von irgendwelchen Varietégrößen, von Balletts und von ‚sentimentalen‘ Stücken zu. Ewers favorisierte Filme mit Max Linder und die amerikanischen Cowboy- und Indianerstreifen; er schätzte aber auch solche, die den Zuschauer in nahe und ferne Länder reisen ließen, und zur Abwechslung ließ er sich auch einmal die breiten historischen Dramen der italienischen Filmfirmen gefallen. Interesse zeigte er auch an den so genannten Tagesfilms, wie dem Pathé-Journal. Als die ‚Erste Internationale Film-Zeitung‘ im April 1911 einen so genannten Premieren-Abend – es war vermutlich der erste in der deutschen Filmgeschichte, und er fand vor ausgewähltem Publikum im Berliner Hotel ‚Esplanade‘ statt – veranstaltete, scheute Ewers nicht davor zurück, mittels eines Artikels in der ‚Deutsche Montags-Zeitung‘ (25), diesen Rummel, den die ‚EIFZ‘ vermutlich im Interesse der finanzstarken ausländischen Filmfabrikanten angerichtet hatte, zu monieren. Er hatte sich ja schon öfters darüber beklagt, dass aufgrund der Polizeizensur und dem mangelnden Wagemut der deutschen Film-Gesellschaften die ausländischen Firmen den Einheimischen weit überlegen seien (26) – und nun unterstützte eine deutsche Filmzeitschrift, deren Namen er schon für eine geschmacklose Reklame hielt, auch noch die ausländische Film-Industrie. Auf dieser Veranstaltung, so Ewers (27) – der neben dem Schriftsteller Hans Hyan (1868-1944) unter den Gästen gewesen war –, seien bei kaltem Büfett, Sekt und Bier, lediglich ein paar Dutzend ‚Films‘ gezeigt worden, und darunter sei nur ein einziger, noch dazu alter, deutscher Film gewesen:

„Wozu also die Veranstaltung? Wer trägt die, immerhin nicht unerheblichen Kosten? Die Zeitschrift mit dem geistreichen Namen? Doch gewiß nicht! Augenscheinlich also die Filmfabriken. Ihr Zweck liegt klar auf der Hand: sie bekommen auf diese Weise sehr billig die Kritik der Berliner Presse, und wenn sie dann sagen können: ‚Ueber den neuen wundervollen Film ‚Die Makkabäer‘ schreiben das ‚Berl. Tageblatt‘, die ‚B.Z. am Mittag‘, die ‚Voss. Ztg.‘ usw. usw. ---- , so ist ihr Geschäft natürlich gemacht!“ (28)

Ewers wandte sich nicht grundsätzlich gegen ‚Filmpremieren‘; er hielt den Gedanken sogar für sehr gut, nur sollten seiner Meinung nach die Veranstalter „… wirklich etwas Gutes bringen, sollten zeigen, daß sie vorwärts wollen und daß sie von ihrer ‚Branche‘ etwas verstehen ... Und sie sollten, last not least, wenigstens den Versuch machen, die so sehr nachhinkende deutsche Kinoindustrie – und sei es durch Zwang – etwas aufzurütteln!“ (29) Seine Schelte in der Presse (30) entwickelte sich rasch zu einer Pressefehde zwischen der ‚EIFZ‘, die im Februar noch seinen Artikel ‚Die Wunder des Rollfilms‘ abgedruckt hatte (31), und Ewers, wobei die Filmzeitschrift in ihrer Replik nicht gerade zimperlich mit dem „Romancier, Literaturpapst, Kunstreferent, Sprachkritiker, Volksredner, Reiseschriftsteller, Uebersetzer, Manager der ‚Lichtspiele‘ und Humbugist“ (32) Ewers umging; sie hielt ihm – dem sonst die geschmackloseste Reklame gut genug sei, wenn es gelte, von sich reden zu machen – u.a. vor, offenbar nur wegen der Aussicht auf einen Herrenabend ins Hotel ‚Esplanade‘ gekommen zu sein, und als er keine verbotenen ‚Films‘ zu sehen bekommen habe, sei er enttäuscht gewesen. (33) Ewers – der publizistisch von der ‚Lichtbild-Bühne‘ unterstützt wurde – wies daraufhin in einem Brief an die Redaktion (34), der alles in allem sehr versöhnlich gehalten war, noch einmal darauf hin, dass er die Idee von ‚Filmpremieren‘ für die Presse durchaus anerkannt habe; er habe sich nur scharf gegen diese Vorstellung gewandt, weil sie nichts gebracht habe, was er nicht allabendlich in jedem Kino sehen könne:

„Aber ich begreife Ihre Mißstimmung vollkommen: Sie hatten für Ihre ‚Premiere‘ eine glänzende ‚Presse‘ und dahinein fiel mein ‚Mehltau‘. Und da nun mein Wort bei allen denen, die sich für den ‚Kino‘ interessieren, einigen Wert hat (...) nicht wahr, das wollen Sie doch nicht leugnen? – So war Ihnen gerade diese Kritik sehr peinlich! Das ist menschlich und sehr verständlich!“ (35)

Neben den sogenannten inneren Feinden des deutschen Films, zu denen er auch die Filmfabrikanten zählte, die ‚Schundfilms‘ produzierten und mit allerlei Tricks die Zensur umgingen, machte der ‚Anwalt‘ der sich erst langsam entwickelnden deutschen Kinoindustrie H. H. Ewers auch noch einen ‚äußeren Feind‘ aus. Man muss sich die Situation für die deutsche Film-Produktion dieser Jahre vergegenwärtigen: 1911 war eine Zensur nur in Teilen Deutschlands, so z.B. in Berlin, München und Sachsen eingeführt; man hatte es den einzelnen Verwaltungsbehörden überlassen, „innerhalb des Kreises ihrer Zuständigkeit durch besondere Polizeiverordnungen die Zensur einzuführen.“ (36) Die Folge war, dass eine Verordnung nach der anderen gegen das sich immer mehr ausbreitende Kinematographenwesen erlassen wurde – „ja es kann vorkommen, daß der Kinematograph innerhalb eines und desselben Bundesstaates der mannigfachsten Behandlung unterliegt.“ (37) Mag sich darin auch eine gewisse Hilflosigkeit gegenüber dem neuen Medium ausdrücken, so sollte man doch nicht übersehen, dass die ‚Films‘, die in den Kinematographen-Theatern vorgeführt wurden, häufig geschmacklos, albern und dumm waren und die Reaktion z.B. der Polizeibehörden geradezu herausforderten. Der „wilde Wettbewerb“ (38) zwang die Besitzer der Kinos dazu, möglichst nur darauf bedacht zu sein, viele Zuschauer anzuziehen, und das ließ sich am besten erreichen, indem man möglichst viele Plattheiten vorführte. (39)

Die Kommunen übten zudem mit der ‚Lustbarkeitssteuer‘ – die die Film-Industrie als ‚Erdrosselungssteuer‘ bezeichnete – einen ökonomischen Druck auf die Kinematographen-Theater (40) aus; in Berlin z.B. gingen infolge der Einführung dieser Steuer über 150 Kinos ein. Am schärfsten wandten sich die Theater gegen die zunehmende Konkurrenz durch die Kinos, so verbot der ‚Verband Berliner Theaterleiter‘ seinen Mitgliedern die Mitwirkung bei Kinematographenaufnahmen, und der ‚Deutsche Bühnenverein‘ veröffentlichte im Juni 1912 eine ‚Denkschrift‘ gegen das Kino. Als einen Monat später, im Juli 1912, zur Bekämpfung der Kinogegner ein ‚Agitationskomitee der kinematographischen Fachpresse‘ gegründet wurde, berief man auch Hanns Heinz Ewers in ein so genanntes Ehren-Komitee, zu dem u.a. auch – man musste ja auf gesellschaftliche Reputation bedacht sein – zwei Theaterdirektoren, einige Herausgeber und Redakteure von Zeitungen und Zeitschriften, Pastoren, Rechtsanwälte und Lehrer zählten. Das ‚Agitationskomitee ...‘ verfügte u.a. über eine Zensurkommission, die zu harte Entscheidungen der Zensurbehörden durch mündliche Verhandlungen bei gegenseitigem Entgegenkommen abzuändern und für die Filmfabrikanten günstiger zu gestalten versuchte; es kämpfte auch gegen die steuerliche Willkür der Behörden. (41) Ewers sprach auf Demonstrations-Versammlungen, die in Berlin und anderen großen Städten Deutschlands abgehalten wurden, wobei er u.a. betonte, dass die Bestrebungen der Theaterleiter gegen ‚den‘ Kino nur dem Brotneid entspringen würden. (42) Als sich im Jahr 1913 das Präsidium des ‚Deutschen Bühnenvereins‘ sogar mit einer Petition an die ‚Handels- und Gewerbekommission‘ des Abgeordnetenhauses um Einführung von Maßnahmen zur Bekämpfung von Missständen auf dem Gebiete der Kinematographen-Theater richtete – die die ‚Kommission‘ der Regierung zur Berücksichtigung überwies –, zog das ‚Agitationskomitee ...‘ mit einer eigenen ‚Denkschrift‘ nach, die sich auf eine Reihe von so genannten Sachverständigengutachten, u.a. auch von Hanns Heinz Ewers, berief. Diese Gutachten betonten natürlich alle einmütig, dass der Kinematograph als ein neues Ausdrucksmittel der Kunst anzusehen sei. (43)

Ewers Interesse und sein Eintreten für die Belange der Kinematographie in dem um diese Zeit tobenden ‚Kulturkampf‘ gingen sogar soweit, dass er in die Leitung des im März 1913 eröffneten Kinos ‚Cines-Nollendorf-Theater‘ am Nollendorfplatz in Berlin eintrat. In seiner Conférence bei der Eröffnung polemisierte er gegen einen gegen das Kino gerichteten Artikel eines Professors, den dieser im ‚Berliner Tageblatt‘ veröffentlicht hatte, und er wandte sich gegen die ständige ablehnende Haltung des sozialdemokratischen ‚Vorwärts‘ gegenüber den Kinematographen-Theatern. „Mit einem pathetisch gerufenen ‚Durch!‘ schloß Ewers seine Ansprache“ (44) , die in der Presse nicht ohne Widerhall blieb – dazu war er schon zu sehr ‚Institution‘ im Lager der Kinointeressierten und -begeisterten:

„Was flimmert dort in der Höhe? Ist es die Nielsen? Ist‘s der Lindner? (korrekt: Linder, R.K.) Ist es gar der Nauke? Es ist der Ewers. (Telegramm – Adresse: Filmewers.) Hanns Heinz Ewers, Doktor und Dichter, der ‚wärmste Fürsprecher des Filmwesens, der dem neueröffneten Kino durch eine dityrambische Rede die höhere Weihe gab.‘ Auch sonst geht es abwärts. Das Schicksal setzt die Kurbel und den Ewers an ... Ich glaube an Prädestination und so glaube ich auch, dass es Menschen gibt, die Kraft einer höheren Bestimmung flimmern müssen. Ob sie in Berlin auf Kamelen oder am Ganges auf der Muttersprache reiten; ob sie mit Satan, ob mit Buddha oder Mosse handeln – einerlei: sie flimmern.“ (45)

Auch die Karikaturisten fanden in Ewers mittlerweile ein dankbares Objekt für ihre Zeichnungen, so veröffentlichten sowohl das ‚Berliner Tageblatt‘ (46) als auch die Zeitschrift ‚Ulk‘ (47) nach der Eröffnung des ‚Cines‘ die nachstehende Karikatur:


Inwieweit Ewers auf die Programmgestaltung des ‚Cines‘ Einfluss nahm und/oder welche Funktionen er sonst versah, lässt sich heute nicht mehr nachvollziehen; vermutlich war er sogar nur in die Leitung eingetreten bzw. berufen worden, um das Prestige des Kinos zu erhöhen und neue Zuschauerschichten mit seinem Namen und Renommee anzulocken. Hanns Heinz Ewers war zu dieser Zeit, auch durch den Erfolg seines 1911 veröffentlichten Romans ‚Alraune‘, auf der Höhe seines literarischen Ruhms und seiner gesellschaftlichen Bekanntheit.

Hanns Heinz Ewers und der Phantastische Film

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